11.07.08
„Nahezu 100 Mörder angezeigt“
Gericht hilft „Kameradenkreis
der Gebirgstruppe“ mit Zensur an VVN-BdA
Dokumentiert: Die Neue Rheinische Zeitung über die
einstweilige Verfügung gegen Ulrich Sander
Von Peter Kleinert
VVN-BdA-Bundessprecher Ulrich Sander erhielt am Montag vom
Landgericht Nürnberg-Fürth auf Antrag des „Kameradenkreis der
Gebirgstruppe“ eine einstweilige Verfügung wegen Unterlassung
ohne mündliche Verhandlung zugestellt. Unter Androhung einer hohen
Geldstrafe wird dem bekannten Antifaschisten untersagt „öffentlich,
insbesondere im Internet, zu behaupten: 'Seit 2002 protestiert eine
bundesweite Bewegung Jahr für Jahr in Mittenwald/Oberbayern gegen
das größte Soldatentreffen, das - indem es vom Kameradenkreis der
(NS-)Gebirgstruppe veranstaltet wird - auch das größte
Kriegsverbrechertreffen ist'".
Bereits 2003 hatte der „Kameradenkreis“ ein
Ermittlungsverfahren gegen Sander und die VVN-BdA NRW ausgelöst,
das zu Hausdurchsuchungen und Computerbeschlagnahmungen führte.
Ulrich Sander antwortete vor der Zustellung der Einstweiligen
Verfügung, nachdem er vom „Kameradenkreis“ zunächst am 25.
Juni einen Drohbrief erhalten hatte, dem „Kameradenkreis“-Präsidenten
Oberst a.D. Manfred Benkel. Aus dieser Antwort hier einige
Ausschnitte, die wir entsprechend der Einstweiligen Verfügung mit
den Buchstaben NN und ZZ zensieren.
Die Kriegsverbrecher blieben
straffrei
Vorab ein Zitat aus einer Erklärung der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen, die der „Kameradenkreis“
zum Anlass für seinen Drohbrief vom 25. Juni an Ulrich Sander
genommen hatte:
„Zu den Urteilen höchster italienischer Richter zugunsten
neuer Schadensersatzklagen von NS-Zwangsarbeitern und von
Überlebenden aus griechischen und italienischen Opfergemeinden
erklärt die VVN-BdA: Schon seit Jahren fordert die VVN-BdA
gemeinsam mit griechischen und italienischen NS-Opfervereinigungen
die Entschädigung der Opfer und die Bestrafung der Täter. Seit
2002 protestiert eine bundesweite Bewegung Jahr für Jahr in
Mittenwald/Oberbayern gegen das größte Soldatentreffen, das -
indem es vom Kameradenkreis der (NN-)Gebirgstruppe veranstaltet wird
- auch das größte ZZ-treffen ist. Die VVN-BdA, der AK Distomo und
der Historiker-AK Angreifbare Traditionspflege haben nahezu 100
Mörder aus der Gebirgstruppe bei der Justiz angezeigt und eine
umfangreiche Korrespondenz mit den Justizministern der Länder
geführt. Doch die Kriegsverbrecher blieben straffrei und die
deutschen Behörden verweigerten eine Erfüllung der berechtigten
Entschädigungsforderungen der Opfer. (...)"
Gebirgstruppe keine NS-Organisation?
Zum Drohbrief auf Rücknahme dieser von der Redaktion
vorsichtshalber im Sinne der Einstweiligen Verfügung selbst
zensierten Erklärung bzw. deren Unterlassung schreibt Ulrich
Sander:
„Ich gestatte mir, den Unterzeichner des Briefes persönlich zu
fragen: Herr Präsident des Kameradenkreises und Oberst a.D. Manfred
Benkel, Sie sprechen von der Wehrmacht, die keine NS-Organisation
war - und somit sei auch die Gebirgstruppe keine NS-Organisation.
Haben Sie wirklich noch nichts davon vernommen, dass immer wieder,
aber auch auf der Kommandeurstagung in München am 17. November 1995
kundgetan wurde - in einer Rede des damaligen Verteidigungsministers
Volker Rühe: „Die Wehrmacht war als Organisation des Dritten
Reiches in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in
Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann
sie deshalb keine Tradition begründen.“?
Protest gegen Gebirgsjägertreffen 2006
Quelle: Indymedia
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Sie behaupten, den Wehrmachtsangehörigen und damit den Soldaten
der Gebirgstruppe sei es verwehrt gewesen, Mitglieder der NSDAP zu
sein. Und warum wurde dann zum 10. Jahrestag der „Machtergreifung“
u.a. den Gebirgsjäger-Nazi-Generälen Eduard Dietl (Füssen),
Julius Ringel (Bad Reichenhall) und Ferdinand Schörner (Mittenwald)
das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP verliehen? War nicht der von
der Gebirgstruppe so sehr verehrte Eduard Dietl fast gleichzeitig
mit Adolf Hitler Mitglied der DAP (der Vorläuferin der NSDAP)
geworden? Hat nicht dieser Dietl Hitler als Redner in die Reichswehr
eingeführt? Hat er nicht am militärischen Schutz des Hitler
Putsches von 1923 teilgenommen?
Im Klartext: Die beiden Säulen der NS-Gewaltherrschaft waren die
Wehrmacht und die NSDAP. Eine Würdigung der Wehrmacht ist auch eine
Würdigung des NS-Gewaltregimes und des verbrecherischen
Vernichtungskrieges.
Das Buch „Partei und Wehrmacht“
Das NS-Faschistische und Verbrecherische der Wehrmacht wird
bereits in dem Buch „Partei und Wehrmacht“ dokumentiert. Im
Frühjahr 1939 wurde dieses Buch mit einer Auflage von 40.000
Exemplaren fast jedem Offizier zugänglich und bekannt. Darin wird
erkennbar: Die Wehrmacht war nicht nur verstrickt in die sich
anbahnenden Massenverbrechen, sie war sogar ihr Antriebsmotor. Im
Vorwort des von Reichsamtsleiter Dr. Richard Donnevert vom „Stab
des Stellvertreters der Führers“ Rudolf Hess, herausgegebenen
Buches heißt es, jetzt (Frühjahr 1939) „steht das deutsche Volk
in einem harten Kampf um sein Lebensrecht gegen seine jüdischen und
demokratischen Feinde.“ Wehrmacht und NSDAP kämpften „Schulter
an Schulter“.
In dem Werk, das mit der späteren Behauptung aufräumt, die
Wehrmacht und die Nazis wären weltenweit auseinander gewesen, wird
dem Soldaten jedes Bedenken, ob sein Tun erlaubt sei, genommen. Es
wird vom „Vorrecht des Stärkeren“ berichtet: „Recht bekommt,
wer sich im Daseinskampf durchzusetzen versteht.“ Es gehe um „Forderungen
an Siedlungsland, an Rohstoffquellen und Absatzmöglichkeiten“
(Seite 1/2).
Juden in die Vernichtungslager
Haben Sie wirklich noch nicht erfahren, was die Gebirgstruppe an
Sühnemaßnahmen, im „Partisanenkampf“, „Bandenkampf“, bei
Deportationen von Juden in die Vernichtungslager und von
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in die Sklavenarbeit
angerichtet hat? Die Wehrmacht in Jugoslawien, das bedeutete
schließlich Kampf für die „Entjudung“, ja, der Balkan wurde
weitgehend ohne SS „judenfrei“. Hat die Wehrmacht nicht den Eid
auf Hitler abgelegt, - und damit den Eid der Reichswehr auf die
demokratische Verfassung von Weimar gebrochen?
Vom Offizierskorps, das noch nazistischer ist als die Nazis
selber, weil es den Nazis voranschreite, weiß im Buch „Partei und
Wehrmacht“ kein geringerer als Admiral Wilhelm Canaris zu
schwärmen, der in diesem Werk von 1939, das ja geschrieben wurde
zur Einstimmung auf den Krieg, die Erkenntnis ausspricht, dass es
für den Offizier selbstverständlich sei, „Nationalsozialist zu
sein“, denn „wir sind als Soldaten glücklich, uns zu einer
politischen Weltanschauung bekennen zu dürfen, die zutiefst
soldatisch ist.“ Von der Wehrmacht forderte Canaris „unbedingte
politische Zuverlässigkeit“. Mehr noch: „Das Offizierskorps
muss im gelebten und verwirklichten Nationalsozialismus vorangehen.“
Satzung des „Kameradenkreises“
Ende September 2006 in Italien in Abwesenheit
zu lebenslanger Haft verurteilt - Joseph Scheungraber Foto:
Vogler |
Nachdem Sie, Herr Oberst a.D., die Wehrmacht vom Nazismus
freigesprochen haben, sprechen Sie ganz einfach den Kameradenkreis
von der Wehrmacht frei. Das ist unzulässig. Vielleicht schauen Sie
mal in die Satzung des Kameradenkreises. Der wurde 1951 - lange vor
Bestehen der Bundeswehr - gegründet als Zusammenschluss der
Angehörigen der Gebirgstruppe „von einst“. Die Betreuung der
ehemaligen und aktiven Soldaten steht ganz oben an. Deshalb haben
wir wiederholt Ihre Organisation eine Selbsthilfegruppe für
Kriegsverbrecher genannt. Nachdem die Ermittlungsverfahren
eingestellt waren, haben sich die Gebirgstruppler auch in der
Zeitschrift „Gebirgstruppe“ ungezwungen artikuliert, und wir
konnten aus der Lektüre der Zeitschrift wie der Akten im
Bundesarchiv nachweisen, wer wann an welchem Tatort war. Die
Ergebnisse unserer Recherchen haben wir der Ludwigsburger
Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen
mitgeteilt. In einem Fall wurde nun Anklage erhoben, im Fall des
Kameradenkreismitglieds Joseph Scheungraber aus Ottobrunn, den wir
noch 2007 auf dem Hohen Brendten inmitten von Bundeswehr- und
Wehrmachtskameraden angetroffen haben. (Fotobeweis kann geliefert
werden.) Sie möchten es nicht hören und nirgends lesen, doch wir
bleiben dabei: „Seit 2002 protestiert eine bundesweite Bewegung
Jahr für Jahr in Mittenwald/Oberbayern gegen das größte
Soldatentreffen, das - indem es vom Kameradenkreis der (NN-)Gebirgstruppe
veranstaltet wird - auch das größte ZZ-treffen ist.“ Und wir
protestieren weiter. Nicht nur in Mittenwald. Als größte und
höchst traditionsreiche Organisation des deutschen Widerstandes und
der Opfer des NS-Regimes lassen wir uns von Ihnen nicht den Mund
verbieten und zur verlogenen Darstellung von Geschichte zwingen…
PS. Und bitte verschonen Sie uns mit dem Hinweis, unsere
Organisation stehe im Verfassungsschutzbericht und Ihre nicht. Wenn
Sie sich beispielsweise mal die Grundgesetz-Artikel 26 (Gegen
Angriffskriege) und 139 (für die Befreiung von Militarismus und
Nationalsozialismus) ansehen, dann müsste angesichts Ihrer
kriegerischen und militaristischen Geschichte und aktuellen Praxis
klar sein, wer hier der Verfassungsfeind ist. Die VVN-BdA ist es
jedenfalls nicht. Sie steht auch nicht im
Bundesverfassungsschutzbericht, sondern nur in jenen Berichten von
Baden-Württemberg und Bayern. Dort wird noch immer kalter Krieg
geübt.“
Und von dort kam nun auch die Einstweilige Verfügung der 11.
Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth mit der Androhung
eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft
bis zu sechs Monaten. (PK)
Den vollständigen Brief von Ulrich Sander und weiteres zur
Einstweiligen Verfügung finden Sie auf der Seite www.nrw.vvn-bda.de
Mit freundlicher Genehmigung der NRhZ.
06.07.08
Antwort auf Strafandrohung wg.
„Herabsetzung“ der Wehrmachtsveteranen
VVN-BdA-Bundessprecher
Ulrich Sander schreibt eine XXX-Nachfolgeorganisation
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