22.10.2010
Enthüllungen über die Rolle des Dr. Ernst
Achenbach von der FDP
Er half bei der Deportation
französischer Juden
Im Rahmen der Aktion „Verbrechen
der Wirtschaft 1933 – 1945“ ist die VVN-BdA bestrebt, über
die Rolle der Täter aus den ökonomischen Eliten der Nazizeit
öffentlich Aufklärungsarbeit zu leisten. Zu den besonders
nachhaltig wirkenden Tätern gehörte der Nazi-Diplomat, Jurist und
später führende FDP-Politiker Dr. Ernst Achenbach aus Essen. Er
baute mit den SS-Tätern aus Himmlers Reichssicherheitshauptamt Dr.
Werner Best und Prof. Franz Six einen Apparat zur Strafbefreiung von
Mördern auf und hatte großen Einfluss sowohl vor als auch nach
1945. Jetzt hat sich der Rat der Stadt Essen mit Achenbach und der
von der VVN-BdA geforderten Aufklärung über ihn befasst, -
allerdings ablehnend. Die VVN-BdA kündigte neue Enthüllungen an.
Am 30. 1. 2010 beschloss der Landesausschuss der VVN-BdA NRW
diesen Antrag an den Rat der Stadt Essen zu richten:
An den Rat der Stadt Essen (betr. Dr. Ernst Achenbach)
Es wird beantragt: An der Geschäftsstelle der FDP in der
Seidlstr. in Essen wird eine Mahntafel angebracht mit einem Text,
der darauf hinweist, dass in der Nachkriegs-FDP in Essen Dr. Ernst
Achenbach (1909-1991) eine bedeutende Rolle als
Parteivorsitzender, als Bundestags- und Landtagsabgeordneter
gespielt hat. Bei Ernst Aachenbach handelte es sich um den
Geschäftsführer der „Adolf-Hitler-Spende der deutschen
Wirtschaft“ und Mitwirkenden an der Deportation französischer
Juden in die Vernichtungslager der Nazis. In der FDP wirkte er
dafür, dass in ihr führende Nazis mitwirken durften und dass die
NS-Verbrecher straffrei blieben. Die Tafel soll auf die
verhängnisvolle Rolle von Wirtschaftskreisen in der NS-Zeit
hinweisen. Sie soll der Mahnung dienen, solche Verbrechen nie
wieder zuzulassen.
Am 4. Oktober 2010 teilte der Oberbürgermeister der Stadt Essen
mit, der Ausschuss für Anregungen und Beschwerden des Rates habe
sich mit dem Antrag befasst. Nachdem eine Stellungnahme der Familie
Achenbach vorlag, habe man sich einvernehmlich geeinigt, sich
inhaltlich nicht weiter mit dem Anliegen der VVN-BdA zu befassen.
Wegen „schwerwiegender Recherchefehler“ der VVN-BdA solle diese
sich gegenüber der Familie Achenbach entschuldigen, regten zwei
Ratsfrauen an. Die VVN-BdA hatte ihre Recherchen nicht nur in dem
Text für eine angeregte Tafel niedergeschrieben, sondern auch in
einer Broschüre.
Darin war sie äußerst sorgfältig vorgegangen, wie auch die
nachfolgenden Faksimiles beweisen. Die VVN-BdA will ihren Vorschlag
auf öffentliche Beachtung des faschistischen Treibens jenes Dr.
Achenbach von der FDP vor wie nach 1945 aufrecht erhalten. Die
Partei DieLinke bot an, dies zu unterstützen. Serge und Beate
Klarsfeld aus Paris, die schon seit 1971 über Achenbach
informierten, steuerten inzwischen weiteres Beweismaterial bei.
Achenbach, Ernst.
Diplomat.
* 9.4.1909 Siegen. Ab 1939 Attaché, ab 1940 Botschafts-,
bzw. Gesandtschaftsrat der Pariser Botschaft. Leiter der
Politischen Abteilung, befaßt mit Judenangelegenheiten.
Herbst 1943 Kulturpolitische Abteilung im Auswärtigen Amt.
1946 Rechtsanwalt in Essen, kurzzeitig Verteidiger von
Gajewski im IG-Prozeß und von Bohle im Minister-Prozeß.
Enge Kontakte zu Hugo Stinnes junior. Ab 1950 FDP MdL in
Nordrhein-Westfalen (NRW). 1952 Initiator Vorbereitender Ausschuß
zur Herbeiführung der Generalamnestie (für NS-Täter).
Industriespendensammler der FDP in NRW. Beteiligt am Versuch
des Ex-Staatssekretärs Werner Naumann, ehemalige Nazis in der
FDP zu platzieren. Im Nachlaß Franz Blücher (BA N 1080/273)
Manuskript: Ziele und Methoden des
"Naumann-Kreises". Die Unterwanderungsversuche in
der FDP (Zusatz: Streng vertraulich! Nur für den
Dienstgebrauch). Dort heißt es: »Den günstigsten
Ansatzpunkt für die Unterwanderung des Landesverbandes NRW
glaubte Naumann in Dr. Ernst Achenbach gefunden zu haben ...
vor dem Krieg Geschäftsführer der ›Adolf-Hitler-Spende der
deutschen Wirtschaft‹«. 1957-1976 MdB. Vorsitzender des
Auswärtigen Ausschusses der FDP. 1971 Großes
Bundesverdienstkreuz. 1972-1976 im Europäischen Parlament.
† 2.12.1991 Essen. Lit.: Herbert.
|
aus:
Ernst Klee „Das Personenlexikon zum Dritten Reich“ – Wer
war was vor und nach 1945, Frankfurt/Main 2003, Seite 10. Mit
„Lit.: Herbert“ ist gemeint, dass Ulrich Herberts Buch „Best“,
Bonn 1996, die Quelle ist. Dr. Werner Best (Stellvertreter
Heydrichs als Chef des Reichssicherheitshauptamtes) und Prof.
Dr. Franz Six (SS-Brigadeführer, Abteilungsführer im Reichssicherheitshauptamt) waren nach 1945 enge Mitarbeiter
von Achenbach; sie arbeiteten in seiner Essener
Rechtsanwaltskanzlei. Für ihre Kriegsverbrechen wurden sie
ebenso wenig bestraft wie Achenbach. |
Dr. Ernst Achenbach
Er war während der Nazizeit 1943 Gesandtschaftsrat bei der
Deutschen Botschaft in Paris. Ihm wird vorgeworfen, an
Judenverfolgungen beteiligt gewesen zu sein. Die Illustrierte
"R e v u e" (17) veröffentlichte in diesem
Zusammenhang ein Dokument, das in einer Ausstellung in Israel
zu sehen war. Dabei handelt es sich um einen Brief der
NS-Botschaft in Paris an den damaligen SS- und
Polizeibefehlshaber der Stadt. Das Schreiben enthält die
Anweisung des Auswärtigen Amtes, die "vorgesehenen Judenmaßnahmen" im besetzten Frankreich trotz gewisser
Widerstände des italienischen Verbündeten vorzunehmen. Es
ist von Achenbach unterzeichnet.
Der so Bloßgestellte stellte sofort Strafantrag gegen die
Illustrierte, worauf die Ausgabe beschlagnahmt wurde. Diese
Beschlagnahme wurde nach einer Beschwerde des Verlages aber
vom Landgericht München wieder aufgehoben. Damit wurde
bestätigt, daß die Anschuldigung zu Recht besteht.
Achenbach ist seit 1957 Bundestagsabgeordneter der FDP. |
aus: „die unbewältigte gegenwart - eine
dokumentation“, Hg. vom Präsidium der VVN in Frankfurt am Main,
1962. Der Text bezieht sich auf die Illustrierte „Revue“ vom 26.
November 1960. |
|
aus: „Revue“ 1960 und „unbewältigte gegenwart“
1962. |
Die FDP-nahe
Friedrich-Naumann-Stiftung zu Achenbach:
9.4. - Liberale Stichtage: Vor
100 Jahren wird Ernst Achenbach geboren
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt der deutsche
Liberalismus auch Zuzug von Leuten, die vor 1945 alles anders
als liberal gewesen waren. Häufig klappte dann die
Integration in die neuen demokratischen Verhältnisse, in
manchen Fällen musste jedoch die „Notbremse“ gezogen
werden. Die für die frühe Bundesrepublik insgesamt sehr
virulente Problematik der „Ehemaligen“ wird sehr gut
deutlich am Beispiel des langjährigen Landtags- und
Bundestagsabgeordneten Ernst Achenbach (1909-1991).
Der promovierte Jurist war ab 1936 im Auswärtigen Amt
tätig gewesen, von 1940 bis 1943 als rechte Hand des
deutschen Botschafters im besetzten Frankreich und dabei auch
in Judendeportationen verwickelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg
ließ sich das ehemalige NSDAP-Mitglied in Essen als
Rechtsanwalt nieder und gehörte dort zu den Mitbegründern
der FDP, für die er 1950 in den Düsseldorfern Landtag
einrückte. In dieser Zeit hielt er offenbar enge Verbindungen
zu Kreisen ehemaliger Nationalsozialisten, die u. a. die
nordrhein-westfälische FDP unterwandern wollten.
Als dieses Treiben in der so genannten „Naumann-Affäre“
1953 aufgedeckt wurde, verlor Achenbach zwar seine Position
als Vorsitzender eines Parteiausschusses, blieb aber ansonsten
unbehelligt und setzte seine parlamentarische Karriere fort,
die ihn 1957 in den Bundestag und 1964 sogar ins
Europaparlament führte.
Im Bundestag agierte Achenbach recht unauffällig als
außenpolitischer Experte und unterstützte loyal den Kurs der
FDP-Führung, auch als diese 1969 eine Koalition mit der SPD
einging. Diese Loyalität brachte ihn sogar für die Position
eines Kommissars bei der EWG ins Gespräch, doch nun holte ihn
seine Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg und als Vorkämpfer
einer „Generalamnestie“ für deutsche Kriegsverbrecher
nach 1945 ein. Achenbach verzichtete schließlich auf den
Wechsel nach Brüssel und blieb bis 1976
Bundestagsabgeordneter. |
Quelle:
http://www.freiheit.org/Aktuelles-Magazin/
618c10550i1psprv/index.html
|
Seltsame wörtliche Windungen:
»verstrickt«, »verwickelt«
In Berlin wurde die Auftragsstudie
zur Geschichte des Auswärtigen Amtes im Nazireich vorgestellt
Von Kurt Pätzold
Dass Nachrichten aus den Gefilden der Wissenschaft die erste
Seite von Tageszeitungen erobern und es in manchen gar in deren
Aufmachung schaffen, geschieht selten. Machten sie einen
sensationellen Fortschritt in der Bekämpfung von Krebserkrankungen
bekannt, würde das niemanden wundern. Hingegen eine Meldung über
eine Studie »Das Auswärtige Amt und die Vergangenheit«?
Das Buch: »Das Amt und die Vergangenheit – Deutsche
Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik«.
Herausgegeben von Eckart Conze. Norbert Frei, Peter Hayes und Mosje
Zimmermann«. Karl Blessing Verlag München. 880 S., geb., 34,95
Euro.
Ihre Geschichte beginnt 2005 mit einem Auftrag, erteilt von
Außenminister Joseph Fischer. Fünf Historiker, drei Deutsche, ein
US-Amerikaner und einer aus Israel, begaben sich mit Mitarbeitern
auf die Dokumentenspur, die dieses einst in der Berliner
Wilhelmstraße etablierte Amt hinterlassen hatte und verfolgten sie
in etwa 30 Archiven, deutschen und solchen im Ausland.
Hervorgegangen ist aus einer Kärrnerarbeit, an der ein Stab von
Mitarbeitern beteiligt werden musste, ein Bericht, der mehr als 800
Druckseiten umfasst und in Buchform vorliegt.
Wer nur wollte, war gut informiert
Neuland war auf diesen Wegen nicht zu betreten. Das Auswärtige
Amt war schon im Kriegsverlauf als eine an Naziverbrechen beteiligte
Einrichtung ausgemacht. So auch gelangte sein Chef Joachim von
Ribbentrop auf die Liste jener Personen, die nach dem Sieg von den
Alliierten zur Verantwortung gezogen werden sollten. Dann kam die
Rolle dieses Machtzentrums im Nürnberger Gerichtssaal von 1945/1946
zur Sprache und Ribbentrop an den Galgen.
In einem Nachfolge-Prozess wurde Ernst von Weizsäcker, von 1938
bis 1943 (erster) Staatssekretär des Amtes, angeklagt und zu fünf
Jahren Haft verurteilt, insbesondere wegen seiner
Schreibtischtäterschaft im Zusammenhang mit Deportationen
französischer Juden zu den Mördern. Im gleichen Prozess erhielt
Weizsäckers Nachfolger Gustav Adolf Steengracht von Moyland sieben
Jahren Haft zugesprochen. Schon die Tatsachen, die bei diesen
Verfahren zu Tage kamen, ließen an der Rolle des Amtes keine
Zweifel.
Dann nahmen sich Historiker des Gegenstandes an. Aus der Vielzahl
von Publikationen ragt die Untersuchung Christopher R. Brownings »The
final solution and the German Foreign Office. A study of referat D
III of Abteilung Deutschland 1940-43« heraus, veröffentlicht 1978
in New York und London. Auch in den Jahren, in denen die Kommission
arbeitete, erschienen Bücher zum Thema. Jürgen Döscher, der im
Jahre 1987 seine Untersuchung »Das Auswärtige Amt im Dritten
Reich. Diplomatie im Schatten der Endlösung« vorgelegt hatte,
publizierte 2005 »Seilschaften – die verdrängte Vergangenheit
des Auswärtigen Amtes«.
Also: Wer wollte, war informiert. Wer in der DDR lebte, zumal.
1965 war da das »Braunbuch« erschienen, in dem, gestützt auf
Dokumentenfunde und sie zitierend, auch Beamte im diplomatischen
Dienst der Bundesrepublik benannt wurden, die sich Kriegs- und
Menschheitsverbrechen schuldig gemacht hatten.
Vorm Hintergrund des seit langem verfügbaren Wissens lesen sich
Beteuerungen der Außenminister a. D. Fischer und Steinmeier, wie
»überrascht«, »erschüttert«, »entsetzt«, »erschreckt«,
»schockiert« und wie »deprimiert« sie nun seien, befremdend.
Steinmeier fand es »unglaublich«, dass es bis zu diesem Bericht 60
und mehr Jahre brauchte. Drei davon gehen auf Rechnung des
Außenministers Willy Brandt und sieben auf die des jetzt als
Aufklärer gefeierten Fischer.
So lange war der schon Amtschef, bis er, ausgelöst durch eine
Kette von Zufällen, die Historikerkommission am 25. Juli 2005
berief. Ursprünglich bestand sie aus fünf Mitgliedern, von denen
eines aus unerklärten Gründen ausschied. So stellten Eckart Conze
(Marburg), Norbert Frei (Jena), Peter Hayes (Chicago) und Moshe
Zimmermann (Jerusalem) am Donnerstag im Berliner Haus der Kulturen
der Welt ihr Arbeitsergebnis diskutierend vor, ohne den Anspruch zu
erheben, ein Geschichtsbild revolutioniert zu haben oder sich
modisch als Tabubrecher zu präsentieren.
Was ist an Weiterführendem gewonnen? Zweierlei. Zum einen sind
in einer »Gesamtschau« die Kenntnisse über das Auswärtige Amtes
als hochaktiven Teil eines verbrecherischen Staates vermehrt, und
die Vorstellung von der Tätigkeit seines Personals gewann an
Detailreichtum und Tiefenschärfe. Zum anderen wurden die
Anstrengungen samt der an ihnen Beteiligten kompakt dargestellt, die
nach 1945 der Verfälschung der Geschichte, insbesondere der eigenen
Rollen in ihr galten.
Im Verlauf der Arbeit ist eine Kosten nicht scheuende
Durchmusterung der Quellen in einem Umfang erfolgt, die vordem
unmöglich war. Ihre Bekanntmachung oder die Verweise auf sie werden
weitere Forschungen anregen.
Ein nicht gering zu schätzendes Verdienst der Autorengruppe
rührt aus den Umständen her, auf die diese Veröffentlichung
trifft. Während die grellen Scheinwerfer von Historikern und
Museologen auf Hitler und die Deutschen gerichtet sind, worunter die
kleinbürgerlichen und proletarischen Massen verstanden werden,
stellt dieses Unternehmen eine spezielle Gruppe aus der weit
gefächerten Elite des Nazireiches vor. Es könnte beitragen, das
gleichmacherische Bild von Anteilen und Ausmaßen an Verantwortung
und juristischer und historischer Schuld zu entkräften.
Von nun an dürfte es schwer sein, den Mythos von dem
widerständigen Auswärtigen Amt, in dem sich einige Nazis gleichsam
verloren, unter die Leute zu bringen. Vor dem Glauben jedoch, dass
Weißwäscher nun ihre Bemühungen einstellen würden, hat Joseph
Fischer an diesem Abend in einem einleitenden Vortrag gewarnt. Getan
bis zu einem Schlussstein ist die Arbeit ohnehin auch deshalb nicht,
weil ein Aspekt der Tätigkeit des Amtes von der Kommission offenbar
beiseite gelassen wurde. Es hat von 1933 an nach Kräften an der
Vorbereitung des Krieges teilgehabt, jenes Verbrechens, ohne das die
Bedingungen dafür nicht entstehen konnten, unter denen sich die
judenmörderische Zusammenarbeit des Amtes mit dem
Reichssicherheitshauptamt in Gang setzen ließ.
Die Vorliebe, etwas zu
bagatellisieren
Wie weit der Weg noch ist, bis Klartext über das »Dritte Reich
und seine Eliten« gesprochen und geschrieben werden wird, lässt
sich dieser Tage vielen Berichten und Kommentaren entnehmen, die dem
Buch gelten. Es sei, heißt es da mit Vorliebe, das Amt in das
Regime »verstrickt« (oder »verwickelt«) gewesen. Gleiches lässt
sich übrigens in der Ausstellung »Hitler und die Deutschen« über
die führenden Militärs der Wehrmacht lesen. Der modische Begriff
schillert. Haben sie sich verstrickt oder wurden sie verstrickt? Hat
letzteres Hitler besorgt, der als Schüler zu Braunau durch
irgendeinen Handarbeitsunterricht ein besonderes Geschick erwarb,
das er als Führer betätigte?
Zwei Kommissionsmitglieder legten sich, in Interviews befragt,
angemessen fest und nannten das Auswärtige Amt eine
»verbrecherische Organisation«. Am Werderschen Markt muss
entschieden werden, ob es im eigenen Internetauftritt bei dem
nichtssagenden Satz bleiben soll: »Während der
nationalsozialistischen Diktatur war auch das Auswärtige Amt Teil
des Unrechtsregimes.«
Der Historiker Kurt Pätzold gehört zu den bedeutenden
deutschen Faschismus-Forschern. Eins seiner jüngsten Bücher: die
Erinnerungen »Die Geschichte kennt kein Pardon«.
Aus Neues
Deutschland vom 30.10.2010
Die ehrbare Kloake
Das Auswärtige Amt war – wie sich jetzt überraschend
herausstellt – eine verbrecherische Organisation. Außenminister
Joachim von Ribbentrop wurde darum zu Recht als Kriegsverbrecher
gehängt. Was aber ist mit dem Nachfolger Joseph Fischer?
Von Otto Köhler
Gut fünf Jahre nach dem vollendeten Anschluß rief ich beim
Auswärtigen Amt in Bonn an und fragte: »Wie viele leitende
Mitarbeiter aus dem diplomatischen Dienst der DDR und aus dem
dortigen Ministerium hat das Auswärtige Amt übernommen?«
»Niemand« war an diesem 19. Oktober 1995 die Antwort der
zuständigen Frau Sparwasser.
Frage: Gibt es Zahlen über die NS-Übernommenen?
»Das kann ich nicht sagen«, sagte die Sprecherin
wahrheitsgemäß und kam sofort auf meine erste Frage zurück: »Das
war damals ein recht klarer, politisch wohlüberlegter Beschluß.
Erstens mal hat man sich gesagt: Die führenden Mitarbeiter im
damaligen Außenministerium waren natürlich auch die führenden
Träger des DDR-Systems in vieler Hinsicht. Zweitens hat man sich
gesagt: Auch gegenüber unseren Partnern ist es dann wahrscheinlich
schwierig, Vertrauen, was die Diplomatie genießt, vollständig zu
erhalten.«
Und das, wollte ich wissen, galt bei den NS-Mitarbeitern nicht?
Korrekte Antwort: »Dazu kann ich nichts sagen. Das ist zu lange
her.«
Heute wissen wir es von einer Historikerkommission, die zehn
Jahre später eingesetzt wurde, um die Wahrheit über das 1951
wiedererrichtete Auswärtige Amt bis in unsere Tage zu erforschen:
Dort in Bonn gab es nach 1945 mehr NSDAP-Mitglieder als in der Zeit,
da in Berlin Joachim von Ribbentrop noch Außenminister war,
nämlich von 1938 bis 1945 – und auch das wird man wohl noch als
untrügliches Zeichen deuten, wieviel stärker im Auswärtigen Amt
der Widerstand gegen die Nazis unter Hitler war als unter
Adenauer.
Das Amt im Klärwerk
Am Anfang stand sein Wort. Konrad Adenauer sprach ein Gebot des
Sparsinns, das zugleich der Nachhaltigkeit diente: »Man schüttet
kein schmutziges Wasser aus, wenn man kein sauberes hat.«
Der Bundeskanzler meinte damit das Auswärtige Amt aus der
Berliner Wilhelmstraße, das er am 15. März 1951 in Bonn
restaurierte – er übernahm zugleich den Posten des
Außenministers und setzte Herbert Blankenhorn (NSDAP/CDU),
Berufsoffizier und Legationsrat aus dem alten Amt, als seinen
Vertreter in die wiederbegründete Behörde ein.
Schmutzwasser gab es in reicher Fülle, es drängte ins neue
Bonner Becken bis obenhin, so daß nicht für einen Liter sauberes
Wasser Platz blieb.
In der Kloake des neugegründeten AA durfte keiner mitschwimmen,
der auch nur in den Verdacht geriet, nicht dreckig genug zu sein. So
bewarb sich in Bonn SS-Sturmbannführer Erich Kordt, drei Jahre lang
Chef des Ministerbüros von Joachim von Ribbentrop und dann bis 1945
Gesandter Erster Klasse in Tokio und Nanking. Doch er hatte sich von
US-Kollegen in China einen Persilschein ausstellen lassen, daß er
– von Nanking aus – an der Verschwörung des 20. Juli 1944
beteiligt gewesen sei. Als dann Adenauer die Wiedereinberufung Erich
Kordts vorgeschlagen wurde, sagte der deutsche Bundeskanzler
entschieden Nein. Begründung: »Der hat Ribbentrop betrogen und
seine Politik hintertrieben. Was gibt mir die Gewißheit, daß er
mich nicht ebenso behandelt.«
Es durfte nicht ein Liter sauberes Wasser die Bonner Kloake
verunreinigen. Dieser Liter hieß Fritz Kolbe. Der Sohn eines
sozialdemokratischen Handwerkers – Fremdkörper also im AA, wie
schon das alte Auswärtige Amt abgekürzt wurde – arbeitete an der
Verbindungsstelle zwischen der Wilhelmstraße und dem Oberkommando
der Wehrmacht. Er wurde so – wie die Historikerkommission
feststellt – »einer der effektivsten Gegner des NS-Regimes«. Er
lieferte unter dem Decknamen »George Wood« dem damaligen
US-Geheimdienstchef in der Schweiz Allen W. Dulles wichtige
Informationen über Deportationen und die V2 – Geld hat er dafür
nie genommen. Als er nach dem Krieg zurück ins Auswärtige Amt
wollte, stieß er auf eine stählerne Front der Ablehnung.
Die düstere Groteske: Erkundigungen bei dem »Verräter« Erich
Kordt und seinem gleichfalls für Ribbentrop tätigen Bruder Theo
ergaben die Antwort: Im Zusammenhang mit »unseren auf den Sturz des
Hitlerregimes zielenden Bestrebungen« sei der Name Fritz Kolbe nie
gefallen. Und Luitpold Werz, vorher im AA Verbindungsmann zum Chef
der Sicherheitspolizei und des SD, verbreitete, Kolbe versuche sich
als Widerstandskämpfer auszugeben, obwohl er vermutlich ein
bezahlter Spion der Alliierten gewesen sei. Das Werz-Wort hatte
Gewicht, er war inzwischen zur rechten Hand von Bundespräsident
Theodor Heuss geworden. Fritz Kolbe kam nie wieder ins Auswärtige
Amt.
Doch. Sechs Jahrzehnte nach dem Krieg, nachdem der 1971 an
Gallenkrebs Verstorbene schon ein Dritteljahrhundert tot und somit
nicht mehr gefährlich war, wurde 2004 – er schmückte jetzt sehr
– der »Fritz-Kolbe-Saal« im Auswärtigen Amt einigerichtet.
Es war eine Anregung des grünen Außenministers Joseph Fischer.
Und der hatte 2005 auch diese Unabhängige Historikerkommission
berufen, die endlich die Geschichte des Auswärtigen Amtes
erforschen sollte. Das Ergebnis, das schon erwähnte Buch »Das Amt
und die Vergangenheit« wurde am Donnerstag abend von
Exaußenminister Joseph Fischer und seinem Nachfolger Frank-Walter
Steinmeier im richtigen Ambiente, dem Haus der Kulturen der Welt,
vorgestellt.
Die Historikerkommission unter der Leitung des Marburger
Historikers Eckart Conze kommt zu dem Fazit: Das Auswärtige Amt war
nicht das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Es war das Auswärtige
Amt des Dritten Reiches. Das Auswärtige Amt war eine
verbrecherische Organisation. Die Grenzen zur Zentrale des Terrors,
zum Reichssicherheitshauptamt, waren fließend.
Hochburg der Handlanger
Das ist nicht neu. Das bestätigt alte Untersuchungen von
Christopher R. Browning und Hans-Jürgen Döscher, die inzwischen in
mehreren Auflagen erschienen sind, aber bisher noch nicht in die
Öffentlichkeit vordrangen oder gar im Auswärtigen Amt zu
Konsequenzen führten.
Schon vor einem halben Jahrhundert, im März 1952, machte das
CSU-Mitglied Helmut Hammerschmidt, der spätere
Südwestfunkintendant, im Bayerischen Rundfunk eine
Halbstundensendung über das neue Auswärtige Amt. In ihr hieß es:
»Das Auswärtige Amt ist eine Hochburg ehemaliger Handlanger des
Dritten Reiches. Das ist der nüchterne Tatbestand. Wenn man diese
Vorgänge richtig erkennen will, dann muß man sich zunächst einmal
mit der Tätigkeit des alten Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop
beschäftigen. Im Auswärtigen Amt gab es eine besondere Abteilung,
eine Mammut-Abteilung mit Hunderten von Beamten und Angestellten,
die sich Deutschland-Abteilung nannte.«
Hammerschmidt enthüllte schon ein Jahr nach der
AA-Wiedergründung: Das Judenreferat in der Deutschland-Abteilung
des Auswärtigen Amtes hatte regelmäßig den Maßnahmen zur
»Endlösung der Judenfrage«, die ja vor allem ausländische und
staatenlose Juden betraf, zugestimmt. Unterstaatssekretär Luther,
der Leiter der Deutschland-Abteilung, habe an der Wannseekonferenz
teilgenommen, das Protokoll dieser Besprechung sei später auch von
anderen leitenden Beamten des AA zur Kenntnis genommen worden.
Die Sendung ließ keinen Zweifel daran, daß nicht nur die
zuständigen Mitarbeiter der Deutschland-Abteilung an den Verbrechen
des Regimes beteiligt waren. Auch Beamte der politischen Abteilung
und der Rechtsabteilung seien in zahllosen Fällen von
Judentransporten, Geiselerschießungen und anderen
völkerrechtswidrigen Maßnahmen gutachtlich gehört worden. Bei
Maßnahmen gegen ausländische und staatenlose Juden habe das
Reichssicherheitshauptamt das Auswärtige Amt grundsätzlich um
Stellungnahme gebeten. Das Auswärtige Amt habe indes keine Bedenken
geäußert. Hammerschmidt: »Die Kenntnis der Massenmorde war nach
1945 immer bestritten worden. Die Handzeichen der leitenden Beamten
auf den seit Dezember 1941 im AA verbreiteten
Einsatzgruppenberichten bestätigten jedoch die frühzeitige
Kenntnisnahme der Massenexekutionen in den besetzten Gebieten der
UdSSR. Deportation und Ermordung, Einsatzgruppenberichte und
Liquidation waren Bestandteile des Planes zur ›Endlösung der
Judenfrage‹ gewesen. Sie bildeten ein untrennbares Ganzes.«
Bezahltes Subjekt
So Hammerschmidt schon 1952 im Bayerischen Rundfunk. Die Abwehr
der alten AA-Leute funktionierte wie davor und danach.
Hammerschmidt, so ein vertraulicher Hinweis im Auswärtigen Amt, sei
1945 mit der US-Armee nach Stuttgart gekommen, dort eine Zeitlang
leitender Beamter beim Polizeipräsidium gewesen und wegen
krimineller Verfehlungen entlassen worden. Außerdem sei er auch
noch Mitarbeiter des US-Geheimdienstes CIC gewesen. Möglicherweise
handele es sich, meinte das Auswärtige Amt in Bonn, um »ein
Subjekt, das von irgendeinem außerdeutschen Land bezahlt wird und
in politisch interessiertem Auftrag die Rundfunksendung aufgegeben
hat, um die deutsche Außenpolitik zu schädigen.«
Der Gesandte Erster Klasse Werner Schwarz, schon unter Ribbentrop
im Auswärtigen Amt und nun Dirigent der Organisationsabteilung,
wandte sich am 16. April 1952 an die Landespolizeidirektion
Stuttgart mit der Bitte um schnelle Übersendung der Akten des
Hammerschmidt: »Da ein erhebliches dienstliches Interesse an der
Einsicht der Akten vorliegt, darf erforderlichenfalls um eingehende
Nachforschung nach deren Verbleib gebeten werden.«
Das dienstliche Interesse war nicht zielführend. Das Subjekt,
das die Herren des Auswärtigen Amtes zwecks Lösung ihrer
drängenden Probleme gern überführt hätten, hieß Otto
Hammerschmidt — und nicht Helmut wie der Urheber der
Rundfunksendung. Zuvor hatte es schon in der Frankfurter Rundschau
eine Artikelserie von Michael Mansfeld gegeben, die Adenauer im
September 1951 nötigte, den ehemaligen Kölner
Oberlandesgerichtspräsidenten Rudolf Schetter zu beauftragen,
Ermittlungen »in bezug auf diejenigen Beamten und Angestellten des
Auswärtigen Amts anzustellen, gegen deren Verwendung in der
Öffentlichkeit wegen ihrer angeblichen Haltung unter dem
Nationalsozialismus Bedenken erhoben worden sind«.
Schetter funktionierte befriedigend. Sein Abschlußbericht vom
November 1951: »Die durch Presseerzeugnisse verschiedener Art (…)
gegen das Bonner Auswärtige Amt und seine Angehörigen verbreiteten
Beschuldigungen haben sich zum großen Teil als tatsächlich
unrichtig, unvollständig und entstellt erwiesen. Soweit ihnen wahre
Tatsachen zugrunde liegen, sind diese tendenziös aufgemacht, so
daß oftmals ein völlig falsches Bild entstanden ist. Die
Beanstandungen der einzelnen Mitglieder des Amtes haben in der
Mehrzahl der Fälle eine solche Aufklärung erfahren, die Bedenken
gegen eine Wiederverwendung nicht aufkommen läßt, wenn man nicht
schon die Tatsache der nominellen Parteizugehörigkeit als Hindernis
betrachtet.«
Antisemitisch verdächtig
Der frühere Gesandte Kurt Heinburg, der bis 1943 als
Referatsleiter »Südosteuropa« in der Politischen Abteilung des
Auswärtigen Amtes an der »Evakuierung« von Juden in die
Vernichtungslager mitgewirkt hatte und seit 1950 als Referent
ausgerechnet der Personalabteilung des neuen Auswärtigen Amtes
wirkte, erfand eine jüdische schwarze Liste, für die er den
Nürnberger Ankläger Robert M. Kempner verantwortlich machte und
formulierte, was für ungewohnte Dinge neuerdings ein ehrbarer
Diplomat zu berücksichtigen hat: »Es muß damit gerechnet werden,
daß in der Bundesrepublik eine israelitische Abwehrorganisation,
vielleicht mit Herrn Kempner an der Spitze, besteht mit der Aufgabe,
den Antisemitismus in der Bundesrepublik zu beobachten und zu
bekämpfen sowie darauf hinzuarbeiten, daß – vom jüdischen
Standpunkt aus – antisemitisch verdächtige Personen nicht in
maßgebende Stellen hineinkommen bzw. daraus entfernt werden, und
das insbesondere im Auswärtigen Dienst. Antisemitisch verdächtig
sind bei den Juden diejenigen, die der NSDAP und ihren Gliederungen
angehört haben, da sie sich durch ihren Beitritt zu der
antisemitischen Einstellung Hitlers bekannt haben. Verdächtig sind
aber auch die Angehörigen des früheren AA, soweit sie – ob sie
Pg waren oder nicht – von jüdischer Seite irgendwie mit der
Judenverfolgung in der Hitlerzeit in Verbindung gebracht werden.«
Vor seiner Bewährung bei der Deportation der Juden war Heinburgs
Antrag auf Aufnahme in die NSDAP 1940 abgelehnt worden. Begründung:
»Liberalist reinsten Wassers«.
1970, im hundertsten Jahr des Auswärtigen Amtes des ehemals
Deutschen Reiches in der damaligen Bundesrepublik, kündigte
Bundesaußenminister Walter Scheel – selbst Exmitglied der NSDAP
– unter Hinweis auf die »reichen Archive« an: »Eine
wissenschaftliche Geschichte des Auswärtigen Amtes ist in
Vorbereitung und wird uns eines Tages eine gründliche Übersicht
erlauben.«
Diese Untersuchung erschien nicht. Als aber 1987 der unabhängige
Historiker Hans Jürgen Döscher seine schon erwähnte Studie über
»Das Auswärtige Amt in Dritten Reich – Diplomatie im Schatten
der Endlösung« im konservativen Siedler-Verlag veröffentlichte,
da schrien die Diplomaten auf, und der führende Staatsrechtler
Theodor Eschenburg schrieb wohl auch in ihrem Namen in einer
vernichtenden Kritik für die Zeit: »Döschers Fehler, der in
diesem Buch deutlich wird, ist, daß der Autor, wie manch andere
vierzig Jahre nach dem Ende der braunen Diktatur, trotz reichen
Materials die Verhaltensweise in einer totalitären Diktatur nach
rechtsstaatlichen und demokratischen Begriffen mißt.«
Eschenburg bestätigte Döscher, er könne als junger Historiker
»aus eigenem Erleben das damalige ›Ambiente‹ nicht kennen«.
Natürlich nicht – Döscher war im Gegensatz zu Eschenburg nicht
in der SS, sondern hatte auf dessen Mitgliedsnummer 156004
hingewiesen.
Als der Emigrant Willy Brand in der ersten großen Koalition
Außenminister wurde, änderte sich schon gar nichts –
schließlich war er Vize von Kanzler Kiesinger, der sich zuvor als
wandernder Vermittlungsausschuß zwischen Ribbentrops Auswärtigen
Amt und Goebbels’ Propagandaministerium bewährte.
Der charismatische Sozialdemokrat, der dann als Kanzler für
linke Lehrer das – wie er später selbst bereute – Berufsverbot
bereithielt, gewährte als Außenminister den Nazimördern in seinem
Amt Rechtsschutz bis hin zur Rechtsbeugung: Seinen Parteifreund, den
nordrhein-westfälischen Josef Neuberger, versuchte Brandt zu
veranlassen, von seinem Weisungsrecht gegen die Bonner
Staatsanwaltschaft Gebrauch zu machen. Denn sie ermittelte gegen den
Lissabonner Botschafter Herbert Müller wegen Mord an Juden,
veranlaßt in der Abteilung D III des Auswärtigen Amtes. Der
Altnazi, der zur besseren Unkenntlichkeit seinen Namen nach 1945 auf
Müller-Roschach erweitert hatte, mußte schließlich trotz aller
Schutzbemühungen Brandts in den Ruhestand versetzt werden. Und
Brandt erlitt ausgerechnet von Heinrich Lübkes Bundespräsidialamt
– völlig zu Recht – diese Demütigung: der Bundespräsident
sehe sich leider nicht in der Lage einem unter Mordverdacht
stehenden Beamten den »Dank für die dem Deutschen Volk geleisteten
treuen Dienste« auszusprechen. So sah sich das Auswärtige Amt
gezwungen, diese Dankesformel aus der Entlassungsurkunde zu
entfernen.
Sicherheit für Nazimörder nicht nur im eigenen Haus – dafür
gab es im Auswärtigen Amt die ZRS, die Zentrale Rechtsschutzstelle,
die eng mit dem Deutschen Roten Kreuz und dem »Warndienst West« in
Österreich gegen die »Siegerjustiz« zusammenarbeitete. So
verfügte das AA über eine Liste von rund 800 ehemals in Frankreich
tätigen SS- und SD-Männern, die in Zusammenarbeit mit dem DRK
gewarnt wurden, dort einzureisen.
Aufstand der Mumien
Am Mittwoch wollte der Deutschlandfunk von Joseph Fischer wissen:
»Haben Sie sich gefragt, was haben eigentlich meine Vorgänger in
dem Amt gemacht? Was hat eigentlich zum Beispiel jemand gemacht wie
Willy Brandt? Auch ein Hans-Dietrich Genscher, ein Klaus Kinkel
hatte keine Historiker-Kommission eingesetzt. Was sagt Ihnen das?«
Fischer: »Ich hätte auch keine eingesetzt, weil mir das
Bewußtsein von der Notwendigkeit fehlte.«
Richtig, der Aufstand der Mumien, den Außenminister Fischer mit
seinem Gebot auslöste, alte Nazis nicht mehr mit ehrenden Nachrufen
zu würdigen, hatte ihn völlig überrascht: »Ich hatte mit Kosovo
zu tun, mit dem 11. September. Also das letzte, was ich sozusagen
beim Amtsantritt gedacht habe, daß es noch nötig gewesen wäre, da
eine Historiker-Kommission einzurichten. Deswegen war ich ja so
baff.«
Die AA-Hintertreppe
Und er wurde noch baffer, als er einmal völlig absichtslos auf
die Hintertreppe seines Arbeitsplatzes geriet. Im Interview mit
FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der gleich ihm überrascht und
entsetzt war über das, was die Historikerkommission herausgefunden
hatte, erzählte der ehemalige Außenminister:
»Ich bin durch Zufall mal, weil irgendeine Veranstaltung im
Weltsaal des AA stattgefunden hatte, rechts über die Hintertreppe
auf den Weg zu meinem Büro ausgewichen. Der Weg führte mich durch
die Protokollabteilung, und da hängen dann diese ganzen
Protokollchefs. Ich denke: Das ist aber eine lange Reihe. Ich bleib
stehen, studiere die Bilder mal näher – und da hing er!
Ribbentrops Protokollchef. Ich habe mich damals ziemlich aufgeregt!
Wo waren wir hier eigentlich? In meiner poltrigen Art habe ich
gesagt, ich bin gerne bereit, auch alle Außenminister seit Bismarck
aufzuhängen, allerdings nur unter der Bedingung, daß Ribbentrop am
Strang dann da hängt.«
Eine gute Idee. Bleibt allerdings die Frage, wie der
Außenminister hängen soll, der »mit dem Kosovo zu tun« hatte,
der dort weitergemacht hat, wo Ribbentrop 1945 aufhören mußte.
1941 ließ Hitler im Einvernehmen mit seinem Außenminister ohne
Kriegserklärung Belgrad bombardieren – Jugoslawien mußte
vernichtet werden. 1999 ließ Gerhard Schröder zusammen mit Joseph
Fischer und der NATO ohne Kriegserklärung Belgrad bombardieren. Das
wurde der Gründungsmythos der Berliner Republik. Deutschland ist
wieder erwachsen, Deutschland führt wieder Krieg.
Jugoslawien gibt es nicht mehr, auch der BND mit seinen SS- und
SD-Leuten aus dem Reichssicherheitshauptamt hat daran seit
Jahrzehnten zäh und geduldig mit Terroristen und Waffenlieferungen
gearbeitet. Fischer hat mitgemacht. »Nie wieder Auschwitz«,
brüllte er und ließ Bomben auf Zivilisten werfen. Es hat ihn nicht
sonderlich bewegt, es gab Wichtigeres. Beispielsweise am 26. Mai
1999. Telefonkonferenz der fünf Außenminister der gegen
Jugoslawien kriegführenden Staaten. Sie beraten die weitere
Strategie. Plötzlich aus der deutschen Leitung ein wildes
Aufstöhnen. Madeleine Albright ruft besorgt über den Atlantik
durchs Telefon: »Joschka, what’s happening? Are you alright?«
Es ist ein schlimmer Schlag, den Joseph Fischer gerade hat
einstecken müssen. Doch der Außenminister der Bundesrepublik
Deutschland läßt sich gegenüber seiner US-Kollegin nichts
anmerken, sagt, alles sei »alright«, und kann sich, wie er in
seinen Memoiren (Joschka Fischer: Die rotgrünen Jahre. Deutsche
Außenpolitik vom Kosovo bis zum 11. September. Köln 2007, S. 167f)
auch bekennt, »fortan wieder voll und ganz auf die Telefonkonferenz
konzentrieren«.
Was Joseph Fischer inmitten der Bilanz-Konferenz mit den anderen
Außenministern trifft wie ein brutaler Luftschlag, was ihn derart
aufstöhnen läßt, daß sogar Madeleine Albrights Mitgefühl
alarmiert wird, das geschieht, als die anderen vier gerade »einen
möglichen Einsatz von Bodentruppen« erörtern. Dabei will sich der
deutsche Außenminister jedoch nicht aus dem wirklich wichtigen
Weltgeschehen ausklinken.
Und so passiert die Katastrophe auf dem Bildschirm des
Fernsehers, den der deutsche Außenminister während der
Verhandlungen mit seinen Kollegen stumm weiterlaufen läßt. Joseph
Fischer: »Im Spiel in Barcelona war man inzwischen in der
Nachspielzeit angekommen, und die Bayern sahen bereits wie stolze
Champions-League-Sieger aus, als es in der 91. Minute im Tor der
Münchner ganz fürchterlich einschlug. Innerhalb einer weiteren
Minute fing sich FC Bayern ein zweites Tor ein, und es war vorbei.
2:1 für Manchester United, Abpfiff, Jubel und bodenlose
Enttäuschung. So ist eben Fußball. Als das Ausgleichstor fiel,
konnte ich einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken. Darauf
herrschte für einige Sekunden völlige Stille. Dann ertönte die
sorgenvolle Stimme von Madeleine Albright.«
Die Telefonkonferenz der fünf Außenminister erwies sich, trotz
des versauten »fußballerischen Leckerbissens«, schließlich doch
als großer Erfolg: Vier Tage nach der Niederlage des Fußballclubs
Bayern gelingt Joseph Fischer, der gegen den »Hitler« Milosevic in
den Krieg gezogen ist, zusammen mit seinen Kollegen ein stolzer
Sieg: Die Bomben der Humanitas vernichten die Brücke von Varvarin
und mit ihr zehn Feinde – darunter ein vierzehnjähriges Mädchen
–, die sich als Zivilisten tarnten.
Joseph Fischer, der ehemalige Außenminister, hängt längst im
Auswärtigen Amt. Ob er aber richtig hängt, das ist die Frage.
Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann: Das
Amt und die Vergangenheit - Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und
in der Bundesrepublik. Blessing Verlag, München 2010, 880 Seiten,
34,95 Euro
Aus junge
Welt vom 30.10.2010
Siehe auch:
Der Fall Achenbach - Fast 100%
Kontinuität
Ernst
Achenbach tat sich besonders als Geschäftsführer der
Adolf-Hitler-Spende bei der Sammlung von Industriespenden hervor und
war im besetzten Frankreich mitverantwortlich für die Deportation
von 73.000 Juden.
Trotz schwerer Vorwürfe konnte Achenbach
seine in der Nazi-Zeit begonnene Karriere in der Bundesrepublik
Deutschland als hoher FDP-Funktionär fortsetzen [...]
(808 kB, )
60
Jahre Landtag in Nordrhein-Westfalen
Das vergessene braune Erbe
Zum 60. Jahrestag des nordrhein-westfälischen
Landtages hat die Partei DieLinke die braunen Schatten der CDU und
FDP in NRW untersucht. Diese interessante Broschüre stellen wir
hier als Download
(1,8 MB, )
zur Verfügung.
im Bereich Broschüren.
Außerdem:
Nazis und »Nationale Sammlung«: »Pflicht nach rechts«
Die FDP in den fünfziger Jahren
http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/59/44.php
DER SPIEGEL 31/1974
Er war es, der den Ton angab
Neue Dokumente zum Fall Achenbach
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41726589.html
DER SPIEGEL 29/1974
Ach, ach, der Achenbach ...
SPIEGEL-Reporter Gerhard Mauz zum Kölner Urteil über Beate
Klarsfeld
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41700582.html
DER SPIEGEL 27/1974
Verfolgen - für ein besseres Deutschland?
SPIEGEL-Reporter Gerhard Mauz im Prozeß gegen Beate Klarsfeld in
Köln
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41696655.html
DER SPIEGEL 17/1970
ACHENBACH
Unrecht geschehen
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44944141.html
DER SPIEGEL 52/1959
GENERAL-AMNESTIE
Großmutters Grundsätze
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42623608.html
Der Auswärtige Ausschuss des Deutschen Bundestages.
Sitzungsprotokolle 1972–1976.
Bearbeitet von Joachim Wintzer und Wolfgang Hölscher,
Düsseldorf 2010
(Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen
Parteien, Vierte Reihe, Bd. 13/VII)
CLII, 2036 Seiten mit Abb. und CD-ROM (Volltext), 190,00 €. ISBN
978-3-7700-5301-8
http://www.kgparl.de/info-10-08-30.html
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