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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

02.11.2013

Nazis hatten stets Vorrang vor ihren Opfern

Ein neues Buch über „Staatsschutz in Westdeutschland“ klärt über Vorrang für Nazis in Westdeutschland auf. Den „Männern und Frauen der ersten Stunde“ folgte die Stunde der 49er Nazis. Dominik Rigoll berichtet über die Zeit von der Entnazifizierung zur „Extremistenabwehr“. Eine Betrachtung dazu von Ulrich Sander.

Demokraten sind stets dagegen angegangen, daß Nazis Vorrang haben vor ihren Opfern. Doch dies ist das oberste, wenn auch ungeschriebene Gesetz in dieser Republik seit ihrer Gründung. Nazis durften und dürfen sich entfalten, durften mitregieren – Antinazis eher nicht.

Am 1. April 1947 kam ich zur Schule. Es war die Schule am Bullenhuser Damm in Hamburg. Es wurde gemunkelt, hier im Keller hätten die Nazis kurz vor Kriegsende 20 jüdische Kinder ermordet. Die Lehrer stritten es ab, meine Eltern, aktive Antifaschisten, bestätigten es, denn sie hatten davon in der Zeitung gelesen: Die Mörder stünden vor einem englischen Gericht. Einige wurden hingerichtet, andere blieben straffrei. So Arnold Strippel, Kommandeur der Mordaktion. Als genügend Beweise gegen ihn zusammenkamen, wurde erneut ein Prozeß gegen ihn versucht. Aber nun gab es die englische Gerichtsbarkeit nicht mehr. Strippel konnte unmittelbar nichts nachgewiesen werden, hatte nicht selbst Hand angelegt. So wurde er freigesprochen und bekam für die Untersuchungshaft noch Entschädigung.

Mein Interesse und späteres Engagement für die Aktivitäten der VVN gegen die Wiederbetätigung der Nazis und ihre „Weiterverwendung“ begann sehr früh. Mit den Kameradinnen und Kameraden hielten wir Mahnwachen vor den Häusern von Blutrichtern ab – so Anfang der Sechziger in Hamburg-Bergedorf. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der wir uns als Geschwister Scholl Jugend verbunden fühlten, war in den Hochzeiten des Kalten Krieges auf Landesebene in Hamburg verboten worden. Das war die Zeit, da ein Ministerialdirektor Roemer im Bundesjustizministerium arbeitete, der 1943 die Vollstreckung des Todesurteils gegen die Geschwister Scholl geleitet hatte. Das war die Zeit, da der Hamburger Gestapo-Mörder und Reichssicherheitshauptamtchef Bruno Streckenbach in Hamburg auf freien Fuß gesetzt wurde und Willi Dusenschön, der KZ-Kommandant von Fuhlsbüttel wegen "Mangels an Beweisen" freigesprochen wurde. So gut wir konnten, haben wir über diese Skandale aufgeklärt, mit Flugblättern und Dokumentationen.

Als ich später vernahm, der Bundesgerichtshof habe die DDR-Richter ins Gefängnis gesteckt, die einst in den Waldheim-Prozessen Naziverbrecher zum Tode verurteilten, weil dies Rechtsbeugung gewesen sei, da dachte ich: Was geschieht, wenn britische Richter, die Todesurteile gegen Nazis vollstrecken ließen, mal in die Hände des Bundesgerichtshofes kommen? Todesurteile sind doch verboten. Und außerdem: Naziblutrichter haben nach Meinung des Bundesgerichtshof nie das Recht gebeugt, nicht einer wurde verurteilt. Auf den Widerspruch zu den Waldheim-Richtern hingewiesen, sagten die Karlsruher Richter, man habe nun die eigenen Fehler wiedergutmachen wollen. Nazi werden freigesprochen, Antinazis nicht.

1945er vs. 1949er

Kürzlich erschien ein spannendes Buch: „Staatsschutz in Westdeutschland“ von Dominik Rigoll (Göttingen 2013). Wer das „Braunbuch“ aus der DDR (1965) [online: http://wayback.archive.org/web/20101119233343id_/http://braunbuch.de/index.shtml] und das „Weißbuch“ der VVN (1960/neu 2004) nicht mehr hat, der besorge sich dieses Buch. Meine These: „Nazis haben Vorrang vor ihren Opfern“ wird darin bestätigt. Der Autor berichtet, wie die Nazis nach dem 8. Mai 1945 Berufsverbote bekamen, verurteilt wurden, ausgeschaltet wurden, weil nun die 45er dran waren, - wir nannten sie „Männer und Frauen der ersten Stunde“. Und er berichtet, wie diese 45er dann ab Gründung der Bundesrepublik wieder verfolgt wurden, mit Berufsverboten und Bestrafungen überzogen wurden. Denn nun waren die 49er dran. Doch die 45er gaben nicht auf.

Das Blitzgesetz von 1951 entschied antitotalitaristisch: Rechtsextremisten sind gleich Linksextremisten, aber Rechte sind gleicher. Es wurde schon 1950 von Kanzler Adenauer und seinem hohen Staatsbeamten in NSDAP- und CDU-Zeiten Hans Globke eine Liste der Extremisten aufgestellt mit einem Dutzend linken Organisationen und zwei rechten, und wer ihnen angehörte, mußte aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden. Die linken Organisationen, so die KPD, aber in einigen Ländern auch die VVN-BdA und überall die FDJ wurden verboten. Wer dem Verbot zuwider handelte, wurde eingesperrt. Da hatten es die Nazis besser. Sie orientierten sich nicht auf die Sozialistische Reichspartei, die auch verboten wurde. Sie brauchten keine Partei, keine Organisation. Ihre Organisation war der Staat. Tausende Nazis wurden als Beamte und Offiziere wieder eingestellt. Und von diesen Positionen aus konnten sie fortsetzen, womit sie 1945 aufhören mußten. Nein, sie sperrten ihre Gegner nicht ins KZ und erschlugen sie nicht. Aber sie betrieben Rufmord, vernichteten Existenzen, sperrten rund 10.000 Linke ein. Selbst dort, wo die linke Organisation nicht verboten war, wie im Falle der DKP ab 1969, da wurden die Mitglieder doch oft so behandelt, als seien sie Mitglied einer verfassungswidrigen Partei, – wo es ging wurden sie aus den Ämtern entlassen, erhielten Berufsverbot.

Doch der Widerstand dagegen hielt an. Das 131er Gesetz von 1951 bestimmte, daß Nazis die 1945 zurückgestuft, aus dem Dienst entfernt wurden, nun wieder „aus sozialen Gründen“ in den Dienst zurückkehren konnten. Das „soziale“ Argument wurde sehr unterschiedlich angewendet. Wer  ab 1945 Entschädigung für erlittene Verfolgung bekommen hatte, sah sich bald – wenn er z.B. weiter als Kommunist aktiv blieb – seiner Entschädigungsrente beraubt; viele mußten sie gar zurückzahlen. Für Nazis gab es Pensionen, für ihre Opfer nicht. Wer als Ausländer der SS angehörte, galt laut einer Hitler-Verordnung als Deutscher und bekam, so er kriegsbeschädigt war, eine Rente. Wer ein Deserteur war, bekam – vor 1998 - keine Entschädigung. Seine Witwe war – bis 1991 - keine Kriegerwitwe, die wie die anderen Geld bekam. Wer im Strafbataillon war, bekam – bis 1998 - auch nichts. Wer aber z.B. bei den Nazis Richter war, aber nach dem Kriegsende nicht mehr, der bekam seine Pension weiterbezahlt, als hätte er die Karriere ungebrochen fortgesetzt und wäre sogar möglicherweise noch aufgestiegen. Die Witwe des Präsidenten des Volksberichtshofes Freisler bekam eine Witwenrente in der Höhe der angeblich möglichen Pensionsprogression ihres verblichenen Mördergatten.

Die Enthüllungen über die hohen Pensionen, derer sich die Nazis erfreuen durften, standen lange im Mittelpunkt der Aktivitäten der VVN. Die angegriffenen Beamten und Offiziere und ihre Schutzherren wie Franz Josef Strauß und Theodor Oberländer schäumten vor Wut. Sie verboten zeitweise die antifaschistische Zeitung „Die Tat“ und versuchten, das „Weißbuch – in Sachen Demokratie“ mit seinen konkreten Enthüllungen in seiner Verbreitung einzuschränken. Die so bedrängten Antifaschisten beriefen sich auf die Grundrechte und das Grundgesetz. So kam es vor, daß dann, wenn bei einem politisch verdächtigen Linken bei einer Hausdurchsuchung ein Exemplar des Grundgesetzes gefunden wurde, diese Tatsache bis in Anklageschriften vordrang.

Der Militarismus von vor 1945 siegte über den Antimilitarismus von 1945.

Aktionen gegen die Remilitarisierung, für Abrüstung, für die Aufklärung über Kriegspläne standen im Mittelpunkt der Tätigkeit der Antifaschisten. Die westlichen Alliierten, vor allem die USA, wollten seit Beginn der 50er Jahre wieder deutsche Streitkräfte an ihrer Seite wissen, um sie im „Kampf gegen den Bolschewismus“ einsetzen zu können. Führende Nazigeneräle stellten im Kloster Himmerod auf einer Geheimtagung einen Plan für den Aufbau der Bundeswehr auf. Sie stellten eine Bedingung: Wir machen nur mit, wenn die Bestrafung von Wehrmachts- und SS-Leuten aufhört, ihre „Ehre“ wiederhergestellt wird und ihre Versorgung sichergestellt wird. Und so geschah es. Die Zahl der mutmaßlichen Massenmörder, die in der Bundeswehr unterkamen, belief sich auf rund eintausend. Nicht einer von ihnen kam vor Gericht. Als mit dem Massaker des Obersten Georg Klein am Kundus der erste Massenmord der „neuen Wehrmacht“, so nannten sie die Bundeswehr zunächst, zu verzeichnen war, da wurde der Täter nicht etwa bestraft, sondern zum General befördert. Sprecher einer großen Soldatenlobby hatten schon vorher dagegen protestiert, dass wir Antifaschisten noch im letzten Jahrzehnt z.B. die Mörder aus der Gebirgstruppe mit Demonstrationen entlarvten und eine Bestrafung forderten. Erklärt wurde, die Soldaten würden verunsichert, wenn „Überreaktionen“ bestraft würden, wie sie mal vorkommen könnten und bei den Amis vorkämen.

Verjährung der Morde. Oder doch nicht.

Nachdem die Alliierten den  Westdeutschen die Rechtshoheit übertragen hatten, geschah lange Zeit nichts. Keine Verurteilung von Naziverbrechern, oder doch nur wenige. Irgendwann hieß es: Morde sind verjährt. Dagegen richteten sich die Aktionen der Mitglieder der VVN über eine lange Periode. Sie wurden durch das antifaschistische Wirken ihrer Kameraden im Ausland unterstützt. Unzählige Demonstrationen und auch kleinere Aktionen fanden statt. Dann wurde der Beginn der Verjährungsfrist auf den 8. Mai 1945 festgelegt; bisher hatte man behauptet, die Mordtaten hätten doch von den Nazirichtern gesühnt werden können. Also: Eichmann vor den Volksgerichtshof oder so? Als dann die endgültige Verjährung heranreifte, da steigerten die Antifaschisten in aller Welt ihren Protest. Die Festlegung „Mord verjährt nie“ aus dem Jahr 1979 war der größte Sieg der Antifaschisten, der 45er Opfer über die 49er Täter seit Gründung der Republik.

Und dennoch blieb die Sache kompliziert. Todschlag verjährte weiterhin, Beihilfe zum Mord zwar nicht, aber wenn jemand Mordgehilfe war, aber ihm die richtige Mittäterschaft nicht nachgewiesen werden konnte, dann blieb der straffrei.

Verbot der KPD

Das Verbotsurteil gegen die KPD von 1956 gilt noch heute. Dass die DKP entstand und sich hielt, ist eine demokratische Errungenschaft. Gegen das KPD-Verbotsurteil anzugehen, bleibt bis heute Auftrag, denn die Betroffenen können alle Demokraten sein. Aus dem Buch „Staatsschutz in Westdeutschland“ erfahren wir nun zuverlässig, daß die Bundesregierung 1968 die DKP nur zuließ, wenn nun auch auf der rechten Seite nichts mehr verboten würde. Um des Ansehens der BRD willen brauchte es eine KP – wenn schon die Rechten zugelassen sind – aber man wollte ihr das Leben so schwer wie möglich machen. Ab 1972 gab es – wie beschrieben - Berufsverbote gegen die Kommunisten und andere Linke. Formuliert wurden die entsprechenden Verordnungen durch alte Nazis. Diese widersetzten sich sogar den Anordnungen von Ministern, wenn diese vermeintlich nicht rigoros genug gegen jene vorgingen, die Anlaß zu „Zweifeln an der Verfassungstreue“ boten. Als der Landesjustizminister von NRW 1973 ein vermeintliches DKP-Mitglied als Richter zulassen wollte und den Gerichtspräsidenten Dr. Thunsch (ehem. SA) anwies, dies zu vollziehen, da weigerte der sich. Die folgende Kritik an dem Oberrichter löste größte Solidarität der Reaktionären aus. Der SPD-Minister mußte nachgeben. Der DKP-Mann Volker Götz wurde nicht ernannt.

Sogar die VVN wurde in manchen Bundesländern jahrelang verboten. Als die Adenauerregierung darauf drängte die bundesweit existierende VVN zu verbieten, da wehrte diese sich dagegen, indem sie eine Dokumentation über die Nazivergangenheit der zuständigen Verwaltungsrichter vorlegte. Aufgrund internationalen Aufsehens wurde der Prozeß gegen die VVN vertagt – und er wurde bis heute nicht wieder aufgenommen. Übrigens: Ein Prozeß gegen die HIAG (Hilfegemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS)  wurde nie erwogen. Sie stand einige Jahre wie die VVN in den Verfassungsschutzberichten. Dann wurde sie gestrichen, die VVN lange nicht. Die Adenauererlasse gegen die VVN, sie sind bis heute als Drohung mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit wirksam. In Bayern steht die VVN noch immer im Verfassungsschutzbericht. Und schließlich: Berufsverbote gegen NPD-Leute gab es so gut wie nie. Vielfach haben NPD-Soldaten Karriere in der Bundeswehr, später in Soldaten- und Reservistenbünden gemacht.

Warum so spät: Neue Verfahren gegen NS-Verbrecher

Wofür wir immer stritten, wird nun doch noch wahr: Jetzt werden neue Verfahren gegen alte Täter auf der Rechten angestrengt. Das beseitigt das alte Unrecht nicht. Vor allem werden immer noch nicht jene belangt, die für Strafbefreiung und hohe Pensionen für Nazis in all den Jahrzehnten sorgten. Sie schulten eine Generation von Geheimdienstlern und Polizisten, die sich nicht vorstellen konnten und wollten, daß es einen terroristischen Nationalsozialistischen Untergrund NSU gibt. Sie sahen das Übel nur links und ließen rechts alle Blumen blühen. Und deshalb ist es richtig, die Prozesse gegen Nazitäter auch heute zu führen. Was wir dafür leisten konnten, haben wir beigetragen: Dokumentationen wurden herausgegeben, Zeitzeugen sprachen dafür in Veranstaltungen. Aufklärung wurde betrieben.

Manche Leute sagen: Parteiverbote gegen rechts führen zur Verfolgung auch gegen links. Das ist schon ein Einknicken gegenüber dem ungeschriebenen Gesetz des „Rechts vor links“ in der politischen Kultur.

Der Schwur von Buchenwald für die Ausrottung des Nazismus mit seiner Wurzel und der Artikel 139 GG über den Fortbestand der antinazistischen Rechtssprechung von nach 1945, sie gelten weiter. Für seine Anwendung wie für die des Artikels 26 GG, der Angriffskriege verbietet, sowie des Asylrechts streiten wir weiter.

Dafür müssen immer neue Mitstreiter nachrücken. „Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig“, heißt es im Schwur von Buchenwald.

Dominik Rigoll: Staatsschutz in Westdeutschland - Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr. Wallstein Verlag, Göttingen 2013, 524 Seiten, 39,90 Euro

Zur weiteren Information über diesen Themenkomplex wird auf

http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0730_bgh_vergangenheit.htm

und auf diese Texte verwiesen:

Hans Canjé rät in Ossietzky 13/2013, die Akte Josef Schafheutle anzuschauen:

Der war ein "verdienter und erfahrener Jurist". Er hatte wesentlichen Anteil an der Erarbeitung des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes, das als »Blitzgesetz« in die Nachkriegsgeschichte eingegangen ist. Das Gesetz war am 9. Juli in Zweiter und am 11. Juli 1951 in Dritter Lesung im Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition und der SPD gegen die Stimmen der KPD verabschiedet worden. Am 30. August trat es in Kraft.

Sechs Jahre später, am 8. Februar 1957, sprach der CDU-Abgeordnete Hassler im Bundestag Klartext. Das Gesetz sei eine »Waffe, die geschmiedet wurde, um im Kalten Krieg zu bestehen«. Der Verfassungsrechtler Alexander von Brünneck wurde konkreter. Zitat: Das Gesetz sei »eindeutig und ausschließlich gegen die Kommunisten gerichtet«. Die »fast wörtlich aus der Strafrechtsnovelle von 1934 übernommenen Landesverratsdelikte paßten in ihrer Struktur genau in das Konzept des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes«.

Was nicht verwundern kann. Denn: Federführender »Waffenschmied« bei der Erarbeitung dieses Gesetzes im Bundesjustizministerium war Ministerialdirigent Josef Schafheutle. Der vormalige Regierungsrat im NS-Justizministerium war dort als Sachbearbeiter verantwortlich an der Schaffung der politischen Sondergesetzgebung des Regimes beteiligt. Dazu gehören unter anderem die im März 1933 verkündete »Verordnung zur Beschleunigung des Verfahrens in Hochverrats- und Landesverratssachen«, die »Verordnung über die Bildung von Sondergerichten«, das »Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe« und das »Gesetz zur Abwehr politischer Gewalttaten«. Schafheutle kommentierte die Verordnungen in seiner 1934 erschienenen Schrift mit den Worten: »Die wichtigste Änderung ist die Verschärfung der Strafen ...« Genau das war auch die Zielsetzung des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes von 1951 und die Stunde des alten Kämpfers Josef Schafheutle.

Oder schauen Sie hier: 12.02.2013

VVN-BdA wünscht Gedenkstätte für die Opfer des "paranoiden Antikommunismus"

Neues Deutschland greift den Vorschlag auf Über die Initiative für eine Gedenkstätte für die Opfer der politischen Justiz im Kalten Krieg berichtet ausführlich das "Neue Deutschland" am 9.2.13. Der Bundesausschuss der VVN-BdA hatte diese Initiative unterstützt. Hans Canjé: Das »Blitzgesetz«, dem das Verbot der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und 1956 das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) sowie etliche Verfahren und Verurteilungen folgten, bezeichnete (Landesminister) Pfeiffer damals als »letztlich ein Gesinnungsstrafrecht«. Eingeführt worden sei es zur Rechtfertigung der Wiederaufrüstung des von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) an die Wand gemalten Feinbildes: die Sowjetunion und der Kommunismus. Die Ähnlichkeiten dieses Gesetzes mit den Vorschriften zu Hoch- und Landesverrat und dem Abschnitt »Staatsgefährdung«, seien nicht zufällig den Strafbestimmungen des NS-Staates ähnlich gewesen: »Der zuständige Ministerialrat im Bundesjustizministerium Dr. Josef Schafheutle hatte bereits im Reichsjustizministerium am politischen Strafrecht des NS-Regimes mitgearbeitet.«

Und an diesen Leserbrief, die Haltung des Bundesgerichtshofes betreffend, wollen wir ebenfalls erinnern:

Betr. Dokumentation in der Frankfurter Rundschau

Leserbrief 25. Januar 1996

Von „Politischer Justiz“ und der Selbstkritik des BGH

Der Bundesgerichtshof (BGH), 5. Senat in Berlin, hat sich von seinen Urteilen zugunsten er furchtbaren Juristen des Naziregimes abgewandt, die als NS-Richter Todesurteile zu verantworten hatten. Diese waren vom BGH von Strafe verschont worden (Einleitung zur Dokumentation in der Frankfurter Rundschau vom 5. Januar 1996 „Die Strafe muß in einem gerechten Verhältnis zur Schuld stehen“).

Außerdem übte der BGH weitere Selbstkritik: Die Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland sei in den 50er Jahren zum Teil „politische Justiz“ gewesen: in der Periode des „Kalten Krieges“ sei „auf beiden Seiten“ eine „politische Justiz mit einer aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbaren Intensität betrieben“ worden.

Aus zwei Gründen kann eine solche Selbstkritik des BGH nur als Begründung für die faktische Fortsetzung der Justiz zugunsten alter Nazis und des Kalten Krieges aufgefaßt werden:

Es werden nicht die politischen Urteile des BGH aufgehoben, die verbindlich waren für das gesamte Rechtswesen in den fünfziger und sechziger Jahren. Auf der Grundlage dieser Urteile sind rund zehntausend Kommunistinnen und Kommunisten und solche, die man dafür hielt, darunter antifaschistische Widerstandskämpfer, die unter Hitler gelitten hatten, von einer bundesdeutschen Gesinnungsjustiz zu Haftstrafen bis zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Es wurde gegen eine halbe Million Bürgerinnen und Bürger ermittelt. Arbeitslosigkeit, Berufsverbote und erhebliche Diskriminierungen für völlig Unbeteiligte waren zigtausendfach die Folge. Bis heute sind die Opfer dieser Justiz des Kalten Krieges nicht rehabilitiert worden. Ihre Renten sind gemindert, ihre Rentenansprüche als Opfer des Faschismus blieben aberkannt.

Es werden offenbar die Todesurteile in der Nazizeit nur deshalb 50 Jahre zu spät einer Kritik unterzogen und es wird nun allenfalls ein höchstrichterliches Stirnrunzeln über die früheren braunen Kollegen mit Blut an den Händen – die es sogar im BGH gab – verkündet, weil es ansonsten vollends grotesk wirken würde, nun Todesurteile in der DDR gegen ausgewiesene Spione zur Grundlage einer Verurteilung nach Siegermentalität zu machen.

Die braunen Kollegen sind biologisch ausgeschieden oder in Pension. Sie können getrost unter Aktenzeichen 5 StR 747/94 einer wirkungslosen pauschalen, aber „besonders kritischen Überprüfung“ unterzogen werden, „die der Senat als berechtigt erachtet“, wenn damit nur die Grundlage für die moderne antikommunistische politische Strafjustiz für alte und neue Nazis gelegt werden kann.

Ulrich Sander
Pressesprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten, Landesvereinigung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Siehe auch:

Es fehlen die Bilder, aber nicht die Worte
Zum Wirtschaftswunder gehörte auch der Wiederaufstieg von alten Nazis
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1183_darchinger.htm

Die Ausnahmen für die NS-Verbrecher
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0401_wallraff.htm

Radikalenerlass von 1972: Nazis rein, Linke raus
Was steckte hinter dem heftig umkämpften Radikalenerlass von 1972? Ein junger Historiker hat sich die Debatte noch einmal angeschaut und kommt zu überraschenden Einsichten
http://www.zeit.de/2013/29/berufsverbote-radikalenerlass-1972