28.01.10
Max Reimann: "Streiflichter aus dem
Leben eines Kommunisten" I
Auszüge aus der Max
Reimann-Biografie "Streiflichter aus dem Leben eines
Kommunisten" von Franz Ahrens, Hamburg 1968
Max Reimann (31.10.1898 – 18. 1. 1977),
Werftarbeiter, Bergmann, Politiker. Antifaschistischer
Widerstandskämpfer, im KZ Sachsenhausen von den Nazis
eingekerkert. Mitbegründer der VVN-BdA in NRW (gehörte
ihrem ersten Landesvorstand an). Er war Vorsitzender der KPD
und Mitglied des Parlamentarischen Rates, der das
Grundgesetz schuf. Im Internet stehen Fälschungen über
sein Wirken, die wir hiermit richtig stellen.
Bild: www.maxreimann.com/ |
Es kamen das Jahr 1914 und der Krieg
Ich sehe noch heute das Bild, wie aus der Kommandantur Offiziere
mit ihren Pickelhauben heraustraten und verkündeten, daß
Mobilmachung sei.
Ich arbeitete noch immer auf der Werft. Wir hatten den Krieg
schon dadurch kommen sehen, daß wir merkten, mit welchem Hochdruck
die Rüstung vorangetrieben wurde.
Mit Ausbruch des Krieges wurde mittels Greuelpropaganda die
Stimmung angeheizt, der Chauvinismus im Volke entfacht. So meldeten
die Zeitungen, es seien französische Agenten nach Deutschland
gekommen, die das Trinkwasser vergiftet hätten, um so ein
Massensterben unter dem deutschen Volke zu verursachen. Das war nach
dem Westen hin.
Nach dem Osten hin wurde bei uns folgende Behauptung verbreitet:
Kosakenverbände seien in Ost- und Westpreußen eingebrochen,
hätten Kinder auf ihre Lanzen gespießt und Frauen die Brüste
abgeschnitten. Eine unwahrscheinliche Haßpropaganda - wie wir heute
sagen würden. So wurde der Nationalismus entfacht.
Was uns aber als schwerstes traf, war folgendes: man hatte uns
gelehrt, wenn es Krieg gibt, werden wir gegen diesen Krieg sein. Es
gab internationale Beschlüsse, dazu, denen die sozialdemokratische
Parteiführung zugestimmt hatte.(1)
Nun kam der Kriegsausbruch und wir warteten auf eine Entscheidung
der Parteiführung: setzt euch zur Wehr, bekämpft diesen Krieg!
Stattdessen kam: "Wir lassen in der Stunde der Gefahr das
eigene Vaterland nicht im Stich." Das ermöglichte Kaiser
Wilhelm 11., in Berlin pathetisch zu erklären:
"Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch
Deutsche."
Das war der größte Schlag, den die sozialdemokratische
Parteiführung dieser stolzen Partei und der gewaltigen deutschen
Gewerkschaftsbewegung versetzte. Wir waren niedergeschlagen, wir
wußten nicht mehr, was wir machen sollten. Vor allem Karl
Liebknecht hat uns dann Halt und Zuversicht gegeben.
Die Mehrzahl der Kollegen wurde sofort eingezogen. Wir Lehrlinge
und die älteren Arbeiter blieben.
Ich war damals 16 Jahre alt. Wir fanden uns zusammen und
beratschlagten, was zu tun sei. Dieses Zusammenkommen war in unserer
reaktionären Gegend gar nicht so einfach. Überall in Deutschland
war zum Beispiel eine politische Jugendorganisation der
Sozialdemokratischen Partei erlaubt, nur bei uns nicht. In
Westpreußen war sie verboten.
Wir hatten uns deshalb auf die Gewerkschaftsarbeit verlegt und so
war ich in der Gewerkschaftsjugend tätig geworden. Voll wirksam
eigentlich ab 1914. Ich war zwar schon vorher Mitglied, hatte mich
auch an allem beteiligt. Aber als dieser Verrat kam und der Krieg da
war, wurden ja auch viele Gewerkschaftsfunktionäre eingezogen und
wir mußten nun natürlich in Funktionen einspringen. Wir haben das
gerne getan. Wir haben verstärkt in den Gewerkschaften gearbeitet
und gegen den Krieg agitiert.
Das mußte man mit der gebotenen Vorsicht tun, denn es war
Kriegsrecht, Standrecht. Wir wurden von führenden Funktionären im
Sinne Karl Liebknechts informiert und unterstützt, und wir haben
uns bemüht, antiimperialistische Arbeit zu leisten, für den
Frieden tätig zu werden.
Ich muß aber gleich sagen: die Möglichkeiten waren zunächst
gering, Unsere Arbeit wurde durch die Kriegshysterie, die die Massen
ergriffen hatte, außerordentlich erschwert, Viele Menschen kannten
einfach nicht mehr klar denken. Sie waren durch die Hurra-Propaganda
der kaisertreuen Zeitungen, der Heimatblätter und Generalanzeiger
in einen nationalistischen Begeisterungstaumel versetzt worden. Die
Manipulierung der öffentlichen Meinung, wie man heute zu sagen
pflegt, ist ja nicht erst eine Erfindung des Axel Cäsar Springer.
"In 14 Tagen ist alles vorbei! Dann haben wir Paris, dann
haben wir Petersburg. Weihnachten spätestens sind wir wieder zu
Hause!"
Das waren die allgemeinen Parolen und Ansichten. Wie anders es
gekommen ist, wissen wir alle.
Im ersten Kriegsjahr war von einer größeren Wirkung unserer
Tätigkeit gegen den imperialistischen Krieg nicht viel zu spüren.
Die Menschen sahen die furchtbaren Auswirkungen des Krieges noch
nicht. Dadurch, daß der Parteivorstand der SPD die Kriegführung
des Kaisers und seiner Generale unterstützte, wurden
selbstverständlich auch in der Sozialdemokratischen Partei große
Teile, ja die Mehrheit der Mitglieder und Funktionäre von
nationalistischer Verblendung erfaßt.
Ich will damit zeigen, wie gefährlich Nationalismus und
Chauvinismus sind. Den meisten Menschen wurde gar nicht bewußt,
daß sie ins Unglück hineinschritten. Sie glaubten, daß es hier um
Deutschland gehe, um's Vaterland, und daß alles rasch mit einem
glorreichen Sieg beendet werde.
In ihrer Auffassung wurden sie dadurch bestärkt, daß es so
schien, als ob alle Reichstagsparteien geschlossen und einstimmig
für den Krieg seien.
Karl Liebknechts Kampf gegen den Krieg
Dabei hatte es sofort leidenschaftlich warnende Stimmen von
verantwortungsbewußten Politikern und hervorragenden
Arbeiterfunktionären gegeben, vor allem von dem
SPD-Reichstagsabgeordneten und Berliner Rechtsanwalt Dr. Karl
Liebknecht, von Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und
Franz Mehring.
Selbst in der SPD-Reichstagsfraktion gab es am Vorabend des 4.
August 1914 - dem Tag, an dem im Reichstag tatsächlich ohne
Gegenstimme die ersten Kriegskredite bewilligt wurden - heftige
Auseinandersetzungen. Eine einflußreiche Gruppe der
Rechtsopportunisten trat für die Bewilligung ein und war
entschlossen, es über diese Frage sogar zur Spaltung der Partei
kommen zu lassen. 14 Abgeordnete entschieden sich in der
Fraktionssitzung gegen eine Bewilligung und Karl Liebknecht forderte
mit Nachdruck, die Fraktion solle zu Kampfaktionen gegen den Krieg
aufrufen, Doch dann wurde die Debatte abgewürgt, die Gegner der
Kreditbewilligung wurden mit allen Mitteln cm der Diskussion
gehindert, und durch Fraktionszwang wurde erreicht, daß am
nächsten Tag in der Reichstagssitzung niemand gegen die
Kriegskredite stimmte.
Für oder gegen die Kriegskredite
Über diese komplizierte Situation schrieb Liebknecht 1916 In
seinen "Betrachtungen und Erinnerungen aus ,größter
Zeit'" schon damals:
"Heute ist es nur bei Anspannung aller Gedächtniskraft
möglich, sich in die taktische Lage zurückzuversetzen, die am 4.
August 1914 für die Fraktionsmitglieder von der Minderheit bestand.
Der Abfall der Fraktionsmehrheit kam selbst für den Pessimisten
überraschend; die Atomisierung des bisher überwiegenden radikalen
Flügels nicht minder. Die Tragweite der Kreditbewilligung für die
Umschwenkung der gesamten Fraktionspolitik in's Regierungslager lag
nicht auf der Hand: Noch bestand die Hoffnung, der Beschluß vom 3.
August 1914 sei das Ergebnis einer vorübergehenden Panik und werde
alsbald korrigiert, jedenfalls nicht wiederholt und gar übertrumpft
werden. Aus diesen und ähnlichen Erwägungen, allerdings auch aus
Unsicherheit und Schwäche, erklärte sich das Misslingen des
Versuchs, die Minderheit für ein öffentliches Separatvotum zu
gewinnen.
Nicht übersehen werden darf dabei aber auch, welche heilige
Verehrung damals noch der Fraktionsdisziplin entgegengebracht wurde,
und zwar am meisten vom radikalen Flügel, der sich bis dahin in
immer zugespitzterer Form gegen Disziplinbrüche oder
Disziplinbruchsneigungen revisionistischer Fraktionsmitglieder hatte
wehren müssen ...
Nach aller Überlieferung gab es nur ein Mittel, seine von der
Mehrheit abweichende Meinung zu vertreten und nach Kräften zur
Geltung zu bringen: den Kampf in der Fraktion. Daß deren
Mehrheitsentscheidung zu respektieren sei, galt als ausgemacht. Und
diese Disziplin wurde rein formell organisatorisch aufgefaßt. Das
praktische Verständnis für ihre notwendigen Grenzen war völlig
unentwickelt...
So kam es, daß die Fraktions Opponenten am 4. August 1914 im
Plenum Fraktionsdisziplin übten.
Die Vorgänge in der Partei, die sich nach dem 4. August
abspielten, klärten die Situation gründlich und wiesen den einzig
möglichen Kurs der Opposition.
Auch ich beschränkte mich unter diesen Umständen bei der ersten
Kreditvorlage auf ihre Bekämpfung in der Fraktion, ohne zunächst -
aus vielen Gründen, noch war der innere Zusammenbruch der Partei
nicht klar zutage getreten, noch schien ein Einzelfall der Verirrung
vorzuliegen, die Fraktionsdisziplin wurde damals auch von mir noch
hochgestellt - den Kampf auch ins Plenum des Reichstags zu tragen.
Im Dezember ging ich dann, die programmzerstörende
Fraktionsdisziplin zum Teufel jagend, zur öffentlichen Ablehnung
der Kredite im Plenum des Reichstags über.'
Soweit Karl Liebknecht in seinen Nachbetrachtungen. Gestützt auf
oppositionelle Stimmungen in Partei- und Gewerkschaftsorganisationen
sowie in der Arbeiterjugendbewegung, gelang es den Linken, die Basis
'ihres revolutionären antiimperialistischen Kampfes zu erweitern.
In zahlreichen Versammlungen setzten sie sich mit den
Auffassungen der Fraktionsmehrheit auseinander. Am 21. September
1914 zog Karl Liebknecht vor den sozialdemokratischen Funktionären
Stuttgarts aus dem Verrat vom 4. August die Schlußfolgerung, daß
die Partei "von der Haut bis zum Mark regeneriert werden muß,
wenn sie das Recht nicht verwirken will, sich sozialdemokratisch zu
nennen". Leidenschaftlich rief er zum Kampf gegen den Krieg,
gegen die herrschenden Klassen und gegen die offiziellen
Parteiinstanzen auf, die die Partei zu einem Instrument der
kaiserlichen Regierung erniedrigt hatten.
In solchen Diskussionen mit den Arbeitern festigte Karl
Liebknecht seinen revolutionären Standpunkt. Es zeugt von der einem
echten Sozialisten eigenen Selbstkritik, daß er die Kritik der
Genossen in seinem Wahlkreis Potsdam-Spandau-Osthavelland und in
Stuttgart an seiner Haltung vom 4. August 1914 annahm und versprach,
fortan "einen kompromißlosen Kampf gegen den Wilhelminischen
Krieg und die Kaisersozialisten" zu führen.
Am 2. Dezember 1914 stimmte Karl Liebknecht dann als einziger
Abgeordneter im Deutschen Reichstag gegen die zweite
Kriegskreditvorlage der kaiserlichen Regierung. Er durfte dazu in
der Abstimmungsdebatte nicht sprechen. Seine Ablehnungsbegründung
wurde auf Geheiß des Reichstagspräsidenten nicht einmal, in das
amtliche Protokoll aufgenommen!
Nach dieser Abstimmung veranstalteten die Rechten in der
Sozialdemokratie ein wahres Kesseltreiben gegen Karl Liebknecht. Vom
2. bis 4. Februar 1915 tagte die sozialdemokratische
Reichstagsfraktion. Eigentlich sollte auf dieser Tagung nach dem
Willen ihres Initiators Ledebour eine Entscheidung über das
Verhalten des SPD-Abgeordneten Albert Südekum herbeigeführt
werden. Dieser hatte kurz zuvor im ausdrücklichen Auftrage der
kaiserlichen Regierung eine Reise nach Rumänien unternommen und
dort für die deutsche Kriegspartei um Unterstützung geworben (!).
Außerdem war er, gleichfalls im Regierungsauftrag, in deutschen
Kriegsgefangenenlagern vor gefangenen Franzosen mit politischen
Reden zugunsten der kaiserlichen Kriegspolitik aufgetreten.
SPD auf Kriegskurs
Die Fraktionsmehrheit betrachtete jedoch diesen bis dahin wohl
offensichtlichsten Akt der Zusammenarbeit zwischen der kaiserlichen
Regierung und den Spitzen der SPD sehr wohlwollend und - verwandelte
die Tagung in ein Verdammungsgericht gegen den entschiedensten
Fürsprecher des Kampfes für den Frieden, Karl Liebknecht! Carl
Legien versuchte sogar, den Ausschluß Karl Liebknechts aus der
Fraktion durchzusetzen. Das gelang ihm zwar nicht, aber mit 65 gegen
26 Stimmen beschloß die Fraktion einen Antrag Karl Frohmes, in dem
Karl Liebknechts Abstimmung vom 2. Dezember 1914 verurteilt und
seine Abstimmungsbegründung als "unvereinbar mit den
Interessen der deutschen Sozialdemokratie" bezeichnet wurde.
Drei Tage nach dieser Tagung, am 7. Februar 1915, wurde Liebknecht
von den Militärbehörden als Armierungssoldat zum Kriegsdienst
eingezogen. Ein bezeichnendes Beispiel, was von der angeblich
verbürgten "Unabhängigkeit" und dem Gerede, ein
Abgeordneter sei "nur seinem Gewissen verantwortlich", in
einem kapitalistischen Staat zu halten ist. Liebknecht wurde
verboten, an Versammlungen teilzunehmen sowie mündliche und
schriftliche Agitation zu treiben. Und um das Maß der
Unterdrückung für die Sprecher der Linken vollzumachen, wurde am
Iß. Februar 1915 Rosa Luxemburg ins Gefängnis geworfen, um eine
einjährige Gefängnisstrafe zu verbüßen, die gegen sie im Februar
1914 verhängt worden war.
Es scheint mir nötig, bevor ich in der Schilderung der
persönlichen Erlebnisse in Elbing fortfahre, noch einiges aus den
von Karl Liebknecht im November 1914 aufgestellten Thesen
aufzuführen, um zu zeigen, wie inmitten des allgemein verbreiteten
nationalistischen Kriegstaumels von seiten der Linken in der
deutschen Arbeiterbewegung eine glasklare, nüchterne Analyse der
wirklichen Situation gegeben wurde, in der sich das deutsche Volk
und die deutsche Arbeiterklasse in den ersten Kriegsmonaten des
ersten Weltkrieges befand.
Liebknecht schrieb damals u. a.:
"Dieser Krieg ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen
Volkes entbrannt. Er ist kein deutscher Verteidigungskrieg. Er ist
kein Krieg für eine höhere Kultur', die größten Staaten gleicher
Kultur' bekämpfen einander, und zwar gerade, weil sie Staaten der
gleichen, d. h. der kapitalistischen Kultur' sind ... Einen
Wesenszug des Imperialismus, dessen Hauptträger auf dem
europäischen Festland Deutschland ist, bildet das wirtschaftliche
und politische Expansionsstreben, das immer stärkere politische
Spannungen erzeugt.
Die unter dein Vortritt Deutschlands vollzogene militaristische
Entwicklung Europas, in der die Mächte einander in zunehmendem
Tempo zu überflügeln suchten, hatte einen Grad erreicht, der einer
Steigerung nicht mehr fähig schien. Zur Durchsetzung der immer
gewaltigeren Rüstungsvorlagen wurde der Völkerhass systematisch
genährt. Jede Anregung zur Verständigung über eine internationale
Rüstungseinschränkung wurde vor allem von dem vorantreibenden
deutschen Imperialismus abgelehnt. Eine verhängnisvolle Rolle bei
der Zuspitzung der Konflikte spielte das international versippte
Rüstungskapital, das im Zeichen des bewaffneten Friedens glänzend
gediehen war, das bei einem Krieg ohne Rücksicht auf den Ausgang
goldene Ernten erwarten durfte.
Der Militarismus erzeugte aus sich selbst noch andere mächtige
Kriegsinteressenten, eine Offizierskamarilla, die besonders in
Deutschland ungeniert auf einen kriegerischen Konflikt hinarbeitete
und selbstherrlich ihre Nebenregierung etablierte.
Die innerpolitischen Zustände hatten infolge der Zuspitzung der
nationalen und vor allem der Klassengegensätze für die
herrschenden Klassen ein immer bedenklicheres Gesicht angenommen. In
Deutschland entlockte ihnen das rapide Wachstum der
Sozialdemokratie, die ihren politischen und wirtschaftlichen
Besitzstand bedrohte, bereits vor einem halben Jahrzehnt den Ruf
nach einem Kriege als dem einzigen Mittel zur Vernichtung der
Arbeiterbewegung.
Dies en Treibereien, für die es auch in den übrigen Staaten
vielfach Gegenstücke gibt, wurde in Deutschland Vorschub geleistet
durch halbabsolutistische Verfassungszustände, die die Entscheidung
über Krieg und Frieden dem Einfluß der breiten Masse entzogen und
in der auswärtigen Politik ein durch keine Kontrolle des Volkes
begrenztes, um so mehr aber den Einwirkungen der herrschenden
Klassen unterworfenes persönliches Regiment ermöglichten ... Es
handelt sich um einen imperialistischen Krieg reinsten Wassers, und
zwar vor allem auf deutscher Seite, mit dein von mächtigsten
Kreisen beharrlich verfolgten Ziel von Eroberungen großen Stils. Es
handelt sich - vom Gesichtspunkt des Wettrüstens aus - bestenfalls
um einen von der deutschen und österreichischen Kriegspartei
gemeinsam hervorgerufenen Präventivkrieg, zu dem die Gelegenheit
günstig erschien, als die große Wehrvorlage verabschiedet und ein
technischer Vorsprung gewonnen war. Das Attentat von Sarajevo wurde
als demagogischer Vorwand ausersehen.
Der Krieg wurde in Deutschland in einer Weise inszeniert, die die
schärfste Verurteilung herausfordert. Eine überausraffinierte
Regie setzte ein, die unter rücksichtsloser Ausnutzung des
amtlichen Apparates die öffentliche Meinung beeinflußte,
verwirrte, aufpeitschte. Das deutsche Volk wurde durch ein
sentimentales Friedenskaiserspiel düpiert. Der Belagerungszustand
folgte. Die verfassungsmäßigen Grundrechte wurden aufgehoben, jede
Kritik gewaltsam und unnachsichtlich unterdrückt. Russische
Invasionen und französische Angriffe wurden vorgespielt.
Den unsinnigsten Gerüchten ließ die Regierung freien Lauf.
Halbamtlich und amtlich wurde eine schnöde Ausländerhetze
betrieben und eine, wilde Spionenfurcht entfesselt, die
Mißhandlungen harmloser Menschen, wirklicher oder vermeintlicher
Ausländer veranlaßten ...
Unter dem Schrecken des hereingebrochenen Weltkrieges und dem
Druck der Militärdiktatur wurde der Anschein einer vollständigen
Einmütigkeit des deutschen Volkes vorgegaukelt. Die Verletzung der
luxemburgischen Neutralität wurde verschleiert; die diplomatische
Vorbereitung des Überfalls auf das neutrale Belgien -
einschließlich des Ultimatums - wurde dem deutschen Volk und dem
Reichstag (!) über den 4. August hinaus verschwiegen. Unter solchen
Umständen kamen die Beschlüsse des Reichstages vom 4. August
zustande.
Die Parole ‚gegen den Zarismus' diente nur dem Zweck, die
edelsten Instinkte des deutschen Volkes für den Kriegszweck, für
den Völkerhaß zu mobilisieren, nicht aber einem Befreiungsfeldzug
für das russische Volk oder die Fremdvölker Rußlands. Deutsches
Kapital hat Rußlands Rüstungen auf ihre jetzige Höhe gebracht.
Deutschland hat die äußere Politik Rußlands in wichtigsten
Momenten unterstützt ... Kein Staat der Welt hat das zaristische
Schreckensregiment gegen das geknechtete russische Volk so gestützt
wie Deutschland. Die deutsche Regierung stand bereit selbst zur
militärischen Hilfe für den Blutzaren gegen die große russische
Revolution.' (2)
Krieg nach außen bedeutet Unrecht im Innern
Deutschland, in dem die Masse des Volkes wirtschaftlich
ausgebeutet, politisch unterdrückt, rechtlos ist, wo fremde
Nationalitäten durch Ausnahmegesetze drangsaliert werden, hat
keinen Beruf zum Völkerbefreier. Die Befreiung des russischen
Volkes muß dessen eigene Sache sein; die Befreierrolle Deutschlands
wird von ihm voll Mißtrauen abgelehnt.
In der inneren Politik wurde sofort nach Kriegsausbruch unter
Verhängung des Belagerungszustandes mit den äußersten Mitteln der
Unterdrückung vorgegangen. Scheinbare Erleichterungen, die man der
Arbeiterbewegung zuteil werden ließ, sind nur die Kehrseite ihrer
Wehrlosmachung und verfolgen den Zweck, sie in den Dienst des
Militarismus zu stellen.
Die Parteien wurden für aufgehoben erklärt - die politische
Unterdrückung, Wahlunrecht und Ausnahmegesetz blieben bestehen. Vom
Klassenkampf zu sprechen wurde verboten - die Klassengegensätze
blieben bestehen. Der Befreiungskampf des Proletariats wurde
entwaffnet - an der politischen Unterdrückung und wirtschaftlichen
Ausbeutung wurde nichts geändert. Der höchst einseitige
Burgfrieden, den man verkündete, ist nichts als eine stilistische
Umschreibung der Worte Belagerungszustand und politische
Kirchhofsruhe. Das Postulat Es gibt keine Parteien mehr!' bedeutet
nur: Anerkennung des Proletariats als gleichberechtigtes
Kanonenfutter. . .
Dem Regierungsprogramm einer Fortsetzung des Krieges bis zu einem
durch Eroberung gesicherten Frieden stellen wir entgegen die
Forderung eines schleunigen, für keines der Länder demütigenden
Friedens.
Wir rufen das deutsche Volk und die Völker der anderen
kriegführenden Staaten auf, sich zu erheben gegen den Wahnwitz, in
dem sie ihr bestes Blut für ihre Ausbeuter und Unterdrücker
verspritzen.
Im Namen der Ausgebeuteten und Entrechteten fordern wir ein Ende
dem Völkermord.
Wir hoffen, daß der Tag bald kommen wird, an dem die Proletarier
im Felde erklären werden, wir schießen nicht mehr aufeinander! Wo
sie sich über die blutgetränkten Schlachtfelder die Hände reichen
und die Macht des mordgebietenden Militarismus an dem Felsen der
internationalen Brüderlichkeit zerschellt.
Indem wir Protest erheben gegen den Krieg, seine Verantwortlichen
und Regisseure, gegen die kapitalistische Politik, die ihn
heraufbeschwor, gegen die Annexionspläne, gegen den Bruch der
belgischen Neutralität, gegen die Unmenschlichkeit der
Kriegsführung, gegen die Militärdiktatur, gegen die soziale und
politische Pflichtvergessenheit, deren sich die herrschenden Klassen
auch und gerade jetzt schuldig machen, lehnen wir die geforderten
Kredite ab."
Diese zwar etwas lang geratenen Zitate aus den Thesen Liebknechts
vom November 1914 scheinen mir nicht nur von historischem Wert. Sie
haben durchaus auch einen aktuellen Bezug zum Erkennen der heutigen
imperialistischen Kriegsvorbereitungen.
Der schwere Kampf der Linken
Rosa Luxemburg wandte sich in dieser Zeit gegen die
Beschönigungsversuche sozialdemokratischer "Theoretiker"
wie Kautsky, daß zwischen der Kriegspraxis der SPD und ihrer
Vergangenheit kein Widerspruch sei, sondern schönste Harmonie
obwalte. Die Internationale - so hatte man sich die Theorie
zurechtgelegt - hätte nur die Frage der Verhütung des Krieges
besprochen; nun aber, da "der Krieg da sei", gelte für
jedes Proletariat nur noch die Frage: ob Sieg oder Niederlage.
"Auf gut deutsch heißt das", so stellte Rosa Luxemburg
mit beißender Ironie fest, "es gibt für das Proletariat nicht
eine Lebensregel, wie es der wissenschaftliche Sozialismus bisher
verkündete, sondern es gibt deren zwei: eine für den Frieden und
eine für den Krieg. Im Frieden gelte im Innern jedes Landes der
Klassenkampf, nach außen die internationale Solidarität; im Kriege
gelte im Innern die Klassensolidarität, nach außen der Kampf
zwischen den Arbeitern verschiedener Länder. Der welthistorische
Appell des Kommunistischen Manifestes erfährt eine wesentliche
Ergänzung und lautet nun nach Kautskys Korrektur: Proletarier aller
Länder, vereinigt euch im Frieden und schneidet euch die Gurgeln ab
im Kriege!
Die Internationale wie ein Friede, der dem Interesse der
proletarischen Sache entspricht", so schloß damals Rosa
Luxemburg, "können nur aus der Selbstkritik des Proletariats
geboren werden, aus seiner Besinnung auf die eigene Macht..."
Und Clara Zetkin mahnte ebenfalls in dieser Zeit:
"Die politischen Ziele des deutschen Imperialismus und die
strategischen Maßstäbe seiner Militärs können nicht unsere
Aktionen als internationale Sozialisten bestimmen. Mit jedem Tag,
den das verderbenschwere Völkerringen länger dauert, wächst die
Notwendigkeit, ihm Halt zu gebieten um der Gegenwart und Zukunft des
Proletariats halber, die in diesem Falle geradezu handgreiflich mit
den höchsten Menschheitsinteressen zusammenfallen ...
So halten wir eine: sofortige kraftvolle Friedensaktion der
deutschen Sozialdemokratie, der deutschen Arbeiter für die
vornehmste Pflicht. Mit den Führern, wenn diese sich endlich
entscheiden; ohne sie, wenn sie noch weiter unentschlossen zögern;
gegen sie, wenn sie bremsen wollen."
Man wird nun geneigt sein zu fragen, warum denn solch klare
Einsichten wie die von Liebknecht, Luxemburg und Zetkin sich nicht
durchzusetzen vermochten in jener schweren Zeit. Die Antwort ist:
sie erreichten zunächst kaum das Ohr der Massen. Oder doch nur sehr
schwer und auf großen Umwegen.
War es angesichts der starken Verwirrung der Arbeiterklasse
ohnehin schwer, wirksame Antikriegsarbeit zu leisten, so kam hinzu,
daß die deutschen Linken fast keine Gelegenheit mehr hatten, vor
den Massen der Bevölkerung, ja nicht einmal vor den Massen der
SPD-Mitglieder gegen die Lügen der herrschenden Kreise und die
Verdrehungen der SPD-Spitze im Reichstag aufzutreten,
Ein eigenes Presseorgan besaßen sie nicht und die Möglichkeit,
ihre Auffassungen in den legalen Parteiorganen darzulegen, war ihnen
von den Rechten weitgehend genommen worden; nur wenige lokale
Parteiblätter wagten den Abdruck von Artikeln und Zuschriften der
Linken. Das "Gothaer Volksblatt" zum Beispiel, das Artikel
von Rosa Luxemburg und Franz Mehring veröffentlichte, wurde Anfang
1915 von den Militärbehörden verboten.
Ja, da selbst der Parteivorstand der SPD fast alle Bemühungen
der Linken durchkreuzte, in der sozialdemokratischen Parteipresse
die wahren Vorgänge bei der Zustimmung der Reichstagsfraktion zu
den Kriegskrediten darzulegen und gegen die Lüge von der
"Einmütigkeit" aufzutreten, mußten die führenden Linken
ausländische Zeitungen in Anspruch nehmen. In Briefen an sie
protestierten Liebknecht, Luxemburg, Mehring und Zetkin entschieden
gegen die nationalistische Verhetzung und gegen die
Einmütigkeitslegende über den 4. August in Deutschland. Durch die
in der Schweiz erscheinende "Berner Tagwacht" zum Beispiel
erhielten auch deutsche Leser von diesen Briefen und von anderen
Stellungnahmen der Linken Kenntnis. So bahnten sich die Linken trotz
aller Schwierigkeiten Wege, um zu den deutschen Arbeitern zu
sprechen und so wurden über lange Umwege überhaupt erst einmal
Einzelheiten über die Vorgänge in der entscheidenden Sitzung der
SPD Reichstagsfraktion bei Kriegsbeginn der SPD Mitgliedschaft
selbst bekannt, während das propagandistische Trommelfeuer der
Bourgeoisie und der opportunistischen Hilfspresse pausenlos weiter
auf die Massen einhämmerte.
Illegale und halblegale Tätigkeit
Unter solchen erschwerten Bedingungen setzten die Linken ihre
Arbeit nach Kriegsausbruch fort. Dabei wurde die oppositionelle,
revolutionäre Arbeiterjugend in Gemeinschaft mit älteren und
erfahrenen revolutionären Sozialdemokraten zur wichtigen Stütze.
Sie hatten zumeist nur die Möglichkeit der halblegalen und
illegalen Arbeit. Aber die nutzten sie nach Kräften, auf
Parteiversammlungen, auf Zahlabenden, in Frauenleseabenden, in
Jugendsektionsversammlungen und anderen Zusammenkünften. Man begann
auch damit, Exemplare der wenigen sozialdemokratischen Zeitungen, in
denen noch oppositionelle Stimmen zu Worte kamen, an die Front zu
versenden.
So entwickelte sich auf den verschiedensten Ebenen in der
damaligen SPD die Auseinandersetzung zwischen den auf die Position
des kaiserlichen Reiches und seiner Kriegspolitik übergegangenen
SPD-Führern und der zunächst kleinen Schar aufrecht gebliebener
revolutionärer Sozialdemokraten, die am Ideal der
Völkerverständigung, am Kampf für die Freiheit von Ausbeutung und
gegen den Krieg unerschütterlich festhielten und dafür eine sich
verbreiternde Basis in der deutschen Arbeiterschaft zu schaffen
suchten.
Angesichts der schwindenden Aussicht auf ein baldiges Kriegsende,
der schweren Opfer, die der Krieg von fast allen Familien forderte,
und der besonders einschneidenden Verschlechterung der Lebenslage
der Werktätigen, begann im Verlaufe der ersten Kriegsjahre eine
gewisse Desillusionierung der Volksmassen.
Die ersten Antikriegsaktionen in Elbing
Die erste größere Aktion gegen den Krieg, für den Frieden,
erfolgte bei uns in Elbing im Jahre 1916. Ausgangspunkt war die
Werft. Daß neben Wilhelmshaven auch Elbing in die erste Welle der
großen Antikriegsdemonstrationen einbezogen war, ist wohl als ein
Zeichen dafür zu werten, daß die Elbinger Arbeiterschaft stark
sozialistisch beeinflußt und daß das Klassenbewußtsein der
Schichauer Werftarbeiter recht hoch war. Dazu beigetragen hatte,
daß eine Reihe von Soldaten - von der Werft als Facharbeiter
angefordert - wieder zurückgekommen waren. Sie hatten "Urlaub
bis auf weiteres" bekommen und konnten dort auf der Werft
arbeiten, weil diese ausschließlich Torpedoboote baute, die
berüchtigten S-Boote. Die Lebensmittel waren immer knapper
geworden, die Arbeitszeit immer länger, 12 Stunden, 14 Stunden,
Sonntagsarbeit noch dazu. Das war die Lage auch bei uns im dritten
Kriegsjahr.
Es geschah an einem Samstag, es war Markt. Wir hatten uns
vorgenommen, den Versuch zu unternehmen, eine Aktion zu starten.
Allerdings hatten wir wirklich nicht das im Sinn gehabt, was dann
gekommen ist.
Wir wollten den Werftarbeitern sagen: So geht das nicht mehr mit
unseren Lebensmittelzuteilungen. Wir arbeiten und arbeiten von
morgens bis abends, und wenn wir nach Hause kommen, haben die
Mütter und Frauen immer weniger zum Essenkochen. Dagegen müssen
wir etwas tun.
Wir machten eine Versammlung auf der Werft, auf den einzelnen
Torpedobooten, in den Montagehallen und es wurde beantragt: Wir
demonstrieren zum Marktplatz! Gesagt, getan!
Auf dem Marktplatz waren die Bauern und boten ihre Sachen an, wie
das so üblich war. Gegen die Bauern ging es gar nicht. Es ging
einfach für mehr Essen und für die Beendigung des Krieges. Diese
Parolen wurden herausgegeben. Wir kamen zum Marktplatz, Polizei trat
uns entgegen und Elbing hatte eine ziemlich starke Polizei, eben
wegen der Werftarbeiter und der Bauarbeiter, die so revolutionär
waren. Diese Polizeibeamten stammten in der Mehrheit aus den
Garderegimentern, ausgesucht große Kerle.
Nicht mehr bekannt dürfte heute sein, daß zur Polizei damals
auch die sogenannten "Zwölfender" kamen, das heißt
diejenigen, die sich beim Militär für 12 Jahre verpflichtet hatten
und dann als Sergeant oder Feldwebel abgingen. Sie bekamen heute
würden wir sagen einen Zivilversorgungsschein, kamen zur Polizei
oder als Beamte in die Gefängnisse und in die Zuchthäuser.
Am Marktplatz war ein riesiges Polizeiaufgebot, das sofort
versuchte, die Demonstranten auseinanderzutreiben. Je mehr aber die
Polizisten mit ihren blanken Säbeln auf uns einschlugen, desto
stärker wurden wir in der Abwehr. So blieb es dann nidit nur bei
der Demonstration auf dem Marktplatz, sondern die Demonstranten
zogen jetzt in die großen Geschäftsstraßen, vor das Rathaus. Und
immer wieder schlug die Polizei dazwischen.
Es entwickelte sich daraus eine regelrechte Straßenschlacht. Sie
hat sich den ganzen Tag hingezogen. Es gab Verletzte und viele
Verhaftungen.
Aber wir haben auch etwas erreicht. Jedenfalls bekamen wir eine
Sonderzulage für Lebensmittel. Das war schon etwasl
Bald danach wurden alle jungen Männer im Alter von 17 Jahren
gemustert. Ich mußte auch hin. Unsere Einstellung war klar: Wir
waren gegen den Militarismus, gegen das System. Aber wenn wir schon
Soldaten werden mußten, so dachten wir, dann ist es für uns
Elbinger "Ehrensache", bei der Marine zu sein. Ich wurde
also auch gemustert und für die Marine eingeschrieben, für die
Werftdivision. Die erste Division bestand aus den Matrosen, die zu
den Panzerkreuzern gingen, und bei der Werftdivision waren die
Spezialeinheiten auf den Torpedobooten und technische Einheiten.
Gemustert und dennoch gewerkschaftlich tätig
Ganz kurze Zeit danach gab es wieder eine Demonstration. Ich, war
inzwischen in die Gewerkschaftsjugendleitung gewählt worden und
kraft dieser Funktion nun stärker beteiligt an der Führung, dieser
Demonstration.
Seit der ersten Demonstration war die Lage noch schlechter
geworden. Überall griff der Krieg in das Schicksal der Familien
ein; dort war einer gefallen und hier gab's eine
Vermißten-Nachricht. Die Zeitungen veröffentlichten eine jeden Tag
größer werdende Verlustliste, Kreuze, Kreuze, Kreuze!
All das wirkte natürlich auf uns. Für wen sterben diese
Menschen alle? - haben wir gefragt. Für die Generaldirektoren?,
für den Kaiser Wilhelm? Warum und weshalb? Zu diesen bohrenden
Fragen als Ausgangspunkt kam der Hunger hinzu.
Es war wiederum ein Markttag. Die Losung war ausgegeben worden:
Demonstration!
Die Beteiligung war sehr groß seitens der Arbeiterschaft; denn
ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht - alle waren wir in Not.
Auch viele Frauen beteiligten sich wieder und man weiß ja - wenn
Frauen einmal mitmachen, sind sie oft viel beharrlicher und
energischer bei der Sache als die Männer. Es waren alles arme
Frauen, die die Not mit auf die Straße trieb. Die Kinder kamen
hungrig nach Hause und die Mütter konnten ihnen manchmal nichts als
ein bißchen aufgekochtes Korn geben,
Bei dieser Demonstration ging es einen Schritt weiter als bei der
ersten. Die ganze Erbitterung der Bevölkerung hatte sich gegen die
Werft-Direktion aufgestaut. Sie war für uns das Symbol für die
Ausbeuterherrschaft, für die Kriegsgewinnler. Gegen sie richtete
sich aller Hass.
Damals gab es noch kaum Autos. Üblich waren riesige Rollwagen
mit zwei oder vier Pferden davor. Wir nahmen uns solch einen
Rollwagen, trabten zur Direktion, packten die ganze Sippschaft -
fast alles Marineoffiziere, nur einige Zivilisten - auf den Wagen
und ab ging's mit Hurra und Karacho, hin zum Marktplatz, Dort wurde
der Wagen umgekippt und die Direktoren flogen der Länge nach hin.
Das war nicht gerade glimpflich, aber der ganze Zorn der
Bevölkerung entlud sich ja gegen diese Ausbeuter Direktion.
Inzwischen war folgendes geschehen. Als die russischen
Kriegsgefangenen, von denen etwa 10.000 auf der Werft im
Arbeitseinsatz waren und schon die erste Demonstration gesehen
hatten, das Spektakel auf der Werftdirektion miterlebten, schlossen
sich viele unserem Demonstrationszug an.
Friedensdemonstration zusammen mit den Kriegsgefangenen
Das war meines Wissens einer der ersten Fälle, daß russische
Kriegsgefangene sich an solch einer Antikriegsaktion beteiligten.
Man muß sich vor Augen halten: als Kriegsgefangene! Für sie galt
Standrecht! Trotzdem haben sie mitgemacht!
Nachdem die Demonstration beendet war, hatten wir Sorge, was
jetzt mit den russischen Kriegsgefangenen würde. Unsere erste
spontane Reaktion auf der Werft war:
"Wenn euch etwas geschieht, steht die Bude still, dann
werden wir streiken!"
Doch nichts geschah. Keinem passierte etwas. Zu kraftvoll war die
Demonstration der Einigkeit gewesen!
Auch in meiner Kolonne - ich war damals schon Nieter - waren zwei
russische Kriegsgefangene. Ich habe leider die Namen vergessen. Der
eine war Leningrader - Petersburg hieß es ja damals noch -, ein
Schlosser, der die Nieten warmmachen mußte. Der andere war Bauer,
er hat die warmen Nieten zugereicht.
Nun war es so, daß in der Sozialdemokratischen Partei, aber auch
in den Gewerkschaften nicht alle Mitglieder mit den
Antikriegs-Aktionen einverstanden waren, denn die Haltung der
Parteiführung, die die Kriegskredite bewilligt hatte, übte ihre
verhängnisvolle Wirkung aus. Die damalige Gewerkschaftsführung
stand noch weiter rechts als der Parteivorstand der SPD, ganz im
Gegensatz zu heute.
Es war also gar nicht so einfach bei der SPD und den
Gewerkschaften. Hier konnten wir uns nur mit Beharrlichkeit, mit
Ruhe und mit besserer Überzeugungskraft durchsetzen.
Die Auseinandersetzungen in den Gewerkschaften und in der SPD
blieben natürlich nicht unter uns. Sie kamen auch jenen Arbeitern
zu Ohren, die nicht Mitglieder der SPD waren, die nicht in den
Gewerkschaften waren.
Sie kamen auch. zu den russischen Kriegsgefangenen, Einige hatten
in der Zwischenzeit schon ein bißchen Deutsch gelernt. Es gab auch
viele, vor allem jüdische Menschen, qualifizierte Arbeiter, die
sprachen schon von der Schule her deutsch, und die hatten natürlich
erfahren, was los war.
Wir diskutierten eifrig mit ihnen und bei einer dieser
Diskussionen sagte auf einmal der von mir erwähnte Schlosser aus
Petersburg zu mir:
"Weißt du, besser ist, deutsche Genossen machen so wie
Bolschewiki in Rußland. Bolschewiki in Rußland die Rechten an Wand
gedrückt, haben Mehrheit."
Da hörte ich das erste Mal das Wort Bolschewiki, das in meiner
späteren Parteiarbeit für mich und für alle Kommunisten eine
solch große Bedeutung bekommen sollte. Damals haben wir erst
erfahren, was in der Sozialdemokratischen Russischen Partei los war,
daß die "Bolschewik!" -die dortigen Linken - über die
"Menschewiki", die den Rechten in unserer SPD entsprachen,
gesiegt hatten, während es in der deutschen Sozialdemokratie
andersherum ging - die Rechten hatten die Mehrheit und drückten die
Linken raus.
Prompt kam der Gestellungsbefehl
Etwa vier Wochen nach unserer letzten Demonstration bekam ich den
Gestellungsbefehl. Das war damals so üblich: jeder, der nicht den
Willen der Direktion oder des Unternehmers durchführen wollte,
wurde einfach zu den Soldaten abkommandiert. So wir auch - mit 60
Mann von der Werft, junge und ältere.
In Marienburg lag das Bezirkskommando, Dort mußten wir uns
melden. Ein Feldwebel, ein Hauptmann und ein Arzt saßen da. Die
haben uns aber gar nicht untersucht; wir wurden einfach eingezogen.
Ich kam ran, legte meinen Musterungsbeschluß auf den Tisch. Der
Hauptmann guckte sich das an, zog die Stirne kraus und sagte:
"Was, Du sollst zur Marine?"
Ich sagte: "Jawohl, Herr Hauptmann!" Daraufhin er zu
mir: "Ich will Dir mal was sagen, von der Marine kannst Du von
Deiner Sorte noch einige abholen."
Bei der Marine waren seiner Meinung nach schon genug
Revolutionäre, Sozialisten und Gewerkschafter.
Er schnarrte also nur noch: "Kv 1, Infanterie!''(3)
Wie ich so bin, hab' ich natürlich protestiert. Na, hat der mich
da angebrüllt! Hinter mir schubsten sich schon die Genossen und die
anderen, die dort mit eingezogen waren, weil sie der Meinung waren,
wenn der den Zorn jetzt von dem da erweckt, dann kriegen sie auch
noch was ab.
Mein Krachschlagen nützte natürlich nichts. Ich bekam einen
Tritt dorthin, wo ich keine Nase habe, und schon befand ich mich bei
der Infanterie.
Ich kam zum Infanterie-Regiment 148, von dem ein Bataillon in
meiner Heimatstadt Elbing lag. Dort erfolgte die Ausbildung. Doch
nicht nur diese allein. Es geschahen auch andere Dinge, bösere.
"Max, wir schießen nicht!"
Eines Tages waren wir auf dem Truppenübungsplatz und auf einmal
gab es Alarm. Die Kompanie mußte zusammentreten und wir bekamen den
Marschbefehl in die Kaserne. Zunächst haben wir uns dabei nichts
Besonderes gedacht. Kaum waren wir in der Kaserne, hieß es: scharfe
Munition empfangen, Sturmgepäck fertigmachen.
Dies geschah alles in wenigen Minuten. Die Kompanien traten
wieder auf dem Kasernenhof an und marschierten aus der Kaserne.
Zunächst dachten wir, daß an der Ostfront irgendein Durchbruch
gewesen wäre, der abgestoppt werden sollte durch den Einsatz neuer
Soldaten. Aber wir marschierten nicht zum Bahnhof, sondern wir
nahmen Kurs auf die Stadt. Das machte uns stutzig.
Wir kamen in die Stadt und sahen riesige Polizeiaufgebote und
große Massendemonstrationen. In meiner Gruppe war ich der einzige
Preuße; alle anderen waren Elsässer und Lothringer. Es war bewußt
so organisiert in der kaiserlichen Armee, daß die Elsässer und
Lothringer möglichst weit von ihrer Heimat Militärdienst machen
mußten. Denen traute man nicht. Man bezeichnete sie als
"unsichere Kantonisten".
Als wir sahen, was in der Stadt los war, - ich selbst hatte das
ja nun, als ich noch gearbeitet hatte, zweimal miterlebt und wußte
natürlich, daß die Werftarbeiter wieder gegen den Krieg und für
mehr Essen demonstrierten - da geschah etwas, was mich auch später
immer wieder sehr, sehr beeindruckt hat. Die Elsässer sagten zu
mir:
"Max, wir schießen nicht." Ich habe darauf gesagt:
"Ich auch nicht."
Wir rückten näher und kamen in die Menschenmassen. Nun geschah
etwas für den deutschen Militarismus Ungewöhnliches. Der
Hauptmann, der zu Pferde war, wurde von uns abgedrängt, wir sahen
nur noch, wie er vom Pferd herunterstürzte. Das Kommando ging an
den ältesten Chargierten und das war ein Feldwebel.
Doch nun kommt das Außergewöhnliche. Dieser Feldwebel
kommandierte: "Kompanie halt! Setzt die Gewehre zusammen! Links
von den Gewehren wegtreten!"
Das Kommando war kaum ausgeführt, da brachen die Werftarbeiter
und die Frauen in die Gewehrpyramiden ein und hatten somit die
Waffen in der Hand. Und wir als Soldaten standen da, umringt von
einer tobenden und wÜtenden Menge, die immer wieder rief:
"Essen! Essen!" und "Frieden!"
Da ich geborener Elbinger war, auf der Schichau Werft gearbeitet
und dort gewerkschaftliche Funktionen, vor allem in der
Jugendorganisation, bekleidet hatte, erkannten mich natürlich auch
viele der Demonstranten. Sie tiefen mir zu: "Max, das ist
richtig, daß ihr nicht schießt!" Gut und schön, aber wir
wußten doch auch genau, was kommen würde, wenn wir ohne Gewehre
dastehen. Natürlich, das Kommando war vom Feldwebel gegeben worden,
aber letztendlich war ja jeder Soldat selbst für sein Gewehr
verantwortlich. Es war ein geflügeltes Wort: "Das Gewehr ist
die Braut des Soldaten", und so sollte er auch auf sie
aufpassen.
Wir haben deshalb mit den Arbeitern und mit den Frauen - soweit
wir konnten - verhandelt, ihnen gut zugeredet. Einen Teil der
Gewehre haben wir auch wiederbekommen, einen Teil aber auch nicht.
Der Krawall wurde immer größer und wir machtloser. Gegen Abend
trat dann Ruhe ein und wir marschierten wieder in die Kaserne, ein
Teil mit und ein Teil ohne Gewehre.
Nun kam, was bei den Preußen unweigerlich kommen mußte: der
Feldwebel wurde eingesperrt und die Soldaten ohne Gewehre auch. Ich
war mit dem größten Teil der Elsässer unter den Glücklichen, die
nicht eingesperrt wurden, weil wir unsere Braut im Arm hatten.
Das war am Samstag gewesen. Am Sonntag gab es wieder Alarm. Wir
marschierten hinaus und natürlich stand bei uns fest: es wird nicht
geschossen.
Wir hatten andere Offiziere, andere Feldwebel bekommen, die
Unteroffiziere waren geblieben. Wir marschierten aber nicht auf den
Marktplatz, sondern zu einer Gasanstalt. Dort lagerte Kohle und
Koks. Das Werk hatte ein Eingangstor, auf das eine Straße
zuführte, die von Häusern flankiert war, etwa 400 Meter lang.
Dorthin kamen wir und sahen Schreckliches. Hunderte von Frauen,
Kindern, vereinzelt auch ältere Männer drängten sich in dieser
Sackgasse und wollten das Tor aufbrechen, um Kohle und Koks zu
holen, weil es bitter kalt war. Das Tor hielt stand.
Wir Soldaten riefen: Frieden Frieden!
Es wurde weiter gedrängt, immer weiter und immer fester. Frauen
schrien auf vor Schmerzen und einige, auch Schwangere sind in diesem
furchtbaren Gedränge sogar zu Tode gedrückt worden.
Wir jungen Soldaten standen ratlos da. Wir waren ja alle kaum 17
18 Jahre alt. Immer wieder riefen die Frauen: "Gebt uns zu
essen, gebt uns Feuerung, damit wir nicht erfrieren! Macht Schluß
mit dem Krieg, wir wollen Frieden!" und: "Gebt uns unsere
Männer zurück!" Uns Soldaten riß es mit und auch wir riefen:
"Frieden! Frieden!" Schließlich gab das Tor doch nach,
die Frauen stürzten auf die Kohle- und Kokshaufen, machten sich
soviel sie tragen konnten - ihre Säcke voll und gingen ruhig nach
Hause.
Bei uns Soldaten wuchs der Haß gegen diesen Krieg, gegen die,
die ihn angezettelt und auch gegen jene, die ihn unterstützten.
Es kam der Tag heran, da es an die Front ging. Ich kam zuerst
nach Belgien auf einen großen Truppenübungsplatz, wo die Einheiten
zusammengefaßt und dann in die Regimenter geschickt wurden. Ich kam
in das Infanterieregiment 455.
Längere Zeit habe ich den Stellungskrieg mitmachen müssen. Dann
wurde ich abkommandiert zur Eisenbahn, zum Transportdienst im
rückwärtigen Gebiet.
Ich bekam Typhus. Man brachte mich ins Lazarett nach Malmedy und
von dort aus in ein großes Seuchenlazarett an der Maas. Dort
erreichte uns die Nachricht von der russischen Oktoberrevolution.
Erster Funkspruch der Oktoberrevolution: "Frieden!
Frieden!"
Nach nun schon drei Jahre währendem imperialistischen
Völkermorden hatten sich die Arbeiter und Bauern Rußlands gegen
ihre Ausbeuter und Unterdrücker erhoben und selbst die Macht und
die Geschicke des Landes in die Hand genommen. Ihr erster Funkspruch
an die Welt hieß: Frieden! Frieden! Frieden!
Was dieses welthistorische Ereignis auch für den Befreiungskampf
der deutschen Arbeiterklasse bedeutete, wurde von den Linken in
Deutschland sofort erkannt. Schon am 11. November 1917 schrieb Karl
Liebknecht, daß der "ungeheure Prozeß der sozialen und
wirtschaftlichen Revolutionierung Rußlands" bereits "im
Beginn vor unbegrenzten Möglichkeiten" stehe, "weit
größer als die große französische Revolution."
Rosa Luxemburg nannte in einem Brief aus dem Gefängnis die
Oktoberrevolution "eine weltgeschichtliche Tat, deren Spur in
Äonen nicht untergehen wird". Und in einem Artikel in der
"Leipziger Volkszeitung" schrieb Clara Zetkin schon am 16.
November 1917: "Das Friedenswerk der russischen Revolution hat
für die Völker eine neue, entscheidungsschwere Situation
geschaffen. Der Friede ist in greifbare Nähe gerückt, wenn die
heiße Friedenssehnsucht der Völker sich zum bewußten
Friedenswillen zusammenballt, der Geschichte macht, wie er sie
machen muß."
Die "Leipziger Volkszeitung" gab übrigens bereits in
ihrer Ausgabe vom 9. November 1917 - also schon zwei Tage nach dem
Sturm auf das Winterpalais in Petrograd, der das Tor zur Macht des
ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf dieser Erde aufstieß das
folgende erste Echo in Deutschland mit den Worten wieder:
"Mit fiebernder Spannung wird das Proletariat Deutschlands
die weitere Entwicklung der Dinge in Rußland verfolgen. Mit all
seinen Sympathien wird es auf der Seite der kämpfenden
Klassengenossen des großen Ostreiches stehen.
Der Sieg des Proletariats in Rußland wäre ein gewaltiger
Erfolg, der die Arbeiterbewegung der ganzen Welt befruchten müßte.
Und dieser Erfolg wäre zugleich ein gewaltiger Fortschritt der
Friedensarbeit.
Aber natürlich kann der Frieden nicht das Werk der russischen
Arbeiter allein sein. Die neue Phase der russischen Revolution
bedeutet eine erneute ernste Verpflichtung der deutschen
Arbeiterklasse wie der aller anderen am Krieg beteiligten
Länder."
Und am 14. November schrieb die gleiche Zeitung: "Mit
unserem ganzen Herzen sind wir deutschen Proletarier in dieser
Stunde mit unseren kämpfenden russischen Genossen."
Damit wurden wohl auch genau die Gefühle ausgedrückt, die der
junge, eben neunzehnjährig gewordene Soldat Max Reimann empfand,
als ihn und seine kranken und verwundeten Kameraden im Lazarett die
Nachricht von der Oktoberrevolution erreichte.
Was ist zu tun? war sein Gedanke wie der aller linken
Sozialdemokraten in Deutschland, das sich Ende 1917 in einer tiefen
wirtschaftlichen und politischen Krise befand. Die militärische
Lage hatte sich - trotz der Erfolge gegen die zerfallende russische
Armee und an der italienischen Front - immer aussichtsloser
gestaltet. Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg, der den schnellen
Sieg über England bringen sollte, war gescheitert. Die ökonomische
und militärische Überlegenheit der gegnerischen Verbündeten, vor
allem seit dem Kriegseintritt der USA im April 1917, trat immer
deutlicher in Erscheinung. Deutschland und seine Verbündeten
hingegen befanden sich schon im Zustand großer Erschöpfung. Der
Krieg hatte bereits Millionen Tote, Verwundete und Krüppel
gefordert.
Im Geiste des Spartakus
In ihren "Spartakusbriefen" und in illegalen
Flugblättern rief die Spartakusgruppe, zu der sich die führenden
Linken um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Leo
Jogiches und Wilhelm Pieck zusammengeschlossen hatten, die deutschen
Arbeiter und Soldaten auf, dem Beispiel der russischen
Oktoberrevolution zu folgen, denn "der allgemeine Friede läßt
sich ohne Umsturz der herrschenden Macht in Deutschland nicht
erreichen."
Über diese Zeit berichtet Max Reimann:
Wir haben bei jeder sich bietenden Gelegenheit den anderen
Soldaten vor Augen geführt, daß es doch besser für alle wäre,
dieses sinnlose Morden einzustellen und den Frieden herbeizuführen.
In unsere Agitation und Propaganda in der Armee vor allem wirkte
sehr stark die Revolution in Rußland hinein. Durch sie wurde unsere
Aktivität sehr angespornt.
Nun darf man sich keineswegs vorstellen, daß in einer
kaiserlichen Armee dies alles so einfach war.
Freunde zu finden, Gesinnungsgenossen zu finden, schon das war
schwer. Jeder suchte, doch Vorsicht war geboten. Denn wenn die
Offiziere einen Spartakisten oder Sympathisierenden ausfindig
machten, wurde der unweigerlich festgesetzt. Ihm drohte
Festungshaft, wenn nicht gar mehr. Ich hatte in meiner Einheit solch
einen Freund gefunden. Er war ein Berliner und von Beruf Stukkateur.
Regelmäßig bekam er kleine Feldpostpäckchen. Darin waren getarnt
Spartakusbriefe und andere Agitationsmaterialien von der Leitung des
Spartakusbundes eingebaut.
Begierig haben wir dies alles im Unterstand bei einer kleinen
Talgfunzel gelesen.
Diese Gedanken haben wir vorsichtig an andere Soldaten
weitergegeben. So kam's, daß wir nach geraumer Zeit mehrere
Kameraden für unsere Ideen gewannen.
Es handelte sich dabei nicht etwa um eine Organisation des
Spartakusbundes. Wir fühlten uns einfach als Spartakisten, weil
das, was in den Spartakusbriefen und in den anderen
Agitationsmaterialien geschrieben war, unsere Auffassung war.
Die Disziplin in der Armee ließ nach.
1918 haben wir an der Westfront erfahren, wie es vor der
Oktoberrevolution 1917 an der Ostfront zur Verbrüderung von
deutschen und russischen Soldaten gekommen war.
Im Laufe des Jahres 1918, vor allem im Sommer und im Herbst, gab
es dann auch Verbrüderungsszenerien an der Westfront; zunächst
kleinere, dann größere.
Auch zwischen Soldaten und der Zivilbevölkerung in der Etappe,
in die ich versetzt worden war, gab es so etwas.
In der November-Revolution von 1918
Dann kam die November Revolution 1918 in Deutschland, die sich
schon in den großen Streiks - vor allem in der Rüstungsindustrie -
und bei den Lebensmittelunruhen während der Jahre 1917 und 1918 in
fast allen deutschen Industriezentren angekündigt hatte.
Es gibt Ereignisse in der Geschichte unseres Volkes, die von
großer Tragweite für die ganze nachfolgende Entwicklung sind. Zu
ihnen zählen die Novemberrevolution von 1918 - die größte
revolutionäre Massenbewegung in Deutschland nach dem deutschen
Bauernkrieg - und die in ihrem Verlauf erfolgte Gründung der
Kommunistischen Partei Deutschlands, die eine grundlegende Wende in
der deutschen Arbeiterbewegung einleitete.
Die in Deutschland seit der Jahrhundertwende zur Lösung
drängenden Widersprüche hatten sich durch den Verlauf des Krieges
noch mehr verschärft. Je länger der Krieg dauerte und je
aussichtsloser er wurde, desto mehr nahmen die Kriegsmüdigkeit und
die Friedenssehnsucht großer Teile des deutschen Volkes zu. Unter
dem Einfluß der Februarrevolution und der Oktoberrevolution in
Rußland entwickelte sich in Deutschland eine revolutionäre
Massenbewegung.
Besonders die Oktoberrevolution, die die Epoche des Übergangs
vom Kapitalismus zum Sozialismus einleitete, übte auf die weitere
Entwicklung des Klassenkampfes in Deutschland einen großen Einfluß
aus, da in Deutschland die gleichen Widersprüche zur Lösung
drängten, die in der Oktoberrevolution gelöst wurden.
Für die Linken hatte sich im Verlaufe der Entwicklung in den
Kriegsjahren das Fehlen einer eigenen Parteiorganisation immer
stärker fühlbar gemacht, Sie schlossen sich zur Gruppe
Internationale zusammen, die sich später zur Spartakusgruppe
entwickelte. Karl, Liebknecht formulierte die Kampflosung der
revolutionären Vereinigung: "Der Hauptfeind steht im eigenen
Land!"
Auf der Reichskonferenz der Spartakusgruppe am 7. Oktober 1918
wurde das Programm für die sich entwickelnde Volksrevolution in
Deutschland beschlossen. Das Programm war das Ergebnis einer
gründlichen Analyse der politischen Situation in Deutschland und
orientierte die Arbeiterklasse auf die sofortige Beendigung des
Krieges, auf den revolutionären Kampf für demokratische Rechte und
Freiheiten und auf den Sturz des deutschen Imperialismus und
Militarismus. Es war geeignet, mit seinen konsequenten
antiimperialistischen, demokratischen Forderungen große Teile der
Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen für seine
Verwirklichung in Bewegung zu bringen.
Den Entwicklungsbedingungen entsprechend und angesichts des
bestehenden Kräfteverhältnisses der Klassen, mußte zunächst die
demokratische Revolution zum Siege geführt werden; das hieß, den
Militarismus zu vernichten, den Staatsapparat zu säubern und die
für den Krieg verantwortlichen Kräfte des Monopolkapitals und des
Junkertums zu enteignen. Erst nach Erfüllung dieser Aufgaben hätte
man zur sozialistischen Revolution übergehen können.
Die Revolution, die am 3. November 1918 mit dem bewaffneten
Aufstand der Matrosen und Arbeiter in Kiel ausgebrochen war, hatte
sich - übrigens gegen den Willen und den Widerstand der Führung
der SPD - in wenigen Tagen über den größten Teil Deutschlands
ausgebreitet und Kaiser, Könige und Fürsten hinweggefegt.
Es war eingetreten, was Friedrich Engels bereits 1887
vorausgesagt hatte: "Ein von Preußen-Deutschland entfesselter
Weltkrieg könne nur enden mit dem "Zusammenbruch der alten
Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die
Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand
sich findet, der sie aufhebt."
Millionen deutscher Arbeiter und andere Werktätige bildeten
Arbeiter- und Soldatenräte. Diese nahmen in vielen Orten die Macht
in ihre Hände.
Die Haupttriebkraft der Revolution war die Arbeiterklasse;
zahlreiche Angehörige anderer Schichten schlossen sich dem Kampf
für sofortigen Frieden, für die Beseitigung der Monarchie und des
Militarismus an.
Wie sah die November Revolution nun bei uns in der Truppe aus?
Die Armee weigerte sich einfach weiterzukämpfen. Große Teile
jedenfalls. Wir wurden von dieser Welle mitgerissen. Für uns gab es
nur ein Streben: die Offiziere absetzen, Soldatenräte schaffen und
nach Hause! Ein kleines Erlebnis: Ich war stationiert in Longwy.
Dort war ein Feldflugplatz, auf dem etliche Landezeichen aus Stoff
ausgelegt waren, rote, weiße usw.
Unsere Abteilung kam auf dem Rückmarsch an diesen Flugplatz. Wir
standen alle noch unter militärischem Kommando. In meiner Freude,
ein bißchen unbedacht zwar, habe ich von dieser roten
Fliegerleinwand Streifen abgerissen und den Pferden der Bagagewagen
rote Schleifen am Halfter eingebunden und auch kleine rote Fahnen
zurechtgeschnitten, an einem Stock befestigt und auf die Bagagewagen
gesetzt.
Die Soldaten und auch die Unteroffiziere haben dazu nichts
gesagt. Zum Teil freuten sie sich, zum anderen Teil sagten sie: Ach,
blast uns doch den Buckel lang, endlich ist Schluß, wir gehen nach
Hause.
Das gefiel aber den Offizieren nicht und auf einmal hieß es:
Halt! Die Soldaten wurden zusammengenommen und der Offizier - es war
ein Major - fragte: "Wer hat diese roten Schleifen den Pferden
angebunden und die roten Fahnen gemacht?"
Zunächst Stillschweigen. Wir waren ja im Felde, wir unterstanden
dem Standrecht. Alles schwieg. Ich natürlich auch. Nach langem Hin
und Her meldete sich ein Unteroffizier und sagte: "Er, der
Soldat Max Reimann."
Ich mußte vortreten, dann wurde mir von dem Major eine
fürchterliche Standpauke gehalten. Zum Schluß sagte er: "Wenn
wir auch jetzt eine Regierung der Volksbeauftragten haben, die
Volksbeauftragten haben festgelegt, daß das Kommando in den Händen
der Generale und Offiziere bleibt!" (Die obersten von allen
waren v. Ludendorff und v. Hindenburg!) Weiter donnerte er:
"Hier ist Kriegsrecht! Standrecht! Ich habe den Befehl und auch
die Möglichkeit, Sie auf der Stelle erschießen zu lassen! Aber ich
sehe davon ab, Sie sind noch sehr jung, unerfahren. Ich werde Sie
nicht erschießen lassen, aber Sie werden von der Truppe abgesetzt
und dürfen sich hier nicht mehr sehen lassen!''
Jetzt stand ich da. Die Truppe marschierte ab und ich war allein.
Na, ich bin dann ein paar Stunden alleine gewandert, das Gewehr
hatten sie mir abgenommen. Nach einer Weile kam eine Pionierkompanie
anmarschiert.
Ich dachte, wartest mal ein bißchen, setzte mich in's Gras und
ließ die Pionierkompanie an mich herankommen. Auf einmal riefen
Soldaten: "Na, Landser, was machste denn da? Hast du
schlappgemacht? Komm mal, es geht jetzt nach Hause, der Krieg ist zu
Ende! Komm!" Sanitäter kamen gelaufen.
Ich sagte, mir fehle gar nichts.
"Ja, was hast du denn, warum sitzt du hier?" Ich
erzählte ihnen, wie es mir ergangen ist.
"Ach", sagten sie, "komm mal her!" Jetzt kam
ich zu deren Kompanie. Die Offiziere hatten keine Achselstücke
mehr, die Eisernen Kreuze, hatten die Soldaten am Stock, die
Kokarden der Offiziere waren weg und die Kokarden der Unteroffiziere
und Soldaten auch. Prima, dachte ich, da gehst du mit. Was ich dann
auch tat. Es hat mir sehr gut gefallen. Wir haben gesungen, damit
das Marschieren leichter wird, keine Soldatenlieder mehr, sondern
Volkslieder. Wir marschierten bis zum Bahnhof. Von dort wollten wir
nach Hause fahren. Doch das war leichter gedacht als getan.
Auffällig auf dem Bahnhof war, daß ein Kommando Marine dort die
Befehlsgewalt hatte. Gewöhnlich hatten die Matrosen ein schwarzes
Mützenband, auf dem die Einheit zu lesen war, zu der sie gehörten,
SMS soundso. Dieses SMS aber war mit einem roten Tuch verdeckt. Für
mich war klar: das waren rote Matrosen, die in Kiel, Wilhelmshaven,
Hamburg und anderen Städten die Revolution durchgeführt hatten1
Diese Matrosen waren wohl von der Heimat in die großen
französischen Eisenbahnzentren geschickt worden und nach Belgien,
um dort die Revolution bei den Soldaten nicht nur zu propagieren,
sondern sie auch durchzuführen.
Mir schoß ein Gedanke durch den Kopf: du wirst zu einem dieser
Matrosen hingehen und wirst sagen: Ich bin ein Spartakist und ich
möchte so schnell wie möglich nach Hause, um bei der Revolution zu
helfen.
Ich überlegte. Überlegte hin und her, und dann faßte ich Mut
und ging zu einem Matrosen, der an der Bahnsteigkante stand und
sagte:
Arbeiter- und Soldatenräte wurden gebildet
"Hör' mal, Kamerad", - und stotterte, ich sei der und
der und wolle dort und dort hin. Er guckte mich an und sagte:
"Das ist ja großartig, Genosse! In zwei Stunden geht ein Zug
ab nach Berlin, mit diesem Zug fährst du mit!"
So geschah es auch. Ich fuhr nach Berlin und von dort weiter nach
Elbing. Dort war schon ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet
worden. Viele kannten mich. Ich reihte mich ein und half mit, in
Elbing die Revolution durchzuführen und für die Macht der
Arbeiter- und Soldatenräte zu sorgen. Das war in Elbing nicht allzu
schwer, denn Elbing hatte, wie ich schon sagte, eine revolutionäre
Arbeiterschaft. Schnell beherrschten wir die Stadt. Wir setzten ein
vorläufiges Parlament ein und eine richtige Kommunalverwaltung, die
für Verpflegung und Arbeit sorgte, damit das Leben weitergehen
konnte.
In Berlin waren inzwischen verhängnisvolle Entscheidungen
gefallen. Das Schlimmste war, daß die Ebert-Regierung, die erste
aus den November-Ereignissen hervorgegangene Regierung der Republik,
der sogenannte "Rat der Volksbeauftragten", schon in den
Novembertagen ihren Pakt mit dem intakt gebliebenen kaiserlichen
Generalstab schloß, den imperialistischen Staatsapparat und die
kapitalistische Eigentumsordnung unangetastet ließ.
Schon am 10. November, keine vierundzwanzig Stunden nach der
Ausrufung der Republik, vereinbarte Ebert mit General Groener, dem
Vertreter der Obersten Heeresleitung, ein gemeinsames Vorgehen gegen
die Revolution. Das Ziel dieses Bündnisses war, wie der General
1925 im Münchener Dolchstoßprozeß aussagte, "die restlose
Bekämpfung der Revolution, Wiedereinsetzung einer geordneten
Regierungsgewalt, Stützung dieser Regierungsgewalt durch die Macht
einer Truppe und baldigste Einberufung einer
Nationalversammlung." Zu diesem Zweck sollten zehn
zuverlässige Divisionen aufgestellt und mit voller militärischer
Ausrüstung nach Berlin in Marsch gesetzt werden, um zunächst in
der Hauptstadt die Arbeiter und Soldatenräte, die wirklichen
Vertreter des Volkes, und die revolutionären Kräfte
niederzuwerfen.
Hindenburg setzt auf Ebert: Gegen den "Terrorismus"
Noch am selben Tag, dem 10. November 1918, gab
Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, des abgedankten Kaisers
oberster Feldherr, telegrafisch an alle Heeresgruppen und
Armeeoberkommandos bekannt, daß die Oberste Heeresleitung mit
Friedrich Ebert zusammengehen werde, "um die Ausbreitung des
terroristischen Bolschewismus in Deutschland zu verhindern".
Auf Verlangen der Obersten Heeresleitung ordnete die Regierung
bereits am 12. November an, daß die Befehlsgewalt der kaiserlichen
Offiziere in der Armee wiederherzustellen sei. Die Soldatenräte
sollten nur noch beratende Stimme in Fragen der Verpflegung, des
Urlaubs und der Verhängung von Disziplinarstrafen haben (!).
So war schon von Anbeginn an der Keim zum Stopp der Revolution
gelegt worden.
Dadurch, daß die Ebert Regierung dem Volk als die Regierung
erscheinen konnte, die mit dem Sturz der Hohenzollern Monarchie dem
deutschen Volke den Frieden gebracht hatte, war für die breiten
Massen die Hauptfrage, die sie zu Beginn der Revolution in Bewegung
gebracht hatte, die Beendigung des Krieges, gelöst. Die Mehrzahl
der Arbeiter glaubte den Versicherungen der rechten Führer der SPD,
die weiteren - vor allem sozialen - Aufgaben könnten nun ohne
revolutionäre Kämpfe auf dem Weg parlamentarischer Wahlen gelöst
werden.
In den Fragen der Staatsmacht, der Grundfrage jeder Revolution,
gab es die größten Unklarheiten in den Reihen der deutschen
Arbeiterklasse und der Räte. Sie glaubten, daß mit dem Sturz der
Monarchie, der Errichtung der Republik und mit der Einführung des
allgemeinen Wahlrechts bereits die politische Macht erobert und die
Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen waren.
Wenn wir also einmal rückschauend zusammenfassen, dann müssen
wir feststellen: Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland brachte
wichtige Ergebnisse. Die Hohenzollern-Monarchie und die zahlreichen
Dynastien in den Einzelstaaten wurden gestürzt, die Republik wurde
errichtet. Der Achtstundentag wurde durchgesetzt. Wichtige
demokratische Rechte und Freiheiten, wie die Rede-, Versammlungs-
und Koalitionsfreiheit, wurden erkämpft. Obwohl günstige
Bedingungen dafür vorhanden waren, wurde die Revolution nicht zu
einer grundlegenden Wende, in der Geschichte der deutschen Nation.
Die Arbeiterklasse erlitt eine Niederlage und konnte nicht einmal
die bürgerlich-demokratische Revolution zu Ende führen, geschweige
denn diese in die sozialistische Revolution hinüberleiten.
Die auf die Tagesordnung der Geschichte gestellten großen
Aufgaben, der Sturz des Imperialismus und Militarismus und die
Schaffung eines friedliebenden, demokratischen und sozialistischen
Deutschlands blieben unerfüllt. Ihrem Charakter nach blieb die
Novemberrevolution eine bürgerlich-demokratische Revolution, die im
gewissen Umfange mit proletarischen Mitteln und Methoden
durchgeführt wurde. Nicht zerschlagen wurde der kapitalistische
Staatsapparat, unangetastet blieben die ökonomischen
Machtpositionen des Industrie- und Finanzkapitals wie auch des
feudalen Junkertums auf den Rittergütern. Nicht ausgerottet wurden
die Wurzeln des eroberungslüsternen deutschen Imperialismus. Der
Kaiser war wohl gegangen worden, aber die Krupp, Siemens, Stinnes
und die Generale waren geblieben.
Der durch das Abkommen Ebert/Groener intakt gelassene Generalstab
hatte bereits Anfang Dezember 1918 mit der Aufstellung von
Freiwilligenverbänden - den sogenannten Freikorps - begonnen, um
wieder "zuverlässige Truppen" gegen die Revolution
einsetzen zu können.
Bei uns wurden die "Baltikumer" mit Freikorpsleuten
aufgefüllt. Sie sollten die Revolution in Estland, Lettland,
Litauen zerschlagen. Gegen sie setzte nun in Elbing unser Kampf ein.
Es kam aber noch etwas hinzu. Nach einem Erlaß des Rates der
Volksbeauftragten sollten zwar alle Soldaten, Unteroffiziere,
Feldwebel und auch Offiziere aus der alten Armee entlassen werden,
nur die Jahrgänge 1898 und 1899 nicht. Sie sollten - unter ihren
alten Offizieren - in den Kasernen bleiben.
Nun setzte von uns ein Kampf an zwei Fronten ein. Einmal mit
aller Kraft gegen die Freikorps, die gegen die junge Sowjetunion in
Marsch gesetzt wurden, und das andere Mal der Kampf um unsere
Entlassung.
Spartakusgruppen in allen Kompanien
In der Kaserne hatten wir als Freunde und dann schon als
Mitglieder des Spartakusbundes eine erfolgreiche Aktion gemacht. In
allen Kompanien waren nicht nur Räte, sondern waren auch Gruppen -
wenn auch kleine - vom Spartakus. Hinzu kam, daß ja die SPD da war
und nun auch die USPD(4) entstanden war. Genossen aus diesen Parteien
halfen uns. Ein ganzes Netz von Zellen des Spartakusbundes gab es
und viele Verbindungen zu den USPD-Leuten, die genau unserer Meinung
waren: Gegen die Baltikumer und für die Entlassung.
So setzte eine Bewegung ein, wie ich sie noch nie erlebt hatte.
Viele Soldaten verließen die Kaserne, störten sich nicht an dem
Erlaß der Volkskommissare und der Generale.
Wir aber blieben zunächst dort, erfüllt von unserem Auftrag,
dahin zu wirken, daß niemals wieder eine imperialistische Armee
entstünde.
Doch dann geschah etwas Neues: Durch den in Vorbereitung
befindlichen Versailler Vertrag sollte Danzig zum Freistaat gemacht
werden. Ein Korridor sollte Ostpreußen vom übrigen Reichsgebiet
abtrennen.
Unser Regimentsstab kam nun auf die Idee, uns an die geplante
Grenze dieses Korridors zu schicken. Wir haben zunächst - scheinbar
- mitgemacht. Doch am Zug angekommen, haben wir zu den Offizieren
gesagt: "Auf Wiedersehen, meine Herren, das machen wir nicht
mit!" Fast alle gingen wir nach Hause, nur die wenigsten
blieben bei den Offizieren.
Im Feuer der Revolution wurde die KPD gegründet
Der Spartakusbund unter der Führung von Karl Liebknecht und Rosa
Luxemburg hatte sich in der Novemberrevolution als die
konsequenteste Kraft der deutschen Arbeiterklasse und der gesamten
Nation erwiesen. Jedoch konnte der heldenhafte Kampf der deutschen
Linken die Kraft einer selbständigen marxistischen Partei nicht
ersetzen. Das Fehlen einer revolutionären Partei war neben der
Paktiererpolitik der rechten Führer der SPD Lind USPD die
entscheidende Ursache dafür, daß die deutsche Arbeiterklasse in
der Novemberrevolution ihre historische Mission nicht erfüllen und
der deutsche Imperialismus und Militarismus seine Herrschaft retten
konnte.
Erst im Feuer der Novemberrevolution um die Jahreswende 1918/19
wurde von solchen hervorragenden Führern der deutschen
Arbeiterbewegung wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring,
Clara Zetkin, Leo Jogiches, Wilhelm Pieck und Fritz Heckert die
Kommunistische Partei Deutschlands gegründet.
Die Gründung der KPD war das wichtigste Ergebnis der
Novemberrevolution und zugleich die Krönung des langjährigen
heroischen Kampfes der revolutionären Linken in der deutschen
Arbeiterbewegung gegen Imperialismus, Militarismus und Krieg, gegen
den Opportunismus, für die Klasseninteressen der deutschen
Arbeiterklasse und die nationalen Lebensinteressen unseres Volkes.
Die Gründung der KPD war ein Wendepunkt in der Geschichte der
deutschen Arbeiterbewegung und des ganzen deutschen Volkes. Es gab
jetzt in Deutschland wieder eine revolutionäre Partei, deren
Programm auf den Lehren von Marx und Engels beruhte, in der die
großen revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung,
die von den rechten sozialdemokratischen Führern preisgegeben
worden waren, fortgeführt wurden.
Das Tragische war, daß die KPD schon gleich nach ihrer Gründung
ihre besten Führer verlor.
Der Terror der kaiserlichen Polizei, Justiz und Militärbehörden
gegen den Spartakusbund wurde von den Noske-Banden gegen die junge
KPD und alle revolutionären Kämpfer der Arbeiterklasse fortgesetzt
und zum offenen Mordpogrom gesteigert. Am 15. Januar 1919, nur 16
Tage nach der Gründung der KPD, wurden Rosa Luxemburg und Karl
Liebknecht von konterrevolutionären Söldnern verhaftet und
meuchlings ermordet.
Ihr Tod war ein schwerer Verlust für die deutsche und
internationale Arbeiterbewegung. In vielen Orten Deutschlands kam es
in den darauffolgenden Tagen zu großen Protestversammlungen,
-Kundgebungen und -Demonstrationen gegen den konterrevolutionären
Terror. Man forderte die strenge Bestrafung der Mörder und ihrer
Hintermänner, häufig auch die Beseitigung der mit den kaiserlichen
Generalen paktierenden Ebert-Scheidemann-Regierung.
Am 29. Januar 1919, vier Tage nach der Beisetzung Karl
Liebknechts und 31 ermordeter Januarkämpfer, die sich zu einer
Massendemonstration der Berliner Arbeiterschaft unter Teilnahme von
Arbeiter Delegationen aus ganz Deutschland gestaltete, traf die
junge KPD ein neuer herber Verlust: Franz Mehring starb.
Ein Jahr in Festungshaft
Ich war also nach Hause gekommen. Da erschien eines Morgens - es
war Anfang Januar 1919 - ein Polizist und fragte meine Mutter, ob
ihr Sohn da sei.
"Welcher Sohn?" hat sie gefragt, "ich habe vier;
welchen meinen Sie?"
"Den Max."
"Ja, der ist zu Hause."
"Könnte ich den mal sprechen?" "Ja."
Meine Mutter holte mich und der Polizist sagte: "Mein lieber
Freund, Du bist verhaftet."
Ich fragte: "Warum? Ich habe doch gar nichts Unrechtes
getan. Was ich gemacht habe, das ist im Sinne der Revolution, der
Novemberrevolution."
"Ja, Du und viele andere, Ihr habt Fahnenflucht begangen.
"
Ich sagte: "Vor welcher Fahne sind wir denn geflohen, vor
welcher? Zeigen Sie uns die Fahne!"
Er konnte mir keine Antwort geben. Er murmelte nur etwas von
"unerlaubter Entfernung von der Truppe", das wären
spartakistische Umtriebe. Also hin und her, er packte mich
schließlich am Schlafittchen und zerrte mich aus der Wohnung
heraus. Unten standen ein paar Freikorpsleute, die mich in ihre
Mitte nahmen, mit aufgepflanztem Bajonett. Es gab ein Riesentheater
und empörte Rufe der Menschen. Aber mit gefälltem Gewehr haben sie
sich freie Bahn geschaffen und mich zur Kaserne gebracht.
Da half kein Protestieren des Arbeiter- und Soldatenrates der
Stadt, der mich ja kannte. Die Offiziere gaben mich nicht frei.
Der Arbeite- und Soldatenrat kam sogar mit allen Mitgliedern zur
Kaserne und verlangte, mich freizulassen, weil ich nichts Unrechtes
getan hätte und weil das, was ich getan hätte, durchaus in ihrem
Sinne gewesen wäre. Sie seien der Arbeiter - und Soldatenrat, der
hier die Verantwortung hätte.
Doch der Gerichtsoffizier sagte nur:
"Arbeiter- und Soldatenrat? Die Verantwortung habe ich! Ich
bin Offizier und ich bekomme meine Befehle von meinen höheren
Dienststellen und letztendlich vom General!"
Hier war der beste Beweis, wer schon wieder die Macht in den
Händen hatte. Nicht der Arbeiter und Soldatenrat! Und das zwei
Monate nach der Revolution!
So war die Novemberrevolution durch rechte Führer der SPD
abgewürgt worden. In Verhandlungen zwischen ihnen und den
Monopolherren und in Ost- und Westpreußen mit den
Rittergutsbesitzern, den Grafen und Baronen, die nicht nur ihre
Güter, sondern auch ihre Macht behielten.
Ich wurde zu einem Jahr Festungshaft verurteilt. Man höre und
staune: vom Feldkriegsgericht der 41. Infanterie-Division in
Marienburg. Das war alles noch intakt, der ganze militärische
Apparat. Er war nie entmachtet worden!
Ich kam nach Königsberg ins Festungsgefängnis Vorstein und habe
dort das Jahr Festung abgemacht.
Dort waren ungefähr 400 Gefangene. Zum Teil politische, zum Teil
auch andere, aber es war eine verhältnismäßig starke
Spartakusgruppe dort, die aus gleichen oder ähnlichen Gründen wie
ich verurteilt worden war. Auch Sozialdemokraten, die als Soldaten
im Arbeiter- und Soldatenrat wirksam waren. Sie waren wegen "Plünderei"
(!) angeklagt worden, weil sie in einem Betrieb zum Generaldirektor
gesagt hatten: "Jetzt wird so produziert, wie wir es für
richtig halten!"
Der Leiter unserer Spartakusgruppe war ein Maat. Er war von der
"Goeben". (Dieses Schiff hatte im Ozean Kaperfahrten
gemacht.) Er war auch wegen solcher Geschichten wie wir angeklagt
und verurteilt worden. Drei Jahre hatte er bekommen.
Damals war - wie gesagt - die KPD schon gegründet und wir hatten
unsere Mitgliedskarten erhalten. Natürlich im Festungsgefängnis
illegal. Diese Mitgliedskarte war unser ganzer Stolz. Schön sah sie
aus: eine steife Karte, und darauf stand: Kommunistische Partei
Deutschlands, dahinter in Klammern: Spartakusbund und darunter:
Mitgliedskarte. Ich habe sie in der Nazizeit leider nicht retten
können.
Im November des Jahres 1919 beschloß die Parteileitung auf der
Festung unter Leitung dieses Maats von der "Goeben" die
Verbindung nach außen aufzunehmen. Ich bekam den Auftrag, mich
krank zu melden, um so nach Königsberg zu kommen. Dort sollte ich
eine Adresse erhalten, an die ich mich wenden könnte, um die
Verbindung herzustellen.
,Ja, welche Krankheit sollte ich mir aussuchen, welche? Das
Nächstliegende: Zahnschmerzen. Ich hatte aber ein wirklich
prachtvolles Gebiß!
Morgens beim Appell trat ich vor, sagte, daß ich Zahnschmerzen
hätte. Der Festungskommandant entschied, ein Gefreiter vom
Freikorps, das die Wache stellte, sollte mich hinausbringen.
Im November lag dort schon hoher Schnee. Wir stampften vom Fort
bis nach Königsberg. Eine Stunde. Wie das so ist, die Disziplin
selbst in diesem Freikorps war nicht die einer regulären Armee. Ich
sprach mit dem Gefreiten und bat ihn, daß ich auf dem Rückweg
einen Freund aufsuchen könnte. Der Gefreite sagte: "Na gut,
das machen wir."
Ich kam nach Königsberg. Die Zahnstation war in der Kaserne des
1. Grenadier-Regiments. Dieses Regiment war berüchtigt wegen seines
kaisertreuen Offizierskorps.
Ein Offizier, der Zahnarzt war, sagte: "Platznehmen, wo
tut's weh?" Ich antwortete: "Hier und da unten."
Er guckte mich an. Wir Festungsgefangenen hatten eine Uniform
ohne Abzeichen, wir waren ja Soldaten zweiter Klasse. Wir trugen so
ein marineähnliches Jäckchen mit weißen Schulterklappen und blaue
Hosen. Er erkannte natürlich sofort, daß ich aus der Festung kam.
Dann besah er sich meine Zähne, holte sich ein Instrument und -
ohne daß ich wußte wie mir geschah - kniff er mir auf jeder Seite
zwei Kronen der Zähne ab! Ohne Betäubung! Ich habe natürlich
aufgeschrien wie ein Stier.
Jetzt saß ich da. Auf jeder Seite unten zwei Kronen abgekniffen.
Ganz benommen ging ich hinaus und erfüllte meinen Auftrag, die
Verbindung herzustellen. Wir beratschlagten noch dieses und jenes,
verständigten uns, wie und wo wir uns weiter treffen könnten. Der
Freikorps-Gefreite saß in einem anderen Zimmer und sagte nichts.
Als ich meine Sache erledigt hatte, brach ich mit ihm auf.
Eine Stunde zurück im Schnee. Das Natürlichste geschah, ich
bekam eine Kiefernvereiterung. Im Festungsgefängnis lagen wir in
Katakomben unterhalb des Wasserspiegels. Alles feucht. Das wirkte
auf die Entzündung und ich bekam wahnsinnige Schmerzen.
Da konnte ich nun die rührende Fürsorge von Genossen
kennenlernen. Unser Maat, der Leiter der Parteigruppe war, nahm mich
auf seine Pritsche und legte meinen Kopf an seine Brust. Seine
Körperwärme linderte die Schmerzen der Entzündungsherde.
Wir hatten mit den Königsberger Genossen einen Ausbruchversuch
verabredet. Dieser wurde auch durchgeführt. Im Handumdrehen war die
ganze Festungswache entwaffnet. Doch es gab einen Beschluß, daß
alle, die nur noch bis zu drei Monate abzusitzen hatten, sich nicht
aktiv an der Aktion beteiligen sollten, damit, wenn es schiefgehen
würde, nicht noch ein paar Jahre dazu kämen. Zu dieser Gruppe
gehörte auch ich, denn es war November und ich sollte im Januar
entlassen werden. Wir hatten dafür zu sorgen, daß die Schließer,
die entwaffnet waren, nicht wieder hinaus kämen.
Die Aktion mißlang aber. Viele hatten zwar fliehen können,
wurden jedoch wieder eingefangen, denn es war Kavallerie eingesetzt
worden. Es hagelte sehr hohe Strafen, nicht unter fünf Jahren.
(…..)
(1) So hieß es im Manifest des Außerordentlichen
Internationalen Sozialistenkongresses Basel vom 24./25. November
1912: "Die Internationale hat auf ihren Kongressen von
Stuttgart und Kopenhagen für, das Proletariat aller Länder als
leitende Grundsätze für den Kampf gegen den Krieg festgestellt:
,Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen
und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern
verpflichtet, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am
wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu
verhindern. Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die
Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen
Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte
wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes
auszunützen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen
Klassenherrschaft zu beschleunigen.' "
(2) Von 1905, d. Verf.
(3) Kriegsverwendungsfähig
(4) USPD = die im April 1917 gegründete "Unabhängige
Sozialdemokratische Partei Deutschland". Den Hauptanteil an der
Mitgliedschaft stellten ehemalige Mitglieder der SPD, die für den
sofortigen Frieden eintraten und sich deshalb von der den Krieg
unterstützenden Politik des SPD-Führung abgewandt hatten.
|