27.02.05
Wenn jemand die Opfer und die Täter gleichzeitig ehren will
Streit in Dortmund über die Frage: Ist Joachim Gauck ein geeigneter Gedenkstättenredner? - Folgt dem Skandal von Torgau und Halle nun der von Dortmund?
Eine notwendige Stellungnahme. Von Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA NRW
Die Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA NRW beschloß am 12. Februar 2005 in Düsseldorf diesen
Initiativantrag der VVN-BdA Bochum:
Der zu wählende Geschäftsführende Landesausschuß der Landesvereinigung NRW wird gebeten, dem Oberbürgermeister der Stadt Dortmund gegenüber unsere Bedenken wegen des Hauptredners Joachim Gauck bei der Mahn- und Gedenkveranstaltung am Karfreitag 2005 in der Bittermark mitzuteilen. Herr Gauck ist u.E. nach den Vorkommnissen in Torgau am 9. Mai 2004 nicht der kompetente Redner, um auf einer solchen Veranstaltung zu sprechen.
In Dortmund ist ein Streit darüber entbrannt, ob die Stadt richtig gehandelt hat, als sie – ohne mit den Opferverbänden ein Wort zu wechseln – den Pfarrer Dr. Joachim Gauck als Redner zur traditionsreichen Gedenkveranstaltung zu Karfreitag in der Bittermark einlud. Dort und in einem anderen Wald, dem Rombergpark, waren 1945 kurz vor Kriegsende rund 300 in- und ausländische Antinazis von der Gestapo ermordet worden, und alljährlich wird ihrer mit einer würdigen Gedenkfeier gedacht. Kritiker der Einladung des ehemaligen Stasi-Unterlagenbeauftragten erinnerten an seine von Rechtsextremisten wie Martin Hohmann (Ex-CDU) beklatschten Forderungen nach einem Schlussstrich zur Nazidiskussion unter dem Motto: Nicht "fast neurotisch auf der deutschen Schuld beharren". Ferner wurde auf seine Rolle bei der Herausgabe des "Schwarzbuches Kommunismus" und der darin begründeten geschichtsrevisionistischen Formulierung vom „Roten Holocaust“ hingewiesen – lange bevor Nazis im sächsischen Landtag den Alliierten den „Bombenholocaust“ anlasteten. Die VVN-BdA wies nun auf einen Vorgang hin, bei dem Gauck Nazi-Mörder ehrte, die den Tod von über Tausend Kriegsendphasen-Opfern herbeiführten. Es gab Kriegsendphasenverbrechen 1945 in zahlreichen Orten des Reiches, wie unter www.nrw.vvn-bda.de nachzulesen ist.
Zu einem der schwersten Kriegsendphasenverbrechen kam es im April 1945 in der Nähe von Gardelegen (Sachsen-Anhalt). Es waren die NSDAP-Aktivisten Walter Biermann und Arno Brake, die mit anderen zusammen in einer Scheune bei Isenschnibbe bei Gardelegen 1.017 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, darunter 63 jüdische Häftlinge, ermordeten. „Etwas außerhalb auf einer Anhöhe findet man die Überreste einer Scheune und ein Gräberfeld mit 1016 Kreuzen,“ so berichtet „Antifa“, Hamburg-Seite, Febr./März 2005. „Hier wurden Häftlinge aus den Konzentrationslagern Hannover-Stöcken und Mittelbau-Dora im Harz am 13. April 1945 bei lebendigem Leib verbrannt. Nur einen Tag später rückten die US-Truppen an. Unter der amerikanischen Besatzung mussten die Einwohner von Gardelegen die Opfer des Massenmordes in Einzelgräbern bestatten.“ Der Haupttäter, NSDAP-Kreisleiter Gerhard Thiele, konnte fliehen und lebte unter falschem Namen in der Bundesrepublik. Erst nach seinem Tod gelang es einem Kriminalbeamten, Thieles Identität aufzudecken.
Anders als in Westdeutschland, wo viele NS-Verbrecher wie jener Gerhard Thiele straffrei blieben, wurden in Ostdeutschland die Täter abgeurteilt. Walter Biermann und Arno Brake wurden im sächsischen Torgau zum Tode verurteilt, sie sind in Halle gehenkt und anonym beerdigt worden – um dann im Jahre 2004 in einer Gedenkveranstaltung von Dr. Gauck in Torgau geehrt zu werden. Dagegen wehrt sich Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz; er war selbst als sog. Deserteur von den Nazis zum Tode verurteilt worden. Er kommt zu Karfreitag 2005 nach Dortmund. Er war in Torgau/Sachsen am Hauptsitz der NS-Militärgerichtsbarkeit in
Fort Zinna inhaftiert, hat überlebt - und viele seiner antifaschistischen Kameraden in Torgau in den Tod gehen gesehen. Anfang der neunziger Jahre wurde dort eine Gedenkstätte für die Opfer der NS-Militärjustiz geschaffen. Am 9. Mai 2004 jedoch wurde dort im Sinne des außerhalb Sachsens allgemein abgelehnten sächsischen Gedenkstättengesetzes und der Faschismus und Kommunismus gleichmachenden "Totalitarismustheorie" eine Gedenkstätte auch für die nach 1945 eingesessenen Nazis geschaffen, von denen eine Reihe wegen ihrer Verbrechen zum Tode verurteilt worden waren. Zu diesem Zweck wurde eine Ausstellung für die Täter geschaffen, während die Ausstellung über die Opfer eingeschränkt wurde. „Diese Ausstellung ist für unsere Opfer eine Beleidigung.“ Das schrieb Ludwig Baumann an Dr. Joachim Gauck, der als Redner für die Ausstellungseröffnung vorgesehen war.
Gauck ließ es sich jedoch nicht nehmen, dabei mitzuwirken, aus der Gedenkstätte für die Opfer der Wehrmachtsjustiz in Torgau eine Gedenkstätte auch für die NS-Täter zu machen. Er ehrte also damit auch Täter, die an Massenverbrechen kurz vor Kriegsende beteiligt waren, an sog. Kriegsendphasenmorden. An Untaten, die dem Massaker der Gestapo kurz vor Kriegsende in der Dortmunder Bittermark und im Rombergpark vergleichbar waren.
Das Internationale Rombergpark-Komitee hat jetzt eine Dokumentation vorgelegt (siehe www.nrw.vvn-bda.de), mit der nachgewiesen wird, dass die Karfreitagmorde von Dortmund keine Einzeltat waren, sondern dass solche Verbrechen an zahlreichen Orten im Reich verübt wurden. Die Nazi wollten damit ihre Gegner vernichten, damit es nicht zu einem neuen 1918 kommen sollte, wie sie sagten. Die Dokumentation weist bisher 45 Orte mit Kriegsendphasenverbrechen aus, und wöchentlich kommen weitere Angaben über weitere Opferstätten hinzu, weil Heimatforscher dem IRPK Hinweise geben.
Solche Todesurteile wie die sowjetischen Behörden vollstrecken ließen, wurden zunächst auch in Westdeutschland von den Alliierten ausgesprochen und vollstreckt. Nach der Wende 1989/90 wurden jedoch die in Ostdeutschland Verurteilten sehr oft rehabilitiert – und geehrt. Die so Geehrten waren auch die beiden Mörder Biermann und Brake. Deren Überreste wurden im Juni 2003 in Halle auf dem Gertraudenfriedhof mit Stelen und "ewigem Ruherecht" geehrt. Dagegen protestierte der Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des NS-Regimes und Hinterbliebener in Sachsen-Anhalt, der von einem "Ehrenfriedhof" für über hundert Kriegsverbrecher und Naziaktivisten sprach. Dagegen protestierten die jüdischen Gemeinden. Und auch die bundesweite Organisation der VVN-BdA schloss sich dem Protest an – wie sie auch den Protest des Bundesverbandes der Opfer der NS-Militärjustiz gegen die Ehrung der Täter vom 9. Mai 2004 in Torgau unterstützt.
Für die Opferorganisation VVN-BdA in Dortmund bedeuten die Vorgänge in Torgau und Halle, befördert von Dr. Gauck, einen unfassbaren Tabubruch. Ein VVN-Sprecher: „Wenn sich Dr. Gauck in Dortmund am Karfreitag ebenso verhält wie am 9. Mai vorigen Jahres in Torgau, dann käme dies der Ehrung für die Gestapomörder von 1945 im Rombergpark und in der Bittermark gleich.“ Zwei der Verantwortlichen an den Verbrechen im Rombergpark und in der Bittermark, der frühere Oberregierungsrat Roth und der Kriminalrat Söchting, waren nach 1945 nach Jugoslawien ausgeliefert und dort hingerichtet worden, die anderen Täter waren nie belangt oder zu geringen Freiheitsstafen verurteilt worden.
Der Entwicklung zur Umwidmung auch der Gedenkstätten im Westen steuert die VVN-BdA entgegen. Unterstützt von der VVN-BdA veranstaltet das Rombergpark-Komitee am Gründonnerstag, 24. März 2005, im Rathaus der Stadt Dortmund ein Treffen von Überlebenden und Angehörigen sowie Mitstreitern der Opfer von Kriegsendphasenverbrechen aus ganz Deutschland. Antifaschistinnen und Antifaschisten aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des ehemaligen Jugoslawien, aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Polen und den baltischen Ländern haben sich angekündigt, ferner Vertreter der Zivilgesellschaft aus zahlreichen deutschen Städten mit Kriegsendphasenopfern.
Wer Interesse an diesem Treffen hat, wende sich an vvn-bdanrw@freenet.de.
Ulrich Sander
"...da
steht SPD-Grüne-Lokalprominenz auf und schlägt zu"
Reaktionen
auf die Veröffentlichung der Frankfurter Rundschau zur
Auseinandersetzung um Gauck
Ein Geschichtsrevisionist als Redner in der Bittermark?
VVN-BdA NRW lehnt Gauck als
Redner auf der diesjährigen Gedenkveranstaltung in Dortmund ab
Treffen zu Karfreitag 2005 in Dortmund
Das
Internationale Rombergparkkomitee und VVN-BdA NRW rufen
auf zur Zusammenarbeit der Hinterbliebenen des
Nazi-Terrors von 1945 und ihrer Freunde und Mitstreiter
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