Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

21.05.2010

Aus der Geschichte einer umkämpften 60jährigen Landesverfassung

Die NRW-FDP als Speerspitze der Verfassungsfeindlichkeit

Die Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Die Partei DieLinke hat im Wahlkampf zur Landtagswahl 2010 grundlegende Vorschläge zur Verwirklichung der Landesverfassung gemacht - und wird gerade deswegen von CDU und FDP, aber auch von Teilen der Medien, der Grünen und der SPD als "linksextremistisch" und verfassungsfeindlich bezeichnet. Wer Enteignungen z.B. der Energiekonzerne fordere, "steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, polterte der bisherige NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers." (Süddeutsche Zeitung 15. Oktober 2009)

Von Ulrich Sander

Viele NRW-Politiker und Medien, die so etwas unter die Leute bringen, kennen ganz offensichtlich nicht die Verfassung von NRW. Es heißt in Art. 27 der Landesverfassung: "(1) Großbetriebe der Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt werden. (2) Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten."

Die Forderung nach Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien war nach 1945 Bestandteil des antifaschistischen Konsenses in der Nachkriegsgesellschaft. Sie ist auch seit Jahrzehnten Bestandteil gewerkschaftlicher Programmatik, wie im § 2 der IG Metall-Satzung zu lesen ist.

Die FDP hat sich an die Spitze dieser Diffamierungen gegen Linke - nicht nur die Partei DieLinke - gestellt. Sie verlässt sich darauf, dass ihre eigene nordrhein-westfälische Parteigeschichte völlig unbekannt ist. Auch ihr Umgang mit der Landesverfassung ist nicht bekannt. Die Landesverfassung wurde von der bisher regierenden schwarz-gelben Landesregierung in Düsseldorf so behandelt, als hätte sich die NRW-FDP mit ihrem Verfassungsentwurf von 1995 durchgesetzt. Damals forderte die NRW-FDP-Landtagsfraktion, der Landesverfassung "neues Leben einzuhauchen", weil in der bisherigen und noch immer gültigen Verfassung noch immer "Laubenpieperromantik und die Sozialisierung der Großindustrie herumgeistern", so hieß es im Verfassungsentwurf, vorgelegt von der FDP, die aber damit nicht erfolgreich war. Das Wahlergebnis von 4 Prozent bei der 95er Landtagswahl führte zum Ausschluss der FDP aus dem Landesparlament für fünf Jahre.

Geprägt wurde die Politik der NRW-FDP von nie aufgearbeiteten rechtsextremen Skandalen. Auf zwei wies die VVN-BdA im Landtagswahlkampf hin: Sie schlug vor, Erinnerungstafeln an "Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945" sollten geschaffen werden, beispielsweise bei der Fa. Busch-Jäger in Lüdenscheid und am Sitz der FDP in Essen. Unter anderem von Lüdenscheid aus, und zwar von der zum Konzern des Kriegsverbrechers Quandt gehörenden Firma Busch-Jäger mit dem ehemaligen Goebbels-Stellvertreter Dr. Werner Naumann an der Spitze, wurden die Fäden zu alten und neuen Nazigruppen gesponnen und dabei spielte besonders die NRW-FDP eine Rolle. Sie sollte mit Hilfe von Ernst Achenbach zu einer Organisation in der NSDAP-Nachfolge umgestaltet werden. Dies misslang - nicht etwa, weil demokratische Kräfte in der FDP wachsam waren, sondern weil die britische Besatzungsmacht 1953 einschritt.

Eine weitere Erinnerungstafel sollte am Dienstsitz Ernst Achenbachs in Essen angebracht werden, schlug die VVN-BdA vor: "An der Geschäftsstelle der FDP in der Seidlstr. in Essen wird eine Mahntafel angebracht mit einem Text, der darauf hinweist, dass in der Nachkriegs-FDP in Essen Dr. Ernst Achenbach eine bedeutende Rolle als Parteivorsitzender, als Bundestags- und Landtagsabgeordneter gespielt hat. Bei Ernst Achenbach handelte es sich um den Geschäftsführer der ‚Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft' und Mitwirkenden an der Deportation französischer Juden in die Vernichtungslager der Nazis. In der FDP wirkte er dafür, dass in ihr führende Nazis mitwirken durften und dass die NS-Verbrecher straffrei blieben."

Schon im Bundestagswahlkampf 1949 forderte die FDP den "Schlussstrich" unter "Entnazifizierung, Entrechtung, Entmündigung". 1952 war Achenbach Initiator des "Vorbereitenden Ausschusses zur Herbeiführung der Generalamnestie" (für NS-Täter).

"Freiheit vor Gleichheit" war eine der Hauptlosungen der von 2005 bis 2010 amtierenden Landesregierung in Düsseldorf. Dieses Motto der Ellenbogenfreiheit gegen die soziale Gerechtigkeit stammte aus dem Wertekanon der konservativen nordrhein-westfälischen FDP, die nun wichtige Ministerien besetzte. Seit Gründung des Bundeslandes NRW steht sie deutlich rechts von der CDU. Gegenüber den heutigen Nazi-Kameradschaften und der NPD hält Innenminister Ingo Wolf (FDP) "Aufklärungsarbeit" unter der Jugend und das Wirken des Verfassungsschutzes für ausreichend. Ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD hält er geradezu für "politisch gefährlich". Die Bekämpfung der Nazi-Präsenz auf der Straße hält Wolfs Ministerium nicht für vordringlich. Beim "Aufstand der Anständigen" gehe es allein darum, die "verfassungsmäßige Ordnung" zu schützen. "Grobe Störungen" der nicht verbotenen Naziaufmärsche seien mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe zu bestrafen, schrieb das Ministerium drohend an die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten. Die VVN hatte in einer Petition gefordert, gegen die Naziaufmärsche müsse "die Politik" etwas Wirkungsvolles unternehmen.

Angesichts des nationalen Fahnenmeers während der Fußballweltmeisterschaft 2006 hatte die FDP-Führung erneut den Schlussstrich verlangt. Parteichef Guido Westerwelle: "Der Kurs auf die Geschichte verliert seine Bedeutung aber gegenüber einem Patriotismus, der unaufgeregt und gänzlich aggressionsfrei daherkommt." (Zitat aus FR 1.9.06) Und weiter: "Die Zurückhaltung gegenüber Gefühlen von Patriotismus in Deutschland resultierte bislang vornehmlich aus Gründen, die von den Menschen heute nicht mehr akzeptiert oder nicht mehr problematisiert werden".

Die FDP-Landtagsfraktion kündigte daraufhin ein ganzes Pflichtprogramm in Patriotismus und Nationalismus für den Schulunterricht an: "Es ist höchste Zeit, dass wir Schülern ein positives Verhältnis zur Nation und nationalen Symbolen vermitteln." Von der Klasse 5 an sollen alle Schüler "verbindlich über nationale Werte, deutsche Kultur, Bedeutung der schwarz-rot-goldenen Flagge und die Nationalhymne diskutieren." Es müsse Schluss damit sein, die "Patriotismus-Debatte in Deutschland" länger zu tabuisieren, sagte der Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke (laut Interview mit Westfalenpost, Hagen, 16.9.06).

Wenn am 28. Juni sich zum 60. Mal der Tag der Volksabstimmung über die Landesverfassung von NRW jährt, dann sollte daran erinnert werden, welche Pläne zur Beseitigung wesentlicher Elemente dieser Verfassung geschmiedet wurden und noch werden. Vor 15 Jahren legte die FDP ein ganzes Kampfprogramm gegen die Landesverfassung vor, und wenn auch nie ein Antrag im Parlament daraus wurde, so hält die FDP daran fest, wenn schon nicht die Verfassung, so doch aber die Verfassungswirklichkeit ihren Plänen von damals anzupassen. Alle, aber wirklich alle Bestimmungen sollen eliminiert werden, die nach 1945 als Reaktion auf die faschistische Barbarei dort verankert worden waren. Die FDP nennt es die Landesverfassung des "schlanken Staates", ab 2005 hieß es in der Koalitionsvereinbarung: Privat geht vor Staat. Eliminiert werden soll das Sozialisierungsgebot, des Artikels 27. Als "Ausfluss überholten Denkens der Montanindustrie" (so ein FDP-Sprecher) soll der Mitbestimmungs-Artikel 26 beseitigt werden, der lautete: Es "wird das Recht der Arbeitnehmer auf gleichberechtigte Mitbestimmung bei der Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung anerkannt und gewährleistet."

"Jedermann hat ein Recht auf Arbeit," heißt es in Artikel 24, den die FDP bekämpft. Daß "im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens ... das Wohl des Menschen" steht, das soll nach FDP-Vorstellungen nicht mehr sein. Der "Schutz der Arbeitskraft hat Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes" heißt es jetzt, doch die FDP will den Schutz der Arbeitskraft beseitigen.

Und weiter:

  • Ein ständiger Verfassungsauftrag soll nach Meinung der FDP Privatisierung der Wirtschaft und Deregulierung sein.
  • Sie fordert die Einführung einer Notstandsgesetzgebung mit der Möglichkeit der Suspendierung des Landesparlamentes und der Abschaffung der Wahlen.
  • Abbau der kommunalen Selbstverwaltung steht ebenfalls auf ihrem Programm, denn die Kommunen sollen nur das tun dürfen, was ihrer Leistungsfähigkeit entspricht. (Dies Prinzip hat die FDP in den letzten Jahren durchgesetzt: Den Städten und Gemeinden ist jedes wirtschaftliche Handeln verboten worden.)
  • Die FDP ist gegen die demokratische Einheitsschule, weshalb die Mehrgliedrigkeit der Schulen vorgeschrieben wird. Die Schulgeldfreiheit wird beseitigt.
  • Die Förderung der Klein- und Mittelbetriebe und der genossenschaftlichen Selbsthilfe nach Artikel 28 soll gestrichen werden (Die FDP als Partei des Mittelstandes?!). Desgleichen sollen Wohn- und Wirtschaftsheimstätten, klein- und mittelbäuerlicher Besitz und das Kleinsiedlungs- und Kleingartenwesen (Art. 29) nicht mehr gefördert werden.
  • Besonders bemerkenswert ist auch die geplante Streichung des Artikels 32, der bisher lautet: "Vereinigungen und Personen, die es unternehmen, die staatsbürgerlichen Freiheiten zu unterdrücken oder gegen Volk, Land oder Verfassung Gewalt anzuwenden, dürfen sich an Wahlen und Abstimmungen nicht beteiligen." Mit der Forderung, das zu streichen, knüpft die FDP an die Traditionen der sogenannten Liberalen wie Prof. Heuss wieder an, die dem Ermächtigungsgesetz für Hitler zustimmten und die Demokratie und Menschenrechte beseitigen halfen.
  • Artikel 25, der Sonn- und Feiertage schützt, wird ebenfalls gestrichen. Dies, weil sich die Arbeitswelt dermaßen geändert habe, daß diese "hohe Hürde" abgebaut werden müsse.

Der FDP-Verfassungsentwurf für NRW wurde im Februar 1995 durch die FDP-Landtagsfraktion vorgelegt. Er ist beim Autor einsehbar,

Auch wenn der Entwurf nie zum Antrag im Parlament erhoben wurde, bleibt er doch das Aktionsprogramm der FDP im größten Bundesland. Grüne und SPD sollten sich nicht grämen, dass diese FDP sich der Koalitionsgespräche verweigert. Unverschämt ist die Begründung der FDP: Die angebliche Absage an Verfassungsfeindlichkeit und Extremismus. Diese sind bei der NRW-FDP seit Gründung des Bundeslandes zu Hause.

Um nicht mehr und nicht weniger geht es gegenwärtig bei den Auseinandersetzungen in NRW: Um die Erhaltung der demokratischen Verfassungsbestimmungen.

60 Jahre Landtag in Nordrhein-Westfalen: Das vergessene braune Erbe60 Jahre Landtag in Nordrhein-Westfalen
Das vergessene braune Erbe

Zum 60. Jahrestag des nordrhein-westfälischen Landtages hat die Partei DieLinke die braunen Schatten der CDU und FDP in NRW untersucht. Diese interessante Broschüre stellen wir hier als Download (1,8 MB, ) zur Verfügung.

Siehe auch:

"Wer die Verfassungsnorm ernst nimmt, verläßt ... ihren 'Boden'"
Die unbekannte FDP von Nordrhein-Westfalen