28.01.10
Dichtung und Wahrheit in www und linken Medien
Über den antifaschistischen und
antimilitaristischen Konsens
Von Ulrich Sander
Max Reimann (31.10.1898 – 18. 1. 1977),
Werftarbeiter, Bergmann, Politiker. Antifaschistischer
Widerstandskämpfer, im KZ Sachsenhausen von den Nazis
eingekerkert. Mitbegründer der VVN-BdA in NRW (gehörte
ihrem ersten Landesvorstand an). Er war Vorsitzender der KPD
und Mitglied des Parlamentarischen Rates, der das
Grundgesetz schuf. Im Internet stehen Fälschungen über
sein Wirken, die wir hiermit richtig stellen.
Bild: www.maxreimann.com/ |
Im Internet und sogar in der Zeitung der DKP UZ fanden sich in
letzter Zeit merkwürdige Behauptungen, wonach die Wehrpflicht, das
Kernstück der Remilitarisierung nach 1945, fortschrittlichen
Charakters sei (Leserbrief in UZ) und es keinen antimilitarisischen
und antifaschistischen Konsens unter Einschluß der Kräfte aus dem
kommunistischen antifaschistischen Widerstand gegeben habe (linke
Juristen im www). Im Folgenden soll an die wirkliche Entwicklung von
1945 bis heute erinnert werden.
Das politische Programm des
Deutschen Widerstandes
Der Kreisauer Kreis, die breiteste Oppositionsgruppe gegen
Hitler, beschloss am 14. Juni 1943 ein Aktionsprogramm aller Kräfte
des Widerstandes, das nach 1945 Grundlage der verschiedensten
antifaschistischen und demokratischen Gesellschaftsvorstellungen
wurde. Es wurde darin postuliert:
- Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit.
- Beseitigung des Gewissenszwanges und unbedingte Toleranz in
Glaubens-, Rassen- und Nationalitätenfragen.
- Achtung vor den Grundlagen unserer Kultur, die ohne das
Christentum nicht denkbar ist.
- Sozialistische Ordnung der Wirtschaft, um Menschenwürde und
politische Freiheit zu verwirklichen und die Existenzsicherheit
der Angestellten und Arbeiter in Industrie und Landwirtschaft
sowie des Bauern auf seiner Scholle zu schaffen, die die
Voraussetzung von sozialer Gerechtigkeit und Freiheit ist.
- Enteignung der Schlüsselbetriebe der Schwerindustrie zu
Gunsten des deutschen Volkes als Grundlage der sozialistischen
Ordnung der Wirtschaft, um mit dem verderblichen Mißbrauch der
politischen Macht des Großkapitals Schluß zu machen.
- Selbstverwaltung der Wirtschaft unter gleichberechtigter
Mitwirkung des arbeitenden Volkes als Grundelement der
sozialistischen Ordnung.
- Sicherung der Landwirtschaft vor der Gefahr, zum Spielball
kapitalistischer Interessen zu werden.
- Abbau des bürokratischen Zentralismus und organischer Aufbau
des Reiches aus den Ländern.
- Aufrichtige Zusammenarbeit mit allen Völkern, insbesondere in
Europa mit Großbritannien und Sowjetrußland. (…)
Im Gedenken an die Toten des Krieges und die Märtyrer der
Freiheit, die vom Machtwahn des Faschismus hingemordet wurden, und
an die Leiden unserer Soldaten geloben wir:
Nie wieder soll das deutsche Volk sich im Parteienstreit verirren!
Nie wieder darf die Arbeiterschaft sich im Bruderkampf zerfleischen!
Nie wieder Diktatur und Sklaverei!
Ein neues Deutschland muß entstehen, worin sich das schaffende Volk
sein Leben im Geist wahrer Freiheit selbst ordnet.
Der Nationalsozialismus und seine Lügen müssen mit Stumpf und
Stiel ausgerottet werden, damit wir die Achtung vor uns selbst
zurückgewinnen und der deutsche Name wieder ehrlich wird in der
Welt. Das Gebot der Stunde lautet: Fort mit Hitler! Kampf für
Gerechtigkeit und Frieden!
(aus: "Die Freiheit lebt!" Widerstand und Verfolgung in
Hamburg 1933-1945, KZ-Gedenkstätte Neuengamme, nach Ger van Roon:
Neuordnung im Widerstand (München 1967), S. 589-590
Anmerkung: Die Mehrzahl der folgenden chronologischen Angaben
verdanken wir Günter Judick.
Nach 1945: Antimilitarismus und Militarismus
Die Gemeinsamkeiten dieser Programmatik fanden nach der Befreiung
ihren Niederschlag in den Dokumenten und Äußerungen der Demokraten
und Antifaschisten, was in der folgenden Chronologie zum Ausdruck
kommt:
1945
19. April: Schwur von Buchenwald. Nach der Selbstbefreiung des
Lagers am 11.April 1945 treten die Überlebenden - etwa 20.000
Häftlinge - am 19.4. auf dem Appellplatz des KZ Buchenwald an und
leisten im Namen ihrer 51.000 ermordeten Kameraden den Schwur:
"Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige
vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit
seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des
Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren
gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig."
8. Mai: Bedingungslose Kapitulation Hitler Deutschlands.
Max Reimann und das
Grundgesetz
Frage (aus einem Interview im Jahre 1968): Ihr
KPD-Programm zielt also auf eine grundlegende demokratische
und antimonopolistische Umgestaltung der Bundesrepublik und
letztlich auf den Sozialismus. Wie verhält sich diese
Zielsetzung und ihre Politik zum Grundgesetz?
Reimann: Ich kann hier nur wiederholen, was im Entwurf
unseres Programms zu lesen ist, und was ich zu verschiedenen
Gelegenheiten in Interviews mit Zeitungen der Bundesrepublik
und des Auslands erklärt habe,. Unsere Partei entwickelt
ihre Politik und kämpft auf dem Boden des Grundgesetzes.
Wir haben nie verhehlt, daß wir uns eine bessere,
demokratischere Verfassung gewünscht hätten, besonders was
die reale Garantie der demokratischen
Grundrechte und Freiheiten im wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Leben betrifft, oder solche für das
arbeitende Volk lebenswichtigen Rechte wie, das Recht auf
Arbeit.
Mein verstorbener Freund Heinz Renner und ich haben
seinerzeit im Parlamentarischen Rat entsprechende
Vorschläge unterbreitet, die allerdings von,der Mehrheit
abgelehnt wurden. Wir haben gegen das Grundgesetz gestimmt,
weil es die Urkunde der Spaltung Deutschlands war, weil,
wenn auch nur im Widerstand gegen die Ziele der USA und der
anderen Westmächte, eine gesamtdeutsche Verfassung für ein
friedliches und demokratisches Deutschland durchaus im
Bereich der Möglichkeit lag. (Die CSU, seit langem
Regierungspartei, stimmte ja übnigens aus
partikularistischen Beweggründen gegen das Grundgesetz.) Es
ist bekannt, daß wir Kommunisten damals bereits
voraussagten, wir würden eines Tages in die Lage kommen,
die im Grundgesetz verkündeten demokratischen Rechte gegen
die Urheber dieser Verfassung verteidigen zu müssen. Genau
das ist heute der Fall, denn nicht wir oder die
oppositionellen Kräfte bedrohen die Verfassung, sondern die
regierungsoffiziellen Notstandspläne.
Der Innenminister Lücke hat jetzt einen Sprecher seines
Ministeriums erklären lassen, wir Kommunisten seien in
Wirklichkeit nicht bereit, das Grundgesetz anzuerkennen. Wir
sagen in unserem Programmentwurf offen, daß wir für
demokratische Veränderungen und Verbesserungen des
Grundgesetzes, z. B. für die Möglichkeit einer
Volksabstimmung über grundlegende Fragen und für die
öffentliche Diskussion wichtiger Gesetzesentwürfe
eintreten. Wir sind aber der Meinung, daß das Grundgesetz
von den verfassungsrechtlichen Grundlagen her dem
arbeitenden Volk und allen Demokraten durchaus Raum bietet
für die Realisierung sowohl ihrer demokratischen
Vorstellungen wie ihrer gesellschaftspolitischen Ziele.
Es sind die herrschenden Kreise, die die Gebote des
Grundgesetzes auf Schritt und Tritt verletzen, ob es sich
nun um die Friedenspflicht, um die Verhinderung von
Völkerhetze und Nazismus, um den Mißbrauch
wirtschaftlicher Macht, um die Beschneidung der
Bürgerrechte usw. usf. handelt.
Wir Kommunisten sind der Meinung, daß das Wort
"Verfassungsfragen sind Machtfragen" absolut
richtig ist. Bekanntlich wurde dieses Wort ja von dem
Sozialistentöter Bismarck geprägt, den die bürgerliche
Reaktion noch heute abgöttisch verehrt, vielleicht weil sie
sich bei dem schändlichen KPD-Verbot doch lieber auf das
Erbe Bismarcks als auf das Erbe Hitlers berufen möchte.
Aber wie gesagt, Verfassungsfragen sind Machtfragen. Was
Verfassungen verkünden, ist eine Sache, was die
gesellschaftlichen und politischen Kräfte daraus machen,
eine andere. Das, was die Gewerkschaften in ihrem Programm
als "Wiederherstellung der alten Besitz- und
Machtverhältnisse" bezeichnet haben, hat aus der
Bundesrepublik ein reaktionäres, von großkapitalistischen
Profitund Rüstungsinteressen beherrschtes Land gemacht. Das
ist, wenn man von der Forderung des Grundgesetzes nach ,dem
"sozialen und demokratischen Bundesstaat" ausgeht,
verfassungswidrig. Wir Kommunisten sind der Meinung, daß
durch grundlegende demokratische Veränderungen die Arbeiter
und Angestellten, die Geistesschaffenden, Bauern, die
städtischen Mittelschichten, also die gewaltige arbeitende
Mehrheit des Volkes, den bestimmenden Einfluß auf unser
Land haben soll. Das entspräche dem Gebot des
Grundgesetzes.
Max Reimann: "Streiflichter aus dem Leben eines
Kommunisten" I
Auszüge aus der Max Reimann-Biografie "Streiflichter aus dem
Leben eines Kommunisten" von Franz Ahrens, Hamburg 1968
Max Reimann: "Streiflichter aus dem Leben eines
Kommunisten" II
Auszüge aus der Max Reimann-Biografie "Streiflichter aus dem
Leben eines Kommunisten" von Franz Ahrens, Hamburg 1968
|
17. Juli bis 2. August: Potsdamer Konferenz. Entsprechend
vorhergehender Absprachen legen die Alliierten der
Anti-Hitler-Koalition die Ziele der gemeinsamen Besatzungspolitik
gegenüber Deutschland fest. Der alliierte Kontrollrat, bestehend
aus den Oberkommandierenden der Besatzungsstreitkräfte in
Deutschland übernimmt die Regierungsgewalt. Beschlüsse können nur
einstimmig gefasst werden. Als Ziel der Besatzungspolitik wird
genannt: "Der deutsche Militarismus und Nazismus werden
ausgerottet und die Alliierten treffen nach gegenseitiger
Vereinbarung in der Gegenwart und in der Zukunft auch andere
Maßnahmen, die notwendig sind, damit Deutschland niemals mehr seine
Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen
kann." Beschlüsse des Potsdamer Abkommens sind die
Demokratisierung, Entnazifizierung (Denazifizierung),
Entmilitarisierung (Demilitarisierung) und die Dekartellisierung
bzw. Dezentralisierung Deutschlands. (Merkhilfe: Die Vier Ds).
21. November: Beginn des Prozesses gegen die
Hauptkriegsverbrecher. In Berlin wird das Verfahren mit der Vorlage
der Anklageschrift eröffnet. Der Prozess gegen 24
Hauptkriegsverbrecher wird vor dem Alliierten Gerichtshof in
Nürnberg fortgesetzt.
1946
12. Januar: Kontrollratsdirektive Nr. 4: Sie ordnet die
Entfernung von Nationalsozialisten und Militaristen aus Ämtern und
verantwortlichen Stellungen, einschließlich privater Unternehmungen
an. Schon vorher ist in drei Direktiven die Aufhebung aller
Nazigesetze, die Auflösung der NSDAP und ihrer Nebenorganisationen
und der Nazi-Wehrmacht beschlossen worden.
1. Oktober: Urteil im Nürnberger Prozess gegen die
Hauptkriegsverbrecher. 12 Angeklagte werden zum Tode verurteilt,
drei (v. Papen, Schacht und Fritzsche) werden freigesprochen, die
anderen erhalten Haftstrafen zwischen 10 Jahren und lebenslänglich.
NSDAP, Gestapo und die SS-Verbände werden zu verbrecherischen
Organisationen erklärt.
1947
25. Februar: Auflösung des reaktionären und kriegstreiberischen
Landes Preußen durch den alliierten Kontrollrat.
März: Der Omgus-Report (Report einer US-amerikanischenn
Regierungsorganisation) über die Deutsche Bank wird
veröffentlicht: "Es wird empfohlen", so schrieben die
Amerikaner gleich in Kapitel eins, "daß die Deutsche Bank
liquidiert wird." Die Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank
sollten "angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht
gestellt werden, die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von
der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im
wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen
werden".
1948 1. September 1948: Zusammenarbeit des Parlamentarischen
Rates. Der auf Anordnung der westlichen Besatzungsmächten von den
westdeutschen Landesparlamenten gewählte Parlamentarische Rat
beginnt mit der Diskussion und Beschlussfassung für das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland.
1949
8. Mai: Der Parlamentarische Rat beschließt mit 53 gegen 12
Stimmen das Grundgesetz. CSU- und KPD-Abgeordnete verweigern aus
entgegengesetzten Gründen ihre Zustimmung. Max Reimann,
Gründungsmitglied der VVN, Mitglied des NRW-Landesvorstandes der
VVN und Vertreter der KPD im Parlamentarischen Rat erklärte:
"Sie meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit dem
die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir
unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir
Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es
angenommen haben!
(aus: Max Reimann, Aus Reden und Aufsätzen
1946-1963, Berlin 1963, S. 147
3. Dezember: In einem Interview mit der US-Zeitung "The
Plain Dealer" kündigt Adenauer seine Bereitschaft an, ein
westdeutsches Militärkontingent aufzustellen. Im Bundestag deshalb
von der KPD-Fraktion zur Rede gestellt, leugnet er diese Absichten.
1950
13. März: Stockholmer Appell zur Ächtung der Atomwaffen. Der
ständige Ausschuss des Weltfriedenskongresses fordert alle Menschen
auf, durch ihre Unterschrift eine Ächtung aller Atomwaffen zu
verlangen. Den westdeutschen Delegierten wurde die Ausreise
verweigert. Trotz Gegenaktionen unterschreiben auch in der
Bundesrepublik einige Millionen Bürger den Appell.
29. August: In einem Geheimmemorandum Adenauers an den
US-Hochkommissar McCloy fordert er die Aufstellung deutscher
Militäreinheiten unter europäischem Kommando. Das Bekanntwerden
dieses Memorandums löst eine Regierungskrise aus. Dr. Gustav
Heinemann, Mitbegründer der CDU und Innenminister, tritt aus
Protest zurück.
1951
6. Januar: Der DGB-Vorstand beschließt "jedwede
Remilitarisierung in Deutschland abzulehnen."
28. Januar: Eine Friedenskonferenz in Essen fordert die
Durchführung einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung.
29. März: Die ehemaligen Hitler-Generale Speidel und Heusinger
arbeiten einen Zeitplan für die Aufstellung von 12 deutschen
Divisionen aus.
14./15. April: Kongress der Widerstandskämpfer. Auf Initiative
der VVN findet in Gelsenkirchen ein "Deutscher Kongress der
Widerstandskämpfer, Opfer des Faschismus und Krieges" statt.
In seinem Manifest sprechen sich die Teilnehmer gegen die
Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrages
aus.
24. April : Die Regierung Adenauer verbietet die Durchführung
einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung.
Ab Juni: Durchführung der Volksbefragung trotz Verbot. Die
Volksabstimmung wird von einem überparteilich besetzten
Hauptausschuss für die Volksbefragung organisiert. Mehr als 6
Millionen Bürger beteiligen sich trotz Verbot und Verfolgung. Auf
die Frage: Sind Sie gegen die Remilitarisierung und für den
Abschluss eines Friedensvertrages noch im Jahr 1951? antworteten
94,4% mit ja.
4. Oktober: Der zweite DGB-Kongress wendet sich erneut gegen die
Remilitarisierung, die die internationale Entspannung und die
Möglichkeit der Wiedervereinigung ernsthaft gefährde.
16. November: Die Bundesregierung beantragt beim
Bundesverfassungsgericht das Verbot der KPD.
1952
11. Mai: Während einer von verschiedenen Persönlichkeiten und
Organisationen nach Essen einberufenen "Friedenskarawane",
die erst Stunden vor Beginn verboten wird, wird der junge Münchener
Philipp Müller von der Polizei erschossen.
26. Mai: Unterzeichnung des Generalvertrages zwischen der
deutschen Bundesrepublik, England, Frankreich und der USA. Er
vergrößert die Rechte der Bundesrepublik, soll aber vor allem den
Weg zum Abschluss eines Vertrages über die "Europäische
Verteidigungsgemeinschaft" (EVG) öffnen. Der EVG-Vertrag sieht
die Aufstellung deutscher Divisionen unter europäischem Kommando
vor; er wird trotz großem Widerstand 1954 vom Bundestag
ratifiziert, scheitert allerdings an der Mehrheit der französischen
Nationalversammlung.
3. Dezember: Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) in einer
Regierungserklärung: "Wir sind überzeugt, dass der gute Ruf
und die großen Leistungen des deutschen Soldaten, trotz aller
Schmähungen während der vergangenen Jahre, in unserem Volke noch
lebendig sind und es auch bleiben werden."
1953
8. September: Wahlsieger Adenauer erklärt: "Wir sprechen
immer von Wiedervereinigung. Sollten wir nicht lieber sagen:
Befreiung des Ostens."
1954
4. bis 9. Oktober: Der 3. ordentliche DGB-Kongress unterstreicht
die Ablehnung jeglichen Wehrbeitrags durch die Gewerkschaften.
23. Oktober: Unterzeichnung der Pariser Verträge. Nach dem
Scheitern der EVG am französischen Widerstand erfolgt durch die
Pariser Verträge die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO.
Zugleich bestätigen die Vertragspartner das
"Alleinvertretungsrecht der BRD" für Deutschland zu
sprechen.
1955
29. Januar: Paulskirchenbewegung gegen die Pariser Verträge. Mit
einem "Deutschen Manifest" wendet sich die
Paulskirchenbewegung gegen die Wiederaufrüstung. Zu den Initiatoren
gehören unter anderen Gustav Heinemann, Renate Riemeck und der
SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer.
27. Februar: Der Bundestag ratifiziert mit den Stimmen der
Regierungsparteien die Pariser Verträge.
9. Juli: Neun Atomwissenschaftler, darunter Otto Hahn, Werner
Heisenberg und Max Born, warnen zusammen mit Bertrand Russel und
Albert Einstein vor der Gefahr eines Atomkrieges.
1956
21. Juli: Das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht tritt in
Kraft. Die nach dem 1. 7. 1937 geborenen Männer des Jahrgangs 1937
werden eingezogen. Ferner wird versucht, den Jahrgang 1921
einzuziehen, der im Krieg besonders dezimiert wurde. Eine
Protestbewegung "Ohne uns" verhindert dies.
17. August: Verbot der KPD.
1. September: Das Ministerialblatt des Bundesministeriums für
Verteidigung gibt den Beschluss des Bundespersonalausschusses
bekannt, wonach SS-Offiziere bis zum Rang des Obersturmbannführers
mit ihren alten Rängen in die Bundeswehr eingestellt werden
können, wenn sie den Nachweis einer positiven Einstellung zur
Demokratie erbringen.
Der Bruch des antimilitaristischen und antifaschistischen
Konsenses war vollzogen
Fortan gab es die Chronologie der Rüstung und dann des des
Krieges.
1957
13. Januar: Verteidigungsminister F. J. Strauß (CSU) fordert im
Namen der Gleichberechtigung der Bundeswehr deren Ausrüstung mit
Atomwaffen.
4. April: Adenauer begründet die Forderung nach Atomwaffen für
die Bundeswehr mit der Behauptung, sie sei ja nur eine
Weiterentwicklung der Artillerie.
12. April: Göttinger Appell gegen atomare Aufrüstung. Im
Göttinger Appell wenden sich 18 führende Atomwissenschaftler der
Bundesrepublik gegen die Pläne zur atomaren Ausrüstung der
Bundeswehr.
1958
10. März: In Frankfurt wird der Aufruf - Kampf dem Atomtod -
beschlossen.
25. März: Die Bundestagsmehrheit stimmt der Ausrüstung der
Bundeswehr mit atomarer Trägerwaffen zu.
28. März: Der Bundesvorstand des DGB fordert die Durchführung
einer Volksbefragung gegen die atomare Bewaffnung. Am 10. April
schließt sich der Parteivorstand der SPD dieser Forderung an. Die
Bundesregierung lehnt ab und lässt die Befragung verbieten. Dennoch
wächst die Bewegung gegen den Atomtod und verschmilzt mit anderen
antimilitaristischen Bewegungen, so der Bewegung des Jahrgangs 22,
den die Regierung als Heeresreserve erneut erfassen will.
1959
15. November: Die SPD beschließt ein neues Programm. Im
Godesberger Programm bezeichnet sich die SPD nicht mehr als
Arbeiter-, sondern als Volkspartei. In der Folge schwenkt sie 1960
auch in der Außenpolitik - Bejahung der NATO - auf die
Regierungspolitik ein. Sie distanziert sich 1961 auch von der ihr
selbst begonnenen Bewegung: Kampf dem Atomtod.
1960
März: Flugblattaktion der VVN gegen die Notstandsgesetze. Ende
1959 hat der Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU, vor 1945:
SA) erste Entwürfe für eine Notstandsgesetzgebung vorgelegt. Sie
treffen auf entschiedenen Widerstand auch in den Gewerkschaften, die
an die Erfahrungen mit dem Artikel 48 der Weimarer Verfassung
erinnern. Der Kampf gegen die Notstandsgesetze wird zu einer
Hauptfrage der demokratischen Bewegung bis zur Mitte der sechziger
Jahre.
15. April (Ostern): Erster Ostermarsch in der Bundesrepublik. Er
geht von Hamburg zum Truppenübungsplatz Bergen-Hohne in der
Lüneburger Heide. Die in England 1959 entstandene
Ostermarschbewegung gegen die Atomwaffen greift damit auf die
Bundesrepublik über und wird in den folgenden Jahren zu einer der
stärksten Bündnisbewegungen.
1961
Februar: Der "Zentrale Ausschuss der Ostermärsche der
Atomwaffengegner" ruft für 1961 zu fünf regionalen
Ostermärschen in der ganzen Bundesrepublik auf. Sie finden Ostern
im Norden, Westen, Süden, in Hessen und im Südwesten der
Bundesrepublik statt. Obwohl vom Parteivorstand der SPD abgelehnt
und bekämpft, nehmen zahlreiche sozialdemokratisch orientierte
Jugendgruppen an diesen Märschen teil.
29. November: Die Bundesregierung fordert die Aufstellung einer
NATO-Atomstreitmacht.
1964
28. bis 30. März: Die Ostermärsche stehen unter der Losung:
Für eine Atomwaffenfreie Zone in Europa!
1966
30. Oktober: Mit dem Kongress "Notstand der Demokratie"
in Frankfurt/Main erreicht die Bewegung gegen die Notstandsgesetze
einen Höhepunkt.
1967
10. März: Das Kabinett der Großen Koalition beschließt einen
neuen Entwurf der Notstandsverfassung für die Bundesrepublik. Das
Jahr 1967 steht im Zeichen anhaltender Proteste gegen die
Notstandsgesetze.
Ostern: Die Ostermärsche finden in allen Teilen der
Bundesrepublik mit erheblich gewachsener Teilnehmerzahl statt. Die
Bewegung firmiert jetzt unter der Bezeichnung "Kampagne für
Demokratie und Abrüstung."
1968
11. April: Am Vorabend der Ostermärsche wird in Berlin ein
Mordanschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke verübt, der
schwer verletzt wird. Die Ostermärsche erreichen ihre höchste
Beteiligung und sind verbunden mit Blockade-Aktionen gegen die
Bildzeitung und den Springer Konzern.
11. Mai: Sternmarsch mit 100.000 Teilnehmern nach Bonn gegen die
Notstandsgesetze. Gleichzeitig finden auch Massenkundgebungen der IG
Metall in anderen Städten der Bundesrepublik statt.
30. Mai: Verabschiedung der Notstandsgesetze im Bundestag mit
Zustimmung der Mehrheit der SPD-Fraktion. 50 Abgeordnete der SPD und
die FDP-Fraktion stimmen dagegen.
1970
12. August: Unterzeichnung des Moskauer Vertrages durch
Bundeskanzler Brandt. Der Vertrag garantiert den Gewaltverzicht in
den Beziehungen zwischen der BRD und der UdSSR und enthält die
Anerkennung und die Unverletzlichkeit der Nachkriegsgrenzen in
Europa.
3. November: Würzburger Treffen revanchistischer und
neonazistischer Kräfte, die mit ihrer "Aktion Widerstand"
und den Parolen "Schlagt die Linken tot" - "Brandt an
die Wand" zum militanten Kampf gegen die Entspannungspolitik
aufrufen.
1971
17. Mai Der Bundestag ratifiziert die Verträge von Moskau und
Warschau mit den Stimmen von SPD und FDP, bei Stimmenthaltung der
CDU/CSU. Damit wird auch der Weg frei für das Viermächteabkommen
über Westberlin.
8. November: Der Grundlagenvertrag über die Beziehungen zwischen
den beiden deutschen Staaten tritt in Kraft. In der Folge können
beide deutsche Staaten auch gleichberechtigt in der UNO mitarbeiten.
1973
3. Juli: Beginn der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa in Helsinki. Sie endet am 11. August 1975 mit der
Unterzeichnung einer Schlussakte durch alle europäischen Staaten.
19. August: Das Präsidium der VVN-BdA legt den Entwurf eines
"Gesetzes zur Sicherung des Friedens" vor.
1976
13. März: Internationale Solidaritätsaktion in Straßburg für
die Opfer der Berufsverbote in der Bundesrepublik.
26. Oktober: Die VVN-BdA protestiert gegen die Ehrung des
Nazi-Oberst Rudel durch das Aufklärungsgeschwader Immelmann der
Bundeswehr. Dem Protest schließen sich viele andere Kräfte an.
1. November: Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik
müssen zwei führende Militärs der Bundeswehr auf Grund der
Massenempörung über die Rudel-Ehrung abgelöst werden: Der
Kommandierende General der Luftwaffe Generalleutnant Krupinski und
sein Stellvertreter Generalmajor Franke.
1977
11. Juni: Vertreter von nationalen und internationalen Verbänden
der Widerstandskämpfer und Kriegsopfer verabschieden den
"Brüsseler Appell" für die Auflösung der SS-Verbände
und gegen die Rehabilitierung des Nazismus.
13. Oktober: Auf einer internationalen Pressekonferenz des
Präsidiums der VVN-BdA und der Vereinigung demokratischer Juristen,
wird über die Tätigkeit von SS-Verbänden und der Rolle ehemaliger
SS-Offiziere in der Bundeswehr informiert.
1979
4. November: Das VVN-BdA Präsidium appelliert an den Bundestag:
Keine Stationierung neuer Mittelstreckenraketen zuzulassen.
Stattdessen sollte über sowjetische Abrüstungsvorschläge
verhandelt werden.
12. Dezember: NATO-Beschluss in Brüssel für die
"Nachrüstung", das die Aufstellung neuer amerikanischen
Mittelstreckenraketen auch in der Bundesrepublik vorsieht.
1980
15. November: Verabschiedung des "Krefelder Appells"
unter dem Titel "Der Atomtod bedroht uns alle". 1981
10. Oktober: Demonstration der Friedensbewegung in Bonn gegen die
NATO-Raketen-Beschlüsse. Bis Ende September haben bereits 1,5
Millionen Bürgerinnen und Bürger den Krefelder Appell
unterzeichnet.
1982
16.-21. Mai: Der 12. DGB-Kongress fordert den Abbau aller in
Europa stationierten und auf Europa gerichteten Waffen und wendet
sich gegen Pläne zur Neuaufstellung von Raketen.
10. Juni: Internationale Kundgebung der Friedensbewegung in Bonn
mit 400.000 Teilnehmern.
1983
Juli: Über 3.000 Naturwissenschaftler aus der Bundesrepublik und
dem Ausland appellieren in Mainz an die Bundesregierung, die
Stationierung neuer Atomraketen nicht zuzulassen.
August: Die Bundesregierung macht deutlich, dass im Zuge ihrer
"Wendepolitik" die SS-HIAG nicht mehr im
Verfassungsschutzbericht aufgeführt wird.
21. Oktober: CDU/CSU und FDP beschließen im Bundestag die
Zustimmung zur Neustationierung amerikanischer Raketen. Die
Krefelder Initiative fordert im Namen der inzwischen 5 Millionen
Unterzeichner des Krefelder Appells die Fortführung des Protestes
gegen die Raketen. Auch die VVN-BdA schließt sich dem Aufruf zum
gemeinsamen Widerstand an.
1984
30. Januar: Bundesweiter Aktionstag gegen die
Raketenstationierung im Zeichen der historischen Erfahrungen des
Kampfes gegen Faschismus und Krieg.
März bis Oktober: Protestaktionen von Antifaschisten gegen
SS-Treffen an viele Orten, so am 31. März in Oberaula gegen ein
Treffen der SS-Division "Totenkopf" mit 6.000 Teilnehmern;
am 19. Mai in Bad Harzburg gegen ein Treffen des
Kameradschaftsverbandes des 1. SS Panzerkorps Leibstandarte Adolf
Hitler mit 2.000 Teilnehmern; am 13. Oktober im Rahmen eines breiten
Aktionsbündnisses gegen ein Treffen der 4. SS Polizei
Panzerdivision in Marktheidenfeld.
1985
5. April: Vertreter der internationalen Initiative des
Widerstands und der Opfer des Nazismus und Faschismus aus 12
europäischen Ländern verabschieden den "Appell von
Dortmund", der zum Handeln für Abrüstung, gegen Revanchismus
und Neofaschismus aufruft.
23. April: Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag
Alfred Dregger, erklärt, er sei "stolz darauf, noch am letzten
Kriegstag gegen die Rote Armee gekämpft zu haben".
4. Mai: An Großkundgebungen und Demonstrationen in Hamburg,
Köln und Frankfurt/Main beteiligen sich 90.000 Menschen. Zu den
Kundgebungen hat die Initiative "40. Jahrestag der Befreiung
und des Friedens" aufgerufen. Deren Aufruf haben 4.000
Persönlichkeiten aus Gewerkschaften, Jugendverbänden, der
Friedensbewegung, der Frauenbewegung und antifaschistischen
Verbänden unterzeichnet.
1986
11. Oktober: 180.000 Menschen demonstrieren in Hasselbach
(Hunsrück) gegen die Aufstellung US-amerikanischer atomarer
Erstschlagwaffen.
1987
13. Juni: Großkundgebung der Friedensbewegung fordert den
"Nachrüstungsbeschluss" zur Aufstellung von
Mittelstreckenraketen wieder aufzuheben.
8. Dezember: Abschluss eines Vertrages zwischen der UdSSR und den
USA über die Liquidierung ihrer Raketen mittlerer und kürzerer
Reichweite.
1988
30. Juni: Zahlreiche Persönlichkeiten rufen dazu auf, Aktionen
zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht (9.11.1938) vorzubereiten.
1990
3. Oktober: Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nach
Artikel 23 des Grundgesetzes.
23. September: Unter Berücksichtigung des Einigungsvertrages
DDR-BRD vom 31. 8. 1990 wird das Grundgesetz in mehreren Punkten
neugefasst. Erhalten bleibt der Artikel 139 des Grundgesetzes über
"Fortgeltung der Entnazifizierungsvorschriften", der seit
1949 gilt: "Die zur ‚Befreiung des deutschen Volkes vom
Nationalsozialismus und Militarismus' erlassenen Rechtsvorschriften
werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht
berührt."
1991
17. Januar: Beginn Militäraktionen der USA und ihrer
Verbündeten gegen den Irak zur "Befreiung" des vom Irak
besetzten Kuwait. Der Kampf um die Beherrschung der Ölgebiete
stößt in der BRD auf starke Proteste der Friedensbewegung. Der
Krieg wird am 3. Mai 1991 beendet; die Bundesrepublik beteiligt sich
mit 6,6 Milliarden Dollar an den Kosten.
25. Dezember: Die UdSSR wird offiziell aufgelöst. Die neue
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) wird proklamiert, kann aber
weder militärische Auseinandersetzungen zwischen den
Nachfolgestaaten noch innerhalb Russlands (Tschetschenien)
verhindern.
1992
29. September: Außenminister Kinkel kündigt vor der 47.
Vollversammlung der UN an, die Bundesregierung wird die
verfassungsmäßigen Voraussetzungen dafür schaffen, "dass
unsere Streitkräfte den Vereinten Nationen für friedensbewahrende
Aktionen zur Verfügung gestellt werden können."
26. November: Verteidigungsminister Rühe erlässt neue
verteidigungspolitische Richtlinien, die nach dem Ende des
Ost-West-Konflikts die neuen, "weltweiten Aufgaben" der
Bundeswehr umreißen.
1993
2. April: Das Bundeskabinett stimmt dem Einsatz deutscher
Offiziere bei der Durchsetzung des Flugverbots über Jugoslawien zu.
FDP und SPD beantragen dagegen eine einstweilige Verfügung, weil
das Grundgesetz keine Einsätze außerhalb des NATO-Gebiets erlaubt.
Das Bundesverfassungsgericht lehnt den Erlass einer einstweiligen
Verfügung ab.
20. April: Das Bundeskabinett stimmt zu, 1.600 deutsche Soldaten
zu einer "Friedenssichernden Aktion" nach Somalia zu
entsenden.
1994
12. Juli: Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Einsätze der
Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets für zulässig, verlangt aber
die vorherige Zustimmung des Bundestags.
1995 26. Juni: Der Bundestag beschließt mit 386 zu 258 Stimmen
bei 11 Enthaltungen dem Einsatz deutscher Truppen in Jugoslawien
zuzustimmen. Erstmalig stimmen auch 45 SPD und 4 Grüne Abgeordnete
für den Einsatz "Out of Ära".
1995 - 2010
Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich an Kriegen gegen
Jugoslawien, an Kriegseinsätzen vor der libanesischen Küste und am
Horn von Afrika, im Kongo und ab 2001 in Afghanistan.
Alle dies Kriegsbeteiligungen
verstoßen gegen das Völkerrecht, gegen das Potsdamer Abkommen und
das Grundgesetz
Ein Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung vom 25. Januar 2010
lautet auszugsweise: "Zu den Grundfragen, die der
Afghanistan-Krieg aufwirft gehört die Frage nach der
verfassungsrechtlichen Grundlage solcher Einsätze. Das Grundgesetz
ist der blinde Spiegel der Bundeswehr. Die deutsche Armee schaut
hinein, sie sieht sich aber nicht mehr. Die Bundeswehr im Sinn des
Grundgesetzes ist Vergangenheit, es gibt sie nicht mehr. Von der
neuen Bundeswehr aber findet sich in der Verfassung kein Wort. Die
Bundeswehr steht nicht mehr auf dem Boden des geschriebenen
Grundgesetzes - die Panzer im Auslandseinsatz rollen an der
Verfassung vorbei, die Flugzeuge donnern darüber hinweg. Der
Verteidigungsminister müsste heute, streng genommen,
Kriseninterventionsminister heißen. Das Grundgesetz sollte aber
doch, ja es muss ein Vademecum sein für alle Staatsbürger in
Uniform. Die Antworten auf fundamentale Fragen der Nation, die
Antwort auf die Fragen, in denen es um die Staatsgewalt im Wortsinn,
um Leben und Tod geht, die müssen in der Verfassung stehen."
(Heribert Prantel. SZ, 25. 01.10)
Die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerung schreibt am 28.
September 2009: "Der Ausstieg aus der Wehrpflicht hat
Rückenwind bekommen. … Die Wehrpflicht stellt einen so tiefen und
nachhaltigen Eingriff in die individuelle Freiheit der jungen
Bürger dar, dass der demokratische Rechtsstaat ihn nur fordern
darf, wenn dieser Eingriff unabweislich geboten ist und gerecht
ausgestaltet werden kann. Beide Voraussetzungen sind nicht
gegeben." Pflichtdienste wie Wehrpflicht und damit auch der
Ersatzdienst, sind jedoch für den Staat - weniger für die Bürger
- sehr sinnvoll, weil damit billig Arbeitskräfte und Söldner
beschafft werden können. Aus dem Kreis der Wehrpflichtigen und der
ehemaligen Wehrpflichtigen (Reservisten im Alter bis zu 60 Jahren)
kann der Staat je nach Bedarf schnell und billig Kader für Krieg
und Heimatfront rekrutieren. Zum Abbau des Militarismus kommt daher
der Beseitigung der Wehrpflicht große Bedeutung zu.
Wehrpflicht und Kriegsdienst
Kürzlich stand hingegen auf der Leserbriefseite der UZ etwas
merkwürdiges: Die Abschaffung der bis 1956 heftig von der KPD
bekämpften Wehrpflicht würde keinen Fortschritt bedeuten. Eine mit
der Bevölkerung verbundene Wehrpflichtigenarmee sei nicht so
effektiv wie eine Berufsarmee, mit der man viel besser
imperialistische Kriege führen könne. (Anmerkung: Wir haben de
fakto eine Berufsarmee, die bequem per Wehrpflichtsgesetz
aufgestockt werden kann und in den Wehrpflichtigen eine Reserve
hat.) Sodann las man in einer Bilanz von 60 Jahren Grundgesetz im
Neuen Deutschland: Diese Wehrpflicht und die Bundeswehr wären mit
ihrem Verteidigungsauftrag schon seit 1949 Bestandteil des
Grundgesetzes gewesen, was mit nichten zutrifft. Das schrieb ein
prominenter Vertreter der Friedensbewegung. Und ein Professor und
Historiker schrieb in der Jungen Welt, die erste tiefgreifende
Einschränkung des Grundgesetzes sei 1968 mit der Einführung der
Notstandsgesetze erfolgt - von der Zäsur 1956 mit der Einführung
der Bundeswehr und mit der entsprechenden Änderung des
Grundgesetzes hatte der Historiker wohl noch nichts gehört. Und
schließlich fanden wir im Internet größere Betrachtungen von
"Linken", in denen der antimilitaristische und
antifaschistische Konsens von 1945 einfach geleugnet wird - und auch
die Tatsache, daß dieser 1949 durchaus Eingang ins Grundgesetz
fand, und zwar in den Artikeln für Sozialisierung, für
Grundrechte, gegen Angriffskriege, für die Rechtsvorschriften gegen
Militarismus und Nationalsozialismus.
Es geht im www besonders gegen Max Reimann (Widerstandskämpfer,
VVN-Mitbegründer und Ex-MdB wie auch KPD-Vorsitzender). Der habe
sich gar nicht um einen antifaschistischen Konsens gekümmert, dem
das Grundgesetz auch nicht zugrunde liege. Erst nach dem KPD-Verbot
hätten er und KPD/DKP sich zum GG bekannt und die PDS, heute
DieLinke, noch viel später.
Wir fanden nun Texte, die die Wahrheit über Reimanns Position
enthalten und auch aus der Zeit seiner Jugend Schlüssiges bieten:
Was alles geschehen kann, wenn die Arbeiterbewegung nicht die
Wehrpflicht bekämpft. (Siehe Extra-Datei mit Auszügen aus der Max
Reimann-Biografie "Streiflichter aus dem Leben eines
Kommunisten" von Franz Ahrens, Hamburg 1968)
KPD und Grundgesetz
In www.forum-recht-online.de/hp/pdf/Hefte/FoR0902_043_pueschel.pdf
wird behauptet: "Dass die Behauptung, im Grundgesetz
werde ein zur Zeit seiner Erarbeitung bestehender antifaschistischer
(und sozialistischer) Konsens aufbewahrt, eine rückwärtige
Projektion politischer Wünsche ist, macht nichts so deutlich wie
die Sichtung kommunistischer Quellen aus der Zeit zwischen 1945 und
1955. Die KPD, die wie keine andere Partei daran interessiert
gewesen sein müsste, Antifaschismus und zumindest optionalen
Sozialismus zu Verfassungsprinzipien der BRD zu machen, bekämpfte
das GG auf das erbittertste. Max Reimann, für die KPD Mitglied im
Parlamentarische Rat, erwähnt in seinen Schriften nicht einmal,
dass das GG antifaschistisch und sozialismusfreundlich gestaltet
wurde. Er wirft dem Parlamentarischen Rat vor, nicht eine
demokratischen Verfassung, sondern die "Restauration der
monopolkapitalistischen Gesellschaftsordnung" zu besiegeln.
Angesichts des oben skizzierten Antifaschismus-Verständnisses
schließt dies einen antifaschistischen Charakter des GG explizit
aus. Erst das weitere Schicksal der KPD gab den Anstoß für die
Entwicklung der hier kritisierten GG-Interpretationen. 1956
proklamierte die KPdSU das Prinzip der ‚friedlichen Koexistenz'
zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten. Für die KPD
bedeutete dies, dass der Übergang zum Sozialismus nun durch den
parlamentarischen Kampf um Abgeordnetenmandate anzustreben war, was
eine grundlegende Akzeptanz der Verfassungsordnung voraussetzte. Am
17. August 1956 schließlich wurde die KPD vom
Bundesverfassungsgericht verboten. Die Legalisierung einer
kommunistischen Partei in der BRD war nur unter der Bedingung eines
Bekenntnisses zur verfassungsmäßigen Ordnung möglich. So wandelte
sich unter dem Druck des Parteiverbotes das Verhältnis der KPD zur
Verfassung grundlegend, sie bekannte sich schließlich zu einem in
ihrem Sinne interpretierten GG, was die legale Neukonstituierung der
DKP 1968 mit ermöglichte."
Was sagte Max Reimann im
Parlamentarischen Rat?
Er sagte dies bei der Verabschiedung des
Grundgesetzentwurfes:
"Sie meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit
dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir
unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir
Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es
angenommen haben!" (aus: Max Reimann, Aus Reden und Aufsätzen
1946-1963, Berlin 1963, S. 147)
Im oben zitierten Webdokument des Forum Recht heißt es weiter:
"Neben dem Interesse der PDS, sich als legitimer Teil des
demokratischen politischen Spektrums zu präsentieren, gibt es einen
weiteren Grund für die Renaissance der Theorie vom
antifaschistischen GG. Nämlich die im Rahmen des ‚Kampfes um die
Straße' durchgeführten Nazi-Aufmärsche, vor allem im Osten
Deutschlands. Bemühungen, diese zu verbieten scheitern regelmäßig
am Grundrecht der Versammlungsfreiheit, auf das sich auch Neonazis
(sofern es sich nicht um verbotene Strukturen handelt) berufen
können.
Hier bot die ‚antifaschistische' Auslegung des GG, die der
radikalen Rechten den Schutz verfassungsmäßiger Grundrechte
abspricht, scheinbar einen Ausweg an. Doch dass die Theorie vom
antifaschistischen GG praktisch-taktisch unbrauchbar für
juristische Auseinandersetzungen ist, weil sie zwar allgemeine
Bekenntnisse bietet, aber zu konkreten juristischen Analysen nichts
beitragen kann, weil sie auf einer hohen Abstraktionsebene alle
Wünsche erfüllt, aber nicht einmal konkrete Fragestellungen zu
konkreten verfassungsrechtlichen Problemen liefert, ist schon früh
kritisiert worden. Dies ist auch in der PDS/Linkspartei erkannt
worden. Zu diesem Erkenntnisgewinn dürfte eine höchstrichterliche
Auseinandersetzung über die Frage beigetragen haben, inwieweit sich
Nazis auf Grundrechte aus der Verfassung berufen können. Das OVG
Münster hatte 2000/2001 das Verbot von Naziaufmärschen durch
lokale Versammlungsbehörden mit der Begründung bestätigt, dass
diese Demonstrationen die ‚öffentliche Ordnung' gefährdeten.
Dabei sei die ‚öffentliche Ordnung' von der Werteordnung des
Grundgesetzes geprägt, die eine Absage an auf Rassismus,
Kollektivismus und Führerprinzip gründende Ideologien beinhalte,
welche deshalb nicht unter den Schutz der Demonstrationsfreiheit
fielen. Das Bundesverfassungsgericht verwarf diese Rechtsprechung
wiederholt unter Rückgriff auf eine liberale Interpretation des
Versammlungsrechtes, wonach neonazistische Auffassungen nicht von
vornherein aus dem Schutzbereich der Versammlungs- und
Meinungsfreiheit herausfielen und eine dem Grundgesetz immanente
Schranke gegen neonazistische Meinungsäußerungen nicht existiere,
denn solange Rechtsgüter anderer nicht gefährdet werden, seien die
Bürger frei, auch grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu
stellen. Damit ist eine ‚antifaschistische Auslegung' des
Grundgesetzes höchstrichterlich verworfen worden. Wer tatsächlich
NPD und Kameradschaften den Schutz der Versammlungsfreiheit
entziehen will, und nicht nur hilf- und folgenlos eine
nichtdurchsetzbare Grundgesetzauslegung predigen möchte, ist somit
gezwungen, eine auf Verfassungsänderungen hin orientierte Politik
zu verfolgen, wozu sich die PDS/Linkspartei schließlich auch
entschloss."
Seine Gegner können nicht auskommen, ohne Max Reimann zu
verfälschen (siehe dort) oder das Oberverwaltungsgericht Münster
(OVG) und seinen Präsidenten Michael Bertrams zu verbiegen. Was
Bertrams meint:
Michael Bertrams (Münster), höchster Richter
von NRW (r.). Er bekam mit seiner antifaschistischen
Grundgesetzauslegung nun Recht beim
Bundesverfassungsgericht. Seine Auslegung stimmt mit der
Losung überein: „Faschismus ist keine Meinung, Faschismus
ist ein Verbrechen.“ |
Höchste Gerichte entscheiden: Der
Nazismus ist keine Meinung, sondern ihm wird vom Grundgesetz eine
entschiedene Absage erteilt
Der Vorsitzende des Landesverfassungsgerichtes und des obersten
Verwaltungsgerichts OVG Münster, Dr. Michael Bertrams, schreibt in
der "Neuen Juristischen Wochenschrift" Nr. 44/2004 (siehe
Homepage www.nrw.vvn-bda.de) in einer
Polemik gegen den ehem. Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem:
"Das Grundgesetz ist ein Gegenentwurf zur Barbarei der Nazis.
Nazismus ist keine missliebige Meinung, sondern ihm wird vom
Grundgesetz eine entschiedene Absage erteilt."
Die VVN-BdA NRW hatte sich zu dem vom höchsten
Verwaltungsgericht von NRW dringend befürworteten entschiedenen
Vorgehen gegen Neonazis bekannt, und sie begrüßte es, daß dies
auch der Petitionsausschuß des Landtags tat. Der Petitionsausschuß
wies zugleich zustimmend auf die umfangreiche Rechtssprechung des
Oberverwaltungsgerichts Münster - u.a. vom 2. März und 30. April
2001 - hin, nach der sich eine rechtsextremistische Ideologie auch
nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren lässt
(Beschluss des OVG NRW, Az 5 B B 585/01; siehe auch Briefe des
Petitionsausschusses des Landtages vom 11. 10. 02 und 28.09.01 an
die VVN-BdA NRW).
Jetzt trat eine Wandlung ein. Das BVerfG trat auf die Position
des OVG Münster über. Am 18. 11. 2009 berichtet das Neue
Deutschland laut dpa über das Wunsiedel-Urteil des BVerfG:
Wegen der besonderen Geschichte Deutschlands gilt laut Gericht
hier - in der Frage der Meinungsfreiheit für Nazis - eine Ausnahme.
"Angesichts des Unrechts und des Schreckens, den die
Naziherrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht
habe", enthalte das Grundgesetz in diesem Punkt eine Ausnahme
vom Verbot, ein Sonderrecht gegen bestimmte Meinungen zu schaffen.
"Das Grundgesetz kann weithin geradezu als Gegenentwurf zu dem
Totalitarismus des national-sozialistischen Regimes gedeutet
werden."
Also: Pro-totalitaristische Meinungsäußerungen können erlaubt
sein, totalitärer Faschismus aber nicht.
Siehe www.bundesverfassungsgericht.de
|