08.04.05
Vom aufrichtigen Erinnern und Gedenken
Vortrag anlässlich der Sitzung des Internationalen Rombergpark-Komitees
Dortmund, Rathaus am 24. März 2005
Von Prof. Kurt Pätzold, Berlin
Die geistigen Auseinandersetzungen auf dem Wege zum 60. Jahrestag der
Befreiung hat ein Historiker, Norbert Frei, bis vor kurzem lehrend in
Bochum, nun in Jena tätig, eine "Erinnerungsschlacht" genannt.
Der Begriff wirft fragen auf: Wer erinnert sich hierzulande. Und Woran? Und
Warum? Zu erinnern vermag sich an die Ereignisse des Frühjahrs 1945 im
eigentlichen Sinne des Wortes nur eine Minderheit der deutschen Bevölkerung
der Bundesrepublik, insgesamt etwa 10 Prozent ihrer Einwohner. Die übergroße
Mehrheit hingegen kann sich, wenn sie dazu bereit ist, Wissen über und
Verständnis für diese Zeit, die ihre Eltern, Großeltern und nun schon
Urgroßeltern erlebten, aneignen. Das wird sie nur tun, wenn sie meint oder
davon überzeugt werden kann, dass dies von einigem Nutzen für sie selbst
sein könnte.
Und dann Schlacht! Wer trägt sie gegen wen aus? Und mit welchen Zielen? Die
Geschichtsversessenen gegen die Geschichtsvergessenen? Von beiden ist mit
Bezug auf Deutschland die Rede. Geht es um eine Annäherung an die
geschichtliche Wirklichkeit und Wahrheit? Gegen deren Vernebelung oder
Verklärung? Wer spielt dabei welchen Part? Wer bedient sich dieser, wer
jener Mittel und Methoden? Mehr Fragen, als sich in einem halbstündigen
Vortrag beantworten lassen.
Unbezweifelbar ist, dass durch Presse, Fernsehen und Filmproduktionen, durch
eine erhebliche Menge von Büchern die Aufmerksamkeit von Millionen, im
Ganzen aber wohl einer starken Minderheit von Deutschen, auf die
Geschehnisse der ersten vier Monate des Jahres 1945 gelenkt werden. Kein
Abend, an dem nicht auf irgendeinem Sender ein Spiel- oder Dokumentarfilm
oder eine Mischung aus beiden gezeigt wird, dessen Gegenstand Ereignisse
dieses Jahres sind. Kein Tag, da Zeitungen und Zeitschriften nicht von
diesem oder jenem geschichtlichen Ablauf oder Vorkommnis berichten. Doch nur
selten kann das Präsentierte den Anspruch der Aufklärung erheben. Vieles
gehört in den Bereich bloßer Unterhaltung, lenkt ab vom Alltag, hilft Zeit
totschlagen, erzeugt Gruseln oder Kopfschütteln. Die heutige Ausgabe der
Westfälischen Rundschau liefert dafür einen weiteren Beweis. Sie druckt
einen der vielen Artikel, die momentan nach dem Erscheinen eines
entsprechenden Buches der Frage gelten: Besaß Hitler die Bombe, das meint
Atomwaffen? (Woran sich dann Überlegungen knüpfen lassen wie: Hätte nicht
doch ...) Und in einer Vorankündigung eines 10-teiligen Fernsehfilms ist zu
lesen: "Eine Serie die unter die Haut geht", was doch heißt,
die Hersteller zielen auf die Gefühlswelt der Zuschauer und nicht auf deren
Köpfe und Gehirne. Und in der Tat, wird weiter geschrieben: "Krieg
wird gezeigt, wie er ist - brutal, grausam, menschenverachtend. Hier gibt
es keine Sieger, hier gibt es nur Verlierer." Und schon einleitend und
kritiklos wird mitgeteilt: "Große geschichtliche Zusammenhänge sucht
man hier vergebens." Wahrlich: So ist die Dutzend- und die Massenware
beschaffen. Zusammenhänge werden nicht erfragt, Ursachen und Wirkungen
zumeist im Dunkeln gelassen, jedenfalls nicht ausgelotet. Geschichte
erscheint als eine Mischung individuellen Erlebens, aus dem jeder seine
geschichtliche Wahrheit bezieht.
Das Fazit wurde in der Neuen Züricher Zeitung vom 16. Februar 2005 treffend
zusammen gefasst: "Nur darf man sich keine Illusionen über die
Geschichtskenntnisse machen. Die deutsche Öffentlichkeit hat keinen scharfen
Begriff vom NS-System, ihre klaren moralischen Verdikte beruhen nicht aus
ebenso klaren Einblicken in Genese und Funktion der nationalsozialistischen
Herrschaft. Der derzeitige Trend zum individuellen Opfergedenken ist nicht
frei von einer gewissen Privatisierung und man könnte sich fragen, ob und
wie wohl diese Privatisierung irgendwann auf das offizielle Geschichtsbild
zurückschlägt." Nun wächst das Erinnern der Zeitgenossen des Kriegsendes, der heute Siebzig-
und Achtzigjährigen, aus einem natürlichen Bedürfnis hervor. Sie blicken auf
ihr Leben zurück und manche möchten mit sich ins Reine kommen, ihre Gedanken
ordnen, Herr ihrer Gefühle werden. Was sie betrifft, liegen Motive zu tage.
Wie steht es aber mit den Nachgeborenen, die sich ernsthaft mit den Zeiten
befassen, die sie zu ihrem Glück nicht erlebt haben? Da mögen die Antriebe
vielfältiger sein. Einer könnte darin bestehen, dass sie von dem Wissen oder
auch nur der Ahnung geleitet oder beschlichen werden, dass diese Zeiten
nicht so fern sein können, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint.
Kriege, so fern sie auch von den deutschen Grenzen und von Europa geführt
werden mögen oder drohen, dazu die Erklärung der einzigen Supermacht des
Erdballs, dieses oder jenes Regime disziplinieren zu wollen, verbunden mit
militärischen Drohungen, richten das Fragen an Vergangenes, rücken es den
Heutigen wieder näher.
Vor 10 Jahren, als des 50. Jahrestags des Kriegsendes gedacht wurde, meinten
manche, das werde das letzte Mal sein, dass sich so viel Aufmerksamkeit den
Maitagen 1945 zuwenden würde. Weit gefehlt. In diesem Jahr 1995 wurde die
Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1945"
gezeigt, die dann in mehr als einem halben Hundert Städten der
Bundesrepublik und auch in Österreich zu sehen war und in die
Hunderttausende strömten, was zusätzlich durch die heftigen, auch auf
Straßen und Plätzen ausgetragenen Meinungen über ihren Inhalt bewirkt wurde.
Was Historiker mit ihren Publikationen nicht bewirkt hatten, gelang. Es
veränderte sich das Bild von den deutschen Verbrechen in den besetzten
Ländern und es konnte nicht länger bezweifelt werden, dass es nicht die SS
allein gewesen war, die sie verübt hatte. Polizeibataillone, Wehrmachts- und
andere militärische Einheiten waren an ihnen beteiligt. Das war, wie gesagt
keine Entdeckung und in Büchern konnte das zuvor längst beweiskräftig
nachgelesen werden. Doch war es dort, weil unbequem, lästig und das
Selbstverständnis vieler erledigend, nicht zur Kenntnis genommen worden. Die
Rede kam auf die deutschen Täter, ein Wort, das auch Missverständnisse
erzeugte und Chancen zur Gleichmacherei ließ. Hinggen hatten die Alliierten
gegen Kriegsende aus guten Gründen solche Nivellierungen vermieden. Es gab
eine ganze Skala von Bezeichnungen für den zu unterscheidenden Grad an
Beteiligung, an m Belastung mit Verantwortung und Schuld, sie reichte von
den Hauptkriegsverbrecher bis zu den Minderbelasteten und den Mitläufern und
eben auch Widerstandskämpfer. Nun aber entstand so etwas wie ein Täterbrei
und von dem ging es konsequent zum Opferbrei.
Denn die Geschichtsdebatte in Deutschland veränderte sich 2002 grundlegend.
Sie wechselte die Perspektive. Den Anstoß dafür gab die Besinnung auf die
Stalingrader Schlacht, deren Beginn sich im Sommer dieses Jahres zum 60.
Male jährte. Nahezu gleichzeitig erschien "Der Brand", das zum
Bestseller hochgespielte Buch über den Bombenkrieg über Deutschland. Andere
Veröffentlichungen befassten sich mit dem Geschehen unter dem Stichworten
Flucht und Vertreibung. Keines dieser Themen war neu. Der behauptete
Tabubruch war eine Legende, mehr noch, eine glatte Lüge, denn die von ihm
sprachen, sei es aus Reklame- oder aus politischen Gründen, wussten es
besser.
Niemand hatte den Deutschen in den Jahren vorher das Recht bestritten, sich
ihrer Opfer zu erinnern. Zu nehmen war es ihnen ohnehin nicht. Und sie - wir
- hatten dazu der Gründe viele, millionenfach. Denke ich darüber nach, wer
mir selbst und zuerst einfällt, wenn von den deutschen Opfern von Faschismus
und Krieg in den Sinn kommt, dann sind es Kinder im Vorschulalter, die 1945
in einem Kinderheim auf dem Thüringer Wald lebten. Sie waren irgendwo
aufgriffen worden, hatten ihre Eltern im Chaos der Endphase des Krieges
verloren. Manche wussten ihre Namen nicht und hatten, damit sie angesprochen
und gerufen werden konnten, Namen erst erhalten. Sie gehörten zu jenen
Deutschen, von denen sich uneingeschränkt sagen ließ, sie waren an dem, was
ihnen an Schrecklichem widerfahren war, ohne jede Schuld. Für die Mehrheit
der Deutschen aber galt das nicht. Sie erfuhren in jenem letzten Kriegsjahr
drastisch und mehr als in allen voraufgegangenen, dass die Geschichte ihre
Zahltage kennt.
Es geht folglich nicht darum, die Existenz der Millionen deutscher Opfer zu
ignorieren, sie klein zu reden, zu marginalisieren oder sie zu Kriegsopfern
zweiter Klasse zu erklären. Doch hat es mit ihnen eine besondere Bewandtnis,
die aufklärt werden muss aus einem doppelten Grunde. Zum einen aus Respekt
vor eben diesen Opfern, zum anderen mit Rücksicht auf uns selbst, denn das
Anrichten eins Opferbreis ist einzig geeignet, Gehirne zu verkleistern,
während es doch darum zu tun sein muss, Gedanken zu schärfen. Soll also
dieses Gedenken an die deutschen Toten des Zweiten Weltkrieges nicht einen
bitter unangenehmen Beigeschmack haben oder auch in bloßem Betroffensein (um
die Lieblingsvokabel derer zu zitieren, die einzig auf ihr und
unser
Seelenheil zielen), dann muss von Zusammenhängen die Rede sein.
- Aufrichtig ist das Gedenken nur, wenn beim Blick auf die Opfer von
Faschismus und Krieg nicht daran vorbeigesehen wird, dass deren lange Reihe
mit jenen zumeist aus Arbeiterkreisen stammenden Antifaschisten beginnt, die
sich in den Jahren der Weimarer Republik den aufkommenden Faschisten
entgegenstellten, nicht immer mit angemessenen Mitteln, aber immer in der
Absicht, nicht nur für sich selbst ein Unheil abzuwenden. Es ist falsch und
unredlich, diese Konfrontationen und deren Opfer als bloße Händel von
politisch extremen Gruppen abzutun. Diese erste Reihe der Opfer setzt sich
nach dem 30. Januar 1933 fort. In sie gehören Kommunisten,. Sozialisten,
Sozialdemokraten und andere Gegner des sich etablierenden Regimes. Diese
Reihe wurde in den Vorkriegsjahren lang und länger, in Jahren, in denen die
Mehrheit der Deutschen eben dieses Regime unterstützte oder sich mit ihm
arrangierte und abgefunden hatte.
- Aufrichtig ist das Gedenken an die deutschen Opfer nur, wenn auch davon
gesprochen wird, dass diese Mehrheit sich nach 1933 und eben bis in da Ende
des Krieges hinein, die einen freiwillig und begeistert, die anderen
widerwillig und widerstrebend, zu Instrumenten einer Diktatur gemacht hatte,
die einem krieg entgegen steuerte und ihn dann gegen nahezu ganz Europa und
die USA führte. Für Millionen begann diese Rolle bereits in den Jahren der
Weltwirtschaftskrise. 38 Prozent der Deutschen wählten im Hochsommer 1932
die NSDAP und setzten auf diesen Hitler. Mehr als 50 Prozent waren es in
den norddeutschen, evangelisch dominierten Landen, aber auch in katholisch
geprägten Gebieten war die Gefolgschaft teils erschreckend hoch. In
Pforzheim, der Stadt, die im Februar 1945 zehn Tage nach Dresden in einen
Trümmerhaufen verwandelt wurde, gaben damals 45 Prozent der Wähler den Nazis
ihre Stimme, absolut etwa so viele, wie dann im Bombenhagel umkamen. Der
deutsche Faschismus und sein Führer wäre für diejenigen, die ihn an die
Staatsmacht brachten, das waren nicht die Wählerstimmen, völlig
uninteressant gewesen, ohne diesen Millionenanhang Und noch im Jahre 1933,
viel rascher als es Mussolini in Italien gelungen war, hatte sich eine klare
Mehrheit der deutschen Bevölkerung hinter die "nationale
Regierung" gestellt, was vor allem durch Zutreiberdienste von
bürgerlichen Parteien, vielerlei Organisationen und Vereinigungen und auch
der großen Kirchen bewirkt worden war. Und dieser Faschismus hätte den Weg
in den Krieg, so wenig seine Anhänger ihn wollten, nicht gehen können, wäre
er nicht seiner Macht im Innern so sicher gewesen, wie er es angesichts der
Volksstimmung sein konnte. Die Deutschen waren in ihrer Mehrheit, bevor auch
sie Opfer des Faschismus wurden, dessen Instrumente gewesen. Und jenes hat
dieses nicht aufgehoben oder gar aufgewogen, wenn die Deutschen nach 1945
auch massenhaft meinten, sie wären durch die Ereignisse selbst bestraft
genug und hätten so gebüßt, dass über das Davor nicht mehr geredet werden
müsse.
Zur Erinnerung an die Opfer gehört unablösbar der Gedanke, dass die Mehrheit
der Deutschen in den Jahren von 1939 bis 1945, als sie nahezu ganz Europa
mit Krieg überzogen und auf dem Wege waren, diesen Kontinent unter das
Hakenkreuz zu zwingen, die schändlichste Rolle spielten, die sie je in ihrer
Geschichte eingenommen und ausgefüllt hatten. Dieses Land war auf den
tiefsten Punkt seines intentionalen Ansehens heruntergewirtschaftet worden,
nicht von Hitler allein, nicht nur von den Führern der zivilen und
militärischen Eliten, sondern unter Mitwirkung von Hunderttausenden und
Millionen Deutscher aller Klassen und Schichten. Schon 1933 dichtete Bert
Brecht: Oh Deutschland, bleiche Mutter, wie sitzt du besudelt unter den
Völkern. Und als sowjetische Truppen 1944 die Reichsgrenze erreichten,
richteten sie Schilder auf, auf denen in kyrillischer Schrift zu lesen
stand: Hier beginnt das verfluchte Deutschland.
Der Sinn des Wortes Befreiung der Deutschen ist mit dem Verweis auf das Ende
der Schrecken des Bombenkrieges, auf die Befreiung der Insassen von KZ und
Zuchthäusern, des Endes der an die Soldaten gerichteten Befehle, sich in
erneute Schlachten und den Tod zu stürzen, nicht ausgefüllt. Befreiung
- das bedeutete aktuell wie geschichtlich, dass für die Deutschen eben
diese Rolle, anderen Völkern "eine Furcht" (Brecht) zu sein, zu
Ende ging, ohne, das gilt für die übergroße Mehrheit, ihr eigenes Zutun.
- Aufrichtig ist das Gedenken an die deutsche Opfer von Faschismus und
Krieg folglich nur, wenn es nicht zur nationalen Nabelschau verkommt. Als
die Mehrheit der Deutschen vom Kriege noch kaum etwas merkte und meinte, er
würde ganz anders verlaufen als der Erste Weltkrieg, befanden sich Polen,
bald darauf Franzosen auf der Flucht vor der von den Wehrmachtstruppen
erzeugten Kriegswalze, gingen Bomben der Stukas auf Menschen unseres
östlichen Nachbarn nieder, begannen in dessen Städten Massaker. Dann entlud
sich der Bombenhagel auf London und andere britische Städte. Es folgte der
unprovozierte Einfall in die Sowjetunion mit den unvorstellbaren Folgen an
Toten, Ermordeten, Verhungerten, an Zerstörungen. Wer nur an das Kriegsleid
der eigenen denkt, wer auf Reisen nur auf deutsche Soldatenfriedhöfe geht
und die der Alliierten meidet, wem die Male und Tafeln des Gedenkens für die
Partisanen und Widerstandskämpfer in Städten und Ortschaften Italiens,
Frankreichs und in anderen Ländern stumm bleiben, der soll von
"Bewältigung" deutscher Vergangenheit und seinem Beitrag zur
Verständigung der Völker schweigen. Doch die Nabelschau ist hierzulande noch
immer modisch, wie die Reiseofferten des Bundes der Kriegsgräberfürsorge
auch für das Jahr 2005 ausweisen. Schon im Vorjahr war das Angebot für
Fahrten in die Normandie so gestaltet, dass kein Teilnehmer seinen Fuß auf
eine Gräberstätte der einstigen Kriegsgegner setzen musste.
- Aufrichtig ist das Gedenken an die deutsche Opfer von Faschismus und
Krieg nur, wenn jede primitive Gleichsetzung unterbleibt, die mit der
Feststellung Tot ist tot jedes Nachdenken darüber, wie die einen und wie die
anderen zu Tode kamen, erledigt. Der deutsche Fallschirmjäger, der auf Kreta
niederging, hatte eine andere Funktion als der britische Soldat, der die
Insel vergeblich zu verteidigte suchte. Der griechische Bauer kam aus
anderen Gründen um als der deutsche und italienische Eindringling. Weithin
sichtbar, denn an exponierter Stelle, hat Bundeskanzler Kohl in Berlin Unter
den Linden jene Geschichtsbetrachtung, die Differenzen nicht gelten lässt
oder als unwesentlich erachtet, in einer Tafel festschreiben lassen. Ob
Mörder oder Ermordeter, Eroberer oder Unterworfener, Sklavenhalter oder
Versklavter, Rassist oder Humanist, Jude oder Antisemit - irgendwie
sind sie am Ende angeblich alle Opfer gewesen. Auch Hitler, wie eben in
einem Spielfilm gezeigt wurde: der Führer gebrechlich und gebrochen,
zitternd und gekrümmt sich in seiner Bunkerhöhle dahin schleppend. Ein
Elender, ohne Zufluchtsort. Ein wenig zu bemitleiden, wie sein Darsteller
ihn erklärtermaßen auch vorführen wollte. Demgegenüber ist darauf zu
bestehen, dass die Menschen jener Kriegszeit zu Millionen zweierlei Rollen
einnahmen. Die einen verübten, das ist eine Formulierung des Schweizer
Theologen Karl Barth, der 1935 von seinem Lehrstuhl und aus Deutschland
vertrieben worden war, ein "Attentat gegen die Menschheit" und
die anderen wehrten dieses Attentat ab.
Den besondere Anlass dieses Treffens bilden die Kriegs- und anderen
Verbrechen, die unter dem Begriff Verbrechen der Endphase gefasst worden
sind. Es ist verständlich, dass der Blick auf sie besondere Gedanken und
Empfindungen wachruft. Zugleich mag in dieser Hinsicht ein Element des
Ungerechten liegen. Die polnischen Toten des 1. September 1939, etwa jene,
die in der Stadt Wielun das Opfer deutscher Bombenangriffe wurden, verdienen
unsere Erinnerung nicht weniger als jene, die nur Stunden vor dem Ende der
Kriegshandlungen umkamen. Und dennoch. Diese späten, diese letzten Toten der
Kriegstage (nicht des Krieges, denn das Sterben dauerte noch lange) lassen
fragen: Warum auch die noch? Konnte das Töten und Sterben nicht früher
enden, konnten nicht wenigstens sie noch lebend davon kommen? Wer so fragt,
mag sich der Tatsache erinnern, dass die kaiserlichen deutschen Militärs
1918, als sie am Ende ihres militärischen Lateins waren und es absehbar
wurde, dass es nur noch kurze Zeit dauern werde, bis die Fronten brachen,
der politischen Führung des Reiches erklärten, nun müsse sie einen Ausweg,
einen Weg zu Kapitulation und Frieden suchen und rasch beschreiten. Keine
Gruppe deutscher Feldmarschälle und Generale hat 1945, als sie den Krieg
militärisch längst verloren wussten, diesen Schritt getan. Der
Oberbefehlshaber West, Erwin Rommel, bildete eine Ausnahme. Diese deutschen
Militärführer konnten einen Krieg beginnen , aber ihn nicht beenden. Sie
haben noch unwissende, milchbärtige Hitlerjungen in den Krieg gehetzt. Hier
und nicht bei Personen wie Winston Churchill, dem verteufelten "Bomber
Harris" oder den sowjetischen Heerführern und Soldaten ist die Adresse
für Schuldzuweisungen. Auf das Konto der Keitel, Jodl, Schörner, Dönitz,
Busse und anderer gehen letztlich auch die in Trümmer gelegten Städte
Dresden, Pforzheim. Hildesheim, Würzburg und viele weitere, die in den
letzten Kriegsmonaten zerstört wurden. Wären die Truppen der Alliierten von
Ostpreußen und dem Saarland in ein Deutschland einmarschiert, das
kapituliert hatte, dann wäre auch das kein Vergnügen gewesen, aber das
Kriegsende hätte für viele Deutsche dann anders ausgesehen und Zehntausende
hätten es noch erlebt. -
* * *
Gestatten Sie mir am Ende eine persönliche Bemerkung. Sie knüpft an eine
Äußerung des vormaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker an, der
1985 aus Anlass des 40. Jahrestages des Kriegsendes eine denkwürdige Rede
hielt und kürzlich (Berliner Zeitung, 26./27. Februar 2005) gefragt worden
ist, wie er rückblickend über seinen damaligen Auftritt denke. Schließlich
wollte der Interviewer wissen, ob von Weizsäcker im 8. Maitag einen Grund zu
Feiern erblicke. Das nicht, lautete die Antwort, aber er empfinde an diesem
Tage "historische Freude". Nun weiß ich, nachdem ich den Vorzug
genoss, mich seit vielen Jahrzehnte mit der Geschichte studierend und
forschend beschäftigen zu können, was ein historisches Ereignis oder eine
historische Persönlichkeit ist. Mit der Kennzeichnung historische Freude hat
es Schwierigkeiten. Folglich: Ich werde am bevorstehenden 8. Mai 2005 ein
paar Freunde und Kollegen einladen und sie bitten ein Glas Wodka und ein
Glas Whisky zu leeren, so das Andenken aller aus Ost wie aus West ehrend,
die diesen historischen Tag herbeiführten. Ihnen schulde ich auch eine
besondere Danksagung. Denn, hätten sie ihre Anstrengungen nicht in jenem
Tempo unternommen, in dem sie es taten, wäre ich schwerlich am Kriege so
vorbeigeschrammt, wie mir das eben noch möglich war und die Einladung, hier
zu reden, hätte sich an eine andere oder einen anderen richten müssen.
Mehr als das Mitleid ist heute notwendiger – so wie
damals – das Mittun, das Mitkämpfen
Informationen zur Tätigkeit des Internationalen Rombergpark-Komitees
auf dem Internationalen Treffen aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus
"Ja,
seid wachsam!"
Ansprache
von Gisa Marschefski, Generalsekretärin des IRPK, auf der
Gedenkkundgebung am Karfreitag 25.03.2005 am Mahnmal in der
Bittermark, vorgetragen von Celine van der Hoek de Vries,
Amsterdam, Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz und
Vizepräsidentin des IRPK
Erklärung
von Dortmund
Vom
Treffen der Hinterbliebenen von Kriegsendmorden der Nazis des
Internationalen Rombergparkkomitees
Wenn
jemand die Opfer und die Täter gleichzeitig ehren will
Streit in
Dortmund über die Frage: Ist Joachim Gauck ein geeigneter
Gedenkstättenredner? - Folgt dem Skandal von Torgau und Halle nun
der von Dortmund?
"...da
steht SPD-Grüne-Lokalprominenz auf und schlägt zu"
Reaktionen
auf die Veröffentlichung der Frankfurter Rundschau zur
Auseinandersetzung um Gauck
Ein
Geschichtsrevisionist als Redner in der Bittermark?
VVN-BdA NRW
lehnt Gauck als Redner auf der diesjährigen Gedenkveranstaltung
in Dortmund ab
Treffen
zu Karfreitag 2005 in Dortmund
Das
Internationale Rombergparkkomitee und VVN-BdA NRW rufen auf zur
Zusammenarbeit der Hinterbliebenen des Nazi-Terrors von 1945 und
ihrer Freunde und Mitstreiter
|