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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

03.06.2010

Der Mann, der für Hitler das Geld sammelte – und später der FDP vorstand

Es wird beantragt: „An der Geschäftsstelle der FDP in der Seidlstr. in Essen wird eine Mahntafel angebracht mit einem Text, der darauf hinweist, dass in der Nachkriegs-FDP in Essen Dr. Ernst Achenbach eine bedeutende Rolle als Parteivorsitzender, als Bundestags- und Landtagsabgeordneter gespielt hat.“ So beginnt ein Brief der VVN-BdA-NRW an den Rat der Stadt Essen.

Bei Ernst Aachenbach handelte es sich um den Geschäftsführer der „Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft“ und Mitwirkenden an der Deportation französischer Juden in die Vernichtungslager der Nazis. In der FDP wirkte er dafür, dass in ihr führende Nazis mitwirken durften und dass die NS-Verbrecher straffrei blieben. Die Tafel soll auf die verhängnisvolle Rolle von Wirtschaftskreisen in der NS-Zeit hinweisen. „Sie soll der Mahnung dienen, solche Verbrechen nie wieder zuzulassen,“ heißt es in dem Brief. Mit dem Antrag setzt die VVN-BdA ihre Spurensuch-Aktion „Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“ fort, in deren Rahmen örtliche Aufklärungsaktionen stattfinden.

Mehr über den Fall Achenbach:

Der Fall Achenbach

100 Prozent Kontinuität

Unsere heutigen Neonazis sind genau so wenig aus dem Nichts entstanden, wie seinerzeit die braune Brut Hitlers. Sie haben ihre Vorgeschichte. "100 Prozent Kontinuität", so beschreibt ein "Spiegel"-Artikel vom 23.05.2005 die Situation im Innenministerium. Der damalige Minister Otto Schily weigerte sich, die Vergangenheit seines Hauses aufarbeiten zu lassen. Der Polizeiapparat, in dem zahlreiche Nazis untergekommen waren, wurde niemals ausgemistet. Der Spiegel schrieb:

"Nach dem Krieg war der Bundesrepublik jeder Experte recht", sagt der Freiburger Historiker Wagner. Unbelastete Sicherheitsleute gab es kaum. Im Kampf gegen den Kommunismus nach außen und innen galten auch Erfahrungen, die im NS-Polizeiapparat gesammelt wurden, als Qualifikationsausweis.

Frühere NS-Sicherheitsexperten wiederum drängten in Polizei und Geheimdienst zurück. Im Behördenapparat des Innenministeriums glaubten sie mit ihrer im autoritären Staat geprägten Mentalität noch am ehesten heimisch zu werden.

Die Weigerung Schilys, die Geschichte des Ministeriums und des Sicherheitsapparates beleuchten zu lassen, stößt vor allem in der Historikerzunft auf Unverständnis. Der renommierte Geschichtswissenschaftler Hans-Ulrich Wehler hält es für ein "Sauberkeitsgebot, die NS-Vergangenheit bundesdeutscher Beamter genauer zu untersuchen". [Ralf Neukirch, René Pfister, Spiegel 21/2005]

So war die Situation in der Bundesrepublik, als die zaghaft angelaufene Entnazifizierung eingestellt wurde. Im Kalten Krieg war jeder erfahrene Nazi willkommen. Antikommunismus und Feindbild Sowjetunion gingen aus der Nazi-Ideologie nahtlos in das neue Feindbild der Bundesrepublik über.

Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen war der Fall Achenbach, der als Schlüsselfigur im berüchtigten Naumann-Kreis, sich stark genug fühlte eine Verschwörung zur nazistischen Umgestaltung der Bundesrepublik anzuzetteln.

Wer war Achenbach?

Die Webseite des NRW-Landtages für ehemalige Abgeordnete gibt eine Kurzbiographie von Achenbach:

Geboren am 9. April 1909 in Siegen. Verstorben am 2. Dezember 1991.

1927 Reifeprüfung an der Oberrealschule in Gelsenkirchen; Studium der Rechtswissenschaft in Paris, Berlin, Hamburg und Bonn; 1931 1. juristische Staatsprüfung; 1932 Promotion zum Dr. jur.; 1936 2. juristische Staatsprüfung. Von 1936 bis 1944 Beamter im Auswärtigen Dienst in der Berliner Zentrale. 1940 bis 1943 als Leiter der Politischen Abteilung der deutschen Botschaft im besetzten Paris tätig. Im Oktober 1944 als Gesandtschaftsrat in den Ruhestand versetzt. 1944 bis 1945 Soldat der Wehrmacht; Ende 1945 Flucht aus der Gefangenschaft im Osten. Ab 1946 Rechtsanwalt in Essen.

22.4.1955 bis 20.1.1958 Stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion. Mitglied des Bundestages 1957 bis 1976, dort 1971 bis 1972 Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP. Mitglied des Europäischen Parlaments 1964 bis 1977, dort 1969 bis 1974 Vorsitzender des Ausschusses für die Beziehungen zu den afrikanischen Ländern und Madagaskar und 1974 bis 1976 Vorsitzender des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit. [http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_I/I.1/Abgeordnete/Ehemalige_Abgeordnete/details.jsp?k=00208]

Seine Aktivitäten als Nazi werden wohlwissentlich verschwiegen. Deutlicher wird Wikipedia:

Nach dem Examen war er zunächst als Geschäftsführer der Stiftung Adolf-Hitler-Spende mit der Sammlung von Industriespenden für die NSDAP beschäftigt. [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Achenbach]

Briefe von Krupp-Bohlen und Halbach sowie von Dr. Achenbach: Die Wirtschaft spendete für Hitler und erntete reichlich dafür.Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft

Die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft war eine am 1. Juni 1933 eingerichtete Spende von der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und dem Reichsverband der Deutschen Industrie zugunsten der NSDAP. […]

Angeregt wurde diese Spendenaktion für die NS-Bewegung von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und Martin Bormann. Krupp führte das dazu installierte Kuratorium. Zu den Mitbegründern der Kooperative "auf Gegenseitigkeit" (bpb) gehörte der Ex-Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht.[…]

Die abzuführende Spende wurde nach der Gesamtlohn- und -gehaltssumme berechnet. Damit wurden also die Lohnnebenkosten der Firmen erhöht. Die prozentuale Belastung schwankte zw. 1% und 3,5% der gesamten Lohnkosten eines Betriebes. Bis 1945 kamen so 700 Millionen Reichsmark an Spenden zusammen. [http://de.wikipedia.org/wiki/Adolf-Hitler-Spende_der_deutschen_Wirtschaft]

Krupp, IG-Farben, Flick, Thyssen und andere zahlten über die "Adolf-Hitler-Spende" der Nazipartei von 1933 bis 1945 jährlich über 60 Millionen RM. Allein die Dresdner Bank zahlte im Jahre 1934 120000 RM. [http://www.braunbuch.de/1-01.shtml#i01]

Außer den Zahlungen für die "Hitler-Spende" machten die Rüstungsmonopole große finanzielle Zuwendungen an die SS und andere Organe des nazistischen Terrorapparates.

Zu den eifrigsten Geldgebern und Förderern der Nazi-Partei zählte Friedrich Flick. Neben ständigen Zahlungen an den sogenannten Freundeskreis Himmler - sie machten jährlich über 100000 RM aus - zahlte Flick große Summen zur "Hitler-Spende" sowie an die örtlichen Stellen der Nazi-Partei. So überwies z. B. das zu seinem Konzern gehörende Stahlwerk Riesa in der Zeit vom 24. Februar 1933 bis Ende 1934 über 34000 RM an örtliche SA- und SS-Verbände. Nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens am 30. September 1938 sicherte der Vorstandsvorsitzende der IG-Farben, Hermann Schmitz, Hitler weitgehende finanzielle Unterstützungen zu:

"Unter dem Eindruck der von Ihnen, mein Führer, erreichten Heimkehr Sudetendeutschlands ins Reich, stellt Ihnen die IG-Farbenindustrie Aktiengesellschaft zur Verwendung für das sudetendeutsche Gebiet einen Betrag von einer halben Million Reichsmark zur Verfügung." (Nürnberger Prozeß, Fall VI, Prozeß gegen Carl Krauch und andere Vertreter des IG-Farben-Konzerns, Dok. NI 2795, im folgenden NG, IG-Farben-Prozeß)

Insgesamt stellte der IG-Farben-Konzern (ohne Tochtergesellschaften) der Hitlerclique in den Jahren von 1933 bis 1945 über 84 Millionen RM zur Verfügung. [http://www.braunbuch.de/1-01.shtml#i01]

Achenbachs diplomatische Nazi-Kariere

Die Kurzbiographie des Landtages verschweigt auch höflich die Aktivitäten Achenbachs im auswärtigen Dienst im besetzten Frankreich. Botschafter Otto Abetz, SD-Befehlshaber Kurt Lischka und Botschaftsrat Ernst Achenbach waren mitverantwortlich für die Deportation von ca. 73000 Juden nach Auschwitz. [http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Lischka]

Achenbach trat 1937 in den Auswärtigen Dienst ein und war 1939 Attaché in der Deutschen Botschaft in Paris. Während der deutschen Besatzungszeit in Frankreich (1940 -1944) war er von Juni 1940 bis Mai 1943 (erst im Range eines Botschaftsrates und später in dem eines Gesandtschaftsrates) als Leiter der Politischen Abteilung der Botschaft ein enger Mitarbeiter des deutschen Botschafters Otto Abetz. Im Rahmen dieser Tätigkeit war Achenbach auch für die Durchführung der Judendeportationen mitverantwortlich. 1944/45 war er Soldat. Nach dem Kriegsende versuchte er gegenüber den amerikanischen Ermittlern die deutsche Botschaft in Frankreich als Hort der Verschwörung gegen Hitler darzustellen und behauptete von Judendeportationen, Geiselerschießungen u.ä. nichts gewusst zu haben. [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Achenbach]

Verteidiger im I.G.-Farben-Prozess

Die Absicht der belasteten Nazis, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, war schon sehr frühzeitig vorhanden, nicht etwa weil die Bundesrepublik zu dem Zeitpunkt schon genug Vergangenheit bewältigt hätte, sondern weil man sie erst gar nicht aufkommen lassen wollte. Die Erfahrungen der Nazis im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion waren wieder gefragt.

Seit 1946 arbeitete Achenbach als Rechtsanwalt in Essen und war 1947/48 als Verteidiger im I.G.-Farben-Prozess tätig. Gemeinsam mit dem ehemaligen Chef-Ideologen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Werner Best gehörte er Anfang der 1950er Jahre zu jenen, die eine Generalamnestie für Kriegsgefangene durchsetzen wollten. [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Achenbach]

In der FDP für das Einwerben von Industriespenden zuständig

Die sehr oberflächlich angelegte Entnazifizierung in den Westzonen gestattete belasteten Nazis wie Naumann und Achenbach durch die weiten Maschen der Erfassung zu schlüpfen. Überprüft wurden im Wesentlichen Bewerber oder Beamte und Angestellte in höheren Positionen.

Achenbach war nach dem Krieg in die Freie Demokratische Partei eingetreten, deren außenpolitischer Sprecher er bis April 1953 war. Innerhalb der nordrhein-westfälischen FDP galt er als rechte Hand des Landesvorsitzenden Friedrich Middelhauve und war für das Einwerben von Industriespenden zuständig. Dabei halfen ihm seine Kontakte aus der Zeit als Geschäftsführer der Stiftung Adolf-Hitler-Spende. So sorgte er dafür, dass Hugo Stinnes der NRW-FDP den Mitarbeiter Heinz Wilke, einen ehemaligen hauptamtlichen HJ-Führer, finanzierte, dessen Aufgabe die Auswahl der sogenannten Außengeschäftsführer auf Kreis- und Bezirksebene war. Dies führte dazu, dass fast alle dieser Stellen mit ehemaligen Nationalsozialisten besetzt wurden. Achenbach wählte auch Middelhauves persönlichen Referenten Wolfgang Diewerge, u.a. Träger des goldenen NSDAP-Parteiabzeichens und des "Blutordens", aus. [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Achenbach]

Achenbach gelang es - trotz seiner Vergangenheit - bis in die 1970er Jahre hinein seine Karriere als Anwalt und FDP-Politiker unbehelligt fortzuführen. Erst 1974 wurden von Beate Klarsfeld, die gemeinsam mit ihrem Mann Serge Klarsfeld Achenbachs Verstrickung in den Holocaust aufgedeckt hatte, vehemente Rücktrittsforderungen laut. [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Achenbach]

Generalamnestie für alle Kriegsverbrecher

Eine Auseinandersetzung mit den Ursachen und Folgen von Faschismus und Krieg stand der geplanten Wiederaufrüstung und dem Kalten Krieg im Wege. In Übereinstimmung mit der Schlussstrich-Vorstellung ging das Bestreben, die Nazis zu rehabilitieren und wieder salonfähig zu machen. Achenbachs Kanzlei in Essen galt als "Anlaufstelle für zahlreiche ehemalige NS-Funktionäre aus Polizei, Justiz und Verwaltung". Werner Best war Kanzleichef. Insgesamt kam etwa ein Drittel der ehemaligen Gestapo-Chefs wieder zu leitenden Stellungen.

"Best argumentierte mit der Figur der ‚politischen Straftat', die er dem gemeinen, aus privaten Motiven und zum eigenen Vorteil begangenen Verbrechen gegenüberstellte. In der Absicht, dieser scheinbar so zwingenden Unterscheidung zur Anerkennung zu verhelfen, mobilisierte Achenbach - mit Industriegeldern im Rücken und sicher auch durch die eigene Mitverantwortung für die Judendeportation in Frankreich motiviert - alle politischen und juristischen Mittel, die ihm in seiner Eigenschaft als Anwalt, Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses der FDP zur Verfügung standen.". [http://www.aleph99.org/etusci/ks/t3a3.htm]

1952 24. Februar Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der FDP, Ernst Achenbach, bildet einen Ausschuss, der sich die Herbeiführung einer Generalamnestie für alle noch inhaftierten deutschen Kriegsverbrecher zum Ziel gesetzt hat. Die Initiative veröffentlicht einen von Josef Hermann Dufhues, Friedrich Middelhauve u.a. unterzeichneten Aufruf. der eine Generalamnestie als Gebot politischer Vernunft bezeichnet, die zugleich die Chance biete, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Eine ähnliche Gruppe hat sich aus Bundestagsabgeordneten der Koalitionsparteien gebildet. Sie wird von dem FDP-Abgeordneten Erich Mende angeführt und tritt ebenfalls für die Freilassung deutscher Kriegsverbrecher ein. [Wolfgang Kraushaar: "Die Protestchronik", Seite 563]

Seine Tätigkeit im Bundestag stand ebenfalls im Zeichen der Generalamnestie für alle Kriegsverbrecher.

Achenbach war als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag zuständig für den deutsch-französischen Überleitungsvertrag (unterzeichnet 1971), dessen Ratifizierung er bis 1974 erfolgreich verhinderte. Dieser Vertrag sollte es möglich machen, jenen deutschen NS-Verbrechern den Prozess zu machen, die bereits in Frankreich in Abwesenheit verurteilt worden waren. Es kam zu einem regelrechten Skandal und Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte der französischen Regierung schließlich eine umgehende Ratifizierung des Vertrags zu. Trotz Achenbachs Blockadeversuchen konnten 1979 in Köln drei zentrale Akteure der Judenverfolgung in Frankreich, nämlich Kurt Lischka, Ernst Heinrichsohn und Herbert M. Hagen, vor Gericht gestellt werden. [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Achenbach]

Schlüsselfigur im Naumann-Kreis

Schlussstrich und Generalamnestie dienten keinesfalls allein der Wiedereingliederung belasteter Nazis in das private Leben, sie waren Voraussetzung für weitere verschwörerische Tätigkeiten gegen die Demokratie. Bereits sechs Jahre nach dem Krieg trafen sich etliche Nazis um Goebbels Staatssekretär Werner Nauman (Naumann-Kreis) zu einem Geheimtreffen mit dem Ziel der Bildung einer neuen Nazipartei. Auch Ernst Achenbach gehörte dazu. Da auch Ministerialbeamte an der Sitzung teilnahmen, kann man davon ausgehen, dass das Treffen mit Wissen der Bundesregierung stattfand.

1951 17./18. September In der Privatwohnung des Textilfabrikanten und Besitzers der FDP-Wochenzeitung "Der Fortschritt", Gert Spindler, in Altenberg (bei Leverkusen) kommt es zu einer streng vertraulich organisierten Zusammenkunft des inneren Zirkels um den früheren Staatssekretär im Reichspropagandaministerium, Werner Naumann. Die Teilnehmer des geheimen Treffens, das dem Aufbau einer rechtsgerichteten Organisation dienen soll und zu dem der ehemalige SA-Obersturmbannführer Werner Trumpf eingeladen hat, sind: die ehemaligen Wehrmachtsgeneräle Hasso von Manteuffel, Walther Wenck und Gottfried Griesmayr, die beiden nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten der FDP, Ernst Achenbach und Gustav Scheel, der Generalsekretär der Bundesregierung geförderten Gesellschaft für Wehrkunde (GfW), Professor Wilhelm Classen, einst SS-Obersturmbannführer, der Redakteur des "Fortschritts", Erich Schneyder, der nordrhein-westfälische FDP-Politiker Siegfried Zoglmann, einst "Auslandspresse-Sachverständiger" in der NS-Reichsjugendführung und HJ-Gebietsführer, der Rundfunkkommentator und FDP-Vertrauensmann beim NWDR, August Hoppe, die ehemaligen Nazi-Botschafter Herbert von Dirksen und Rudolf Rahn, Alfred Gille und Walter Eckhart vom BHE, Karl Ehrich von der Deutschen Partei (DP), Fritz Brehm von der Deutschen Union (DU), einst SS-Brigadeführer, drei Ministerialbeamte der Bundesregierung aus dem ERP-Ministerium, dem Innenministerium und dem Wirtschaftsministerium sowie die beiden Journalisten Hans Zehrer ("Sonntagsblatt"), und Klaus Mehnert ("Christ und Welt").

[Wolfgang Kraushaar: "Die Protestchronik", Seite 486]

Zum Netzwerk um Naumann zählten zahlreiche ehemaligen NS-Funktionäre, wie der ehemalige Leiter der Rundfunkabteilung im Reichspropagandaministerium, Hans Fritzsche, der frühere Leiter des Referats Antikomintern, Eberhard Taubert, der SS-Oberstgruppenführer Paul Hausser, der ehemalige HJ-Gebietsführer Horst Huisgen, zeitweilig Landesgeschäftsführer der FDP, der ehemalige Referatsleiter Rundfunk im Propagandaministerium, Wolfgang Diewerge, sowie Ernst Achenbach, der als Attaché der Botschaft in Paris in die Durchführung der Judendeportationen verstrickt war.

[http://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Naumann_(NSDAP)]

Mit 200 Nazis den Landesverband der FDP "erben"

Achenbach, Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses der FDP, war wichtigster Verbindungsmann zu den EX-Gauleitern und anderen Nazis um Werner Naumann.

Achenbach hatte von sich aus den Kontakt zu Naumann aufgenommen und diesen aufgefordert, mit anderen Gesinnungsgenossen in die FDP einzutreten. Im Tagebuch des verhafteten Naumann fand sich unter anderem folgende Notiz über ein Gespräch mit Achenbach:

"Daß Adenauer im Augenblick nicht die schlechteste Lösung für uns ist, findet natürlich meine Zustimmung. Ein Volk in dieser Lage, ohne nationale Souveränität, von Hohen Kommissaren regiert, braucht Stresemänner. Um den Nationalsozialisten unter diesen Umständen trotzdem einen Einfluß auf das politische Geschehen zu ermöglichen, sollen sie in die FDP eintreten, sie unterwandern und ihre Führung in die Hand nehmen. An Einzelbeispielen erläuterte er, wie leicht das zu machen wäre. Mit nur 200 Mitgliedern können wir den ganzen Landesvorstand erben. Mich will er als Generalsekretär oder ähnliches engagieren!! Es ist ihm so ernst um sein Angebot, daß er zum Schluß bedeutet: entweder wir nehmen an und unterstützen ihn, oder er zieht sich aus der Politik zurück."

Achenbach mußte die sachliche Richtigkeit der Aufzeichnungen Naumanns weitgehend zugeben. Er bestritt jedoch, die Nazis zur Unterwanderung der Partei eingeladen zu haben. Allenfalls habe er vielleicht gesagt: "Wer anständig ist, kann bei uns etwas werden wie jeder andere." [http://www.udo-leuschner.de/liberalismus/fdp2.htm]

Britische Besatzungsmacht verhaftet die Verschwörer

1953 14./15.Januar Auf Anordnung des britischen Hohen Kommissars Sir Ivone Kirkpatrick werden nachts sieben ehemals führende Nationalsozialisten in Düsseldorf, Hamburg und Solingen unter dem Verdacht verhaftet, eine Verschwörung zur Machtergreifung in der Bundesrepublik organisiert zu haben. In dem von den britischen Behörden nach Abschluss der Verhaftungsaktion veröffentlichten Kommuniqué heißt es: "Es ist den britischen Behörden seit einiger Zeit bekannt, dass sich eine Gruppe ehemaliger führender Nazis mit Plänen zur Wiederergreifung der Macht in Westdeutschland befasste. Auf dem Gebiet der Außenpolitik war das Hauptziel dieser Gruppe die Verbreitung antiwestlicher Anschauungen und Richtlinien. Die Tätigkeit der Gruppe wurde von Zellen in der britischen Zone geleitet ... Bei den Verhafteten handelt es sich um Dr. Werner Naumann, ehemals Staatssekretär im Reichspropagandaministerium, Dr. Gustav Scheel, ehemaliger Reichsstudentenführer und späterer Gauleiter von Salzburg, den früheren SS-Brigadeführer Paul Zimmermann, den ehemaligen Ortsgruppenleiter der NSDAP in Solingen, Heinz Siepen, den früheren Mitarbeiter der Rundfunkabteilung des Reichspropagandaministeriums Dr. Karl Scharping und den Teilnehmer am Marsch auf die Feldherrnhalle im November 1923, Dr. Heinrich Haselmayer" Nachträglich wird außerdem die Verhaftung des ehemaligen Gauleiters von Hamburg, Karl Kaufmann, bekanntgegeben. [Wolfgang Kraushaar: "Die Protestchronik", Seite 725]

Überraschung, aber keine Empörung über die Dreistigkeit der Alt-Nazis, die Bundesrepublik umzukrempeln, zeigte das Parlament und die Bundesregierung. Wer so stark von der Grundtorheit des Antikommunismus (Thomas Mann) befallen ist, dessen Immunsystem ist gegen rechte Gefahren beschädigt. Selbst der Sozialdemokrat Carlo Schmid, einer der Väter des Grundgesetzes, der 1948 vor dem Missbrauch der Verfassung warnte, "dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzung für ihre Beseitigung schafft," war nicht etwa entrüstet über die Machenschaften der Nazis, sondern über die Reaktion der britischen Besatzungsmacht.

Unter bundesdeutschen Politikern stößt das Vorgehen der britischen Behörden auf erbitterte Ablehnung. Während der DP-Vorsitzende Heinrich Hellwege erklärt, dass nur das deutsche Volk selbst darüber befinden könne, ob es neofaschistisch unterwandert sei, verurteilt der SPD-Bundestagsabgeordnete Carlo Schmid die Verhaftungsaktion als demokratiefeindlich. In einer Sendung des Bayerischen Rundfunks erklärt er, es könne nicht die Aufgabe einer Besatzungsmacht sein, darüber zu entscheiden, wer sich in Deutschland politisch betätigen dürfe. [Wolfgang Kraushaar: "Die Protestchronik", Seite 725]

Die Briten sind nicht von einer gefestigten Demokratie in der BRD überzeugt.

Im britischen Unterhaus in London kommt es am 28. Januar zu einer eigenen Debatte über die Verhaftung der Naumann-Gruppe. Dabei rechtfertigt Außenminister Anthony Eden ausdrücklich das Vorgehen der britischen Behörden. Die Verhafteten hätten es als ihre "Mission" betrachtet, eine auf der nationalsozialistischen Ideologie basierende Massenbewegung ins Leben zu rufen, um der parlamentarischen Demokratie ein Ende zu bereiten. [Wolfgang Kraushaar: "Die Protestchronik", Seite 725]

Aber in der BRD wird die neonazistische Gefahr herunter gespielt.

Der hessische FDP-Landesvorsitzende August Martin Euler erklärt dazu, dass Stalin mit der "in London betriebenen Kampagne" höchst zufrieden sein könne. Es gebe keinerlei konkrete Angaben, mit der die Rede von einer neonazistischen Gefahr zu rechtfertigen sei. [Wolfgang Kraushaar: "Die Protestchronik", Seite 725]

Naumanns Tagebuch belastet die FDP-Spitze.

Aus der Auswertung eines bei Naumann, dem führenden Kopf der Gruppe, der in Hitlers Testament als Reichspropagandaminister vorgesehen worden war, aufgefundenen Tagebuchs lässt sich ein Kontaktnetz rekonstruieren, das bis in die Führungsspitze der nordrhein-westfälischen FDP reicht und deutlich macht, dass die Absichten zu einer Machtergreifung sich offensichtlich zunächst auf dieses Bundesland konzentrierten. Besonders belastend sind die gewonnenen Informationen für den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP, den Verleger Friedrich Middelhauve, und dessen Assistenten Wolfgang Diewerge, einst SS-Standartenführer und Rundfunkchef im Reichspropagandaministerium. [Wolfgang Kraushaar: "Die Protestchronik", Seite 725]

Der Kontaktring in der FDP reicht noch weiter.

Als der Bundesvorstand der FDP, durch die Vorfälle beunruhigt, am 25./26. April eine Sondersitzung anberaumt, stellt sich heraus, dass der Kontaktring ehemaliger Nationalsozialisten innerhalb der FDP noch wesentlich weiter reicht. Ihm gehören nachweislich an: der ehemals führende NS-Rundfunkkommentator Hans Fritzsche, der frühere Reichsbevollmächtigte in Dänemark, Werner Best, der Rechtsanwalt Ernst Achenbach, der während des Krieges Gesandtschaftsrat in Paris war, der ehemalige Abteilungsleiter beim Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, Siegfried Zoglmann, und der ebenfalls aus dem Reichspropagandaministerium kommende Drewitz, inzwischen ein enger Mitarbeiter Zoglmanns in der Redaktion des FDP-Organs "Deutsche Zukunft". Obwohl einige dieser Funktionäre aus dem nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP auch an der Formulierung eines "Deutschen Programms der nationalen Sammlung" mitgearbeitet haben, stellt der Bundesvorstand der FDP in einer öffentlichen Abschlusserklärung fest, die FDP sei nicht unterwandert, die vereinzelt festgestellten Versuche seien gescheitert.

[Wolfgang Kraushaar: "Die Protestchronik", Seite 725]

Achenbach kann seine Partei-Karriere trotz der schweren Vorwürfe fortsetzen.

Der Bundesvorstand der FDP beriet am 7. Juni 1953 über den vertraulichen Bericht der Dreierkommission. Anschließend gab er bekannt, daß Diewerge, Drewitz, Brandt und Mertens aus den Diensten der Partei ausgeschieden seien. Bei Drewitz handelte es sich um einen ehemaligen Goebbels-Propagandisten und Herausgeber der ultrarechten FDP-Publikation "Deutsche Zukunft", für die Siegfried Zoglmann als Chefredakteur zeichnete

Gegen Achenbach sei ein Ausschlußverfahren eingeleitet worden, weil er der Gesamtpartei durch sein Verhalten schwer geschadet habe, hieß es in der Mitteilung des Bundesvorstands weiter. Dieses Ausschlußverfahren verlief dann allerdings im Sande. Bei den Bundestagswahlen 1957 zog Achenbach sogar ins Bonner Parlament ein und vertrat dort die FDP bis 1976. Außerdem war er von 1962 bis 1977 Mitglied des Europa-Parlaments und wäre 1974 von der sozialliberalen Koalition fast zum EG-Kommissar gemacht geworden. Er starb Ende 1991 im Alter von 82 Jahren. Kurz vorher war noch bekannt geworden, daß er 1941 als Gesandtschaftsrat bei der Deutschen Botschaft in Paris bei Judendeportationen mitgewirkt hatte. [http://www.udo-leuschner.de/liberalismus/fdp2.htm]

Das Misslingen der Unterwanderung der nordrhein-westfälischen FDP durch den Naumann-Kreis war nicht ein Verdienst der Bundesregierung und ihrer Ermittlungsbehörden, sondern der britischen Besatzungsmacht.

Keimzellen für neue Nazis

Achenbach, Naumann und viele andere Alt-Nazis, die mit den Nachkriegsstaat Bundesrepublik prägten, in dem sie Ministerien und Ausschüsse besetzten, ja sogar Kanzler oder Bundespräsident wurden, die ihre antikommunistische Ideologie aus dem Nazireich herüber retteten, bildeten die Keimzellen für die neuen Nazis, so dass man ohne Übertreibung von einer Kontinuität sprechen kann. Die Hoffnung, ein Generationswechsel würde das Problem lösen, treffen nicht zu.

Wie sagte Bertolt Brecht: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."

Weitere Informationen zum Thema: www.verbrechen-der-wirtschaft.de/