29.01.2011
"Achenbach war mit verantwortlich für „Judenfragen“
und für die Deportation jüdischer Menschen aus Frankreich"
Essen: 27. Januar –
Gedenken an die Befreiung von Auschwitz
Am 27. Januar 2011 gedachte die VVN-BdA Essen der
Opfer des Faschismus und mahnte an: "Wer der Opfer gedenkt,
muss auch die Täter benennen". Dabei wurde vor der
FDP-Zentrale in Essen eine Mahntafel aufgestellt, die die
Mittäterschaft von Dr. Ernst Achenbach, einem langjährigen
FDP-Funktionär aus Essen, an den Verbrechen des NS-Regimes protokolliert. Wir dokumentieren hier die
Rede von Alice Czyborra, VVN-BdA Essen, die Reden und den Aufruf zur
Veranstaltung.
Alice Czyborra (Foto: Jochen Vogler)
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Aufruf
27. Januar – Gedenken an die
Befreiung von Auschwitz
Wer der Opfer gedenkt, muss auch die
Täter benennen.
Wir rufen auf zu einer Gedenk- und Mahnkundgebung
am Donnerstag, 27. Januar 2011, 17.00 Uhr,
vor der Geschäftsstelle der FDP Essen, Seidlstraße 2
Vor 66 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz befreit. Die
sowjetischen Truppen trafen nur noch auf 7000 zurückgebliebene
schwerstkranke Häftlinge. Der überwiegende Teil der bis dahin
überlebenden Häftlinge war bereits von der SS auf den Todesmarsch
westwärts getrieben worden. Viele von ihnen kamen noch in den
letzten Kriegsmonaten auf den Todesmarsch oder in anderen
Konzentrationslagern ums Leben. Die eigentliche Befreiung durch die
Alliierten war am 8. Mai 1945. Den Befreiern von Auschwitz, der
Roten Armee, boten die Hinterlassenschaften einer
Tötungsmaschinerie, in der Menschen massenweise industriemäßig
vernichtet wurden, ein Bild des Schreckens.
Aus
Essen wurden allein 2108 jüdische Menschen in die
Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet. Wir wollen auch
in diesem Jahr anlässlich des Jahrestages der Befreiung von
Auschwitz ihrer gedenken. Angehörigen der Opfer und engagierten
Essener Bürgern ist es zu verdanken, dass bereits eine Anzahl der
ermordeten jüdischen Bürger aus ihrer Anonymität geholt wurde,
dass Stolpersteine an vielen Orten in Essen an sie erinnern.
In diesem Jahr wollen wir am 27. Januar nicht nur der Opfer der
faschistischen Verbrechen gedenken, sondern auch an die Täter
erinnern. Eine große Zahl der an Kriegsverbrechen Beteiligten hat
nach 1945 in der Bundesrepublik unbehelligt gelebt. Niemals sind sie
gerichtlich für ihre Taten belangt worden. Im Gegenteil: wichtige
Funktionsträger des Naziregimes, nahmen in der BRD einflussreiche
Positionen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ein, an
höchsten Stellen in Regierung, in Parteien, Ministerien, in der
Justiz, in der Wirtschaft, in den Verwaltungen, in den
Bildungsstätten.
Einer dieser NS-Täter war der Nazi-Diplomat und spätere
FDP-Politiker Dr. Ernst Achenbach aus Essen. Der Jurist Dr. Ernst
Achenbach war von 1940 bis 1943 engster Mitarbeiter des deutschen
Botschafters in Frankreich, Otto Abetz. In seiner Eigenschaft als
Botschaftsrat, später Gesandtschaftsrat an der deutschen Botschaft
in Paris leitete Ernst Achenbach die Politische Abteilung. Er war
mit verantwortlich für „Judenfragen“ und für die Deportation
jüdischer Menschen aus Frankreich. Aus dem von der deutschen
Wehrmacht besetzten Frankreich wurden 73.000 Kinder, Frauen und
Männer jüdischer Herkunft direkt nach Auschwitz deportiert. Die
meisten wurden nach der Ankunft sofort vergast.
Auch
Ernst Achenbach wurde in der Bundesrepublik niemals gerichtlich zur
Verantwortung gezogen. Seine Mitwirkung an den Nazi-Verbrechen war
für die FDP kein Hinderungsgrund, ihn in den Landtag, in den
Bundestag und später ins Europaparlament wählen zu lassen. Seine
Mandate konnte er vor allem dazu nutzen, immer wieder erfolgreich
die Verfolgung von NS-Verbrechen zu verhindern. Hätte es nicht
massive Proteste, insbesondere von Beate und Serge Klarsfeld
gegeben, wäre Ernst Achenbach in den 70er Jahren sogar zum
Europakommissar ernannt worden.
Die VVN-BdA stellte im Juni letzten Jahres einen Antrag an den
Rat der Stadt Essen, eine Mahntafel an der Geschäftsstelle der FDP
in der Seidlstraße anzubringen als Mahnung, damit solche Verbrechen
nie wieder zugelassen werden.. Die im Auftrag des Auswärtigen Amtes
erarbeitete Studie „Das Amt und die Vergangenheit“* zeigt die
verbrecherische Rolle der Diplomaten in den von der deutschen
Wehrmacht besetzten Gebieten auf und benennt Ernst Achenbach als
einen der Täter. Doch der Stadtrat hat sich geweigert, sich mit dem
Antrag der VVN-BdA überhaupt zu befassen.
Als Schlussfolgerung aus der Studie über die verbrecherische
Rolle des Auswärtigen Amtes sieht der FDP-Politiker Gerhard Baum
die Notwendigkeit der Aufarbeitung der Nazivergangenheit seiner
Partei. Es sei an der Zeit, dies nachzuholen erklärte er gegenüber
Frontal21 vom 16.11.2010. Diese Auseinandersetzung hat es in der
Essener FDP bis heute nicht gegeben, zumindest nicht öffentlich.
Die VVN-BdA ruft die Essener Bevölkerung auf, am 27. Januar 2011
der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und gemeinsam mit uns
symbolisch vor der Geschäftsstelle der Essener FDP eine Mahntafel
anzubringen mit einem Text, der auf die Mitwirkung von Ernst
Achenbach an der Deportation von Juden aus Frankreich in die
Vernichtungslager hinweist. Der Text soll deutlich machen, dass
Ernst Achenbach seine einflussreichen politischen Mandate in der FDP
dazu nutzte, NS-Verbrecher vor Strafverfolgung zu schützen. Die
Tafel soll an die Täter erinnern als Mahnung, damit solche
Verbrechen nie wieder zugelassen werden. Wer der Opfer gedenkt, darf
nicht vergessen, dass es zahllose Täter gab. Die Mehrheit von ihnen
blieb straffrei.
* Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann: Das
Amt und die Vergangenheit Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und
in der Bundesrepublik, Blessing Verlag München 2010
Rede von Paul Schnittker
Wir gedenken heute der Millionen Opfer des deutschen Faschismus.
Sie wurden ermordet, um die Weltherrschaft des deutschen
Imperialismus zu erreichen. Volk ohne Raum hieß damals. Am 27.
Januar, heute vor 66 Jahren befreiten sowjetische Truppen die
letzten 7000 Überlebenden von Auschwitz.
Wir erinnern deshalb daran, dass so etwas nicht wieder geschieht.
Die Gefahr aber besteht, so lange nicht die Grundlagen für
Ausbeutung, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit beseitigt sind.
Um die faschistische Herrschaft und den 2. Weltkrieg
vorzubereiten brauchte man Feindbilder als Begründungen. Verfolgt
wurden alle die den Nazis im Wege standen. Christen, Kommunisten,
Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten. Besonders wurde die
jüdische Bevölkerung verfolgt.
Es war angeblich das Jüdische Raffkapital, das Deutschland in
die Krise getrieben hätte.
Die Besonderheit des deutschen Faschismus war die sogenannte
Endlösung der jüdischen Frage, d.h. die industrielle Vernichtung
von 6 Millionen jüdischer Menschen aus Deutschland und aus allen
von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern.
Auschwitz ist das Synonym. Allein in Auschwitz wurden mehrere
Millionen Menschen umgebracht Die meisten starben in den Gaskammern
mit dem Giftgas Zyklon B. Hergestellt in den Fabriken der IG Farben.
Wo aber blieben die Täter nach der Befreiung vom Faschismus am
8. Mai 1945?
Einige Haupttäter wurden in Nürnberg verurteilt.
Aber erst 18 Jahre später wurde, dank der unermüdlichen
Aufklärung der VVN und dem hessischen Staatsanwalt Fritz Bauer, der
Auschwitz- Prozess in Frankfurt durchgeführt.
Wie war es möglich dass es so viele Jahre dauerte?
Das hängt mit der Nichtaufarbeitung des Faschismus zusammen.
Keinem einzigen Nazirichter wurde je der Prozess gemacht. Im
Gegenteil viele wurden weiter beschäftigt oder betätigten sich als
Rechtsanwälte.
Die VVN will aber auch daran erinnern, dass es einen engen
Zusammenhang zwischen der Industrie, den Banken und der NSDAP gab.
Erst die Unterstützung des Industrieclubs für die NSDAP
ermöglichte deren Machtergreifung.
Exemplarisch nennen wir den Rechtsanwalt Ernst Achenbach. Er ist
ein typisches und zugleich hervorstechendes Beispiel für
Karrieristen während der Nazizeit und nach 1945.
Der Essener Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Ralf Witzel
verteidigt den fragwürdigen Politiker noch heute. Wir würden eine
falsche Einordnung des Politikers vornehmen und der "FDP sei
kein Mangel an Aufklärung vorzuwerfen". Die Vorwürfe gegen
Achenbach "seien von der Familie Achenbach glaubwürdig
entkräftet worden, sie sind so historisch nicht haltbar."
Er hätte sich besser bei Historikern erkundigen sollen, denn die
haben genügend Beweise für die verhängnisvolle Rolle von
Achenbach während der Nazizeit und nach dem Krieg zusammengestellt.
Ende 2010 forderte der FDP Politiker Gerhart Baum im Frontal21
eine Aufarbeitung der Nazivergangenheit seiner Partei.
Wir wollen mit den heutigen Beiträgen ein wenig der FDP dabei
helfen.
Und auch dem Rat der Stadt Essen, der unser Anliegen nach
Anbringung einer Mahntafel mit dem Hinweis abtat: es gäbe keine
neuen Erkenntnisse. Ja man wollte sich sogar bei der Familie
Achenbach entschuldigen. Ist das Dummheit oder einfach den Kopf in
den Sand stecken. Nichts hören, nichts sehen wollen. ist wohl die
Devise ? Wir werden aber keine Ruhe geben.
Ich übergebe nun das Wort an Alice Czyborra, eine Überlebende
des Holocaust. Anschließend folgt Walter Hilbig der sich mit der
Rolle Achenbachs nach 1945 auseinandersetzt.
Rede Alice Czyborra
In Verbindung mit unserem Antrag an den Rat der Stadt Essen,
wollten wir im Konkreten wissen, wie die Mitverantwortung der
deutschen Botschaft in Paris an der Deportation der Juden aus
Frankreich während der Besatzung und besonders die Rolle von Ernst
Achenbach aussah. Wir wandten uns an Serge und Beate Klarsfeld und
erhielten umgehend ein Buch mit Dokumenten aus dem Archiv für
jüdische Zeitgeschichte, von Serge Klarsfeld zusammengetragen.
Einleitend schreibt er:
"Vom März 1942 bis August 1944 wurden 80.000 Juden aus
Frankreich deportiert. Weniger als 3000 kehrten zurück. Keines der
Tausende von Kindern, die aus Frankreich nach Auschwitz geschickt
wurden, hat überlebt. Tausende Juden starben infolge der
unmenschlichen Behandlung oder der erbärmlichen Bedingungen in den
Internierungslagern". Ihrer gedenken wir heute, wir gedenken
all jenen, die in den Vernichtungs- und Konzentrationslager ermordet
wurden.
Serge Klarsfeld schreibt zu Ernst Achenbach: Er war engster
Mitarbeiter des deutschen Botschafters in Frankreich, Otto Abetz. Er
leitete als Botschaftsrat, später Gesandtschaftsrat an der
deutschen Botschaft in Paris die Politische Abteilung, die sich mit
der Judenfrage beschäftigte. Nach Serge Klarsfeld war er es, der in
der Besatzungszeit die meisten Verhandlungen mit der Vichy-Regierung
führte.
Denn zur Vorbereitung und Organisierung der Deportation der
jüdischen Menschen aus Frankreich war es unabdingbar, dass die
französische Regierung, die französische Polizei und die
französische Verwaltung mit den deutschen Besatzern kollaborierten.
Da gibt es eine Aufzeichnung, heute würde man sagen ein
Protokoll, von einer Besprechung am 28.02.1941, an der u.a. Ernst
Achenbach teilnahm. Daraus geht hervor, dass auf dieser Sitzung
beraten wurde"wer als führende französische Persönlichkeiten
für die Durchführung des Judenamtes in Frage kommen würde".
In demselben Dokument wird festgestellt, dass eine vorbildliche
Kartei bald zur Verfügung stehe, "in der die gesamten Juden in
Paris in vierfacher Weise aufgezeichnet sind."
Peter Gingold schreibt in seinen Erinnerungen: "Ohne eine
solche Registrierung hätte keine Behörde wissen können, wer Jude
war."… "Das war die Voraussetzung für die Deportation
der jüdischen Bevölkerung nach Auschwitz."
In zahlreichen in dem Buch veröffentlichten Dokumenten wird
deutlich, wie sehr die Deutsche Botschaft in Paris, vor allem die
von Achenbach geleitete politische Abteilung, an der Deportation der
Juden mitgewirkt hat: Zum Beispiel fand wöchentlich einmal die
sogenannte "Dienstagsbesprechung" statt, an der auch die
Deutsche Botschaft Paris teilnahm, in der es um eine "absolute
Ausrichtung der Judenpolitik des besetzten Gebietes" ging.
Am 15. Februar 1943 wurde ein Telegramm verschickt,
unterschrieben von Achenbach. Darin steht:
Am 13.02.1943 gegen 21.10 Uhr wurden Oberstleutnant Winkler und
Major Dr. Nussbaum vom Stab Luftwaffenkommando II auf dem Wege von
ihrer Dienststelle nach ihrer Unterkunft Paris, Hotel
"Louvre" kurz nach Passieren des Louvre-Durchgangs an der
Seine von hinten beschossen… Beide verstarben noch in der Nacht
nach Einlieferung in ein Lazarett. … Die Ermittlungen gegen den
oder die Täter sind noch im Gange.
Als einstweilige Sühnemaßnahme ist geplant, 2000 Juden zu
verhaften und nach den Osten zu verbringen."
Im Jahre1970 erklärte Achenbach in einer Sendung des
Süddeutschen Rundfunks, zu diesem Telegramm befragt, dass er für
die Sühnemaßnahme nicht verantwortlich sei, er habe lediglich
berichtet. General von Stülpnagel, Militärbefehlshaber in
Frankreich, habe nur deshalb die Deportation von 2000 Juden als
Sühnemaßnahme angekündigt, um zu verhindern, dass Hitler
blindwütig Geiselerschießungen befehle. Es sollte Zeit gewonnen
werden, - so Achenbach - bis die Angelegenheit im Sande verlaufe. In
der Tat wollten die Verantwortlichen verhindern, dass weiter
französische Geiseln erschossen würden. Es sollte innerhalb der
französischen Bevölkerung nicht noch mehr Auflehnung gegen die
deutschen Besatzer entstehen.
Als Achenbach im Interview befragt wurde, ob er denn wisse, was
eigentlich auf Grund des Telegramms passiert sei, sagte er, dass er
das nicht mehr hätte wissen können, denn im April 1943 sei er
abberufen worden.
Doch aus einem Bericht des SS-Obersturmbannführers Lischka an
den Befehlshaber der Sicherheitspolizei geht eindeutig hervor, was
nach dem Attentat passierte: Wörtlich: "Der Polizeipräfekt
von Paris ist von mir am 14.2.1943 (also einen Tag nach dem
Attentat-a.c.) ersucht worden, zur Durchführung von
Sühnemaßnahmen schnellstens 2000 männliche Juden im Alter von 16
bis 65 Jahren festnehmen und in das Judenlager Drancy überführen
zu lassen."
Kurz danach gab es folgende Transporte
am 2. März 1943 -1000 Deportierte, von ihnen wurden 874 sofort nach
ihrem Eintreffen in Auschwitz vergast
am 4. März 1943 -1000 Deportierte, die alle sofort nach ihrem
Eintreffen vergast wurden.
und am 6. März 1943 gab es noch einen Transport, der nicht der
Sühnemaßnahme zugerechnet wird
1002 Deportierte, die alle sofort nach ihrem Eintreffen vergast
wurden.
Von alledem sollte Dr. Ernst Achenbach nichts gewusst haben?
Ein bezeichnendes Beispiel für das, was die Autoren der Studie
"Das Amt und die Vergangenheit" über das Auswärtige Amt
und seine Diplomaten schreiben: "Der Mythos, das Auswärtige
Amt sei von 1933 bis 1945 ein Hort des Widerstands gewesen, gehört
zu den langlebigsten Legenden über das Dritte Reich."
Überall wirkten deutsche Botschaften und ihre Diplomaten in den
besetzten Gebieten mit an der Erfassung der Juden und an ihrer
Deportation zur "Endlösung". Eckart Conze, einer der
Autoren des Buches hatte vor zwei Wochen in der Alten Synagoge
wiederholt, was er bei der Vorstellung des Buches erklärt hatte. Es
war eine verbrecherische Organisation.
Die Rednerin Alice Czyborra ist Tochter von Peter und Ettie
Gingold. Sie wurde als Kind in Frankreich vor den Häschern a la
Achenbach versteckt und konnte so überleben. Davon handelt u.a. das
folgende Buch.
Rede von Walter Hilbig
Liebe Freunde, liebe Essener Bürger!
Heute vor genau 66 Jahren wurde Auschwitz von der Roten Armee
befreit. Aber die Macht, die die größten Opfer bei der Befreiung
brachte, wurde wieder zum Feind erklärt. Die Diplomaten aber, über
deren Schreibtische die Deportationen der Juden direkt in die
Gaskammern nach Auschwitz gingen, waren als Experten im Kalten Krieg
gegen die Sowjetunion gefragt und konnten in der Bundesrepublik
wieder Karriere machen.
Erst kürzlich wurde die Kontinuität alter und neuer Nazis im
Auswärtigen Amt von einer Historikerkommission nachgewiesen. Die
Einschätzung der Autoren des Buches "Das Amt" gilt
gleichermaßen auch für das Innenministerium, das Finanzministerium
und für viele Behörden in der Bundesrepublik.
Beispiel für Kontinuität, Kanzlei, IG-Farben-Prozess
Typisches Beispiel für die Kontinuität ist die Person Dr. Ernst
Achenbach. Nach seiner Nazi-Karriere als Diplomat im besetzten
Frankreich war er Rechtsanwalt in Essen. Seine Kanzlei galt als
Anlaufstelle für zahlreiche ehemalige NS-Funktionäre aus Polizei,
Justiz und Verwaltung. Sein Hauptanliegen war, Nazi-Kriegsverbrecher
zu rehabilitieren und sie vor Verfolgung zu schützen. Als
sachkundige Gehilfen beschäftigte er den in Dänemark zum Tode
verurteilten SS-Obergruppenführer Werner Best und den
SS-Brigadeführer Alfred Six. In den Jahren 1947/48 verteidigte
Achenbach Kriegsverbrecher im I-G-Farben-Prozess.
FDP und alte Nazis
Achenbach war nach dem Krieg in die Freie Demokratische Partei
eingetreten, deren außenpolitischer Sprecher er bis April 1953 war.
Innerhalb der nordrhein-westfälischen FDP galt er als rechte Hand
des Landesvorsitzenden Friedrich Middelhauve und war für das
Einwerben von Industriespenden zuständig. So sorgte er dafür, dass
der Industrielle Hugo Stinnes die NRW-FDP finanzierte. Dies führte
dazu, dass fast alle Außengeschäftsstellen der FDP mit ehemaligen
Nazis besetzt wurden. Achenbach wählte auch Middelhauves
persönlichen Referenten Wolfgang Diewerge, u.a. Träger des
goldenen NSDAP-Parteiabzeichens und des "Blutordens", aus.
Naumann-Kreis
Alte Nazis zogen sich nach ihrer militärischen Niederlage
keinesfalls zurück. Schon Anfang der 50ger Jahre bildete sich ein
sogenannter Naumann-Kreis, der Putschpläne gegen die Bundesrepublik
erarbeitete. Naumann, ehemaliger SS-Brigadeführer, war
persönlicher Referent im Propagandaministerium und galt als
Nachfolger von Goebbels. Zum Naumann-Kreis gehörten hochrangige
Nazis und Militärs z. B.: Hasso von Manteuffel, Wehrmachtsgeneral,
Walther Wenck, Wehrmachtsgeneral, Wilhelm Classen, ehemaliger
SS-Sturmbannführer, Siegfried Zoglmann, ehem.
"Auslands-Sachverständiger in der
NS-Reichsjugendführung", Fritz Brehm, einst SS-Brigadeführer,
um nur einige zu nennen.
Schlüsselfigur zwischen der FDP und Naumann war Dr. Ernst
Achenbach. Nach Aussagen von Naumann forderte Achenbach den
Verschwörer-Kreis auf, mit 200 Nazis die FDP in NRW zu
"erben", d.h. zu unterwandern. Das ganze Unternehmen flog
auf. Aber nicht, weil die Wachsamkeit der Bundesbehörden so gut
funktionierte, sondern weil die britische Besatzungsmacht dahinter
stieg und überraschend zuschlug.
1953 14./15.Januar Auf Anordnung des britischen Hohen Kommissars
wurden nachts sieben ehemals führende Nationalsozialisten in
Düsseldorf, Hamburg und Solingen unter dem Verdacht verhaftet, eine
Verschwörung zur Machtergreifung in der Bundesrepublik organisiert
zu haben. In dem von den britischen Behörden nach Abschluss der
Verhaftungsaktion veröffentlichten Kommuniqué heißt es: "Es
ist den britischen Behörden seit einiger Zeit bekannt, dass sich
eine Gruppe ehemaliger führender Nazis mit Plänen zur
Wiederergreifung der Macht in Westdeutschland befasste. Auf dem
Gebiet der Außenpolitik war das Hauptziel dieser Gruppe die
Verbreitung antiwestlicher Anschauungen und Richtlinien. Die
Tätigkeit der Gruppe wurde von Zellen in der britischen Zone
geleitet ... Bei den Verhafteten handelt es sich um Dr. Werner
Naumann, ehemals Staatssekretär im Reichspropaganda-Ministerium,
Dr. Gustav Scheel, ehemaliger Reichsstudentenführer und späterer
Gauleiter von Salzburg, den früheren SS-Brigadeführer Paul
Zimmermann, den ehemaligen Ortsgruppenleiter der NSDAP in Solingen,
Heinz Siepen, den früheren Mitarbeiter der Rundfunkabteilung des
Reichspropagandaministeriums Dr. Karl Scharping und den Teilnehmer
am Marsch auf die Feldherrnhalle im November 1923, Dr. Heinrich
Haselmayer" Nachträglich wird außerdem die Verhaftung des
ehemaligen Gauleiters von Hamburg, Karl Kaufmann, bekanntgegeben.
Achenbach setzte seine Karriere fort
Achenbach gelang es - trotz seiner Vergangenheit - bis in die
1970er Jahre hinein seine Karriere als Anwalt und FDP-Politiker
unbehelligt fortzuführen und wäre fast Europakommissar geworden,
wenn nicht 1974 Beate Klarsfeld und ihr Mann Serge Klarsfeld
Achenbachs Verstrickung in den Holocaust aufgedeckt hatte. Danach
wurden Rücktrittsforderungen laut.
Als 1991 Achenbach starb, machte die WAZ - nach bewährtem
bundesdeutschen Rezept - aus dem Mittäter für die
Judendeportationen, dem Verschwörer gegen die Bundesrepublik und
Verteidiger von Kriegsverbrechern einen Menschen, der der Idee der
Völkerverständigung verbunden war.
Achenbach, Naumann und viele andere Alt-Nazis, die mit den
Nachkriegsstaat Bundesrepublik prägten, indem sie Ministerien und
Ausschüsse besetzten, ja sogar Kanzler oder Bundespräsident
wurden, die ihre antikommunistische Ideologie aus dem Nazireich
herüber retteten, bildeten die Keimzellen für die neuen Nazis. So
dass man ohne Übertreibung von einer Kontinuität sprechen kann.
Peter
Gingold Paris - Boulevard St. Martin No. 11
Ein jüdischer Antifaschist in der Résistance und der
Bundesrepublik
Peter Gingold (1916–2006) war einer der profiliertesten
jüdischen Widerstandskämpfer und Kommunisten in der
Bundesrepublik. Besonders seit den 70er Jahren trat er als
Redner auf politischen Kundgebungen gegen Naziaufmärsche und
als Zeitzeuge in Schulen und bei Jugendgruppen auf. Er hatte
viel zu berichten: Die Zeit des aufkommenden Faschismus in
Deutschland, Exil in Frankreich und Widerstand in den Reihen
der Résistance (Illegalität, politische Agitation unter
deutschen Besatzungssoldaten, Flucht aus den Fängen der
Gestapo und Teilnahme am Aufstand zur Befreiung von Paris
1944). Den 8. Mai 1945, das »Morgenrot der
Menschheitsgeschichte«, erlebte er in Turin mit der
italienischen Resistenza. Zurückgekehrt nach Deutschland,
gestaltete er dort den politischen Neuanfang aktiv mit, musste
jedoch erleben, wie er und seine Familie danach fast zwei
Jahrzehnte der erneuten Verfolgung, der Ausbürgerung und des
Berufsverbots erlebten. Trotzdem verstand er sich stets als
»Mut-Macher«, seine Maxime: »Nie aufgeben!«
http://shop.vvn-bda.de/product_info.php?info=p270_
peter-gingold-paris---boulevard-st--martin-no--11.html |
Siehe auch:
15.11.2010
Keine Mahntafel wegen Ernst Achenbach in
Essen?
22.10.2010
Enthüllungen über die Rolle des Dr. Ernst Achenbach von der FDP
Er half bei der Deportation
französischer Juden
03.06.2010
Der Mann, der für Hitler das Geld
sammelte – und später der FDP vorstand
21.05.2010
Aus der Geschichte einer umkämpften 60jährigen Landesverfassung
Die NRW-FDP als
Speerspitze der Verfassungsfeindlichkeit
23.10.09
"Wer die Verfassungsnorm ernst nimmt, verläßt ... ihren
'Boden'"
Die unbekannte FDP von Nordrhein-Westfalen
derwesten.de:
28.01.2011
NS-Vergangenheit holt FDP in Essen ein
http://www.derwesten.de/staedte/essen/NS-Vergangenheit-holt-FDP-in-Essen-ein-id4211954.html
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