27.03.04
Staatsanwälte greifen Anzeigen der VVN-BdA auf
Wieder antifaschistisches Treffen gegen die Gebirgsjägertraditionalisten in Oberbayern
Von Ulrich Sander
Anzeigen gegen über 200 mutmaßliche Kriegsverbrecher aus der Gebirgstruppe der Wehrmacht haben die VVN-BdA und der Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege erstattet und damit zahlreiche Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt. Beide Organisationen werden auch dieses Jahr zu Pfingsten in Mittenwald eine Gegenveranstaltung gegen das Treffen des Kameradenkreises der Gebirgstruppe veranstalten, der sich dort unter der Schirmherrschaft der Bundeswehr Jahr für Jahr versammelt. *)Dabei wollen sich wieder die Veteranen der deutschen Gebirgstruppe aus der Wehrmacht mit ihren Nachfolgern aus der Bundeswehr zum Gedenken an ihre Gefallenen treffen. Sie verfolgen eine Traditionslinie des Vergessens, des Vertuschens, ja der Strafvereitelung. Die Wehrmacht sei „sauber“ geblieben und die Edelweißtruppe sei ohnehin das denkbar Edelste gewesen. Selbstverständlich wissen sie, dass diese Darstellung nur für die rechtfertigende Öffentlichkeitsarbeit taugt und der Strafvereitelung dient.
Im Falle der Massaker von Kephallonia und Kommeno vom August und September des Jahres 1943 ermitteln nunmehr jedoch Staatsanwälte in Ludwigsburg, Dortmund und München gegen Hunderte der Veteranen. Aus dem Simon Wiesenthal Center wurde bekannt, dass diese Organisation derartige die Ermittlungen unterstützt. Außerdem wolle sie auch in diesen Fällen – wie zuvor schon in rund hundert Fällen - erreichen, dass den ehemaligen Tätern die Kriegsopferrente entzogen werde. Zur Streichung einer Versorgungsrente gehöre, dass einem Täter „Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit“ nachgewiesen werden können. In 178 Fällen, so das Center, werde noch ermittelt. Es laufen 36 Widerspruchsverfahren, davon 19 Klagen, sechs davon bei Landessozialgerichten. Mitte März 2004 hat ein Sozialgericht entschieden – gegen den Täter. (Landessozialgericht Stuttgart Az.: L 6 V 1912/01) Bemerkenswert an diesem Urteil ist, dass darin ein Befehlsnotstand für Teilnehmer an Massenerschießungen von Zivilisten verneint wird. Es sei kein einziger Fall nachgewiesen, in dem ein Befehlsempfänger wegen der Ablehnung eines verbrecherischen Befehls Schaden an Leib und Leben genommen habe. Die Aberkennung von Kriegsopferrenten wurde 1998 möglich, als ein entsprechendes Gesetz geschaffen wurde, das von Opferverbänden, auch der VVN-BdA, gefordert worden war, nachdem sich z.B. lettische SS-Veteranen im Fernsehen für die großzügigen Zahlungen aus Deutschland bedankt hatten.
Das Verhältnis der Bundeswehr zum Traditionsverband Gebirgstruppe war und ist von Kritiklosigkeit geprägt. In der Divisionsgeschichte "Gebirgsjäger. Die 1. Gebirgsdivision 1935-1945" (Bad Nauheim 1954) tat General Karl Wilhelm Thilo, vor 1945 Stabschef dieser Division und nach Gründung der Bundeswehr Kommandeur der gleichnamigen Division der Bundeswehr, die Kriegsverbrechen an wehrlosen Kriegsgefangenen auf Kephallonia mit dem banalen und zugleich zynischen Satz ab: "Nach zweitätigem erbittertem Kampf fällt die Inselstadt Argostoli und sind die italienischen Truppen überwältigt." Den Mord an 10.000 Montenegrinern Anfang 1943 bilanziert Thilo so: „Widerstand nach Jägerart im schnellen Zupacken gebrochen.“ Als der antifaschistische Rechercheur Jakob Knab wegen dieser offenkundigen Leugnung der Kriegsverbrechen eine Anfrage an Thilo richtete, erhielt er am 21. August 1992 zur Antwort: "Die Behauptung der Ermordung sind Lüge und bewußte Diffamierung unserer Soldaten. Sie sind das Porto nicht wert, das mich dieser Brief kostet." Wie Thilo waren zahlreiche Gebirgsjäger an Kriegsverbrechen beteiligt. Niemand von ihnen wurde zur Verantwortung gezogen.
Wenn es zu Ermittlungen kommen sollte, dann lenkte die Justiz gern mit Mätzchen wie diesem von den eigentlichen Aufgaben ab: Dem Landessprecher der VVN-BdA NRW, der der Staatsanwaltschaft neue Rechercheergebnisse zur Gebirgstruppe aus dem Jahre 1943 zur Kenntnis brachte, unterstellte sie, er habe Briefe der Staatsanwaltschaft an mögliche Täter gefälscht, und es begann ein monatelanges, immer noch nicht eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen ihn und die VVN-BdA. Deren Datenmaterial wurde per Beschlagnahmung von Computern für Geheimdienstunterlagen kopiert. Der NRW-Justizminister ließ mitteilen, er lasse den Vorgang um die Hausdurchsuchungen bei der VVN-BdA sowie die Beschlagnahmung ihrer Daten und Archive von den Leitungen der Staatsanwaltschaft Dortmund und Hamm überprüfen. Gegenüber den Medien ließ die Staatsanwaltschaft Dortmund verlauten, es habe sich nichts aus der Hausdurchsuchung ergeben, aber man suche weiter. Die VVN-BdA hat zudem den Landtag NRW, den Landes- und Bundesdatenschutzbeauftragten angeschrieben. Das geschah auch in Hunderten Protestbriefen, für die sich die VVN-BdA NRW herzlich bedankte.
Die Bundeswehr schweigt eisern zu den Verbrechen der Gebirgstruppler. Sie hält zum Traditionsverein. Als dem zuständigen Divisionskommandeur in Sigmaringen und dem Verteidigungsminister in Berlin angeboten wurde, die zu Pfingsten nach Mittenwald eingeladenen Zeitzeugen auch als Redner vor den Soldaten in den Kasernen in Mittenwald und Umgebung zuzulassen, da blieb das Angebot unbeantwortet. Aufs Bundeswehrgelände lässt man nach wie vor nur die Gebirgsjäger und hört sich allein ihre Versionen an.
Im Jahr 2002 hielt Divisionskommandeur, General Jan Oerding von der 10.Panzerdivison in Sigmaringen, die Festrede und beschwor dabei die "Aufrichtigkeit im Umgang mit unserer Geschichte. Millionen Deutsche haben als Soldaten der Wehrmacht gedient. Viele von ihnen haben Unvorstellbares erleben müssen, Schreckliches erlitten oder sind eines grausamen Todes gestorben." Und weiter führte Oerding aus: “Tradition” sei “das Bindeglied innerhalb der Seilschaft mit den Generationen”, und “solche Gedenkfeiern wie heute sind der Knoten, den eine Seilschaft zum Zusammenhalt” brauche.
Auch Edmund Stoibers Herz schlägt für diese Seilschaft, die "Kameraden unter dem Edelweiß". Der Mittenwalder Truppenübungsplatz, wo die Gebirgstruppe ihr Verständnis von "Traditionspflege" zelebriert, ist ihm vertraut. Der Ministerpräsident und Kanzlerkandidat a.D. leistete dort bei den Gebirgsjägern seinen Grundwehrdienst ab. Im Juni 2000 beklagte er die Auflösung der 1. Gebirgsdivision und ihre Eingliederung als Brigade 23 in die 10. Panzerdivision. Er lobte die "unangreifbare Traditionspflege" der Gebirgstruppler. Zur Rede gestellt, wollte er damit aber nur die Traditionspflege der königlich-bayerischen Gebirgstruppler im neunzehnten Jahrhundert gemeint haben.
Ein weiteres bevorzugtes Thema: Der Wunsch nach Teilnahme der heutigen Gebirgsjäger an möglichst vielen Auslandseinsätzen, aber auch an Einsätzen der Bundeswehr im Innern. Schon Ende Juli 2002 forderten der Gebirgsjägerkameradenkreis und einer seiner Repräsentanten, der Ex-Kosovo-Kommandant General Dr. Klaus Reinhardt, die Bundeswehr auch „zu Hause“ einzusetzen. Schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für "innere Sicherheit" auf dem Balkan zu sorgen. Die Berufung auf die Geschichte ist nicht mehr zeitgemäß", ergänzte Günther Beckstein (CSU-Minister) zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren.
*) Den Termin bitte vormerken: Pfingsten 29. und 30. Mai 2004 in Mittenwald/Oberbayern. Zum Thema: „Für die Entschädigung der Opfer und die Bestrafung der Täter“ findet Pfingstsamstag eine Demonstration durch Mittenwald, danach in der Eissporthalle ein internationales Forum mit Zeitzeugen und Antifaschisten aus Griechenland, Italien, Frankreich und Deutschland statt. Pfingstsonntag gibt es dann wieder eine Mahnwache der Antifaschisten an der Straße zum Hohen Brendten.
Richter stellt Strafanzeige wegen Verfolgung Unschuldiger
Reaktion auf die Ermittlungen gegen Landessprecher Ulrich Sander
Bezüglich Gebirgsjäger/Kephallonia
Dokumente an Staatsanwaltschaft übergeben
Weitere Literaturhinweise...
...zu den Aktionen gegen das Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald Pfingsten 2003
Pfingsten 2003 - Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger
Resolution verabschiedet am 7. Juni 2003 durch das Hearing in Mittenwald
Mörder unterm Edelweiß - noch immer unter uns
Die Blutspur der Gebirgsjäger reicht bis zu den Auslandseinsätzen
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