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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

29.01.2011

"Achenbach war mit verantwortlich für „Judenfragen“ und für die Deportation jüdischer Menschen aus Frankreich"

Essen: 27. Januar – Gedenken an die Befreiung von Auschwitz

Am 27. Januar 2011 gedachte die VVN-BdA Essen der Opfer des Faschismus und mahnte an: "Wer der Opfer gedenkt, muss auch die Täter benennen". Dabei wurde vor der FDP-Zentrale in Essen eine Mahntafel aufgestellt, die die Mittäterschaft von Dr. Ernst Achenbach, einem langjährigen FDP-Funktionär aus Essen, an den Verbrechen des NS-Regimes protokolliert. Wir dokumentieren hier die Rede von Alice Czyborra, VVN-BdA Essen, die Reden und den Aufruf zur Veranstaltung.

Alice Czyborra (Foto: Jochen Vogler)

Alice Czyborra (Foto: Jochen Vogler)

Aufruf

27. Januar – Gedenken an die Befreiung von Auschwitz 

Wer der Opfer gedenkt, muss auch die Täter benennen.

Wir rufen auf zu einer Gedenk- und Mahnkundgebung 
am Donnerstag, 27. Januar 2011, 17.00 Uhr, 
vor der Geschäftsstelle der FDP Essen, Seidlstraße 2

Vor 66 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz befreit. Die sowjetischen Truppen trafen nur noch auf 7000 zurückgebliebene schwerstkranke Häftlinge. Der überwiegende Teil der bis dahin überlebenden Häftlinge war bereits von der SS auf den Todesmarsch westwärts getrieben worden. Viele von ihnen kamen noch in den letzten Kriegsmonaten auf den Todesmarsch oder in anderen Konzentrationslagern ums Leben. Die eigentliche Befreiung durch die Alliierten war am 8. Mai 1945. Den Befreiern von Auschwitz, der Roten Armee, boten die Hinterlassenschaften einer Tötungsmaschinerie, in der Menschen massenweise industriemäßig vernichtet wurden, ein Bild des Schreckens.

Aus Essen wurden allein 2108 jüdische Menschen in die Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet. Wir wollen auch in diesem Jahr anlässlich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz ihrer gedenken. Angehörigen der Opfer und engagierten Essener Bürgern ist es zu verdanken, dass bereits eine Anzahl der ermordeten jüdischen Bürger aus ihrer Anonymität geholt wurde, dass Stolpersteine an vielen Orten in Essen an sie erinnern.

Die MahnwacheIn diesem Jahr wollen wir am 27. Januar nicht nur der Opfer der faschistischen Verbrechen gedenken, sondern auch an die Täter erinnern. Eine große Zahl der an Kriegsverbrechen Beteiligten hat nach 1945 in der Bundesrepublik unbehelligt gelebt. Niemals sind sie gerichtlich für ihre Taten belangt worden. Im Gegenteil: wichtige Funktionsträger des Naziregimes, nahmen in der BRD einflussreiche Positionen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ein, an höchsten Stellen in Regierung, in Parteien, Ministerien, in der Justiz, in der Wirtschaft, in den Verwaltungen, in den Bildungsstätten.

Einer dieser NS-Täter war der Nazi-Diplomat und spätere FDP-Politiker Dr. Ernst Achenbach aus Essen. Der Jurist Dr. Ernst Achenbach war von 1940 bis 1943 engster Mitarbeiter des deutschen Botschafters in Frankreich, Otto Abetz. In seiner Eigenschaft als Botschaftsrat, später Gesandtschaftsrat an der deutschen Botschaft in Paris leitete Ernst Achenbach die Politische Abteilung. Er war mit verantwortlich für „Judenfragen“ und für die Deportation jüdischer Menschen aus Frankreich. Aus dem von der deutschen Wehrmacht besetzten Frankreich wurden 73.000 Kinder, Frauen und Männer jüdischer Herkunft direkt nach Auschwitz deportiert. Die meisten wurden nach der Ankunft sofort vergast.

Auch Ernst Achenbach wurde in der Bundesrepublik niemals gerichtlich zur Verantwortung gezogen. Seine Mitwirkung an den Nazi-Verbrechen war für die FDP kein Hinderungsgrund, ihn in den Landtag, in den Bundestag und später ins Europaparlament wählen zu lassen. Seine Mandate konnte er vor allem dazu nutzen, immer wieder erfolgreich die Verfolgung von NS-Verbrechen zu verhindern. Hätte es nicht massive Proteste, insbesondere von Beate und Serge Klarsfeld gegeben, wäre Ernst Achenbach in den 70er Jahren sogar zum Europakommissar ernannt worden.

Die GedenktafelDie VVN-BdA stellte im Juni letzten Jahres einen Antrag an den Rat der Stadt Essen, eine Mahntafel an der Geschäftsstelle der FDP in der Seidlstraße anzubringen als Mahnung, damit solche Verbrechen nie wieder zugelassen werden.. Die im Auftrag des Auswärtigen Amtes erarbeitete Studie „Das Amt und die Vergangenheit“* zeigt die verbrecherische Rolle der Diplomaten in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten auf und benennt Ernst Achenbach als einen der Täter. Doch der Stadtrat hat sich geweigert, sich mit dem Antrag der VVN-BdA überhaupt zu befassen.

Als Schlussfolgerung aus der Studie über die verbrecherische Rolle des Auswärtigen Amtes sieht der FDP-Politiker Gerhard Baum die Notwendigkeit der Aufarbeitung der Nazivergangenheit seiner Partei. Es sei an der Zeit, dies nachzuholen erklärte er gegenüber Frontal21 vom 16.11.2010. Diese Auseinandersetzung hat es in der Essener FDP bis heute nicht gegeben, zumindest nicht öffentlich.

Die VVN-BdA ruft die Essener Bevölkerung auf, am 27. Januar 2011 der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und gemeinsam mit uns symbolisch vor der Geschäftsstelle der Essener FDP eine Mahntafel anzubringen mit einem Text, der auf die Mitwirkung von Ernst Achenbach an der Deportation von Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager hinweist. Der Text soll deutlich machen, dass Ernst Achenbach seine einflussreichen politischen Mandate in der FDP dazu nutzte, NS-Verbrecher vor Strafverfolgung zu schützen. Die Tafel soll an die Täter erinnern als Mahnung, damit solche Verbrechen nie wieder zugelassen werden. Wer der Opfer gedenkt, darf nicht vergessen, dass es zahllose Täter gab. Die Mehrheit von ihnen blieb straffrei.

* Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Blessing Verlag München 2010

Rede von Paul Schnittker

Wir gedenken heute der Millionen Opfer des deutschen Faschismus.

Sie wurden ermordet, um die Weltherrschaft des deutschen Imperialismus zu erreichen. Volk ohne Raum hieß damals. Am 27. Januar, heute vor 66 Jahren befreiten sowjetische Truppen die letzten 7000 Überlebenden von Auschwitz.

Wir erinnern deshalb daran, dass so etwas nicht wieder geschieht. Die Gefahr aber besteht, so lange nicht die Grundlagen für Ausbeutung, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit beseitigt sind.

Um die faschistische Herrschaft und den 2. Weltkrieg vorzubereiten brauchte man Feindbilder als Begründungen. Verfolgt wurden alle die den Nazis im Wege standen. Christen, Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten. Besonders wurde die jüdische Bevölkerung verfolgt.

Es war angeblich das Jüdische Raffkapital, das Deutschland in die Krise getrieben hätte.

Die Besonderheit des deutschen Faschismus war die sogenannte Endlösung der jüdischen Frage, d.h. die industrielle Vernichtung von 6 Millionen jüdischer Menschen aus Deutschland und aus allen von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern.

Auschwitz ist das Synonym. Allein in Auschwitz wurden mehrere Millionen Menschen umgebracht Die meisten starben in den Gaskammern mit dem Giftgas Zyklon B. Hergestellt in den Fabriken der IG Farben.

Wo aber blieben die Täter nach der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai 1945?

Einige Haupttäter wurden in Nürnberg verurteilt.

Aber erst 18 Jahre später wurde, dank der unermüdlichen Aufklärung der VVN und dem hessischen Staatsanwalt Fritz Bauer, der Auschwitz- Prozess in Frankfurt durchgeführt.

Wie war es möglich dass es so viele Jahre dauerte?

Das hängt mit der Nichtaufarbeitung des Faschismus zusammen. Keinem einzigen Nazirichter wurde je der Prozess gemacht. Im Gegenteil viele wurden weiter beschäftigt oder betätigten sich als Rechtsanwälte.

Die VVN will aber auch daran erinnern, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Industrie, den Banken und der NSDAP gab.

Erst die Unterstützung des Industrieclubs für die NSDAP ermöglichte deren Machtergreifung.

Exemplarisch nennen wir den Rechtsanwalt Ernst Achenbach. Er ist ein typisches und zugleich hervorstechendes Beispiel für Karrieristen während der Nazizeit und nach 1945.

Der Essener Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Ralf Witzel verteidigt den fragwürdigen Politiker noch heute. Wir würden eine falsche Einordnung des Politikers vornehmen und der "FDP sei kein Mangel an Aufklärung vorzuwerfen". Die Vorwürfe gegen Achenbach "seien von der Familie Achenbach glaubwürdig entkräftet worden, sie sind so historisch nicht haltbar."

Er hätte sich besser bei Historikern erkundigen sollen, denn die haben genügend Beweise für die verhängnisvolle Rolle von Achenbach während der Nazizeit und nach dem Krieg zusammengestellt.

Ende 2010 forderte der FDP Politiker Gerhart Baum im Frontal21 eine Aufarbeitung der Nazivergangenheit seiner Partei.

Wir wollen mit den heutigen Beiträgen ein wenig der FDP dabei helfen.

Und auch dem Rat der Stadt Essen, der unser Anliegen nach Anbringung einer Mahntafel mit dem Hinweis abtat: es gäbe keine neuen Erkenntnisse. Ja man wollte sich sogar bei der Familie Achenbach entschuldigen. Ist das Dummheit oder einfach den Kopf in den Sand stecken. Nichts hören, nichts sehen wollen. ist wohl die Devise ? Wir werden aber keine Ruhe geben.

Ich übergebe nun das Wort an Alice Czyborra, eine Überlebende des Holocaust. Anschließend folgt Walter Hilbig der sich mit der Rolle Achenbachs nach 1945 auseinandersetzt.

Rede Alice Czyborra

In Verbindung mit unserem Antrag an den Rat der Stadt Essen, wollten wir im Konkreten wissen, wie die Mitverantwortung der deutschen Botschaft in Paris an der Deportation der Juden aus Frankreich während der Besatzung und besonders die Rolle von Ernst Achenbach aussah. Wir wandten uns an Serge und Beate Klarsfeld und erhielten umgehend ein Buch mit Dokumenten aus dem Archiv für jüdische Zeitgeschichte, von Serge Klarsfeld zusammengetragen. Einleitend schreibt er:

"Vom März 1942 bis August 1944 wurden 80.000 Juden aus Frankreich deportiert. Weniger als 3000 kehrten zurück. Keines der Tausende von Kindern, die aus Frankreich nach Auschwitz geschickt wurden, hat überlebt. Tausende Juden starben infolge der unmenschlichen Behandlung oder der erbärmlichen Bedingungen in den Internierungslagern". Ihrer gedenken wir heute, wir gedenken all jenen, die in den Vernichtungs- und Konzentrationslager ermordet wurden.

Serge Klarsfeld schreibt zu Ernst Achenbach: Er war engster Mitarbeiter des deutschen Botschafters in Frankreich, Otto Abetz. Er leitete als Botschaftsrat, später Gesandtschaftsrat an der deutschen Botschaft in Paris die Politische Abteilung, die sich mit der Judenfrage beschäftigte. Nach Serge Klarsfeld war er es, der in der Besatzungszeit die meisten Verhandlungen mit der Vichy-Regierung führte.

Denn zur Vorbereitung und Organisierung der Deportation der jüdischen Menschen aus Frankreich war es unabdingbar, dass die französische Regierung, die französische Polizei und die französische Verwaltung mit den deutschen Besatzern kollaborierten.

Da gibt es eine Aufzeichnung, heute würde man sagen ein Protokoll, von einer Besprechung am 28.02.1941, an der u.a. Ernst Achenbach teilnahm. Daraus geht hervor, dass auf dieser Sitzung beraten wurde"wer als führende französische Persönlichkeiten für die Durchführung des Judenamtes in Frage kommen würde". In demselben Dokument wird festgestellt, dass eine vorbildliche Kartei bald zur Verfügung stehe, "in der die gesamten Juden in Paris in vierfacher Weise aufgezeichnet sind."

Peter Gingold schreibt in seinen Erinnerungen: "Ohne eine solche Registrierung hätte keine Behörde wissen können, wer Jude war."… "Das war die Voraussetzung für die Deportation der jüdischen Bevölkerung nach Auschwitz."

In zahlreichen in dem Buch veröffentlichten Dokumenten wird deutlich, wie sehr die Deutsche Botschaft in Paris, vor allem die von Achenbach geleitete politische Abteilung, an der Deportation der Juden mitgewirkt hat: Zum Beispiel fand wöchentlich einmal die sogenannte "Dienstagsbesprechung" statt, an der auch die Deutsche Botschaft Paris teilnahm, in der es um eine "absolute Ausrichtung der Judenpolitik des besetzten Gebietes" ging.

Am 15. Februar 1943 wurde ein Telegramm verschickt, unterschrieben von Achenbach. Darin steht:

Am 13.02.1943 gegen 21.10 Uhr wurden Oberstleutnant Winkler und Major Dr. Nussbaum vom Stab Luftwaffenkommando II auf dem Wege von ihrer Dienststelle nach ihrer Unterkunft Paris, Hotel "Louvre" kurz nach Passieren des Louvre-Durchgangs an der Seine von hinten beschossen… Beide verstarben noch in der Nacht nach Einlieferung in ein Lazarett. … Die Ermittlungen gegen den oder die Täter sind noch im Gange.

Als einstweilige Sühnemaßnahme ist geplant, 2000 Juden zu verhaften und nach den Osten zu verbringen."

Im Jahre1970 erklärte Achenbach in einer Sendung des Süddeutschen Rundfunks, zu diesem Telegramm befragt, dass er für die Sühnemaßnahme nicht verantwortlich sei, er habe lediglich berichtet. General von Stülpnagel, Militärbefehlshaber in Frankreich, habe nur deshalb die Deportation von 2000 Juden als Sühnemaßnahme angekündigt, um zu verhindern, dass Hitler blindwütig Geiselerschießungen befehle. Es sollte Zeit gewonnen werden, - so Achenbach - bis die Angelegenheit im Sande verlaufe. In der Tat wollten die Verantwortlichen verhindern, dass weiter französische Geiseln erschossen würden. Es sollte innerhalb der französischen Bevölkerung nicht noch mehr Auflehnung gegen die deutschen Besatzer entstehen.

Als Achenbach im Interview befragt wurde, ob er denn wisse, was eigentlich auf Grund des Telegramms passiert sei, sagte er, dass er das nicht mehr hätte wissen können, denn im April 1943 sei er abberufen worden.

Doch aus einem Bericht des SS-Obersturmbannführers Lischka an den Befehlshaber der Sicherheitspolizei geht eindeutig hervor, was nach dem Attentat passierte: Wörtlich: "Der Polizeipräfekt von Paris ist von mir am 14.2.1943 (also einen Tag nach dem Attentat-a.c.) ersucht worden, zur Durchführung von Sühnemaßnahmen schnellstens 2000 männliche Juden im Alter von 16 bis 65 Jahren festnehmen und in das Judenlager Drancy überführen zu lassen."

Kurz danach gab es folgende Transporte
am 2. März 1943 -1000 Deportierte, von ihnen wurden 874 sofort nach ihrem Eintreffen in Auschwitz vergast
am 4. März 1943 -1000 Deportierte, die alle sofort nach ihrem Eintreffen vergast wurden.
und am 6. März 1943 gab es noch einen Transport, der nicht der Sühnemaßnahme zugerechnet wird
1002 Deportierte, die alle sofort nach ihrem Eintreffen vergast wurden.

Von alledem sollte Dr. Ernst Achenbach nichts gewusst haben?

Ein bezeichnendes Beispiel für das, was die Autoren der Studie "Das Amt und die Vergangenheit" über das Auswärtige Amt und seine Diplomaten schreiben: "Der Mythos, das Auswärtige Amt sei von 1933 bis 1945 ein Hort des Widerstands gewesen, gehört zu den langlebigsten Legenden über das Dritte Reich."

Überall wirkten deutsche Botschaften und ihre Diplomaten in den besetzten Gebieten mit an der Erfassung der Juden und an ihrer Deportation zur "Endlösung". Eckart Conze, einer der Autoren des Buches hatte vor zwei Wochen in der Alten Synagoge wiederholt, was er bei der Vorstellung des Buches erklärt hatte. Es war eine verbrecherische Organisation.

Die Rednerin Alice Czyborra ist Tochter von Peter und Ettie Gingold. Sie wurde als Kind in Frankreich vor den Häschern a la Achenbach versteckt und konnte so überleben. Davon handelt u.a. das folgende Buch.

Rede von Walter Hilbig

Liebe Freunde, liebe Essener Bürger!

Heute vor genau 66 Jahren wurde Auschwitz von der Roten Armee befreit. Aber die Macht, die die größten Opfer bei der Befreiung brachte, wurde wieder zum Feind erklärt. Die Diplomaten aber, über deren Schreibtische die Deportationen der Juden direkt in die Gaskammern nach Auschwitz gingen, waren als Experten im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion gefragt und konnten in der Bundesrepublik wieder Karriere machen.

Erst kürzlich wurde die Kontinuität alter und neuer Nazis im Auswärtigen Amt von einer Historikerkommission nachgewiesen. Die Einschätzung der Autoren des Buches "Das Amt" gilt gleichermaßen auch für das Innenministerium, das Finanzministerium und für viele Behörden in der Bundesrepublik.

Beispiel für Kontinuität, Kanzlei, IG-Farben-Prozess

Typisches Beispiel für die Kontinuität ist die Person Dr. Ernst Achenbach. Nach seiner Nazi-Karriere als Diplomat im besetzten Frankreich war er Rechtsanwalt in Essen. Seine Kanzlei galt als Anlaufstelle für zahlreiche ehemalige NS-Funktionäre aus Polizei, Justiz und Verwaltung. Sein Hauptanliegen war, Nazi-Kriegsverbrecher zu rehabilitieren und sie vor Verfolgung zu schützen. Als sachkundige Gehilfen beschäftigte er den in Dänemark zum Tode verurteilten SS-Obergruppenführer Werner Best und den SS-Brigadeführer Alfred Six. In den Jahren 1947/48 verteidigte Achenbach Kriegsverbrecher im I-G-Farben-Prozess.

FDP und alte Nazis

Achenbach war nach dem Krieg in die Freie Demokratische Partei eingetreten, deren außenpolitischer Sprecher er bis April 1953 war. Innerhalb der nordrhein-westfälischen FDP galt er als rechte Hand des Landesvorsitzenden Friedrich Middelhauve und war für das Einwerben von Industriespenden zuständig. So sorgte er dafür, dass der Industrielle Hugo Stinnes die NRW-FDP finanzierte. Dies führte dazu, dass fast alle Außengeschäftsstellen der FDP mit ehemaligen Nazis besetzt wurden. Achenbach wählte auch Middelhauves persönlichen Referenten Wolfgang Diewerge, u.a. Träger des goldenen NSDAP-Parteiabzeichens und des "Blutordens", aus.

Naumann-Kreis

Alte Nazis zogen sich nach ihrer militärischen Niederlage keinesfalls zurück. Schon Anfang der 50ger Jahre bildete sich ein sogenannter Naumann-Kreis, der Putschpläne gegen die Bundesrepublik erarbeitete. Naumann, ehemaliger SS-Brigadeführer, war persönlicher Referent im Propagandaministerium und galt als Nachfolger von Goebbels. Zum Naumann-Kreis gehörten hochrangige Nazis und Militärs z. B.: Hasso von Manteuffel, Wehrmachtsgeneral, Walther Wenck, Wehrmachtsgeneral, Wilhelm Classen, ehemaliger SS-Sturmbannführer, Siegfried Zoglmann, ehem. "Auslands-Sachverständiger in der NS-Reichsjugendführung", Fritz Brehm, einst SS-Brigadeführer, um nur einige zu nennen.

Schlüsselfigur zwischen der FDP und Naumann war Dr. Ernst Achenbach. Nach Aussagen von Naumann forderte Achenbach den Verschwörer-Kreis auf, mit 200 Nazis die FDP in NRW zu "erben", d.h. zu unterwandern. Das ganze Unternehmen flog auf. Aber nicht, weil die Wachsamkeit der Bundesbehörden so gut funktionierte, sondern weil die britische Besatzungsmacht dahinter stieg und überraschend zuschlug.

1953 14./15.Januar Auf Anordnung des britischen Hohen Kommissars wurden nachts sieben ehemals führende Nationalsozialisten in Düsseldorf, Hamburg und Solingen unter dem Verdacht verhaftet, eine Verschwörung zur Machtergreifung in der Bundesrepublik organisiert zu haben. In dem von den britischen Behörden nach Abschluss der Verhaftungsaktion veröffentlichten Kommuniqué heißt es: "Es ist den britischen Behörden seit einiger Zeit bekannt, dass sich eine Gruppe ehemaliger führender Nazis mit Plänen zur Wiederergreifung der Macht in Westdeutschland befasste. Auf dem Gebiet der Außenpolitik war das Hauptziel dieser Gruppe die Verbreitung antiwestlicher Anschauungen und Richtlinien. Die Tätigkeit der Gruppe wurde von Zellen in der britischen Zone geleitet ... Bei den Verhafteten handelt es sich um Dr. Werner Naumann, ehemals Staatssekretär im Reichspropaganda-Ministerium, Dr. Gustav Scheel, ehemaliger Reichsstudentenführer und späterer Gauleiter von Salzburg, den früheren SS-Brigadeführer Paul Zimmermann, den ehemaligen Ortsgruppenleiter der NSDAP in Solingen, Heinz Siepen, den früheren Mitarbeiter der Rundfunkabteilung des Reichspropagandaministeriums Dr. Karl Scharping und den Teilnehmer am Marsch auf die Feldherrnhalle im November 1923, Dr. Heinrich Haselmayer" Nachträglich wird außerdem die Verhaftung des ehemaligen Gauleiters von Hamburg, Karl Kaufmann, bekanntgegeben.

Achenbach setzte seine Karriere fort

Achenbach gelang es - trotz seiner Vergangenheit - bis in die 1970er Jahre hinein seine Karriere als Anwalt und FDP-Politiker unbehelligt fortzuführen und wäre fast Europakommissar geworden, wenn nicht 1974 Beate Klarsfeld und ihr Mann Serge Klarsfeld Achenbachs Verstrickung in den Holocaust aufgedeckt hatte. Danach wurden Rücktrittsforderungen laut.

Als 1991 Achenbach starb, machte die WAZ - nach bewährtem bundesdeutschen Rezept - aus dem Mittäter für die Judendeportationen, dem Verschwörer gegen die Bundesrepublik und Verteidiger von Kriegsverbrechern einen Menschen, der der Idee der Völkerverständigung verbunden war.

Achenbach, Naumann und viele andere Alt-Nazis, die mit den Nachkriegsstaat Bundesrepublik prägten, indem sie Ministerien und Ausschüsse besetzten, ja sogar Kanzler oder Bundespräsident wurden, die ihre antikommunistische Ideologie aus dem Nazireich herüber retteten, bildeten die Keimzellen für die neuen Nazis. So dass man ohne Übertreibung von einer Kontinuität sprechen kann.

Peter Gingold Paris - Boulevard St. Martin No. 11Peter Gingold Paris - Boulevard St. Martin No. 11

Ein jüdischer Antifaschist in der Résistance und der Bundesrepublik

Peter Gingold (1916–2006) war einer der profiliertesten jüdischen Widerstandskämpfer und Kommunisten in der Bundesrepublik. Besonders seit den 70er Jahren trat er als Redner auf politischen Kundgebungen gegen Naziaufmärsche und als Zeitzeuge in Schulen und bei Jugendgruppen auf. Er hatte viel zu berichten: Die Zeit des aufkommenden Faschismus in Deutschland, Exil in Frankreich und Widerstand in den Reihen der Résistance (Illegalität, politische Agitation unter deutschen Besatzungssoldaten, Flucht aus den Fängen der Gestapo und Teilnahme am Aufstand zur Befreiung von Paris 1944). Den 8. Mai 1945, das »Morgenrot der Menschheitsgeschichte«, erlebte er in Turin mit der italienischen Resistenza. Zurückgekehrt nach Deutschland, gestaltete er dort den politischen Neuanfang aktiv mit, musste jedoch erleben, wie er und seine Familie danach fast zwei Jahrzehnte der erneuten Verfolgung, der Ausbürgerung und des Berufsverbots erlebten. Trotzdem verstand er sich stets als »Mut-Macher«, seine Maxime: »Nie aufgeben!«

http://shop.vvn-bda.de/product_info.php?info=p270_
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Siehe auch:

15.11.2010
Keine Mahntafel wegen Ernst Achenbach in Essen?

22.10.2010
Enthüllungen über die Rolle des Dr. Ernst Achenbach von der FDP
Er half bei der Deportation französischer Juden

03.06.2010
Der Mann, der für Hitler das Geld sammelte – und später der FDP vorstand

21.05.2010
Aus der Geschichte einer umkämpften 60jährigen Landesverfassung
Die NRW-FDP als Speerspitze der Verfassungsfeindlichkeit

23.10.09
"Wer die Verfassungsnorm ernst nimmt, verläßt ... ihren 'Boden'"
Die unbekannte FDP von Nordrhein-Westfalen

derwesten.de:

28.01.2011
NS-Vergangenheit holt FDP in Essen ein
http://www.derwesten.de/staedte/essen/NS-Vergangenheit-holt-FDP-in-Essen-ein-id4211954.html