14.07.08
Zensur durch Gebirgsjäger
Gericht verbietet Naziopfern,
Nazikriegsverbrecher als solche zu benennen
Dokumentiert: Die Junge Welt über die einstweilige Verfügung
gegen Ulrich Sander
Von Frank Brendle
Auf die Ehre der Wehrmacht läßt der Kameradenkreis der
Gebirgstruppe nichts kommen. Jedes Jahr versammelt er alte Veteranen
und Bundeswehrangehörige im bayerischen Mittenwald, um stolz auf
die Geschichte der Gebirgjäger zurückzublicken. Wer auf deren
Kriegsverbrechen hinweist, den lassen die Kameraden von der Polizei
abführen. In der vergangenen Woche haben sie zusätzlich einen
Maulkorberlaß erwirkt: Das Landgericht Nürnberg-Fürth untersagte
der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
Antifaschisten (VVN-BdA), öffentlich »zu behaupten: ›Seit 2002
protestiert eine bundesweite Bewegung Jahr für Jahr in
Mittenwald/Oberbayern gegen das größte Soldatentreffen, das –
indem es vom Kameradenkreis der (NS-)Gebirgstruppe veranstaltet wird
– auch das größte Kriegsverbrechentreffen ist.‹« Bei
Zuwiderhandlung muß VVN-Sprecher Ulrich Sander mit einem
Ordnungsgeld bis zu 250000 Euro, »ersatzweise Ordnungshaft bis zu
sechs Monaten«, rechnen.
Bei der inkriminierten Äußerung handelt es sich um eine
Erklärung der VVN-BdA, die Sander in einem Internetartikel der
Zeitung Die Jüdische zitiert hatte. Der Präsident des
Kameradenkreises, ein Oberst a.D. der Bundeswehr namens Manfred
Benkel, zog daraufhin vor Gericht und behauptete: Erstens sei die
Wehrmacht im Unterschied zur SS »gerade keine NS-Organisation
gewesen«, zweitens sei kein Mitglied des Kameradenkreises wegen
Kriegsverbrechen verurteilt worden.
Für den Erlaß der einstweiligen Verfügung genügte den
Richtern die Behauptung des Kameradenkreises, in ihm seien keine
SS-Leute organisiert. »Vielmehr würden zu den Mitgliedern auch
solche der früheren deutschen Wehrmacht, zum überwiegenden Teil
aber Angehörige der Bundeswehr gehören. Es handelt sich demnach
beim Antragsteller weder um einen Kameradenkreis der ›NS-Gebirgstruppe‹
noch um eine Vereinigung bestehend aus Kriegsverbrechern«, heißt
es in der Entscheidung.
Ausgerechnet in Nürnberger Gerichtsstuben nimmt man also
feinsinnige Unterscheidungen zwischen Nazis auf der einen und
Wehrmacht auf der anderen Seite vor. Ist dort nicht bekannt, mit
welch mörderischem Enthusiasmus Wehrmachtssoldaten, ihrem Eid auf
Hitler gemäß, gewütet haben? Hitler seinerseits hatte schon 1934
zur Freude der Generäle verkündet, das Dritte Reich stehe auf zwei
Säulen: der NSDAP als Trägerin der politischen und der
Reichswehr/Wehrmacht als Trägerin der militärischen Macht.
Was Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger angeht, kann sich
VVN-Sprecher Sander auf eine Fülle historischer Untersuchungen
stützen. Das vor einem halben Jahr erschienene 800-Seiten Werk
»Blutiges Edelweiß« von Hermann Frank Meyer zeichnet die
mörderische Spur der 1. Gebirgsdivision nach, vom Massaker an Juden
in Lemberg 1941 über die »Sühnequoten« auf dem Balkan bis hin
zur Ermordung Tausender italienischer Kriegsgefangener (siehe jW vom
10. 5. 08). In Südalbanien und Griechenland gab es Dutzende von
Massakern. Sander: »Das Edelweiß an der Uniform versetzte die
Bevölkerung der besetzten Gebiete in Entsetzen wie die SS-Rune.«
Doch der Kameradenkreis verficht unbeirrt die Legende der »sauberen
Wehrmacht«.
Richtig ist, daß kaum jemand verurteilt wurde. Unter den wenigen
war General Hubert Lanz, dem in Nürnberg einige tausend Morde
nachgewiesen wurden. Später avancierte er zum Ehrenpräsidenten des
Kameradenkreises. Dessen Funktionäre schätzen den mittlerweile
verstorbenen Kriegsverbrecher heute noch. Die Ermittlungsverfahren
gegen alle anderen Täter wurden jahrzehntelang verschleppt und dann
»mit hanebüchenen Begründungen« (Meyer) eingestellt. Meyer fand
Dokumente, die belegen, wie der Kameradenkreis in Form von
Zeugenbeeinflussung und Absprachen bei der Strafvereitelung geholfen
hat.
Der Kameradenkreis ist in die Defensive geraten. Zwar hat er mit
seinem Mitglied Christian Schmidt (CSU) einen Mann im
Verteidigungsministerium, der kritische Anfragen der Fraktion Die
Linke abblockt und über die rechtsextremen Kontakte der Kameraden
hinwegsieht, aber im Militärgeschichtlichen Forschungsamt der
Bundeswehr gärt es, und der klügere Teil der Offiziere geht auf
Distanz. Bei der diesjährigen Mittenwald-Feier sprach kein General
mehr, sondern nur ein mediokrer Oberleutnant. Der österreichische
Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) spricht von einer
»absurden Form« des Gedenkens und verbietet seinen Soldaten, dort
in Uniform anzutreten. Antifagruppen nennen den Kameradenverein
schon seit Jahren eine »Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher«.
Mit der Klage gegen die VVN-BdA versucht der Kameradenkreis nun,
die Flucht nach vorn anzutreten. Er hat zunächst einen Punktsieg
errungen. Spannend wird es, wenn sich die VVN-BdA dazu entschließt,
ins Hauptsacheverfahren einzusteigen: Dann könnte sie den
Wahrheitsbeweis der von Ulrich Sander verbreiteten Vorwürfe
antreten. Einziges Handicap hierbei sind die Gerichtskosten.
Spendenkonto: VVN-BdA NRW, Kontonr. 28212-435, Postbank Essen,
BLZ 36010043
Mit freundlicher Genehmigung der Jungen
Welt.
06.07.08
Antwort auf Strafandrohung wg. „Herabsetzung“ der
Wehrmachtsveteranen
VVN-BdA-Bundessprecher Ulrich
Sander schreibt eine XXX-Nachfolgeorganisation
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