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14.06.04

Wandelnder Polizeikessel in Mittenwald

UZ-Interview mit Regina Mentner zum Pfingsttreffen der Gebirgsjäger

Die Zeitschrift der DKP "Unsere Zeit" hat am 11.06.2004 folgendes Interview zu den Aktionen zu Pfingsten in Mittenwald abgedruckt. Wir dokumentieren es hier.

UZ: Sie haben Pfingsten an einer Demonstration gegen das Treffen der Gebirgsjäger im bayerischen Mittenwald teilgenommen. Warum?

Regina Mentner: Unsere seit 2003 gemeinsam mit der VVN/BdA stattfindenden Proteste richten sich gegen das jährlich stattfindende Traditionstreffen des Kameradenkreises der Gebirgsjäger. Ehemalige Gebirgsjäger der deutschen Wehrmacht und der heutigen Bundeswehr treffen sich seit über 50 Jahren an Pfingsten auf dem Hohen Brendten im bayerischen Mittenwald, um ihrer toten Kameraden zu gedenken und ihre soldatischen Traditionen zu feiern. Die kriegerischen Handlungen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg werden verherrlicht und die vielen Massaker und Kriegsverbrechen verharmlost, geleugnet oder als notwendige Kriegshandlungen umgedeutet.

Die Traditionspflege wird in einer Weise betrieben, die eine Verdrehung des Verhältnisses von Opfern und Tätern verfolgt. Gebirgsjäger der nationalsozialistischen Wehrmacht haben im Zweiten Weltkrieg Dutzende Massaker begangen, Tausende unschuldige Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet und sich an der Deportation von Juden in Konzentrationslager beteiligt.

UZ: Wie ist die örtliche Bevölkerung mit den Protesten umgegangen?

Regina Mentner: Ein Großteil der Bevölkerung und die Mitglieder der Traditionsgemeinschaften begegneten uns mit offener Feindseligkeit bis hin zu blankem Hass. Der größte Teil der Mittenwalder Zivilgesellschaft stellt sich vorbehaltlos hinter die Gebirgsjäger und deren Traditionsfeier. Ein 59-jähriger Mittenwalder präsentierte demonstrativ einen Anstecker mit dem Hakenkreuz.

Ernst Grube, jüdischer Überlebender des KZ Theresienstadt und Landessprecher der VVN in Bayern, musste sich von einem Ladenbesitzer gar anhören: "Euch haben sie vergessen zu vergasen." Erst nach mehrmaliger Aufforderung und vehementem Nachhaken nahm die Polizei seine Personalien auf. Ernst Grube will Strafanzeige stellen.

Dennoch gibt es auch einige Dissidenten unter der Bevölkerung, die sich positiv zu unseren Aktivitäten äußerten und sogar meinten, dass wir nächstes Jahr doch wieder kommen sollen. Einer der ortsansässigen Hotelbesitzer kaufte sogar eines unserer Bücher, wohingegen die Inhaberin der ansässigen Buchhandlung mit schroffer Ablehnung auf das Angebot unseres Buches reagierte.

UZ: Haben auch staatliche Stellen das Treffen der Gebirgsjäger unterstützt?

Regina Mentner: Bisher waren bei der Traditionsfeier auf dem Hohen Brendten immer Vertreter der bayerischen Landesregierung und der Landrat anwesend. Die Bundeswehr, die sich ein paar Tage vor dem Pfingsttreffen noch von einer Teilnahme distanziert hatte, schickte dann doch ihr Gebirgsmusikkorps. Obwohl es erklärtermaßen keine politische Veranstaltung sein sollte und lediglich ein Feldgottesdienst zelebriert wurde, wurde vom Bundesverteidigungsministerium ein Kranz am Mahnmal niedergelegt.

UZ: In der Presse hieß es, die Polizei sei mit unnachgiebiger Härte gegen die Antifaschisten vorgegangen. Was ist passiert?

Regina Mentner: Fast alle als Demonstranten verdächtigten Leute mussten bereits bei der Anreise die Personalien abliefern. Es ist zu vermuten, dass die anreisenden Feiergäste auf dem Hohen Brendten nicht in gleicher Weise behelligt wurden, obwohl darunter eine ganze Reihe von bekannten Kriegsverbrechern waren.

Insgesamt gab es sieben Festnahmen auf unserer Seite. In einem besonders kreativen Sinne hat sich die bayerische Polizei den Vorwurf der "Beleidigung" zu Nutze gemacht. So wurde eine Antifaschistin aus München, die sich auf dem Lautsprecherwagen befand, unter dem Vorwurf der "Beleidigung" festgenommen, weil auf dem gleichen Lautsprecherwagen angeblich "beleidigende" Plakate hingen. Die Plakate zeigen den Gebirgsjägergeneral Salminger, der 1943 glücklicherweise griechischen Partisanen in die Hände geriet, mit der zutreffenden Aussage "Mörder hinter dem Edelweiß".

Ein anderer Aktivist wurde in der Fußgängerzone nach einem bereits beendeten Straßentheater unter dem Motto "Endlich weg damit!" als dessen "Leiter" festgenommen. Von der Polizei wurde ihm der Vorwurf "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz" eröffnet. Dieser Vorwurf ist noch nicht einmal als eine Straftat, sondern als eine Ordnungswidrigkeit - also wie falsch parken - qualifiziert. Dennoch wurde der Antifaschist für 18 lange Stunden seiner Freiheit beraubt und schließlich dem Haftrichter vorgeführt, der ihn freiließ. Beide Festgenommenen wurden einer ausgiebigen ED-Behandlung, bei der sie sich nackt ausziehen mussten, unterzogen.

Die Demonstration selber lief quasi im Polizeispalier, sodass unsere Transparente nur sehr schlecht von der Bevölkerung zu sehen waren. Eine Vermittlung war daher kaum möglich. An beiden Protesttagen wurden wir permanent aus der Luft und durch mobile Videotrupps gefilmt. Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit war faktisch ausgehebelt, wobei die Polizei als verlängerter Arm der Gebirgsjäger fungierte.

UZ: Werden Sie im nächsten Jahr wieder in Mittenwald demonstrieren?

Regina Mentner: Wie eine Kollegin treffend feststellte, wird die Entnazifizierung Mittenwalds noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Von daher kann ich mit gut vorstellen, dass wir auch nächstes Jahr wieder kommen.

UZ: Würde Ihnen ein Verbot der Veranstaltung der Gebirgsjäger ausreichen?

Regina Mentner: Ein Verbot reicht uns ganz und gar nicht. Wir fordern von der deutschen Regierung nachdrücklich die Entschädigung griechischer Überlebender und der Angehörigen der von Gebirgsjägern Ermordeten. Wir verlangen, dass die zuständigen Staatsanwaltschaften endlich konsequent und entschieden gegen die Kriegsverbrecher unter den Gebirgsjägern vorgehen.

Dafür haben wir im vergangenen Jahr reichhaltige Rechercheergebnisse vorgelegt, darunter eine Liste mit 196 Namen ehemaliger Gebirgsjäger, deren Einheiten für Massaker und Gefangenenerschießungen in verschiedenen europäischen Ländern verantwortlich waren.

Schließlich fordern wir eine Distanzierung der Bundeswehr sowie der katholischen und evangelischen Kirche, die die Mittenwalder Traditionsveranstaltungen bisher immer unterstützt haben. Der evangelische Militärgeistliche sprach in epischer Breite von "einem der schwärzesten Tage der deutschen Militärgeschichte" und meinte damit nicht etwa die Massaker von Kephallonia, Kommeno oder Lyngiades, sondern den Tod von vier Bundeswehr-Gebirgsjägern am Pfingstsamstag 2003 in Kabul. Und bei seinem Gedenken an "alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" nannte er die NS-Herrschaft in einem Atemzug mit "kommunistischer und islamistischer Gewaltherrschaft und Diktatur". Seine Predigt endete übrigens mit dem Ausruf "Gott segne unsere Bundeswehr!"

Die Fragen stellte Markus Bernhardt

Regina Mentner ist Mitherausgeberin des Buches "Mörder unterm Edelweiß", (Papyrossa, 12,90 Euro) das im Auftrag des Arbeitskreises "Angreifbare Traditionspflege" gerade erschienen ist. Der Arbeitskreis "Angreifbare Traditionspflege" ist eine temporäre Assoziation geschichtspolitischer AktivistInnen und HistorikerInnen.

Siehe auch:

Prozess über Massaker von Kephalonia steht kurz bevor

Brief an die Bundesregierung

"Die Mörder sind unter uns - Gegen die Tradition der Gebirgsjäger"

"Was wir mit den Schmierereien am Hohen Brendten zu tun haben soll, ist uns rätselhaft!"

Leserbrief an das Garmisch-Partenkirchener Tagblatt

Staatsanwälte greifen Anzeigen der VVN-BdA auf

Wieder antifaschistisches Treffen gegen die Gebirgsjägertraditionalisten in Oberbayern

Richter stellt Strafanzeige wegen Verfolgung Unschuldiger

Reaktion auf die Ermittlungen gegen Landessprecher Ulrich Sander 

 

Bezüglich Gebirgsjäger/Kephallonia

Dokumente an Staatsanwaltschaft übergeben

 

Weitere Literaturhinweise...

...zu den Aktionen gegen das Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald Pfingsten 2003

 

Pfingsten 2003 - Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger

Resolution verabschiedet am 7. Juni 2003 durch das Hearing in Mittenwald pdf

 

Mörder unterm Edelweiß - noch immer unter uns

Die Blutspur der Gebirgsjäger reicht bis zu den Auslandseinsätzen

 

Des weiteren die Kampagnenseite:

 

http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/mittenwald/