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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

28.01.10

Max Reimann:  "Streiflichter aus dem Leben eines Kommunisten" I

Auszüge aus der Max Reimann-Biografie "Streiflichter aus dem Leben eines Kommunisten" von Franz Ahrens, Hamburg 1968

Max Reimann (31.10.1898 – 18. 1. 1977), Werftarbeiter, Bergmann, Politiker. Antifaschistischer Widerstandskämpfer, im KZ Sachsenhausen von den Nazis eingekerkert. Mitbegründer der VVN-BdA in NRW (gehörte ihrem ersten Landesvorstand an). Er war Vorsitzender der KPD und Mitglied des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz schuf. Im Internet stehen Fälschungen über sein Wirken, die wir hiermit richtigstellen.

Max Reimann (31.10.1898 – 18. 1. 1977), Werftarbeiter, Bergmann, Politiker. Antifaschistischer Widerstandskämpfer, im KZ Sachsenhausen von den Nazis eingekerkert. Mitbegründer der VVN-BdA in NRW (gehörte ihrem ersten Landesvorstand an). Er war Vorsitzender der KPD und Mitglied des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz schuf. Im Internet stehen Fälschungen über sein Wirken, die wir hiermit richtig stellen.

Bild: www.maxreimann.com/

Es kamen das Jahr 1914 und der Krieg

Ich sehe noch heute das Bild, wie aus der Kommandantur Offiziere mit ihren Pickelhauben heraustraten und verkündeten, daß Mobilmachung sei.

Ich arbeitete noch immer auf der Werft. Wir hatten den Krieg schon dadurch kommen sehen, daß wir merkten, mit welchem Hochdruck die Rüstung vorangetrieben wurde.

Mit Ausbruch des Krieges wurde mittels Greuelpropaganda die Stimmung angeheizt, der Chauvinismus im Volke entfacht. So meldeten die Zeitungen, es seien französische Agenten nach Deutschland gekommen, die das Trinkwasser vergiftet hätten, um so ein Massensterben unter dem deutschen Volke zu verursachen. Das war nach dem Westen hin.

Nach dem Osten hin wurde bei uns folgende Behauptung verbreitet: Kosakenverbände seien in Ost- und Westpreußen eingebrochen, hätten Kinder auf ihre Lanzen gespießt und Frauen die Brüste abgeschnitten. Eine unwahrscheinliche Haßpropaganda - wie wir heute sagen würden. So wurde der Nationalismus entfacht.

Was uns aber als schwerstes traf, war folgendes: man hatte uns gelehrt, wenn es Krieg gibt, werden wir gegen diesen Krieg sein. Es gab internationale Beschlüsse, dazu, denen die sozialdemokratische Parteiführung zugestimmt hatte.(1)

Nun kam der Kriegsausbruch und wir warteten auf eine Entscheidung der Parteiführung: setzt euch zur Wehr, bekämpft diesen Krieg! Stattdessen kam: "Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich." Das ermöglichte Kaiser Wilhelm 11., in Berlin pathetisch zu erklären:

"Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche."

Das war der größte Schlag, den die sozialdemokratische Parteiführung dieser stolzen Partei und der gewaltigen deutschen Gewerkschaftsbewegung versetzte. Wir waren niedergeschlagen, wir wußten nicht mehr, was wir machen sollten. Vor allem Karl Liebknecht hat uns dann Halt und Zuversicht gegeben.

Die Mehrzahl der Kollegen wurde sofort eingezogen. Wir Lehrlinge und die älteren Arbeiter blieben.

Ich war damals 16 Jahre alt. Wir fanden uns zusammen und beratschlagten, was zu tun sei. Dieses Zusammenkommen war in unserer reaktionären Gegend gar nicht so einfach. Überall in Deutschland war zum Beispiel eine politische Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Partei erlaubt, nur bei uns nicht. In Westpreußen war sie verboten.

Wir hatten uns deshalb auf die Gewerkschaftsarbeit verlegt und so war ich in der Gewerkschaftsjugend tätig geworden. Voll wirksam eigentlich ab 1914. Ich war zwar schon vorher Mitglied, hatte mich auch an allem beteiligt. Aber als dieser Verrat kam und der Krieg da war, wurden ja auch viele Gewerkschaftsfunktionäre eingezogen und wir mußten nun natürlich in Funktionen einspringen. Wir haben das gerne getan. Wir haben verstärkt in den Gewerkschaften gearbeitet und gegen den Krieg agitiert.

Das mußte man mit der gebotenen Vorsicht tun, denn es war Kriegsrecht, Standrecht. Wir wurden von führenden Funktionären im Sinne Karl Liebknechts informiert und unterstützt, und wir haben uns bemüht, antiimperialistische Arbeit zu leisten, für den Frieden tätig zu werden.

Ich muß aber gleich sagen: die Möglichkeiten waren zunächst gering, Unsere Arbeit wurde durch die Kriegshysterie, die die Massen ergriffen hatte, außerordentlich erschwert, Viele Menschen kannten einfach nicht mehr klar denken. Sie waren durch die Hurra-Propaganda der kaisertreuen Zeitungen, der Heimatblätter und Generalanzeiger in einen nationalistischen Begeisterungstaumel versetzt worden. Die Manipulierung der öffentlichen Meinung, wie man heute zu sagen pflegt, ist ja nicht erst eine Erfindung des Axel Cäsar Springer.

"In 14 Tagen ist alles vorbei! Dann haben wir Paris, dann haben wir Petersburg. Weihnachten spätestens sind wir wieder zu Hause!"

Das waren die allgemeinen Parolen und Ansichten. Wie anders es gekommen ist, wissen wir alle.

Im ersten Kriegsjahr war von einer größeren Wirkung unserer Tätigkeit gegen den imperialistischen Krieg nicht viel zu spüren. Die Menschen sahen die furchtbaren Auswirkungen des Krieges noch nicht. Dadurch, daß der Parteivorstand der SPD die Kriegführung des Kaisers und seiner Generale unterstützte, wurden selbstverständlich auch in der Sozialdemokratischen Partei große Teile, ja die Mehrheit der Mitglieder und Funktionäre von nationalistischer Verblendung erfaßt.

Ich will damit zeigen, wie gefährlich Nationalismus und Chauvinismus sind. Den meisten Menschen wurde gar nicht bewußt, daß sie ins Unglück hineinschritten. Sie glaubten, daß es hier um Deutschland gehe, um's Vaterland, und daß alles rasch mit einem glorreichen Sieg beendet werde.

In ihrer Auffassung wurden sie dadurch bestärkt, daß es so schien, als ob alle Reichstagsparteien geschlossen und einstimmig für den Krieg seien.

Karl Liebknechts Kampf gegen den Krieg

Dabei hatte es sofort leidenschaftlich warnende Stimmen von verantwortungsbewußten Politikern und hervorragenden Arbeiterfunktionären gegeben, vor allem von dem SPD-Reichstagsabgeordneten und Berliner Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht, von Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Franz Mehring.

Selbst in der SPD-Reichstagsfraktion gab es am Vorabend des 4. August 1914 - dem Tag, an dem im Reichstag tatsächlich ohne Gegenstimme die ersten Kriegskredite bewilligt wurden - heftige Auseinandersetzungen. Eine einflußreiche Gruppe der Rechtsopportunisten trat für die Bewilligung ein und war entschlossen, es über diese Frage sogar zur Spaltung der Partei kommen zu lassen. 14 Abgeordnete entschieden sich in der Fraktionssitzung gegen eine Bewilligung und Karl Liebknecht forderte mit Nachdruck, die Fraktion solle zu Kampfaktionen gegen den Krieg aufrufen, Doch dann wurde die Debatte abgewürgt, die Gegner der Kreditbewilligung wurden mit allen Mitteln cm der Diskussion gehindert, und durch Fraktionszwang wurde erreicht, daß am nächsten Tag in der Reichstagssitzung niemand gegen die Kriegskredite stimmte.

Für oder gegen die Kriegskredite

Über diese komplizierte Situation schrieb Liebknecht 1916 In seinen "Betrachtungen und Erinnerungen aus ,größter Zeit'" schon damals:

"Heute ist es nur bei Anspannung aller Gedächtniskraft möglich, sich in die taktische Lage zurückzuversetzen, die am 4. August 1914 für die Fraktionsmitglieder von der Minderheit bestand.

Der Abfall der Fraktionsmehrheit kam selbst für den Pessimisten überraschend; die Atomisierung des bisher überwiegenden radikalen Flügels nicht minder. Die Tragweite der Kreditbewilligung für die Umschwenkung der gesamten Fraktionspolitik in's Regierungslager lag nicht auf der Hand: Noch bestand die Hoffnung, der Beschluß vom 3. August 1914 sei das Ergebnis einer vorübergehenden Panik und werde alsbald korrigiert, jedenfalls nicht wiederholt und gar übertrumpft werden. Aus diesen und ähnlichen Erwägungen, allerdings auch aus Unsicherheit und Schwäche, erklärte sich das Misslingen des Versuchs, die Minderheit für ein öffentliches Separatvotum zu gewinnen.

Nicht übersehen werden darf dabei aber auch, welche heilige Verehrung damals noch der Fraktionsdisziplin entgegengebracht wurde, und zwar am meisten vom radikalen Flügel, der sich bis dahin in immer zugespitzterer Form gegen Disziplinbrüche oder Disziplinbruchsneigungen revisionistischer Fraktionsmitglieder hatte wehren müssen ...

Nach aller Überlieferung gab es nur ein Mittel, seine von der Mehrheit abweichende Meinung zu vertreten und nach Kräften zur Geltung zu bringen: den Kampf in der Fraktion. Daß deren Mehrheitsentscheidung zu respektieren sei, galt als ausgemacht. Und diese Disziplin wurde rein formell organisatorisch aufgefaßt. Das praktische Verständnis für ihre notwendigen Grenzen war völlig unentwickelt...

So kam es, daß die Fraktions Opponenten am 4. August 1914 im Plenum Fraktionsdisziplin übten.

Die Vorgänge in der Partei, die sich nach dem 4. August abspielten, klärten die Situation gründlich und wiesen den einzig möglichen Kurs der Opposition.

Auch ich beschränkte mich unter diesen Umständen bei der ersten Kreditvorlage auf ihre Bekämpfung in der Fraktion, ohne zunächst - aus vielen Gründen, noch war der innere Zusammenbruch der Partei nicht klar zutage getreten, noch schien ein Einzelfall der Verirrung vorzuliegen, die Fraktionsdisziplin wurde damals auch von mir noch hochgestellt - den Kampf auch ins Plenum des Reichstags zu tragen. Im Dezember ging ich dann, die programmzerstörende Fraktionsdisziplin zum Teufel jagend, zur öffentlichen Ablehnung der Kredite im Plenum des Reichstags über.'

Soweit Karl Liebknecht in seinen Nachbetrachtungen. Gestützt auf oppositionelle Stimmungen in Partei- und Gewerkschaftsorganisationen sowie in der Arbeiterjugendbewegung, gelang es den Linken, die Basis 'ihres revolutionären antiimperialistischen Kampfes zu erweitern.

In zahlreichen Versammlungen setzten sie sich mit den Auffassungen der Fraktionsmehrheit auseinander. Am 21. September 1914 zog Karl Liebknecht vor den sozialdemokratischen Funktionären Stuttgarts aus dem Verrat vom 4. August die Schlußfolgerung, daß die Partei "von der Haut bis zum Mark regeneriert werden muß, wenn sie das Recht nicht verwirken will, sich sozialdemokratisch zu nennen". Leidenschaftlich rief er zum Kampf gegen den Krieg, gegen die herrschenden Klassen und gegen die offiziellen Parteiinstanzen auf, die die Partei zu einem Instrument der kaiserlichen Regierung erniedrigt hatten.

In solchen Diskussionen mit den Arbeitern festigte Karl Liebknecht seinen revolutionären Standpunkt. Es zeugt von der einem echten Sozialisten eigenen Selbstkritik, daß er die Kritik der Genossen in seinem Wahlkreis Potsdam-Spandau-Osthavelland und in Stuttgart an seiner Haltung vom 4. August 1914 annahm und versprach, fortan "einen kompromißlosen Kampf gegen den Wilhelminischen Krieg und die Kaisersozialisten" zu führen.

Am 2. Dezember 1914 stimmte Karl Liebknecht dann als einziger Abgeordneter im Deutschen Reichstag gegen die zweite Kriegskreditvorlage der kaiserlichen Regierung. Er durfte dazu in der Abstimmungsdebatte nicht sprechen. Seine Ablehnungsbegründung wurde auf Geheiß des Reichstagspräsidenten nicht einmal, in das amtliche Protokoll aufgenommen!

Nach dieser Abstimmung veranstalteten die Rechten in der Sozialdemokratie ein wahres Kesseltreiben gegen Karl Liebknecht. Vom 2. bis 4. Februar 1915 tagte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion. Eigentlich sollte auf dieser Tagung nach dem Willen ihres Initiators Ledebour eine Entscheidung über das Verhalten des SPD-Abgeordneten Albert Südekum herbeigeführt werden. Dieser hatte kurz zuvor im ausdrücklichen Auftrage der kaiserlichen Regierung eine Reise nach Rumänien unternommen und dort für die deutsche Kriegspartei um Unterstützung geworben (!). Außerdem war er, gleichfalls im Regierungsauftrag, in deutschen Kriegsgefangenenlagern vor gefangenen Franzosen mit politischen Reden zugunsten der kaiserlichen Kriegspolitik aufgetreten.

SPD auf Kriegskurs

Die Fraktionsmehrheit betrachtete jedoch diesen bis dahin wohl offensichtlichsten Akt der Zusammenarbeit zwischen der kaiserlichen Regierung und den Spitzen der SPD sehr wohlwollend und - verwandelte die Tagung in ein Verdammungsgericht gegen den entschiedensten Fürsprecher des Kampfes für den Frieden, Karl Liebknecht! Carl Legien versuchte sogar, den Ausschluß Karl Liebknechts aus der Fraktion durchzusetzen. Das gelang ihm zwar nicht, aber mit 65 gegen 26 Stimmen beschloß die Fraktion einen Antrag Karl Frohmes, in dem Karl Liebknechts Abstimmung vom 2. Dezember 1914 verurteilt und seine Abstimmungsbegründung als "unvereinbar mit den Interessen der deutschen Sozialdemokratie" bezeichnet wurde. Drei Tage nach dieser Tagung, am 7. Februar 1915, wurde Liebknecht von den Militärbehörden als Armierungssoldat zum Kriegsdienst eingezogen. Ein bezeichnendes Beispiel, was von der angeblich verbürgten "Unabhängigkeit" und dem Gerede, ein Abgeordneter sei "nur seinem Gewissen verantwortlich", in einem kapitalistischen Staat zu halten ist. Liebknecht wurde verboten, an Versammlungen teilzunehmen sowie mündliche und schriftliche Agitation zu treiben. Und um das Maß der Unterdrückung für die Sprecher der Linken vollzumachen, wurde am Iß. Februar 1915 Rosa Luxemburg ins Gefängnis geworfen, um eine einjährige Gefängnisstrafe zu verbüßen, die gegen sie im Februar 1914 verhängt worden war.

Es scheint mir nötig, bevor ich in der Schilderung der persönlichen Erlebnisse in Elbing fortfahre, noch einiges aus den von Karl Liebknecht im November 1914 aufgestellten Thesen aufzuführen, um zu zeigen, wie inmitten des allgemein verbreiteten nationalistischen Kriegstaumels von seiten der Linken in der deutschen Arbeiterbewegung eine glasklare, nüchterne Analyse der wirklichen Situation gegeben wurde, in der sich das deutsche Volk und die deutsche Arbeiterklasse in den ersten Kriegsmonaten des ersten Weltkrieges befand.

Liebknecht schrieb damals u. a.:

"Dieser Krieg ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen Volkes entbrannt. Er ist kein deutscher Verteidigungskrieg. Er ist kein Krieg für eine höhere Kultur', die größten Staaten gleicher Kultur' bekämpfen einander, und zwar gerade, weil sie Staaten der gleichen, d. h. der kapitalistischen Kultur' sind ... Einen Wesenszug des Imperialismus, dessen Hauptträger auf dem europäischen Festland Deutschland ist, bildet das wirtschaftliche und politische Expansionsstreben, das immer stärkere politische Spannungen erzeugt.

Die unter dein Vortritt Deutschlands vollzogene militaristische Entwicklung Europas, in der die Mächte einander in zunehmendem Tempo zu überflügeln suchten, hatte einen Grad erreicht, der einer Steigerung nicht mehr fähig schien. Zur Durchsetzung der immer gewaltigeren Rüstungsvorlagen wurde der Völkerhass systematisch genährt. Jede Anregung zur Verständigung über eine internationale Rüstungseinschränkung wurde vor allem von dem vorantreibenden deutschen Imperialismus abgelehnt. Eine verhängnisvolle Rolle bei der Zuspitzung der Konflikte spielte das international versippte Rüstungskapital, das im Zeichen des bewaffneten Friedens glänzend gediehen war, das bei einem Krieg ohne Rücksicht auf den Ausgang goldene Ernten erwarten durfte.

Der Militarismus erzeugte aus sich selbst noch andere mächtige Kriegsinteressenten, eine Offizierskamarilla, die besonders in Deutschland ungeniert auf einen kriegerischen Konflikt hinarbeitete und selbstherrlich ihre Nebenregierung etablierte.

Die innerpolitischen Zustände hatten infolge der Zuspitzung der nationalen und vor allem der Klassengegensätze für die herrschenden Klassen ein immer bedenklicheres Gesicht angenommen. In Deutschland entlockte ihnen das rapide Wachstum der Sozialdemokratie, die ihren politischen und wirtschaftlichen Besitzstand bedrohte, bereits vor einem halben Jahrzehnt den Ruf nach einem Kriege als dem einzigen Mittel zur Vernichtung der Arbeiterbewegung.

Dies en Treibereien, für die es auch in den übrigen Staaten vielfach Gegenstücke gibt, wurde in Deutschland Vorschub geleistet durch halbabsolutistische Verfassungszustände, die die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Einfluß der breiten Masse entzogen und in der auswärtigen Politik ein durch keine Kontrolle des Volkes begrenztes, um so mehr aber den Einwirkungen der herrschenden Klassen unterworfenes persönliches Regiment ermöglichten ... Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg reinsten Wassers, und zwar vor allem auf deutscher Seite, mit dein von mächtigsten Kreisen beharrlich verfolgten Ziel von Eroberungen großen Stils. Es handelt sich - vom Gesichtspunkt des Wettrüstens aus - bestenfalls um einen von der deutschen und österreichischen Kriegspartei gemeinsam hervorgerufenen Präventivkrieg, zu dem die Gelegenheit günstig erschien, als die große Wehrvorlage verabschiedet und ein technischer Vorsprung gewonnen war. Das Attentat von Sarajevo wurde als demagogischer Vorwand ausersehen.

Der Krieg wurde in Deutschland in einer Weise inszeniert, die die schärfste Verurteilung herausfordert. Eine überausraffinierte Regie setzte ein, die unter rücksichtsloser Ausnutzung des amtlichen Apparates die öffentliche Meinung beeinflußte, verwirrte, aufpeitschte. Das deutsche Volk wurde durch ein sentimentales Friedenskaiserspiel düpiert. Der Belagerungszustand folgte. Die verfassungsmäßigen Grundrechte wurden aufgehoben, jede Kritik gewaltsam und unnachsichtlich unterdrückt. Russische Invasionen und französische Angriffe wurden vorgespielt.

Den unsinnigsten Gerüchten ließ die Regierung freien Lauf. Halbamtlich und amtlich wurde eine schnöde Ausländerhetze betrieben und eine, wilde Spionenfurcht entfesselt, die Mißhandlungen harmloser Menschen, wirklicher oder vermeintlicher Ausländer veranlaßten ...

Unter dem Schrecken des hereingebrochenen Weltkrieges und dem Druck der Militärdiktatur wurde der Anschein einer vollständigen Einmütigkeit des deutschen Volkes vorgegaukelt. Die Verletzung der luxemburgischen Neutralität wurde verschleiert; die diplomatische Vorbereitung des Überfalls auf das neutrale Belgien - einschließlich des Ultimatums - wurde dem deutschen Volk und dem Reichstag (!) über den 4. August hinaus verschwiegen. Unter solchen Umständen kamen die Beschlüsse des Reichstages vom 4. August zustande.

Die Parole ‚gegen den Zarismus' diente nur dem Zweck, die edelsten Instinkte des deutschen Volkes für den Kriegszweck, für den Völkerhaß zu mobilisieren, nicht aber einem Befreiungsfeldzug für das russische Volk oder die Fremdvölker Rußlands. Deutsches Kapital hat Rußlands Rüstungen auf ihre jetzige Höhe gebracht. Deutschland hat die äußere Politik Rußlands in wichtigsten Momenten unterstützt ... Kein Staat der Welt hat das zaristische Schreckensregiment gegen das geknechtete russische Volk so gestützt wie Deutschland. Die deutsche Regierung stand bereit selbst zur militärischen Hilfe für den Blutzaren gegen die große russische Revolution.' (2)

Krieg nach außen bedeutet Unrecht im Innern

Deutschland, in dem die Masse des Volkes wirtschaftlich ausgebeutet, politisch unterdrückt, rechtlos ist, wo fremde Nationalitäten durch Ausnahmegesetze drangsaliert werden, hat keinen Beruf zum Völkerbefreier. Die Befreiung des russischen Volkes muß dessen eigene Sache sein; die Befreierrolle Deutschlands wird von ihm voll Mißtrauen abgelehnt.

In der inneren Politik wurde sofort nach Kriegsausbruch unter Verhängung des Belagerungszustandes mit den äußersten Mitteln der Unterdrückung vorgegangen. Scheinbare Erleichterungen, die man der Arbeiterbewegung zuteil werden ließ, sind nur die Kehrseite ihrer Wehrlosmachung und verfolgen den Zweck, sie in den Dienst des Militarismus zu stellen.

Die Parteien wurden für aufgehoben erklärt - die politische Unterdrückung, Wahlunrecht und Ausnahmegesetz blieben bestehen. Vom Klassenkampf zu sprechen wurde verboten - die Klassengegensätze blieben bestehen. Der Befreiungskampf des Proletariats wurde entwaffnet - an der politischen Unterdrückung und wirtschaftlichen Ausbeutung wurde nichts geändert. Der höchst einseitige Burgfrieden, den man verkündete, ist nichts als eine stilistische Umschreibung der Worte Belagerungszustand und politische Kirchhofsruhe. Das Postulat Es gibt keine Parteien mehr!' bedeutet nur: Anerkennung des Proletariats als gleichberechtigtes Kanonenfutter. . .

Dem Regierungsprogramm einer Fortsetzung des Krieges bis zu einem durch Eroberung gesicherten Frieden stellen wir entgegen die Forderung eines schleunigen, für keines der Länder demütigenden Friedens.

Wir rufen das deutsche Volk und die Völker der anderen kriegführenden Staaten auf, sich zu erheben gegen den Wahnwitz, in dem sie ihr bestes Blut für ihre Ausbeuter und Unterdrücker verspritzen.

Im Namen der Ausgebeuteten und Entrechteten fordern wir ein Ende dem Völkermord.

Wir hoffen, daß der Tag bald kommen wird, an dem die Proletarier im Felde erklären werden, wir schießen nicht mehr aufeinander! Wo sie sich über die blutgetränkten Schlachtfelder die Hände reichen und die Macht des mordgebietenden Militarismus an dem Felsen der internationalen Brüderlichkeit zerschellt.

Indem wir Protest erheben gegen den Krieg, seine Verantwortlichen und Regisseure, gegen die kapitalistische Politik, die ihn heraufbeschwor, gegen die Annexionspläne, gegen den Bruch der belgischen Neutralität, gegen die Unmenschlichkeit der Kriegsführung, gegen die Militärdiktatur, gegen die soziale und politische Pflichtvergessenheit, deren sich die herrschenden Klassen auch und gerade jetzt schuldig machen, lehnen wir die geforderten Kredite ab."

Diese zwar etwas lang geratenen Zitate aus den Thesen Liebknechts vom November 1914 scheinen mir nicht nur von historischem Wert. Sie haben durchaus auch einen aktuellen Bezug zum Erkennen der heutigen imperialistischen Kriegsvorbereitungen.

Der schwere Kampf der Linken

Rosa Luxemburg wandte sich in dieser Zeit gegen die Beschönigungsversuche sozialdemokratischer "Theoretiker" wie Kautsky, daß zwischen der Kriegspraxis der SPD und ihrer Vergangenheit kein Widerspruch sei, sondern schönste Harmonie obwalte. Die Internationale - so hatte man sich die Theorie zurechtgelegt - hätte nur die Frage der Verhütung des Krieges besprochen; nun aber, da "der Krieg da sei", gelte für jedes Proletariat nur noch die Frage: ob Sieg oder Niederlage.

"Auf gut deutsch heißt das", so stellte Rosa Luxemburg mit beißender Ironie fest, "es gibt für das Proletariat nicht eine Lebensregel, wie es der wissenschaftliche Sozialismus bisher verkündete, sondern es gibt deren zwei: eine für den Frieden und eine für den Krieg. Im Frieden gelte im Innern jedes Landes der Klassenkampf, nach außen die internationale Solidarität; im Kriege gelte im Innern die Klassensolidarität, nach außen der Kampf zwischen den Arbeitern verschiedener Länder. Der welthistorische Appell des Kommunistischen Manifestes erfährt eine wesentliche Ergänzung und lautet nun nach Kautskys Korrektur: Proletarier aller Länder, vereinigt euch im Frieden und schneidet euch die Gurgeln ab im Kriege!

Die Internationale wie ein Friede, der dem Interesse der proletarischen Sache entspricht", so schloß damals Rosa Luxemburg, "können nur aus der Selbstkritik des Proletariats geboren werden, aus seiner Besinnung auf die eigene Macht..."

Und Clara Zetkin mahnte ebenfalls in dieser Zeit:

"Die politischen Ziele des deutschen Imperialismus und die strategischen Maßstäbe seiner Militärs können nicht unsere Aktionen als internationale Sozialisten bestimmen. Mit jedem Tag, den das verderbenschwere Völkerringen länger dauert, wächst die Notwendigkeit, ihm Halt zu gebieten um der Gegenwart und Zukunft des Proletariats halber, die in diesem Falle geradezu handgreiflich mit den höchsten Menschheitsinteressen zusammenfallen ...

So halten wir eine: sofortige kraftvolle Friedensaktion der deutschen Sozialdemokratie, der deutschen Arbeiter für die vornehmste Pflicht. Mit den Führern, wenn diese sich endlich entscheiden; ohne sie, wenn sie noch weiter unentschlossen zögern; gegen sie, wenn sie bremsen wollen."

Man wird nun geneigt sein zu fragen, warum denn solch klare Einsichten wie die von Liebknecht, Luxemburg und Zetkin sich nicht durchzusetzen vermochten in jener schweren Zeit. Die Antwort ist: sie erreichten zunächst kaum das Ohr der Massen. Oder doch nur sehr schwer und auf großen Umwegen.

War es angesichts der starken Verwirrung der Arbeiterklasse ohnehin schwer, wirksame Antikriegsarbeit zu leisten, so kam hinzu, daß die deutschen Linken fast keine Gelegenheit mehr hatten, vor den Massen der Bevölkerung, ja nicht einmal vor den Massen der SPD-Mitglieder gegen die Lügen der herrschenden Kreise und die Verdrehungen der SPD-Spitze im Reichstag aufzutreten,

Ein eigenes Presseorgan besaßen sie nicht und die Möglichkeit, ihre Auffassungen in den legalen Parteiorganen darzulegen, war ihnen von den Rechten weitgehend genommen worden; nur wenige lokale Parteiblätter wagten den Abdruck von Artikeln und Zuschriften der Linken. Das "Gothaer Volksblatt" zum Beispiel, das Artikel von Rosa Luxemburg und Franz Mehring veröffentlichte, wurde Anfang 1915 von den Militärbehörden verboten.

Ja, da selbst der Parteivorstand der SPD fast alle Bemühungen der Linken durchkreuzte, in der sozialdemokratischen Parteipresse die wahren Vorgänge bei der Zustimmung der Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten darzulegen und gegen die Lüge von der "Einmütigkeit" aufzutreten, mußten die führenden Linken ausländische Zeitungen in Anspruch nehmen. In Briefen an sie protestierten Liebknecht, Luxemburg, Mehring und Zetkin entschieden gegen die nationalistische Verhetzung und gegen die Einmütigkeitslegende über den 4. August in Deutschland. Durch die in der Schweiz erscheinende "Berner Tagwacht" zum Beispiel erhielten auch deutsche Leser von diesen Briefen und von anderen Stellungnahmen der Linken Kenntnis. So bahnten sich die Linken trotz aller Schwierigkeiten Wege, um zu den deutschen Arbeitern zu sprechen und so wurden über lange Umwege überhaupt erst einmal Einzelheiten über die Vorgänge in der entscheidenden Sitzung der SPD Reichstagsfraktion bei Kriegsbeginn der SPD Mitgliedschaft selbst bekannt, während das propagandistische Trommelfeuer der Bourgeoisie und der opportunistischen Hilfspresse pausenlos weiter auf die Massen einhämmerte.

Illegale und halblegale Tätigkeit

Unter solchen erschwerten Bedingungen setzten die Linken ihre Arbeit nach Kriegsausbruch fort. Dabei wurde die oppositionelle, revolutionäre Arbeiterjugend in Gemeinschaft mit älteren und erfahrenen revolutionären Sozialdemokraten zur wichtigen Stütze.

Sie hatten zumeist nur die Möglichkeit der halblegalen und illegalen Arbeit. Aber die nutzten sie nach Kräften, auf Parteiversammlungen, auf Zahlabenden, in Frauenleseabenden, in Jugendsektionsversammlungen und anderen Zusammenkünften. Man begann auch damit, Exemplare der wenigen sozialdemokratischen Zeitungen, in denen noch oppositionelle Stimmen zu Worte kamen, an die Front zu versenden.

So entwickelte sich auf den verschiedensten Ebenen in der damaligen SPD die Auseinandersetzung zwischen den auf die Position des kaiserlichen Reiches und seiner Kriegspolitik übergegangenen SPD-Führern und der zunächst kleinen Schar aufrecht gebliebener revolutionärer Sozialdemokraten, die am Ideal der Völkerverständigung, am Kampf für die Freiheit von Ausbeutung und gegen den Krieg unerschütterlich festhielten und dafür eine sich verbreiternde Basis in der deutschen Arbeiterschaft zu schaffen suchten.

Angesichts der schwindenden Aussicht auf ein baldiges Kriegsende, der schweren Opfer, die der Krieg von fast allen Familien forderte, und der besonders einschneidenden Verschlechterung der Lebenslage der Werktätigen, begann im Verlaufe der ersten Kriegsjahre eine gewisse Desillusionierung der Volksmassen.

Die ersten Antikriegsaktionen in Elbing

Die erste größere Aktion gegen den Krieg, für den Frieden, erfolgte bei uns in Elbing im Jahre 1916. Ausgangspunkt war die Werft. Daß neben Wilhelmshaven auch Elbing in die erste Welle der großen Antikriegsdemonstrationen einbezogen war, ist wohl als ein Zeichen dafür zu werten, daß die Elbinger Arbeiterschaft stark sozialistisch beeinflußt und daß das Klassenbewußtsein der Schichauer Werftarbeiter recht hoch war. Dazu beigetragen hatte, daß eine Reihe von Soldaten - von der Werft als Facharbeiter angefordert - wieder zurückgekommen waren. Sie hatten "Urlaub bis auf weiteres" bekommen und konnten dort auf der Werft arbeiten, weil diese ausschließlich Torpedoboote baute, die berüchtigten S-Boote. Die Lebensmittel waren immer knapper geworden, die Arbeitszeit immer länger, 12 Stunden, 14 Stunden, Sonntagsarbeit noch dazu. Das war die Lage auch bei uns im dritten Kriegsjahr.

Es geschah an einem Samstag, es war Markt. Wir hatten uns vorgenommen, den Versuch zu unternehmen, eine Aktion zu starten. Allerdings hatten wir wirklich nicht das im Sinn gehabt, was dann gekommen ist.

Wir wollten den Werftarbeitern sagen: So geht das nicht mehr mit unseren Lebensmittelzuteilungen. Wir arbeiten und arbeiten von morgens bis abends, und wenn wir nach Hause kommen, haben die Mütter und Frauen immer weniger zum Essenkochen. Dagegen müssen wir etwas tun.

Wir machten eine Versammlung auf der Werft, auf den einzelnen Torpedobooten, in den Montagehallen und es wurde beantragt: Wir demonstrieren zum Marktplatz! Gesagt, getan!

Auf dem Marktplatz waren die Bauern und boten ihre Sachen an, wie das so üblich war. Gegen die Bauern ging es gar nicht. Es ging einfach für mehr Essen und für die Beendigung des Krieges. Diese Parolen wurden herausgegeben. Wir kamen zum Marktplatz, Polizei trat uns entgegen und Elbing hatte eine ziemlich starke Polizei, eben wegen der Werftarbeiter und der Bauarbeiter, die so revolutionär waren. Diese Polizeibeamten stammten in der Mehrheit aus den Garderegimentern, ausgesucht große Kerle.

Nicht mehr bekannt dürfte heute sein, daß zur Polizei damals auch die sogenannten "Zwölfender" kamen, das heißt diejenigen, die sich beim Militär für 12 Jahre verpflichtet hatten und dann als Sergeant oder Feldwebel abgingen. Sie bekamen heute würden wir sagen einen Zivilversorgungsschein, kamen zur Polizei oder als Beamte in die Gefängnisse und in die Zuchthäuser.

Am Marktplatz war ein riesiges Polizeiaufgebot, das sofort versuchte, die Demonstranten auseinanderzutreiben. Je mehr aber die Polizisten mit ihren blanken Säbeln auf uns einschlugen, desto stärker wurden wir in der Abwehr. So blieb es dann nidit nur bei der Demonstration auf dem Marktplatz, sondern die Demonstranten zogen jetzt in die großen Geschäftsstraßen, vor das Rathaus. Und immer wieder schlug die Polizei dazwischen.

Es entwickelte sich daraus eine regelrechte Straßenschlacht. Sie hat sich den ganzen Tag hingezogen. Es gab Verletzte und viele Verhaftungen.

Aber wir haben auch etwas erreicht. Jedenfalls bekamen wir eine Sonderzulage für Lebensmittel. Das war schon etwasl

Bald danach wurden alle jungen Männer im Alter von 17 Jahren gemustert. Ich mußte auch hin. Unsere Einstellung war klar: Wir waren gegen den Militarismus, gegen das System. Aber wenn wir schon Soldaten werden mußten, so dachten wir, dann ist es für uns Elbinger "Ehrensache", bei der Marine zu sein. Ich wurde also auch gemustert und für die Marine eingeschrieben, für die Werftdivision. Die erste Division bestand aus den Matrosen, die zu den Panzerkreuzern gingen, und bei der Werftdivision waren die Spezialeinheiten auf den Torpedobooten und technische Einheiten.

Gemustert und dennoch gewerkschaftlich tätig

Ganz kurze Zeit danach gab es wieder eine Demonstration. Ich, war inzwischen in die Gewerkschaftsjugendleitung gewählt worden und kraft dieser Funktion nun stärker beteiligt an der Führung, dieser Demonstration.

Seit der ersten Demonstration war die Lage noch schlechter geworden. Überall griff der Krieg in das Schicksal der Familien ein; dort war einer gefallen und hier gab's eine Vermißten-Nachricht. Die Zeitungen veröffentlichten eine jeden Tag größer werdende Verlustliste, Kreuze, Kreuze, Kreuze!

All das wirkte natürlich auf uns. Für wen sterben diese Menschen alle? - haben wir gefragt. Für die Generaldirektoren?, für den Kaiser Wilhelm? Warum und weshalb? Zu diesen bohrenden Fragen als Ausgangspunkt kam der Hunger hinzu.

Es war wiederum ein Markttag. Die Losung war ausgegeben worden: Demonstration!

Die Beteiligung war sehr groß seitens der Arbeiterschaft; denn ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht - alle waren wir in Not.

Auch viele Frauen beteiligten sich wieder und man weiß ja - wenn Frauen einmal mitmachen, sind sie oft viel beharrlicher und energischer bei der Sache als die Männer. Es waren alles arme Frauen, die die Not mit auf die Straße trieb. Die Kinder kamen hungrig nach Hause und die Mütter konnten ihnen manchmal nichts als ein bißchen aufgekochtes Korn geben,

Bei dieser Demonstration ging es einen Schritt weiter als bei der ersten. Die ganze Erbitterung der Bevölkerung hatte sich gegen die Werft-Direktion aufgestaut. Sie war für uns das Symbol für die Ausbeuterherrschaft, für die Kriegsgewinnler. Gegen sie richtete sich aller Hass.

Damals gab es noch kaum Autos. Üblich waren riesige Rollwagen mit zwei oder vier Pferden davor. Wir nahmen uns solch einen Rollwagen, trabten zur Direktion, packten die ganze Sippschaft - fast alles Marineoffiziere, nur einige Zivilisten - auf den Wagen und ab ging's mit Hurra und Karacho, hin zum Marktplatz, Dort wurde der Wagen umgekippt und die Direktoren flogen der Länge nach hin. Das war nicht gerade glimpflich, aber der ganze Zorn der Bevölkerung entlud sich ja gegen diese Ausbeuter Direktion.

Inzwischen war folgendes geschehen. Als die russischen Kriegsgefangenen, von denen etwa 10.000 auf der Werft im Arbeitseinsatz waren und schon die erste Demonstration gesehen hatten, das Spektakel auf der Werftdirektion miterlebten, schlossen sich viele unserem Demonstrationszug an.

Friedensdemonstration zusammen mit den Kriegsgefangenen

Das war meines Wissens einer der ersten Fälle, daß russische Kriegsgefangene sich an solch einer Antikriegsaktion beteiligten. Man muß sich vor Augen halten: als Kriegsgefangene! Für sie galt Standrecht! Trotzdem haben sie mitgemacht!

Nachdem die Demonstration beendet war, hatten wir Sorge, was jetzt mit den russischen Kriegsgefangenen würde. Unsere erste spontane Reaktion auf der Werft war:

"Wenn euch etwas geschieht, steht die Bude still, dann werden wir streiken!"

Doch nichts geschah. Keinem passierte etwas. Zu kraftvoll war die Demonstration der Einigkeit gewesen!

Auch in meiner Kolonne - ich war damals schon Nieter - waren zwei russische Kriegsgefangene. Ich habe leider die Namen vergessen. Der eine war Leningrader - Petersburg hieß es ja damals noch -, ein Schlosser, der die Nieten warmmachen mußte. Der andere war Bauer, er hat die warmen Nieten zugereicht.

Nun war es so, daß in der Sozialdemokratischen Partei, aber auch in den Gewerkschaften nicht alle Mitglieder mit den Antikriegs-Aktionen einverstanden waren, denn die Haltung der Parteiführung, die die Kriegskredite bewilligt hatte, übte ihre verhängnisvolle Wirkung aus. Die damalige Gewerkschaftsführung stand noch weiter rechts als der Parteivorstand der SPD, ganz im Gegensatz zu heute.

Es war also gar nicht so einfach bei der SPD und den Gewerkschaften. Hier konnten wir uns nur mit Beharrlichkeit, mit Ruhe und mit besserer Überzeugungskraft durchsetzen.

Die Auseinandersetzungen in den Gewerkschaften und in der SPD blieben natürlich nicht unter uns. Sie kamen auch jenen Arbeitern zu Ohren, die nicht Mitglieder der SPD waren, die nicht in den Gewerkschaften waren.

Sie kamen auch. zu den russischen Kriegsgefangenen, Einige hatten in der Zwischenzeit schon ein bißchen Deutsch gelernt. Es gab auch viele, vor allem jüdische Menschen, qualifizierte Arbeiter, die sprachen schon von der Schule her deutsch, und die hatten natürlich erfahren, was los war.

Wir diskutierten eifrig mit ihnen und bei einer dieser Diskussionen sagte auf einmal der von mir erwähnte Schlosser aus Petersburg zu mir:

"Weißt du, besser ist, deutsche Genossen machen so wie Bolschewiki in Rußland. Bolschewiki in Rußland die Rechten an Wand gedrückt, haben Mehrheit."

Da hörte ich das erste Mal das Wort Bolschewiki, das in meiner späteren Parteiarbeit für mich und für alle Kommunisten eine solch große Bedeutung bekommen sollte. Damals haben wir erst erfahren, was in der Sozialdemokratischen Russischen Partei los war, daß die "Bolschewik!" -die dortigen Linken - über die "Menschewiki", die den Rechten in unserer SPD entsprachen, gesiegt hatten, während es in der deutschen Sozialdemokratie andersherum ging - die Rechten hatten die Mehrheit und drückten die Linken raus.

Prompt kam der Gestellungsbefehl

Etwa vier Wochen nach unserer letzten Demonstration bekam ich den Gestellungsbefehl. Das war damals so üblich: jeder, der nicht den Willen der Direktion oder des Unternehmers durchführen wollte, wurde einfach zu den Soldaten abkommandiert. So wir auch - mit 60 Mann von der Werft, junge und ältere.

In Marienburg lag das Bezirkskommando, Dort mußten wir uns melden. Ein Feldwebel, ein Hauptmann und ein Arzt saßen da. Die haben uns aber gar nicht untersucht; wir wurden einfach eingezogen.

Ich kam ran, legte meinen Musterungsbeschluß auf den Tisch. Der Hauptmann guckte sich das an, zog die Stirne kraus und sagte: "Was, Du sollst zur Marine?"

Ich sagte: "Jawohl, Herr Hauptmann!" Daraufhin er zu mir: "Ich will Dir mal was sagen, von der Marine kannst Du von Deiner Sorte noch einige abholen."

Bei der Marine waren seiner Meinung nach schon genug Revolutionäre, Sozialisten und Gewerkschafter.

Er schnarrte also nur noch: "Kv 1, Infanterie!''(3)

Wie ich so bin, hab' ich natürlich protestiert. Na, hat der mich da angebrüllt! Hinter mir schubsten sich schon die Genossen und die anderen, die dort mit eingezogen waren, weil sie der Meinung waren, wenn der den Zorn jetzt von dem da erweckt, dann kriegen sie auch noch was ab.

Mein Krachschlagen nützte natürlich nichts. Ich bekam einen Tritt dorthin, wo ich keine Nase habe, und schon befand ich mich bei der Infanterie.

Ich kam zum Infanterie-Regiment 148, von dem ein Bataillon in meiner Heimatstadt Elbing lag. Dort erfolgte die Ausbildung. Doch nicht nur diese allein. Es geschahen auch andere Dinge, bösere.

"Max, wir schießen nicht!"

Eines Tages waren wir auf dem Truppenübungsplatz und auf einmal gab es Alarm. Die Kompanie mußte zusammentreten und wir bekamen den Marschbefehl in die Kaserne. Zunächst haben wir uns dabei nichts Besonderes gedacht. Kaum waren wir in der Kaserne, hieß es: scharfe Munition empfangen, Sturmgepäck fertigmachen.

Dies geschah alles in wenigen Minuten. Die Kompanien traten wieder auf dem Kasernenhof an und marschierten aus der Kaserne. Zunächst dachten wir, daß an der Ostfront irgendein Durchbruch gewesen wäre, der abgestoppt werden sollte durch den Einsatz neuer Soldaten. Aber wir marschierten nicht zum Bahnhof, sondern wir nahmen Kurs auf die Stadt. Das machte uns stutzig.

Wir kamen in die Stadt und sahen riesige Polizeiaufgebote und große Massendemonstrationen. In meiner Gruppe war ich der einzige Preuße; alle anderen waren Elsässer und Lothringer. Es war bewußt so organisiert in der kaiserlichen Armee, daß die Elsässer und Lothringer möglichst weit von ihrer Heimat Militärdienst machen mußten. Denen traute man nicht. Man bezeichnete sie als "unsichere Kantonisten".

Als wir sahen, was in der Stadt los war, - ich selbst hatte das ja nun, als ich noch gearbeitet hatte, zweimal miterlebt und wußte natürlich, daß die Werftarbeiter wieder gegen den Krieg und für mehr Essen demonstrierten - da geschah etwas, was mich auch später immer wieder sehr, sehr beeindruckt hat. Die Elsässer sagten zu mir:

"Max, wir schießen nicht." Ich habe darauf gesagt:

"Ich auch nicht."

Wir rückten näher und kamen in die Menschenmassen. Nun geschah etwas für den deutschen Militarismus Ungewöhnliches. Der Hauptmann, der zu Pferde war, wurde von uns abgedrängt, wir sahen nur noch, wie er vom Pferd herunterstürzte. Das Kommando ging an den ältesten Chargierten und das war ein Feldwebel.

Doch nun kommt das Außergewöhnliche. Dieser Feldwebel kommandierte: "Kompanie halt! Setzt die Gewehre zusammen! Links von den Gewehren wegtreten!"

Das Kommando war kaum ausgeführt, da brachen die Werftarbeiter und die Frauen in die Gewehrpyramiden ein und hatten somit die Waffen in der Hand. Und wir als Soldaten standen da, umringt von einer tobenden und wÜtenden Menge, die immer wieder rief: "Essen! Essen!" und "Frieden!"

Da ich geborener Elbinger war, auf der Schichau Werft gearbeitet und dort gewerkschaftliche Funktionen, vor allem in der Jugendorganisation, bekleidet hatte, erkannten mich natürlich auch viele der Demonstranten. Sie tiefen mir zu: "Max, das ist richtig, daß ihr nicht schießt!" Gut und schön, aber wir wußten doch auch genau, was kommen würde, wenn wir ohne Gewehre dastehen. Natürlich, das Kommando war vom Feldwebel gegeben worden, aber letztendlich war ja jeder Soldat selbst für sein Gewehr verantwortlich. Es war ein geflügeltes Wort: "Das Gewehr ist die Braut des Soldaten", und so sollte er auch auf sie aufpassen.

Wir haben deshalb mit den Arbeitern und mit den Frauen - soweit wir konnten - verhandelt, ihnen gut zugeredet. Einen Teil der Gewehre haben wir auch wiederbekommen, einen Teil aber auch nicht.

Der Krawall wurde immer größer und wir machtloser. Gegen Abend trat dann Ruhe ein und wir marschierten wieder in die Kaserne, ein Teil mit und ein Teil ohne Gewehre.

Nun kam, was bei den Preußen unweigerlich kommen mußte: der Feldwebel wurde eingesperrt und die Soldaten ohne Gewehre auch. Ich war mit dem größten Teil der Elsässer unter den Glücklichen, die nicht eingesperrt wurden, weil wir unsere Braut im Arm hatten.

Das war am Samstag gewesen. Am Sonntag gab es wieder Alarm. Wir marschierten hinaus und natürlich stand bei uns fest: es wird nicht geschossen.

Wir hatten andere Offiziere, andere Feldwebel bekommen, die Unteroffiziere waren geblieben. Wir marschierten aber nicht auf den Marktplatz, sondern zu einer Gasanstalt. Dort lagerte Kohle und Koks. Das Werk hatte ein Eingangstor, auf das eine Straße zuführte, die von Häusern flankiert war, etwa 400 Meter lang.

Dorthin kamen wir und sahen Schreckliches. Hunderte von Frauen, Kindern, vereinzelt auch ältere Männer drängten sich in dieser Sackgasse und wollten das Tor aufbrechen, um Kohle und Koks zu holen, weil es bitter kalt war. Das Tor hielt stand.

Wir Soldaten riefen: Frieden Frieden!

Es wurde weiter gedrängt, immer weiter und immer fester. Frauen schrien auf vor Schmerzen und einige, auch Schwangere sind in diesem furchtbaren Gedränge sogar zu Tode gedrückt worden.

Wir jungen Soldaten standen ratlos da. Wir waren ja alle kaum 17 18 Jahre alt. Immer wieder riefen die Frauen: "Gebt uns zu essen, gebt uns Feuerung, damit wir nicht erfrieren! Macht Schluß mit dem Krieg, wir wollen Frieden!" und: "Gebt uns unsere Männer zurück!" Uns Soldaten riß es mit und auch wir riefen: "Frieden! Frieden!" Schließlich gab das Tor doch nach, die Frauen stürzten auf die Kohle- und Kokshaufen, machten sich soviel sie tragen konnten - ihre Säcke voll und gingen ruhig nach Hause.

Bei uns Soldaten wuchs der Haß gegen diesen Krieg, gegen die, die ihn angezettelt und auch gegen jene, die ihn unterstützten.

Es kam der Tag heran, da es an die Front ging. Ich kam zuerst nach Belgien auf einen großen Truppenübungsplatz, wo die Einheiten zusammengefaßt und dann in die Regimenter geschickt wurden. Ich kam in das Infanterieregiment 455.

Längere Zeit habe ich den Stellungskrieg mitmachen müssen. Dann wurde ich abkommandiert zur Eisenbahn, zum Transportdienst im rückwärtigen Gebiet.

Ich bekam Typhus. Man brachte mich ins Lazarett nach Malmedy und von dort aus in ein großes Seuchenlazarett an der Maas. Dort erreichte uns die Nachricht von der russischen Oktoberrevolution.

Erster Funkspruch der Oktoberrevolution: "Frieden! Frieden!"

Nach nun schon drei Jahre währendem imperialistischen Völkermorden hatten sich die Arbeiter und Bauern Rußlands gegen ihre Ausbeuter und Unterdrücker erhoben und selbst die Macht und die Geschicke des Landes in die Hand genommen. Ihr erster Funkspruch an die Welt hieß: Frieden! Frieden! Frieden!

Was dieses welthistorische Ereignis auch für den Befreiungskampf der deutschen Arbeiterklasse bedeutete, wurde von den Linken in Deutschland sofort erkannt. Schon am 11. November 1917 schrieb Karl Liebknecht, daß der "ungeheure Prozeß der sozialen und wirtschaftlichen Revolutionierung Rußlands" bereits "im Beginn vor unbegrenzten Möglichkeiten" stehe, "weit größer als die große französische Revolution."

Rosa Luxemburg nannte in einem Brief aus dem Gefängnis die Oktoberrevolution "eine weltgeschichtliche Tat, deren Spur in Äonen nicht untergehen wird". Und in einem Artikel in der "Leipziger Volkszeitung" schrieb Clara Zetkin schon am 16. November 1917: "Das Friedenswerk der russischen Revolution hat für die Völker eine neue, entscheidungsschwere Situation geschaffen. Der Friede ist in greifbare Nähe gerückt, wenn die heiße Friedenssehnsucht der Völker sich zum bewußten Friedenswillen zusammenballt, der Geschichte macht, wie er sie machen muß."

Die "Leipziger Volkszeitung" gab übrigens bereits in ihrer Ausgabe vom 9. November 1917 - also schon zwei Tage nach dem Sturm auf das Winterpalais in Petrograd, der das Tor zur Macht des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf dieser Erde aufstieß das folgende erste Echo in Deutschland mit den Worten wieder:

"Mit fiebernder Spannung wird das Proletariat Deutschlands die weitere Entwicklung der Dinge in Rußland verfolgen. Mit all seinen Sympathien wird es auf der Seite der kämpfenden Klassengenossen des großen Ostreiches stehen.

Der Sieg des Proletariats in Rußland wäre ein gewaltiger Erfolg, der die Arbeiterbewegung der ganzen Welt befruchten müßte. Und dieser Erfolg wäre zugleich ein gewaltiger Fortschritt der Friedensarbeit.

Aber natürlich kann der Frieden nicht das Werk der russischen Arbeiter allein sein. Die neue Phase der russischen Revolution bedeutet eine erneute ernste Verpflichtung der deutschen Arbeiterklasse wie der aller anderen am Krieg beteiligten Länder."

Und am 14. November schrieb die gleiche Zeitung: "Mit unserem ganzen Herzen sind wir deutschen Proletarier in dieser Stunde mit unseren kämpfenden russischen Genossen."

Damit wurden wohl auch genau die Gefühle ausgedrückt, die der junge, eben neunzehnjährig gewordene Soldat Max Reimann empfand, als ihn und seine kranken und verwundeten Kameraden im Lazarett die Nachricht von der Oktoberrevolution erreichte.

Was ist zu tun? war sein Gedanke wie der aller linken Sozialdemokraten in Deutschland, das sich Ende 1917 in einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise befand. Die militärische Lage hatte sich - trotz der Erfolge gegen die zerfallende russische Armee und an der italienischen Front - immer aussichtsloser gestaltet. Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg, der den schnellen Sieg über England bringen sollte, war gescheitert. Die ökonomische und militärische Überlegenheit der gegnerischen Verbündeten, vor allem seit dem Kriegseintritt der USA im April 1917, trat immer deutlicher in Erscheinung. Deutschland und seine Verbündeten hingegen befanden sich schon im Zustand großer Erschöpfung. Der Krieg hatte bereits Millionen Tote, Verwundete und Krüppel gefordert.

Im Geiste des Spartakus

In ihren "Spartakusbriefen" und in illegalen Flugblättern rief die Spartakusgruppe, zu der sich die führenden Linken um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Leo Jogiches und Wilhelm Pieck zusammengeschlossen hatten, die deutschen Arbeiter und Soldaten auf, dem Beispiel der russischen Oktoberrevolution zu folgen, denn "der allgemeine Friede läßt sich ohne Umsturz der herrschenden Macht in Deutschland nicht erreichen."

Über diese Zeit berichtet Max Reimann:

Wir haben bei jeder sich bietenden Gelegenheit den anderen Soldaten vor Augen geführt, daß es doch besser für alle wäre, dieses sinnlose Morden einzustellen und den Frieden herbeizuführen.

In unsere Agitation und Propaganda in der Armee vor allem wirkte sehr stark die Revolution in Rußland hinein. Durch sie wurde unsere Aktivität sehr angespornt.

Nun darf man sich keineswegs vorstellen, daß in einer kaiserlichen Armee dies alles so einfach war.

Freunde zu finden, Gesinnungsgenossen zu finden, schon das war schwer. Jeder suchte, doch Vorsicht war geboten. Denn wenn die Offiziere einen Spartakisten oder Sympathisierenden ausfindig machten, wurde der unweigerlich festgesetzt. Ihm drohte Festungshaft, wenn nicht gar mehr. Ich hatte in meiner Einheit solch einen Freund gefunden. Er war ein Berliner und von Beruf Stukkateur. Regelmäßig bekam er kleine Feldpostpäckchen. Darin waren getarnt Spartakusbriefe und andere Agitationsmaterialien von der Leitung des Spartakusbundes eingebaut.

Begierig haben wir dies alles im Unterstand bei einer kleinen Talgfunzel gelesen.

Diese Gedanken haben wir vorsichtig an andere Soldaten weitergegeben. So kam's, daß wir nach geraumer Zeit mehrere Kameraden für unsere Ideen gewannen.

Es handelte sich dabei nicht etwa um eine Organisation des Spartakusbundes. Wir fühlten uns einfach als Spartakisten, weil das, was in den Spartakusbriefen und in den anderen Agitationsmaterialien geschrieben war, unsere Auffassung war.

Die Disziplin in der Armee ließ nach.

1918 haben wir an der Westfront erfahren, wie es vor der Oktoberrevolution 1917 an der Ostfront zur Verbrüderung von deutschen und russischen Soldaten gekommen war.

Im Laufe des Jahres 1918, vor allem im Sommer und im Herbst, gab es dann auch Verbrüderungsszenerien an der Westfront; zunächst kleinere, dann größere.

Auch zwischen Soldaten und der Zivilbevölkerung in der Etappe, in die ich versetzt worden war, gab es so etwas.

In der November-Revolution von 1918

Dann kam die November Revolution 1918 in Deutschland, die sich schon in den großen Streiks - vor allem in der Rüstungsindustrie - und bei den Lebensmittelunruhen während der Jahre 1917 und 1918 in fast allen deutschen Industriezentren angekündigt hatte.

Es gibt Ereignisse in der Geschichte unseres Volkes, die von großer Tragweite für die ganze nachfolgende Entwicklung sind. Zu ihnen zählen die Novemberrevolution von 1918 - die größte revolutionäre Massenbewegung in Deutschland nach dem deutschen Bauernkrieg - und die in ihrem Verlauf erfolgte Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands, die eine grundlegende Wende in der deutschen Arbeiterbewegung einleitete.

Die in Deutschland seit der Jahrhundertwende zur Lösung drängenden Widersprüche hatten sich durch den Verlauf des Krieges noch mehr verschärft. Je länger der Krieg dauerte und je aussichtsloser er wurde, desto mehr nahmen die Kriegsmüdigkeit und die Friedenssehnsucht großer Teile des deutschen Volkes zu. Unter dem Einfluß der Februarrevolution und der Oktoberrevolution in Rußland entwickelte sich in Deutschland eine revolutionäre Massenbewegung.

Besonders die Oktoberrevolution, die die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus einleitete, übte auf die weitere Entwicklung des Klassenkampfes in Deutschland einen großen Einfluß aus, da in Deutschland die gleichen Widersprüche zur Lösung drängten, die in der Oktoberrevolution gelöst wurden.

Für die Linken hatte sich im Verlaufe der Entwicklung in den Kriegsjahren das Fehlen einer eigenen Parteiorganisation immer stärker fühlbar gemacht, Sie schlossen sich zur Gruppe Internationale zusammen, die sich später zur Spartakusgruppe entwickelte. Karl, Liebknecht formulierte die Kampflosung der revolutionären Vereinigung: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land!"

Auf der Reichskonferenz der Spartakusgruppe am 7. Oktober 1918 wurde das Programm für die sich entwickelnde Volksrevolution in Deutschland beschlossen. Das Programm war das Ergebnis einer gründlichen Analyse der politischen Situation in Deutschland und orientierte die Arbeiterklasse auf die sofortige Beendigung des Krieges, auf den revolutionären Kampf für demokratische Rechte und Freiheiten und auf den Sturz des deutschen Imperialismus und Militarismus. Es war geeignet, mit seinen konsequenten antiimperialistischen, demokratischen Forderungen große Teile der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen für seine Verwirklichung in Bewegung zu bringen.

Den Entwicklungsbedingungen entsprechend und angesichts des bestehenden Kräfteverhältnisses der Klassen, mußte zunächst die demokratische Revolution zum Siege geführt werden; das hieß, den Militarismus zu vernichten, den Staatsapparat zu säubern und die für den Krieg verantwortlichen Kräfte des Monopolkapitals und des Junkertums zu enteignen. Erst nach Erfüllung dieser Aufgaben hätte man zur sozialistischen Revolution übergehen können.

Die Revolution, die am 3. November 1918 mit dem bewaffneten Aufstand der Matrosen und Arbeiter in Kiel ausgebrochen war, hatte sich - übrigens gegen den Willen und den Widerstand der Führung der SPD - in wenigen Tagen über den größten Teil Deutschlands ausgebreitet und Kaiser, Könige und Fürsten hinweggefegt.

Es war eingetreten, was Friedrich Engels bereits 1887 vorausgesagt hatte: "Ein von Preußen-Deutschland entfesselter Weltkrieg könne nur enden mit dem "Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt."

Millionen deutscher Arbeiter und andere Werktätige bildeten Arbeiter- und Soldatenräte. Diese nahmen in vielen Orten die Macht in ihre Hände.

Die Haupttriebkraft der Revolution war die Arbeiterklasse; zahlreiche Angehörige anderer Schichten schlossen sich dem Kampf für sofortigen Frieden, für die Beseitigung der Monarchie und des Militarismus an.

Wie sah die November Revolution nun bei uns in der Truppe aus? Die Armee weigerte sich einfach weiterzukämpfen. Große Teile jedenfalls. Wir wurden von dieser Welle mitgerissen. Für uns gab es nur ein Streben: die Offiziere absetzen, Soldatenräte schaffen und nach Hause! Ein kleines Erlebnis: Ich war stationiert in Longwy. Dort war ein Feldflugplatz, auf dem etliche Landezeichen aus Stoff ausgelegt waren, rote, weiße usw.

Unsere Abteilung kam auf dem Rückmarsch an diesen Flugplatz. Wir standen alle noch unter militärischem Kommando. In meiner Freude, ein bißchen unbedacht zwar, habe ich von dieser roten Fliegerleinwand Streifen abgerissen und den Pferden der Bagagewagen rote Schleifen am Halfter eingebunden und auch kleine rote Fahnen zurechtgeschnitten, an einem Stock befestigt und auf die Bagagewagen gesetzt.

Die Soldaten und auch die Unteroffiziere haben dazu nichts gesagt. Zum Teil freuten sie sich, zum anderen Teil sagten sie: Ach, blast uns doch den Buckel lang, endlich ist Schluß, wir gehen nach Hause.

Das gefiel aber den Offizieren nicht und auf einmal hieß es: Halt! Die Soldaten wurden zusammengenommen und der Offizier - es war ein Major - fragte: "Wer hat diese roten Schleifen den Pferden angebunden und die roten Fahnen gemacht?"

Zunächst Stillschweigen. Wir waren ja im Felde, wir unterstanden dem Standrecht. Alles schwieg. Ich natürlich auch. Nach langem Hin und Her meldete sich ein Unteroffizier und sagte: "Er, der Soldat Max Reimann."

Ich mußte vortreten, dann wurde mir von dem Major eine fürchterliche Standpauke gehalten. Zum Schluß sagte er: "Wenn wir auch jetzt eine Regierung der Volksbeauftragten haben, die Volksbeauftragten haben festgelegt, daß das Kommando in den Händen der Generale und Offiziere bleibt!" (Die obersten von allen waren v. Ludendorff und v. Hindenburg!) Weiter donnerte er: "Hier ist Kriegsrecht! Standrecht! Ich habe den Befehl und auch die Möglichkeit, Sie auf der Stelle erschießen zu lassen! Aber ich sehe davon ab, Sie sind noch sehr jung, unerfahren. Ich werde Sie nicht erschießen lassen, aber Sie werden von der Truppe abgesetzt und dürfen sich hier nicht mehr sehen lassen!''

Jetzt stand ich da. Die Truppe marschierte ab und ich war allein. Na, ich bin dann ein paar Stunden alleine gewandert, das Gewehr hatten sie mir abgenommen. Nach einer Weile kam eine Pionierkompanie anmarschiert.

Ich dachte, wartest mal ein bißchen, setzte mich in's Gras und ließ die Pionierkompanie an mich herankommen. Auf einmal riefen Soldaten: "Na, Landser, was machste denn da? Hast du schlappgemacht? Komm mal, es geht jetzt nach Hause, der Krieg ist zu Ende! Komm!" Sanitäter kamen gelaufen.

Ich sagte, mir fehle gar nichts.

"Ja, was hast du denn, warum sitzt du hier?" Ich erzählte ihnen, wie es mir ergangen ist.

"Ach", sagten sie, "komm mal her!" Jetzt kam ich zu deren Kompanie. Die Offiziere hatten keine Achselstücke mehr, die Eisernen Kreuze, hatten die Soldaten am Stock, die Kokarden der Offiziere waren weg und die Kokarden der Unteroffiziere und Soldaten auch. Prima, dachte ich, da gehst du mit. Was ich dann auch tat. Es hat mir sehr gut gefallen. Wir haben gesungen, damit das Marschieren leichter wird, keine Soldatenlieder mehr, sondern Volkslieder. Wir marschierten bis zum Bahnhof. Von dort wollten wir nach Hause fahren. Doch das war leichter gedacht als getan.

Auffällig auf dem Bahnhof war, daß ein Kommando Marine dort die Befehlsgewalt hatte. Gewöhnlich hatten die Matrosen ein schwarzes Mützenband, auf dem die Einheit zu lesen war, zu der sie gehörten, SMS soundso. Dieses SMS aber war mit einem roten Tuch verdeckt. Für mich war klar: das waren rote Matrosen, die in Kiel, Wilhelmshaven, Hamburg und anderen Städten die Revolution durchgeführt hatten1 Diese Matrosen waren wohl von der Heimat in die großen französischen Eisenbahnzentren geschickt worden und nach Belgien, um dort die Revolution bei den Soldaten nicht nur zu propagieren, sondern sie auch durchzuführen.

Mir schoß ein Gedanke durch den Kopf: du wirst zu einem dieser Matrosen hingehen und wirst sagen: Ich bin ein Spartakist und ich möchte so schnell wie möglich nach Hause, um bei der Revolution zu helfen.

Ich überlegte. Überlegte hin und her, und dann faßte ich Mut und ging zu einem Matrosen, der an der Bahnsteigkante stand und sagte:

Arbeiter- und Soldatenräte wurden gebildet

"Hör' mal, Kamerad", - und stotterte, ich sei der und der und wolle dort und dort hin. Er guckte mich an und sagte: "Das ist ja großartig, Genosse! In zwei Stunden geht ein Zug ab nach Berlin, mit diesem Zug fährst du mit!"

So geschah es auch. Ich fuhr nach Berlin und von dort weiter nach Elbing. Dort war schon ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet worden. Viele kannten mich. Ich reihte mich ein und half mit, in Elbing die Revolution durchzuführen und für die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte zu sorgen. Das war in Elbing nicht allzu schwer, denn Elbing hatte, wie ich schon sagte, eine revolutionäre Arbeiterschaft. Schnell beherrschten wir die Stadt. Wir setzten ein vorläufiges Parlament ein und eine richtige Kommunalverwaltung, die für Verpflegung und Arbeit sorgte, damit das Leben weitergehen konnte.

In Berlin waren inzwischen verhängnisvolle Entscheidungen gefallen. Das Schlimmste war, daß die Ebert-Regierung, die erste aus den November-Ereignissen hervorgegangene Regierung der Republik, der sogenannte "Rat der Volksbeauftragten", schon in den Novembertagen ihren Pakt mit dem intakt gebliebenen kaiserlichen Generalstab schloß, den imperialistischen Staatsapparat und die kapitalistische Eigentumsordnung unangetastet ließ.

Schon am 10. November, keine vierundzwanzig Stunden nach der Ausrufung der Republik, vereinbarte Ebert mit General Groener, dem Vertreter der Obersten Heeresleitung, ein gemeinsames Vorgehen gegen die Revolution. Das Ziel dieses Bündnisses war, wie der General 1925 im Münchener Dolchstoßprozeß aussagte, "die restlose Bekämpfung der Revolution, Wiedereinsetzung einer geordneten Regierungsgewalt, Stützung dieser Regierungsgewalt durch die Macht einer Truppe und baldigste Einberufung einer Nationalversammlung." Zu diesem Zweck sollten zehn zuverlässige Divisionen aufgestellt und mit voller militärischer Ausrüstung nach Berlin in Marsch gesetzt werden, um zunächst in der Hauptstadt die Arbeiter und Soldatenräte, die wirklichen Vertreter des Volkes, und die revolutionären Kräfte niederzuwerfen.

Hindenburg setzt auf Ebert: Gegen den "Terrorismus"

Noch am selben Tag, dem 10. November 1918, gab Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, des abgedankten Kaisers oberster Feldherr, telegrafisch an alle Heeresgruppen und Armeeoberkommandos bekannt, daß die Oberste Heeresleitung mit Friedrich Ebert zusammengehen werde, "um die Ausbreitung des terroristischen Bolschewismus in Deutschland zu verhindern".

Auf Verlangen der Obersten Heeresleitung ordnete die Regierung bereits am 12. November an, daß die Befehlsgewalt der kaiserlichen Offiziere in der Armee wiederherzustellen sei. Die Soldatenräte sollten nur noch beratende Stimme in Fragen der Verpflegung, des Urlaubs und der Verhängung von Disziplinarstrafen haben (!).

So war schon von Anbeginn an der Keim zum Stopp der Revolution gelegt worden.

Dadurch, daß die Ebert Regierung dem Volk als die Regierung erscheinen konnte, die mit dem Sturz der Hohenzollern Monarchie dem deutschen Volke den Frieden gebracht hatte, war für die breiten Massen die Hauptfrage, die sie zu Beginn der Revolution in Bewegung gebracht hatte, die Beendigung des Krieges, gelöst. Die Mehrzahl der Arbeiter glaubte den Versicherungen der rechten Führer der SPD, die weiteren - vor allem sozialen - Aufgaben könnten nun ohne revolutionäre Kämpfe auf dem Weg parlamentarischer Wahlen gelöst werden.

In den Fragen der Staatsmacht, der Grundfrage jeder Revolution, gab es die größten Unklarheiten in den Reihen der deutschen Arbeiterklasse und der Räte. Sie glaubten, daß mit dem Sturz der Monarchie, der Errichtung der Republik und mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts bereits die politische Macht erobert und die Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen waren.

Wenn wir also einmal rückschauend zusammenfassen, dann müssen wir feststellen: Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland brachte wichtige Ergebnisse. Die Hohenzollern-Monarchie und die zahlreichen Dynastien in den Einzelstaaten wurden gestürzt, die Republik wurde errichtet. Der Achtstundentag wurde durchgesetzt. Wichtige demokratische Rechte und Freiheiten, wie die Rede-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, wurden erkämpft. Obwohl günstige Bedingungen dafür vorhanden waren, wurde die Revolution nicht zu einer grundlegenden Wende, in der Geschichte der deutschen Nation. Die Arbeiterklasse erlitt eine Niederlage und konnte nicht einmal die bürgerlich-demokratische Revolution zu Ende führen, geschweige denn diese in die sozialistische Revolution hinüberleiten.

Die auf die Tagesordnung der Geschichte gestellten großen Aufgaben, der Sturz des Imperialismus und Militarismus und die Schaffung eines friedliebenden, demokratischen und sozialistischen Deutschlands blieben unerfüllt. Ihrem Charakter nach blieb die Novemberrevolution eine bürgerlich-demokratische Revolution, die im gewissen Umfange mit proletarischen Mitteln und Methoden durchgeführt wurde. Nicht zerschlagen wurde der kapitalistische Staatsapparat, unangetastet blieben die ökonomischen Machtpositionen des Industrie- und Finanzkapitals wie auch des feudalen Junkertums auf den Rittergütern. Nicht ausgerottet wurden die Wurzeln des eroberungslüsternen deutschen Imperialismus. Der Kaiser war wohl gegangen worden, aber die Krupp, Siemens, Stinnes und die Generale waren geblieben.

Der durch das Abkommen Ebert/Groener intakt gelassene Generalstab hatte bereits Anfang Dezember 1918 mit der Aufstellung von Freiwilligenverbänden - den sogenannten Freikorps - begonnen, um wieder "zuverlässige Truppen" gegen die Revolution einsetzen zu können.

Bei uns wurden die "Baltikumer" mit Freikorpsleuten aufgefüllt. Sie sollten die Revolution in Estland, Lettland, Litauen zerschlagen. Gegen sie setzte nun in Elbing unser Kampf ein. Es kam aber noch etwas hinzu. Nach einem Erlaß des Rates der Volksbeauftragten sollten zwar alle Soldaten, Unteroffiziere, Feldwebel und auch Offiziere aus der alten Armee entlassen werden, nur die Jahrgänge 1898 und 1899 nicht. Sie sollten - unter ihren alten Offizieren - in den Kasernen bleiben.

Nun setzte von uns ein Kampf an zwei Fronten ein. Einmal mit aller Kraft gegen die Freikorps, die gegen die junge Sowjetunion in Marsch gesetzt wurden, und das andere Mal der Kampf um unsere Entlassung.

Spartakusgruppen in allen Kompanien

In der Kaserne hatten wir als Freunde und dann schon als Mitglieder des Spartakusbundes eine erfolgreiche Aktion gemacht. In allen Kompanien waren nicht nur Räte, sondern waren auch Gruppen - wenn auch kleine - vom Spartakus. Hinzu kam, daß ja die SPD da war und nun auch die USPD(4) entstanden war. Genossen aus diesen Parteien halfen uns. Ein ganzes Netz von Zellen des Spartakusbundes gab es und viele Verbindungen zu den USPD-Leuten, die genau unserer Meinung waren: Gegen die Baltikumer und für die Entlassung.

So setzte eine Bewegung ein, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Viele Soldaten verließen die Kaserne, störten sich nicht an dem Erlaß der Volkskommissare und der Generale.

Wir aber blieben zunächst dort, erfüllt von unserem Auftrag, dahin zu wirken, daß niemals wieder eine imperialistische Armee entstünde.

Doch dann geschah etwas Neues: Durch den in Vorbereitung befindlichen Versailler Vertrag sollte Danzig zum Freistaat gemacht werden. Ein Korridor sollte Ostpreußen vom übrigen Reichsgebiet abtrennen.

Unser Regimentsstab kam nun auf die Idee, uns an die geplante Grenze dieses Korridors zu schicken. Wir haben zunächst - scheinbar - mitgemacht. Doch am Zug angekommen, haben wir zu den Offizieren gesagt: "Auf Wiedersehen, meine Herren, das machen wir nicht mit!" Fast alle gingen wir nach Hause, nur die wenigsten blieben bei den Offizieren.

Im Feuer der Revolution wurde die KPD gegründet

Der Spartakusbund unter der Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg hatte sich in der Novemberrevolution als die konsequenteste Kraft der deutschen Arbeiterklasse und der gesamten Nation erwiesen. Jedoch konnte der heldenhafte Kampf der deutschen Linken die Kraft einer selbständigen marxistischen Partei nicht ersetzen. Das Fehlen einer revolutionären Partei war neben der Paktiererpolitik der rechten Führer der SPD Lind USPD die entscheidende Ursache dafür, daß die deutsche Arbeiterklasse in der Novemberrevolution ihre historische Mission nicht erfüllen und der deutsche Imperialismus und Militarismus seine Herrschaft retten konnte.

Erst im Feuer der Novemberrevolution um die Jahreswende 1918/19 wurde von solchen hervorragenden Führern der deutschen Arbeiterbewegung wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Clara Zetkin, Leo Jogiches, Wilhelm Pieck und Fritz Heckert die Kommunistische Partei Deutschlands gegründet.

Die Gründung der KPD war das wichtigste Ergebnis der Novemberrevolution und zugleich die Krönung des langjährigen heroischen Kampfes der revolutionären Linken in der deutschen Arbeiterbewegung gegen Imperialismus, Militarismus und Krieg, gegen den Opportunismus, für die Klasseninteressen der deutschen Arbeiterklasse und die nationalen Lebensinteressen unseres Volkes.

Die Gründung der KPD war ein Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des ganzen deutschen Volkes. Es gab jetzt in Deutschland wieder eine revolutionäre Partei, deren Programm auf den Lehren von Marx und Engels beruhte, in der die großen revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung, die von den rechten sozialdemokratischen Führern preisgegeben worden waren, fortgeführt wurden.

Das Tragische war, daß die KPD schon gleich nach ihrer Gründung ihre besten Führer verlor.

Der Terror der kaiserlichen Polizei, Justiz und Militärbehörden gegen den Spartakusbund wurde von den Noske-Banden gegen die junge KPD und alle revolutionären Kämpfer der Arbeiterklasse fortgesetzt und zum offenen Mordpogrom gesteigert. Am 15. Januar 1919, nur 16 Tage nach der Gründung der KPD, wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von konterrevolutionären Söldnern verhaftet und meuchlings ermordet.

Ihr Tod war ein schwerer Verlust für die deutsche und internationale Arbeiterbewegung. In vielen Orten Deutschlands kam es in den darauffolgenden Tagen zu großen Protestversammlungen, -Kundgebungen und -Demonstrationen gegen den konterrevolutionären Terror. Man forderte die strenge Bestrafung der Mörder und ihrer Hintermänner, häufig auch die Beseitigung der mit den kaiserlichen Generalen paktierenden Ebert-Scheidemann-Regierung.

Am 29. Januar 1919, vier Tage nach der Beisetzung Karl Liebknechts und 31 ermordeter Januarkämpfer, die sich zu einer Massendemonstration der Berliner Arbeiterschaft unter Teilnahme von Arbeiter Delegationen aus ganz Deutschland gestaltete, traf die junge KPD ein neuer herber Verlust: Franz Mehring starb.

Ein Jahr in Festungshaft

Ich war also nach Hause gekommen. Da erschien eines Morgens - es war Anfang Januar 1919 - ein Polizist und fragte meine Mutter, ob ihr Sohn da sei.

"Welcher Sohn?" hat sie gefragt, "ich habe vier; welchen meinen Sie?"

"Den Max."

"Ja, der ist zu Hause."

"Könnte ich den mal sprechen?" "Ja."

Meine Mutter holte mich und der Polizist sagte: "Mein lieber Freund, Du bist verhaftet."

Ich fragte: "Warum? Ich habe doch gar nichts Unrechtes getan. Was ich gemacht habe, das ist im Sinne der Revolution, der Novemberrevolution."

"Ja, Du und viele andere, Ihr habt Fahnenflucht begangen. "

Ich sagte: "Vor welcher Fahne sind wir denn geflohen, vor welcher? Zeigen Sie uns die Fahne!"

Er konnte mir keine Antwort geben. Er murmelte nur etwas von "unerlaubter Entfernung von der Truppe", das wären spartakistische Umtriebe. Also hin und her, er packte mich schließlich am Schlafittchen und zerrte mich aus der Wohnung heraus. Unten standen ein paar Freikorpsleute, die mich in ihre Mitte nahmen, mit aufgepflanztem Bajonett. Es gab ein Riesentheater und empörte Rufe der Menschen. Aber mit gefälltem Gewehr haben sie sich freie Bahn geschaffen und mich zur Kaserne gebracht.

Da half kein Protestieren des Arbeiter- und Soldatenrates der Stadt, der mich ja kannte. Die Offiziere gaben mich nicht frei.

Der Arbeite- und Soldatenrat kam sogar mit allen Mitgliedern zur Kaserne und verlangte, mich freizulassen, weil ich nichts Unrechtes getan hätte und weil das, was ich getan hätte, durchaus in ihrem Sinne gewesen wäre. Sie seien der Arbeiter - und Soldatenrat, der hier die Verantwortung hätte.

Doch der Gerichtsoffizier sagte nur:

"Arbeiter- und Soldatenrat? Die Verantwortung habe ich! Ich bin Offizier und ich bekomme meine Befehle von meinen höheren Dienststellen und letztendlich vom General!"

Hier war der beste Beweis, wer schon wieder die Macht in den Händen hatte. Nicht der Arbeiter und Soldatenrat! Und das zwei Monate nach der Revolution!

So war die Novemberrevolution durch rechte Führer der SPD abgewürgt worden. In Verhandlungen zwischen ihnen und den Monopolherren und in Ost- und Westpreußen mit den Rittergutsbesitzern, den Grafen und Baronen, die nicht nur ihre Güter, sondern auch ihre Macht behielten.

Ich wurde zu einem Jahr Festungshaft verurteilt. Man höre und staune: vom Feldkriegsgericht der 41. Infanterie-Division in Marienburg. Das war alles noch intakt, der ganze militärische Apparat. Er war nie entmachtet worden!

Ich kam nach Königsberg ins Festungsgefängnis Vorstein und habe dort das Jahr Festung abgemacht.

Dort waren ungefähr 400 Gefangene. Zum Teil politische, zum Teil auch andere, aber es war eine verhältnismäßig starke Spartakusgruppe dort, die aus gleichen oder ähnlichen Gründen wie ich verurteilt worden war. Auch Sozialdemokraten, die als Soldaten im Arbeiter- und Soldatenrat wirksam waren. Sie waren wegen "Plünderei" (!) angeklagt worden, weil sie in einem Betrieb zum Generaldirektor gesagt hatten: "Jetzt wird so produziert, wie wir es für richtig halten!"

Der Leiter unserer Spartakusgruppe war ein Maat. Er war von der "Goeben". (Dieses Schiff hatte im Ozean Kaperfahrten gemacht.) Er war auch wegen solcher Geschichten wie wir angeklagt und verurteilt worden. Drei Jahre hatte er bekommen.

Damals war - wie gesagt - die KPD schon gegründet und wir hatten unsere Mitgliedskarten erhalten. Natürlich im Festungsgefängnis illegal. Diese Mitgliedskarte war unser ganzer Stolz. Schön sah sie aus: eine steife Karte, und darauf stand: Kommunistische Partei Deutschlands, dahinter in Klammern: Spartakusbund und darunter: Mitgliedskarte. Ich habe sie in der Nazizeit leider nicht retten können.

Im November des Jahres 1919 beschloß die Parteileitung auf der Festung unter Leitung dieses Maats von der "Goeben" die Verbindung nach außen aufzunehmen. Ich bekam den Auftrag, mich krank zu melden, um so nach Königsberg zu kommen. Dort sollte ich eine Adresse erhalten, an die ich mich wenden könnte, um die Verbindung herzustellen.

,Ja, welche Krankheit sollte ich mir aussuchen, welche? Das Nächstliegende: Zahnschmerzen. Ich hatte aber ein wirklich prachtvolles Gebiß!

Morgens beim Appell trat ich vor, sagte, daß ich Zahnschmerzen hätte. Der Festungskommandant entschied, ein Gefreiter vom Freikorps, das die Wache stellte, sollte mich hinausbringen.

Im November lag dort schon hoher Schnee. Wir stampften vom Fort bis nach Königsberg. Eine Stunde. Wie das so ist, die Disziplin selbst in diesem Freikorps war nicht die einer regulären Armee. Ich sprach mit dem Gefreiten und bat ihn, daß ich auf dem Rückweg einen Freund aufsuchen könnte. Der Gefreite sagte: "Na gut, das machen wir."

Ich kam nach Königsberg. Die Zahnstation war in der Kaserne des 1. Grenadier-Regiments. Dieses Regiment war berüchtigt wegen seines kaisertreuen Offizierskorps.

Ein Offizier, der Zahnarzt war, sagte: "Platznehmen, wo tut's weh?" Ich antwortete: "Hier und da unten."

Er guckte mich an. Wir Festungsgefangenen hatten eine Uniform ohne Abzeichen, wir waren ja Soldaten zweiter Klasse. Wir trugen so ein marineähnliches Jäckchen mit weißen Schulterklappen und blaue Hosen. Er erkannte natürlich sofort, daß ich aus der Festung kam.

Dann besah er sich meine Zähne, holte sich ein Instrument und - ohne daß ich wußte wie mir geschah - kniff er mir auf jeder Seite zwei Kronen der Zähne ab! Ohne Betäubung! Ich habe natürlich aufgeschrien wie ein Stier.

Jetzt saß ich da. Auf jeder Seite unten zwei Kronen abgekniffen.

Ganz benommen ging ich hinaus und erfüllte meinen Auftrag, die Verbindung herzustellen. Wir beratschlagten noch dieses und jenes, verständigten uns, wie und wo wir uns weiter treffen könnten. Der Freikorps-Gefreite saß in einem anderen Zimmer und sagte nichts. Als ich meine Sache erledigt hatte, brach ich mit ihm auf.

Eine Stunde zurück im Schnee. Das Natürlichste geschah, ich bekam eine Kiefernvereiterung. Im Festungsgefängnis lagen wir in Katakomben unterhalb des Wasserspiegels. Alles feucht. Das wirkte auf die Entzündung und ich bekam wahnsinnige Schmerzen.

Da konnte ich nun die rührende Fürsorge von Genossen kennenlernen. Unser Maat, der Leiter der Parteigruppe war, nahm mich auf seine Pritsche und legte meinen Kopf an seine Brust. Seine Körperwärme linderte die Schmerzen der Entzündungsherde.

Wir hatten mit den Königsberger Genossen einen Ausbruchversuch verabredet. Dieser wurde auch durchgeführt. Im Handumdrehen war die ganze Festungswache entwaffnet. Doch es gab einen Beschluß, daß alle, die nur noch bis zu drei Monate abzusitzen hatten, sich nicht aktiv an der Aktion beteiligen sollten, damit, wenn es schiefgehen würde, nicht noch ein paar Jahre dazu kämen. Zu dieser Gruppe gehörte auch ich, denn es war November und ich sollte im Januar entlassen werden. Wir hatten dafür zu sorgen, daß die Schließer, die entwaffnet waren, nicht wieder hinaus kämen.

Die Aktion mißlang aber. Viele hatten zwar fliehen können, wurden jedoch wieder eingefangen, denn es war Kavallerie eingesetzt worden. Es hagelte sehr hohe Strafen, nicht unter fünf Jahren.

(…..)

(1) So hieß es im Manifest des Außerordentlichen Internationalen Sozialistenkongresses Basel vom 24./25. November 1912: "Die Internationale hat auf ihren Kongressen von Stuttgart und Kopenhagen für, das Proletariat aller Länder als leitende Grundsätze für den Kampf gegen den Krieg festgestellt: ,Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunützen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.' "

(2) Von 1905, d. Verf. 

(3) Kriegsverwendungsfähig 

(4) USPD = die im April 1917 gegründete "Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland". Den Hauptanteil an der Mitgliedschaft stellten ehemalige Mitglieder der SPD, die für den sofortigen Frieden eintraten und sich deshalb von der den Krieg unterstützenden Politik des SPD-Führung abgewandt hatten.