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Nazis raus aus dem Internet

 

28.06.03

Verbrecher unterm Edelweiß endlich vor Gericht stellen

Gespräch mit Ulrich Sander nach dem Pfingstreffen 2003 in Mittenwald und nach dem Karlsruher Urteil

Im höchstgelegenen deutschen Ferienort, im oberbayerischen Mittenwald, trafen sich zu diesem Pfingstfest nicht nur die Veteranen und Aktiven der Gebirgstruppe, sondern auch Hunderte Antifaschisten, Teilnehmer eines internationalen Hearings, einer Demonstration und Mahnwache zum Thema "Kriegsverbrechen unterm Edelweiß". Das Treffen löste ein ungewöhnliches Presseecho aus - und auch ein Echo bei der deutschen Justiz. Mit dem Journalisten Ulrich Sander von der VVN-BdA NRW, einem der Veranstalter des Hearings, sprach für "antifa" die Redaktion der VVN-Internetseite von NRW, die unter www.nrw.vvn-bda.de weitere umfassende Informationen bereit hält.

F: Die Bundesregierung ist vom Bundesgerichtshof von jedweder Haftung gegenüber den Opfern eines der grausamsten Verbrechen während der deutschen Besatzungszeit in Griechenland freigestellt worden. Nach einem Urteil vom 26. Juni muß Deutschland keinen Schadensersatz an die Hinterbliebenen des von Mitgliedern der Waffen-SS verübten Massakers in dem griechischen Bergdorf Distomo zahlen. Ist das nicht ein Rückschlag der Bemühungen um Entschädigung für die Opfer von deutscher Besatzungsverbrechen - Bemühungen, die erst kürzlich bei den Aktionen in Mittenwald zugunsten der Opfer einen Aufschwung genommen hatten?

S: Das Urteil hat individuelle Rechtsansprüche gegenüber der Bundesregierung für während des Zweiten Weltkriegs begangene Verbrechen an der Zivilbevölkerung verneint. Und was noch schlimmer ist, es hat die Verbrechen zu Handlungen im Kriegsgeschehen gestempelt. Es waren jedoch Massenverbrechen der Besatzungsmacht an der Zivilbevölkerung, die schon damals kriegsvölkerrechtlich strafbar waren. Und heute noch strafbar sind.

F: "Ermittlungen gegen mörderische Gebirgstruppler werden wieder möglich". So hast Du noch im Herbst manche Deiner Artikel, so auch im ND, überschrieben. Kritiker fragten Dich: War das nicht eine etwas gewagte Prognose?

S: Nein. Nicht nur Ermittlungen, die nun aufgenommen wurden, auch Verurteilungen halten wir für möglich. Wir unterstützen weiterhin die Forderung nach Entschädigung der Opfer, aber wir haben in Mittenwald auch deutlich gemacht, daß es um die Bestrafung der Täter geht. Die wurden mit dem Urteil aus Karlsruhe nicht freigesprochen, denn das Urteil betraf einen Fall nach dem Zivilrecht.

F: Wie bewertest Du rückschauend die antifaschistischen Aktionen zu Pfingsten in Mittenwald beim 51. Treffen der NS-Soldaten aus der Wehrmachtsdivision "Edelweiß" und ihren Nachfolgern aus der Bundeswehr?

S: Dort haben Antifaschisten einen Enthüllungserfolg erringen können, wie seit den Weißbuch-Zeiten der VVN und den Braunbuch-Veröffentlichungen des antifaschistischen Politikers Albert Norden in der DDR der sechziger Jahre nicht mehr. Mehrere Staatsanwälte rückten auf dem Hohen Brendten an, um sich kundig zu machen. Und der Dortmunder Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß von der Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechern, der noch vor wenigen Monaten verlauten ließ, man könne in Sachen der 1. Gebirgsdivision, die 5000 Italiener auf der griechischen Insel Kephallonia ermordete, wohl wenig tun, versicherte jetzt, er werde alles für eine Anklage unternehmen.

F: Und prompt muß er sich fürchten, daß ihm Unbekannte etwas antun, wie die Frankfurter Rundschau andeutete.

S: Das ist die Kehrseite unserer Recherche. In Mittenwald, wo viele der Mörder unter dem Edelweiß beheimatet waren und sind, mussten wir zeitweilig durch ein hasserfülltes Spalier hindurch. Wie im Fernsehen in der Panorama-Sendung zu erfahren war, forderten Ewiggestrige unsere "Entsorgung". Aber die Ortspresse, die Heimatseite des rechtskonservativen Münchner Merkurs, hat andererseits die Hetze weitgehend nicht mitgemacht, sondern sie fragte beispielsweise den Organisationsleiter des Gebirgsjägertreffens, einen Bundeswehr-Oberstleutnant a.D., sehr sachlich nach seiner Haltung zu den anwesenden Überlebenden aus Griechenland.

F: Und was antwortete der Offizier?

S: Es sei bedauerlich, "wenn sich solche Leute vor den Karren dieser Extremisten spannen lassen." Mehr haben die Parteigänger derjenigen nicht zu ihren Opfern zu sagen, welche einst vor dem Edelweiß am Helm der Deutschen so zitterten wie vor den SS-Runen. Doch auch die Gebirgstruppler kommen ja um die Frage nicht herum, ob es denn nicht zu denken gibt, daß da Zeitzeugen aus den so tragisch mit den Gebirgsorten verbunden Opfergemeinden nach Bayern kamen, um endlich die Forderung nach Entschädigung der Opfer zu stellen. Die endlich sagten: Wir wollen als Opfer endlich von den Deutschen wahrgenommen werden. Wir wollen die Erinnerung an unser Leid nicht länger in uns hineinfressen. Da war der Schriftsteller Argyris Sfountouris, als Kind überlebte er in Distomo, er hat auch an der Spitze von 60.000 Klagenden in Karlsruhe geklagt. Er wünscht sich nicht nur Strafe für die Täter, sondern Trauer und Reue. "Entschädigung wäre so wichtig, weil damit Schuld eingeräumt würde."

F: Wer von den Opfern kam noch zu den Aktionen zu Pfingsten gegen das Gebirgsjägertreffen?

S: Da war neben Professor Sfountouris der italienische Hauptmann a.D. Amo Pampaloni, Widerstandskämpfer und Überlebender von Kephallonia. Besonders bewegend die Rede von Christina Dimou, die als Kind in Kommeno das Massaker überlebte. Der griechische Nationalrat für die Entschädigung der NS-Opfer hatte Aristomenis Sigelakis entsandt. Professor Schminck-Gustavus von der Universität Bremen berichtete mit Fotos über seine jahrelangen Recherchen zur Aufklärung der Verbrechen der Gebirgsjäger in Griechenland, besonders am Beispiel des Massakers von Lyngiades. Ludwig Baumann von der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz sprach zum Thema: "Soldat und Kriegsverbrechen". Peter Gingold und Ernst Grube von der VVN-BdA sprachen als Überlebende aus Deutschland. Professor Ludwig Elm aus Jena, ein VVN-BdA-Bundessprecher, hatte das Thema: "Juristische Nicht-Verfolgung der Täter". Weiter sprachen Karola Fings, Historikerin aus Köln, und Stephan Stracke, Historiker aus Wuppertal. Letzterer gehörte gemeinsam mit Regina Mentner, Ralph Klein und mir dem Vorbereitungsteam an.

F: Man kennt hierzulande in einem gewissen Umfang die Fälle Lidice und Ouradour als Opfergemeinden. Jedoch Kommeno, Kalavryta, Distomo, Kephallonia, die vielen Opfergemeinden von Kreta und in Italien kennen nur wenige.

S: In Griechenland, so legten Historiker anlässlich unseres Hearings dar, wurde während der deutschen Besatzung 1943/44 pro Woche mindestens zwei Mal ein Verbrechen in der Größenordnung von Lidice und Ouradour verübt, ohne daß die Welt groß Notiz davon nahm. Auch in den 50 Jahren danach schwiegen die italienischen und griechischen Behörden gegenüber den Westdeutschen. Diese wurden für den Kampf der sogenannten freien Welt gegen das sogenannte Böse im Osten gebraucht und sollten nicht verschreckt werden. Schon 1950 planten die Wehrmachtsgenerale wieder die Bundeswehr und ihre mögliche Kriegsteilnahme, und zur Bedingung für ihr Tun machten sie die Absolutionserteilung der westdeutschen Politik und Medien gegenüber den Soldaten der Wehrmacht, ja sogar der SS. Und diese Absolution wurde gewährt. Die Traditionsverbände der Wehrmacht, so die Gebirgskameradschaft, trafen sich als Gäste der Bundeswehr, um sich gegenüber möglichen Prozessen zu wappnen. Stephan Stracke, der junge verdienstvolle Historiker vom Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege, nannte die Gebirgsjägerkameradschaft eine Selbsthilfegruppe von Mördern und Mordgehilfen. Wir fügten hinzu: Ihre Tradition ist die Tradition der Strafvereitelung.

F: Glaubst Du wirklich, daß etwas anders sein wird im Lande nach diesem Pfingstfest in den Bergen?

S: Zwei Dinge gehen nunmehr nicht mehr an: Daß man auf Wehrmachtsausstellungen von den Verbrechen der Wehrmacht spricht, aber die Verbrecher nicht benennt. Und daß man der Bundeswehr ihre Behauptung durchgehen lässt, sie erkenne die Wehrmacht und ihre Tradition ja gar nicht als Vorbild an. Sie leugnet, aber sie spielt sich dreist als Beschützer der mörderischen Veteranen auf.

F: Wie zeigte sich dies?

S: Während die über 400 Teilnehmer unserer Aktion bei der Hinreise schikanöse Buskontrollen und Durchsuchungen durch eine provozierende Polizei hinnehmen mussten, ja sogar der alte Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann polizeilich bedrängt wurde, sind die Gebirgsveteranen mit Bundeswehrbussen auf den Hohen Brendten zu ihrer militaristischen Kultstätte gebracht worden. Dutzende Kasernen sind noch immer nach Nazitätern benannt. Wenn die Neonazis künftig gegen die Wehrmachtsausstellung unter der Losung "Unsere Großväter waren keine Mörder" zu Felde ziehen, dann werden wir wie am Hohen Brendten die Namen der von Angreifbare Traditionspflege und VVN-BdA ermittelten Alois Eisl, Anton Ziegler, Otto Goldmann, Karl Delacher, Werner Funke und mindestens 191 weitere nennen, die verdächtig sind, unschuldige Zivilisten hingerichtet zu haben, und die noch immer in diesem Lande friedlich ihre Rente verzehren.

F: Will die VVN-BdA denen denn die Rente wegnehmen?

S: Wer sich bei Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat, der soll seine Opferrente verlieren, beschloss 1998 der Bundestag, u.a. nachdem die VVN-BdA es gefordert hatte. Doch dann geschah nichts, weil nämlich unklar blieb, wie die Täter zu finden sind. Denn von deutschen Gerichten waren ja keine Wehrmachtsangehörigen je belangt worden. Wir schlugen - und daran erinnerte Peter Gingold für die VVN-BdA auf dem Hearing - vor, zumindest allen Trägern des Bandenkampfabzeichens und ähnlicher Orden für Massenmörder die Opferrente zu nehmen und gegen sie zu ermitteln und mit den Ermittlungen die Ludwigsburger Zentralstelle zu beauftragen.

F: Was wurde daraus?

S: Zunächst nicht viel. Auch darauf hat Peter Gingold aufmerksam gemacht. Die Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechern, die übrigens jetzt unsere Enthüllungen zu neuen Ermittlungen zum Anlaß nahm, teilte mit, sie sei personell zu schwach, um zu handeln. In Ludwigsburg gab es inklusive Kraftfahrer und Reinigungskräfte nur 25 Mitarbeiter. Zum Beispiel bei der Gauckbehörde sind es jedoch 3.400 Planstellen. Während deutsche Gerichte Wehrmachtsverbrecher schonten, haben sie schon über 500 Angehörige der DDR-Armee seit 1990 ins Gefängnis geschickt. Während 100.000 Ermittlungsverfahren gegen Naziverbrecher nur zu 6000 Verurteilungen führten, hat man zu Zeiten des Kalten Krieges nach 500.000 Ermittlungsverfahren rund 10.000 kommunistische Antifaschisten wegen ihrer Gesinnung ins Gefängnis geworfen.

F: Will die VVN nicht dem Beispiel Simon Wiesenthals folgen der seine "Nazijäger-Tätigkeit" einstellte, weil er zu alt sei und auch fand, daß man die uralten Opfer nun in Ruhe lassen sollte?

S: Da müssen wir dem verehrten Simon Wiesenthal widersprechen. Im Schwur der Häftlinge von Buchenwald, den wir in einer Resolution unseres Hearings bekräftigten, heißt es ja auch: "Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht." Wenn wir diese Schuld nicht bewältigen, dann wird die Tradition der Täter fortwirken. Und sie wird die künftige Politik bestimmen. Die Gebirgsjäger zum Beispiel, sind ja nicht nur führend im Verdrängen der Schuld und in der Strafvereitelung, sie spielten mit ihrem General Karl-Wilhelm Thilo, einst Mordanstifter der NS-Gebirgstruppe und dann Chef der Bundeswehrgebirgstruppe, eine führende Rolle in der Bundeswehr. Später kamen die Generäle Klaus Naumann und Klaus Reinhardt aus der Nachkriegsgeneration hinzu, die noch heute als ehemalige Gebirgstruppler die ganze Militärpolitik mit prägen. General Hubert Lanz, von Alliierten verurteilter Mordgeneral, war lange Zeit Militärexperte der FDP.

F: Also sind die Gebirgsjäger auch heute wieder dick im Geschäft der Kriegführung?

S: Es ist ja kein Zufall, daß Deutschland laut Minister Peter Struck am Hindukusch verteidigt werden soll. So etwas reden ihm die Generäle ein, die jenen folgten, die einst in den Gebirgen des Balkans und des Kaukasus Großdeutschland "verteidigten". Irgendein Gebirge findet sich immer in der Welt, das endlich im Namen Deutschlands verteidigt werden soll. In sofern ist unsere Bewegung gegen die Kriegsverbrecher von gestern auch eine gegen das Kriegführen heute, eine Sache auch der Friedensbewegung.

F: Was wird nun weiter geschehen? Die Staatsanwälte ermitteln Dank VVN-BdA und Angreifbare Traditionspflege, sie ermitteln und ermitteln und zwischendurch sterben die letzten Zeitzeugen. Und ab und zu, anlässlich Pfingsten, ziehen wir in die bayerische Bergwelt?

S: Das auch. Aber vorher werden wir die Hände nicht in den Schoß legen. Wir klären auf über die Geschichte der Verbrechen. Ein Buch über Mittenwald 2003 erscheint. Wir unterstützen weiterhin die Klagen auf Entschädigung der Opfergemeinden - immerhin rund 50 solcher Gemeinden haben wir allein als Opfer der 1. Gebirgsdivision ausgemacht. Wir benennen die Mörder. In großer Zahl haben wir sie als Überlebende der Mordeinheiten gefunden, mit Namen und Hausnummern benannt.

F: Aber das dauert doch alles viel zu lange.

S: Ja, wir müssen Acht geben, daß die Staatsanwälte in München, Dortmund und Ludwigsburg zu einem Ergebnis in nächster Zeit kommen, damit nicht Hinterbliebene und ihre Peiniger sterben, bevor gehandelt wird. Und auch wenn sie nicht mehr unter uns sind, werden wir weiter die Ankläger sein und zum Beispiel die 10.000 Opfer aus Montenegro aus dem Vergessen holen, die 1943 in wenigen Tagen von der 1. Gebirgsdivision quasi auf der Durchreise niedergemacht wurden - niemand hat diese Verbrechen bisher thematisiert. Wir werden weiter die mörderische Traditionspflege in der Bundeswehr angreifen. Man bedenke: Die Wehrmachtstraditionsverbände gehen in der Bundeswehr ungehindert ein und aus, sie dürfen dort die Rekruten anwerben für ihren Verein, sie dürfen die jungen Leute militaristisch verseuchen. Das werden wir nicht hinnehmen.

Siehe auch:

Pfingsten 2003 - Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger

 

"'Real Corelli' gets close to Germans linked to massacre"/"Germany confronts Nazi atrocity: Reunion of war veterans intensifies calls for prosecutions over Cephalonia massacre"

Weitere Literaturhinweise...

 

Wehrmachts-Veteranen wollen nicht an Massaker erinnert werden

Protest gegen Feier der Gebirgstruppe / Opfer berichten von Kriegsverbrechen / Bundeswehr unterstützt Traditionstreffen

(Dokumentation aus der Frankfurter Rundschau vom 10.06.03)

 

Für die Erinnerung an die Opfer ist bei der Soldatenfeier kein Platz

 

Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger

Btr.: Unverzügliche Strafverfolgung der Mörder von Kephallonia gefordert...

Pressemitteilung der VVN-BdA NRW:

Angreifbare Traditionspflege:

 

VVN/BdA fordert unverzügliche Strafverfolgung der Mörder von Kephallonia:

Mörder unterm Edelweiß – noch immer unter uns: