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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Nazis raus aus dem Internet

 

08.04.05

"Ja, seid wachsam!"

Ansprache von Gisa Marschefski, Generalsekretärin des IRPK, auf der Gedenkkundgebung am Karfreitag 25.03.2005 am Mahnmal in der Bittermark, vorgetragen von Celine van der Hoek de Vries, Amsterdam, Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz und Vizepräsidentin des IRPK

Es gilt das gesprochene Wort

Verehrte Angehörige der Mordopfer,

liebe Freundinnen und Freunde aus dem In- und Ausland,

werte Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Gedenkkundgebung,

vor 60 Jahren hallten durch diesen stillen Wald Pistolenschüsse. Sie zielten auf Frauen und Männer aus 7 europäischen Ländern, die Gegner der faschistischen Krieges waren. Um die 300 Nazi-Gegner wurden durch Genickschüsse wenige Tage vor der Zerschlagung des Hitler Reiches ermordet. Viele von ihnen hatten schon seit dem Machtantritt Hitlers Widerstand gegen das Terrorsystem und seine Kriegsvorbereitung geleistet.

„Wer Hitler wählt- wählt den Krieg“ war eine ihrer Parolen gewesen.

Zu jenen, die schon vor 1933 warnten gehörte mein Vater Erich Mörchel und dessen Bruder Karl. Sie waren Kommunisten, so wie die meisten der deutschen Ermordeten.

Wie ihre sozialdemokratischen Genossen, wie ihre Kollegen aus dem gewerkschaftlichen und kirchlichen Bereich, wollten sie eine baldige Befreiung von der Nazidiktatur und die Beendigung des wahnsinnigen Krieges der Naziführung. Mit Hilfe der Wehrmacht, der SS, der Gestapo und anderer verbrecherischen Nazi - Organisationen haben die Machthaber des sogenannten „Dritten Reiches“ die Völker Europas unter ihren Stiefel genommen. Unter dem Vorwand, das „Abendland“ von dem jüdischen Bolschewismus zu befreien, sind die faschistischen Eroberer plündernd und mordend durch Europa gezogen. Ihre Blutspur führte auch hier in die Bittermark und den Rombergpark. Unter den etwa 300 Opfern der Gestapomorde befinden sich zahlreiche Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion, Frankreich, Belgien, Holland, Polen und Jugoslawien.

In den Zechen und Stahlwerken und anderen sogenannten kriegswichtigen Betrieben mussten sie für Hitlers Kriegsmaschinerie und den Profit der Konzerne Sklavenarbeit leisten.

Weil sie sich dem widersetzten, oder auch nur in dem Verdacht standen, sich widersetzt zu haben, wurden sie von den, wie sie sich selbst nannten, „deutschen Herrenmenschen“, verfolgt, gequält und ermordet. Dem Antisemitismus, dem Rassenwahn und der Ausländerfeindlichkeit der Hitler Clique sind Millionen und aber Millionen Menschen zum Opfer gefallen.

Mindestens zwei dieser jüdischen Opfer, nämlich Frau Adolfs und Frau Risse, wurden hier ermordet. Sie waren bis dahin dem Holocoust entgangen.

Doch die „Rassengesetze“ Hitlers, die später von dem späteren Staatssekretär des Bundeskanzlers Adenauer kommentiert, das heißt praktikabel gemacht wurden, trafen diese beiden Frauen noch wenige Tage vor dem Einmarsch der

US-amerikanischen Truppen in Dortmund. Sie wurden Opfer der erbarmungslosen und brutalen Mordmaschinerie der Gestapo. Vor kurzem ist es gelungen, Kontakt zur Tochter von Frau Risse herzustellen.

Vorige Woche bekam ich einen Brief, in dem sie unter anderem schreibt:

„Wir kennen nicht einander.

Doch wir haben den Verlust gemeinsam: Sie Ihren Vater und Onkel zu verlieren und ich meine Mutter.

Am 26. März 1945 sah ich meine Mutter zum letzten Mal.

Ich hatte zwei Koffer bei mir, mit der Absicht, meine Mutter zu begleiten in ihr unbekanntes Schicksal. Nein, mein Stümmelchen, Du musst jetzt nach dem Vater und Bruder sehen. Vielleicht kehre ich zurück zu Euch allen.

Manchmal fühle ich, als hätte (wäre) das alles gestern gewesen“.

Soweit aus dem Brief von Julia Hudson, die jetzt in Schottland lebt.

Was mag die Opfer bewegt haben, als sie vor nunmehr 60 Jahren von ihren Mördern an die Bombentrichter geschleppt wurden? Der Weg von der Gestapohölle in der Benninghofer Straße in den Rombergpark und in die Bittermark war qualvoll und doch- oder gerade darum- haben die Todeskandidaten sicher an ihre Lieben, an ihre Frauen, Männer und Kinder gedacht. Es gibt dafür zwar keine Zeugnisse und dennoch gehe ich davon aus, dass Vater an uns, seine drei Kinder und seine Frau, unsere Mutti, gedacht hat.

Vielleicht hatte er ja ähnliche Gedanken wie der tschechische Widerstandskämpfer Julius Fucik. Dieser hatte kurz vor seiner Hinrichtung im September 1943 in Plötzensee in seiner „Reportage unter dem Strang geschrieben“ so gesagt:

„Menschen ich hatte Euch lieb – seid wachsam“

Ja, seid wachsam!

Es gibt keine Veranlassung, die Aufmerksamkeit von den Verbrechen des Nazi-Systems weg auf angeblich „gleiche“ oder „ähnliche“ Ereignisse in der Geschichte der Menschheit zu lenken.

Es sind nicht allein die Wahlergebnisse für die NPD und andere neonazistische Parteien und Verbände die von allen demokratischen Kräften hohe Wachsamkeit und Abwehrbereitschaft erfordern. Der wachsende Antisemitismus, die Ausländerfeindlichkeit in vielerlei Prägung, zunehmende Gewaltbereitschaft und Intoleranz in unserer Gesellschaft sollten uns Sorgen machen und zum Handeln veranlassen.

Es wird in dieser Stadt einiges getan, um die Verbrechen des Hitler - Regimes als bittere Lehre für unser Volk und die Menschheit aufzudecken und in Erinnerung zu halten. Erwähnen möchte ich hier insbesondere die Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933 bis 1945“. Ich rufe Sie auf, diese Ausstellung in dem ehemaligen Polizeigefängnis „Steinwache“ zu besuchen, sich mit dem Inhalt vertraut zu machen und ihn zu verbreiten.

Zahlreiche Demonstrationen und andere Aktionen gegen die Neo - Nazis in unserer Stadt sind Beweis dafür, dass Teile der Bevölkerung den Ruf „seid wachsam“ sehr wohl aufgenommen haben.

Das beweist auch die Aktion des Kölner Künstlers Demnig sogenannte „Stolpersteine“ für die Erinnerung an ermordete Juden und andere Opfer des Faschismus anzubringen. Diese bereits in 50 Städten unseres Landes praktizierte Form des Erinnerns und Gedenkens an die Nazi – Zeit und ihre Opfer wurde von Pädagogen unserer Stadt aufgegriffen, wird vom Stadtarchiv unterstützt und sollte breite Unterstützung finden.

Zum Gedenken an die wegen ihres Widerstands gegen die Nazis ermordeten Mitglieder des BvB 09, Heinrich Czerkus und Franz Hippler hat es heute einen Gedächtnislauf vom Westfalenstadion hierher gegeben.

Solche Aktivitäten sind gute Maßnahmen gegen das Vergessen und die Verniedlichung der Naziverbrechen in der Bittermark dem Rombergpark und jenen Orten, deren Namen die Künstler Schwarz und Niestrath an eine Stelle dieses Denkmals für immer eingemeißelt haben.

Verehrte Anwesende,

auch im Namen zahlreicher Antifaschisten und Widerstandskämpfer aus dem In- und Ausland sowie Angehöriger der hier Ermordeten bedanke ich mich für das Gedenken an meinen Vater und seine Kameradinnen und Kameraden.

In diesem Sinne rufe ich Ihnen zu: „Nie wieder – Seid wachsam“

Siehe auch:

Erklärung von Dortmund

Vom Treffen der Hinterbliebenen von Kriegsendmorden der Nazis des Internationalen Rombergparkkomitees

Wenn jemand die Opfer und die Täter gleichzeitig ehren will

Streit in Dortmund über die Frage: Ist Joachim Gauck ein geeigneter Gedenkstättenredner? - Folgt dem Skandal von Torgau und Halle nun der von Dortmund?

"...da steht SPD-Grüne-Lokalprominenz auf und schlägt zu"

Reaktionen auf die Veröffentlichung der Frankfurter Rundschau zur Auseinandersetzung um Gauck

Ein Geschichtsrevisionist als Redner in der Bittermark?

VVN-BdA NRW lehnt Gauck als Redner auf der diesjährigen Gedenkveranstaltung in Dortmund ab

Treffen zu Karfreitag 2005 in Dortmund

Das Internationale Rombergparkkomitee und VVN-BdA NRW rufen auf zur Zusammenarbeit der Hinterbliebenen des Nazi-Terrors von 1945 und ihrer Freunde und Mitstreiter