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Landesvereinigung NRW

 

19.07.08

"Kriegsmassaker vor Gericht"

Anwalt verteidigte den ehemaligen KZ-Aufseher Anton Malloth

Zum Verfahren gegen Gebirgsjäger und "mutmaßlichem Kriegsverbrecher Josef S." dokumentieren wir Texte der Süddeutsche Zeitung vom 18.07.2008

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Wir haben früh auf die in Deutschland nicht gesühnten Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger hingewiesen. Zuletzt im Rahmen der Einstweilige Verfügung gegen Landessprecher Ulrich Sander in dieser Sache. Hier dokumentieren wir höchst interessante Artikel u.a. aus der Süddeutschen zum Thema: 

Süddeutsche Zeitung 18.07.2008

Prozess in München

Kriegsmassaker vor Gericht

In München beginnt im September der Prozess wegen 14-fachen Mordes gegen den 89-jährigen ehemaligen Kompanieführer Josef S. Er soll 1944 bei dem Massaker deutscher Soldaten an italienischen Zivilisten beteiligt gewesen sein.

Von Alexander Krug

Die Massaker deutscher Soldaten an italienischen Zivilisten 1944 werden erstmals ein Münchner Gericht beschäftigen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat das Schwurgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Offizier Josef S. aus Ottobrunn wegen 14-fachen Mordes zugelassen. Der Prozess wird am 15. September beginnen. Nach SZ-Recherchen ist einer der Verteidiger Klaus Goebel. Er pflegt seit Jahren enge Kontakte zur "Stillen Hilfe", einer als mildtätiger Verein getarnten Nazi-Organisation.

Der heute 89 Jahre alte Josef S. war 1944 Kompanieführer im Gebirgsjägerpionier-Bataillon 818, das in Mittelitalien den deutschen Rückzug sichern sollte. Im Juni 1944 reparierte die Einheit in dem kleinen Weiler Falzano bei Cortona (Toskana) eine von Partisanen gesprengte Brücke. Am 26. Juni geriet eine deutsche Streife bei dem Versuch, von Bauern ein Pferd zu requirieren, in einen Hinterhalt. Zwei Soldaten der von dem Angeklagten geführten 1. Kompanie wurden dabei getötet.

Josef S., hier inmitten von Gebirgsjägern bei einer Feier in Mittenwald im Jahr 2007, soll verantwortlich sein für ein Massaker in Italien 1944. Foto: oh

Josef S., hier inmitten von Gebirgsjägern bei einer Feier in Mittenwald im Jahr 2007, soll verantwortlich sein für ein Massaker in Italien 1944. Foto: oh

Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Leutnant Josef S. vor, einen Vergeltungsschlag befohlen zu haben, bei dem insgesamt 14 italienische Zivilisten, überwiegend Bauern aus der Umgebung, getötet wurden. Zunächst erschossen Soldaten vier Zivilisten, darunter eine 74-jährige Frau und ein 21-jähriger Bauernsohn auf der Straße. Danach sperrte die Einheit elf zusammengetriebene Männer im Alter zwischen 16 und 66 Jahren in das Haus eines Bauern. Die anschließende Sprengung der "Casa Cannicci" mit Dynamit überlebte nur einer.

Gino M. ist heute 79 Jahre alt und diente 43 Jahre bei den Carabinieri. Rache empfindet er heute nicht mehr, im Gegenteil. Er habe den Deutschen verziehen, erklärte er kürzlich in einem Interview der SZ-Landkreisausgabe: "Ich will diese furchtbaren Momente einfach vergessen." Eine Entschädigung hat der bei der Sprengung schwer verletzte Gino M., der bis heute ein Stützkorsett tragen muss, nie erhalten.

Josef S. hat die Vorwürfe bislang bestritten. Er lebte jahrzehntelang unbehelligt in Ottobrunn, wo er als honoriger Bürger galt. Für die Freien Wähler saß er 20 Jahre lang im Gemeinderat, bei der Feuerwehr war er Ehrenkommandant, 2005 bekam er die Bürgermedaille überreicht. Im September 2006 verurteilte ihn ein Militärgericht in La Spezia in Abwesenheit zu lebenslanger Haftstrafe. Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) ließ es sich dennoch nicht nehmen, vor wenigen Wochen eine "Ehrenerklärung" für S. abzugeben.

Das Dorf Falzano existiert heute nicht mehr, an die Geschehnisse von damals erinnern nur noch eine Gedenktafel und ein steinernes Kreuz. Doch für die Gemeinde Cortona ist das Massaker noch immer eine "offene Wunde" wie Bürgermeister Andrea Vignini unlängst der SZ sagte. Den Angeklagten wolle man nicht hinter Gittern sehen, aber "wir wollen, dass endlich anerkannt wird, dass es sich bei dem Massaker um ein Kriegsverbrechen handelt".

Die Staatsanwaltschaft München I stützt ihre Anklage auf Dokumente und eine Reihe von Zeugen. Der Mordvorwurf wird mit den Mordmerkmalen niedrige Beweggründe und Grausamkeit begründet. Das Massaker in Falzano zählt in der Serie deutscher Kriegsverbrechen in Italien eher zu den weniger bekannten. Berüchtigt sind die Greuel von Marzabotto, einer Apenninen-Gemeinde in der Nähe der italienischen Stadt Bologna in der Emilia-Romagna. Hier töteten deutsche Soldaten 1944 mindestens 770 Zivilisten. Auch in diesem Fall wurden zehn beteiligte SS-Männer 2007 in La Spezia in Abwesenheit verurteilt.

Die deutsche Justiz hat im Fall Marzabotto bislang noch keine Anklage erhoben. Die " Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen" in Ludwigsburg verzeichnet seit Kriegsende insgesamt 6498 rechtskräftig verurteilte NS-Täter. Hinzu kommen etwa 5000 Verurteilte durch Militär- und Besatzungsgerichte der drei Westalliierten und rund 12000 Verurteilte in der ehemaligen DDR beziehungsweise der sowjetischen Besatzungszone.

Der Prozess gegen Josef S. soll am 15. September beginnen. Der 89-Jährige wurde untersucht und von Gutachtern als verhandlungsfähig eingestuft. Es ist aber aufgrund seines hohen Alters davon auszugehen, dass man nur stundenweise verhandeln können wird.

Kommentar

Chance zur Aufarbeitung

Die bundesdeutsche Justiz hat bei der Verfolgung von NS- und Kriegsverbrechern wenig Lorbeeren geerntet. Die winzige Zahl von Verurteilten und die zumeist grotesk geringen Strafen sind angesichts des millionenfachen Mordens bis heute ein dunkles Kapitel der Nachkriegsgeschichte.

Von Alexander Krug

Josef S., hier inmitten von Gebirgsjägern bei einer Feier in Mittenwald im Jahr 2007, soll verantwortlich sein für ein Massaker in Italien 1944. Foto: oh

Josef S., hier inmitten von Gebirgsjägern bei einer Feier in Mittenwald im Jahr 2007, soll verantwortlich sein für ein Massaker in Italien 1944. Foto: oh

Die wenigen gelungenen Verfahren, wie etwa der Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963-1965, konnten diesen Makel nie löschen. Der Schriftsteller Ralph Giordano hat einmal von der "Zweiten Schuld" gesprochen. Dieses Diktum hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren.

Der Fokus der Ermittler ruhte lange auf der Verfolgung der Holocaust-Täter und ihrer Helfer. Kriegsverbrechen wurden dagegen nur sehr sporadisch geahndet. Doch muss daran erinnert werden, dass auch die italienischen Behörden keinen Übereifer bei der Strafverfolgung zeigten, sondern, ganz im Gegenteil, Ermittlungen über Jahrzehnte hin verschleppten. Erst als 1994 in einem verschlossenen Schrank bei der Militärstaatsanwaltschaft in Rom hunderte Akten von Kriegsverbrechen in Italien gefunden wurden, kam Bewegung in die Verfahren.

Dass nun ausgerechnet der Ottobrunner Josef S. angeklagt wird, mag manchem als Ungerechtigkeit erscheinen. "Bei uns bekommen sie ein Urteil, keine Gerechtigkeit", lautet ein von Juristen in solchen Fällen gerne zitierter Spruch. Für Josef S. gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.

Umso mehr, als das Verfahren aufgrund des langen Zeitablaufs mit vielen juristischen Fallstricken versehen ist. Am Ende muss nicht zwangsläufig eine Verurteilung stehen. Der Prozess kann aber dazu beitragen, die Geschichte deutscher Kriegsverbrechen in Italien aufzuarbeiten und so die Versöhnung mit den Angehörigen der Opfer zu fördern.

Anwalt von Josef S.

Kontakte zu einer Nazi-Organisation

Rechter Verteidiger: Der Anwalt des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Josef S. soll der Nazi-Organisation "Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte" angehören.

Von Alexander Krug

2001 verteidigte Klaus Goebel den ehemaligen KZ-Aufseher Anton Malloth. Foto: dpa

2001 verteidigte Klaus Goebel den ehemaligen KZ-Aufseher Anton Malloth. Foto: dpa 

bild.de: Ex-Politiker angeklagtDer mutmaßliche Kriegsverbrecher Josef S. aus Ottobrunn hat für seinen Prozess gleich drei Verteidiger an der Seite. Wer sie bezahlt, ist unklar. Einer von ihnen ist der Münchner Rechtsanwalt Klaus Goebel, dem enge Kontakte zur "Stillen Hilfe" nachgesagt werden.

Die "Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte", wie sie sich selber nennt, wurde 1951 gegründet und im Vereinsregister von Wolfratshausen eingetragen. Die Buchautoren Oliver Schröm und Andrea Röpke stufen sie als getarnte Nazi-Organisation ein, die es 40 Jahre lang schaffte, "steuerbegünstigt ihr Unwesen zu treiben".

Die Liste der Nazis und Kriegsverbrecher, die Unterstützung durch die "Stille Hilfe" bezogen, ist lang. Klaus Barbie, Josef Schwammberger und Erich Priebke gehören ebenso dazu wie in jüngster Zeit der SS-Aufseher in Theresienstadt, Anton Malloth.

Malloth wurde 2001 in München wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, einer seiner Verteidiger war Klaus Goebel. Der verteidigte schon in den neunziger Jahren bekannte Rechtsextremisten und Holocaust-Leugner wie David Irving. Er beriet den Neonazi Ewald Althans, der 1991 in München einen Kongress von Auschwitz-Leugnern präsentierte. Und er half Germar Rudolf, Verfasser eines "Gutachtens", das auf pseudowissenschaftliche Weise den Gas-Massenmord an den Juden bestreitet.

Erst Anfang dieses Jahres trat Goebel für die rechtsextreme "Bürgerbewegung Pro München" in Erscheinung, als er das Einschreiten der "Rechtsaufsicht" gegen Oberbürgermeister Ude forderte. Den Autoren Schröm/Röpke zufolge wurde Goebel 1989 ins Kuratorium der "Stillen Hilfe" gewählt. Die Nazi-Organisation, die eher im Verborgenen arbeitet, hat mit der Himmler-Tochter Gudrun Burwitz seit Jahren ein prominentes Aushängeschild. Erst Ende der neunziger Jahre wurde dem "Verein" die Gemeinnützigkeit entzogen.

Auch im letzten großen NS-Prozess in München gegen Ladislav Niznansky tauchte die "Stille Hilfe" auf. Sie bot Niznansky ihre Hilfe an, der lehnte aber ab. Goebel soll auch Mitglied der "Deutsch-Südafrikanischen Gesellschaft" und vom "Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen" sein. Auf Anfrage der SZ wollte Anwalt Goebel sich weder zum Fall Josef S. noch zur "Stillen Hilfe" äußern. Er legte lieber abrupt den Telefonhörer auf.

AFP vom 15.09.2008

German, 90, goes on trial for alleged Nazi war crime

MUNICH, Germany (AFP) - A 90-year-old German, sentenced in absentia by an Italian military court to life in prison for a Nazi war crime, faces trial in Germany Monday in one of the last cases of its kind.

Josef Scheungraber, then the commander of a German mountain infantry battalion, is accused of ordering the killing of 14 civilians in the Tuscan village of Falzano near Cortona on June 26, 1944.

The massacre was allegedly in retaliation for an attack by Italian partisans that left two German soldiers dead.

The trial before a jury in the southern city of Munich comes at the end of a long legal odyssey that has provoked outrage among victims' groups.

The accused has lived for decades as a free man in Ottobrunn outside Munich, where he has served on the town council, run a furniture shop and regularly attended marches with fellow wartime veterans.

He was sentenced in absentia in September 2006 to life imprisonment by an Italian military tribunal in La Spezia.But Germany as a rule does not extradite its citizens without their consent and has not received a formal request from Italy to jail him here.

Scheungraber denies the charges.

The charge sheet describing the alleged actions of a notorious German unit in the tiny Italian farming community paints a chilling picture. The troops are alleged to have first shot dead a 74-year-old woman and three men in the street before cramming 11 others into the ground floor of a farmhouse which they then blew up.

A 15-year-old boy, Gino Massetti, survived seriously injured and -- more than six decades later -- testified during the Italian trial.Massetti, now 79, has told the German press that he has no desire to exact vengeance.

"I just want to forget those horrible moments," he said.

Due to his advanced age, Scheungraber has not been jailed pending his trial and will only be asked to testify for a few hours at a time.

The Italian military tribunal at La Spezia has tried several other former Nazis for crimes committed in Italy during World War Two. In 2005 it handed life sentences to 10 elderly former SS soldiers for the massacre of 560 Italian civilians including 120 children in 1944 in the Tuscan town of Sant'Anna di Stazzema.

At least two of the Germans have died since then.

Another two received the same sentence in September 2006 for the massacre of 14 civilians in Falzano di Cortona and 10 others in January 2007 for a bloodbath in Marzabotto that left 955 dead.

A German network called "Keine Ruhe!" ("No Peace!") has rallied against allowing the men to live out their twilight years unperturbed and demanded long-delayed justice for the senior citizens.

"There is a very strong tendency toward maintaining the silence," the group charges.

Ulrich Sander of the Association of Victims of Nazism/Federation of Antifascists welcomed the decision to put Scheungraber on trial as a "success". But he said that while Germany actively tended to the memory of victims of Nazi war crimes, it seemed to have much less interest in bringing the last of the criminals to justice. "We are disappointed that the ruling handed down in Italy was not carried out by the German state," he told AFP, referring to Scheungraber's case.