28.01.10
Max Reimann: "Streiflichter aus dem
Leben eines Kommunisten" II
Auszüge aus der Max
Reimann-Biografie "Streiflichter aus dem Leben eines
Kommunisten" von Franz Ahrens, Hamburg 1968
Max Reimann (31.10.1898 – 18. 1. 1977),
Werftarbeiter, Bergmann, Politiker. Antifaschistischer
Widerstandskämpfer, im KZ Sachsenhausen von den Nazis
eingekerkert. Mitbegründer der VVN-BdA in NRW (gehörte
ihrem ersten Landesvorstand an). Er war Vorsitzender der KPD
und Mitglied des Parlamentarischen Rates, der das
Grundgesetz schuf. Im Internet stehen Fälschungen über
sein Wirken, die wir hiermit richtig stellen.
Bild: www.maxreimann.com/ |
(….)
Der Polizei ein Schnippchen geschlagen
Josef Ledwohn erinnert sich gut der Anfangszeit 1945:
Überall fanden sich sofort Genossen, die die Parteiarbeit neu zu
organisieren begannen. Ich wurde wieder in meiner alten Heimatstadt
Ahlen und im Unterbezirk Hamm tätig und ab Ende April auf
Bezirksebene in Essen. Dort hörten wir - Adolf Prinz, Walter
Jarreck, Max Schäfer, Heinz Renner, ich und viele andere -, daß
Max Reimann zur Führung der Partei ins Ruhrgebiet kommen werde.
Natürlich freute ich mich sehr, meinen alten Freund und Genossen
Max wiederzusehen. In Gelsenkirchen-Buer, in einem improvisierten
Büro einer Privatwohnung, begegnete ich ihm. Viel hatten wir uns zu
sagen. Auf langen Spaziergängen erzählte ich Max meine Geschichte,
und ich erfuhr viele Einzelheiten seines antifaschistischen Kampfes.
Aber das war doch nicht die Hauptsache, obwohl wir mit Max immer
wieder im persönlichen Kreis Ahlener und Hammer Genossen, u. a.
Alfred Zeidler, Kurt Goldstein, Hanna Meltzer, auch unsere
persönlichen Erfahrungen austauschten. Max war erfüllt von den
Grundgedanken des Aufrufes des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni
1945. Es ging darum, die Partei auf dieser Grundlage aufzubauen und
zu entwickeln. Max war tief durchdrungen von der Aufgabe, einen
neuen demokratischen Anfang zu machen und dafür Sorge zu tragen,
daß die Partei, die Kommunisten auf allen Ebenen in den Betrieben,
Gemeinden, Regierungsbezirken und im Land mitarbeiten müßten, um
zunächst das Leben wieder in Gang zu bringen und zu normalisieren.
Eine Hauptsorge Max Reimanns galt dem Aufbau kampfkräftiger
Einheitsgewerkschaften. Im Ruhrgebiet handelte es sich
hauptsächlich um die Gewerkschaft der Bergarbeiter. Um was es auch
immer ging in den damaligen ersten Jahren, um Lohn,
Lebensmittelversorgung oder um die Mitbestimmung - immer hat Max
Reimann mit der Leitung im Ruhrgebiet und mit den Genossen, die
damals führend in der IG Bergbau tätig waren, wie Willi Agatz,
Hans Schiwon und Walter Jarreck, gründlich beraten, was getan
werden muß.
Im Landtag: Es ging um die vier Ds
Ich erlebte Max Reimann als Mitglied des Landtages in Nordrhein
Westfalen, in dem er in den großen Debatten um die
Dekartellisierung, Denazifizierung, Demilitarisierung und
Demokratisierung - die vier großen D des Potsdamer Abkommens - der
Wortführer war. Maßgeblichen Anteil hat Max Reimann auch bei der
Ausarbeitung des eigenen Verfassungsentwurfs der KPD für das Land
Nordrhein Westfalen und des Gesetzes zur Überführung des Bergbaus
in Gemeineigentum gehabt.
Als Marxist und Leninist war Max Reimann damals schon von tiefem
Mißtrauen gegenüber den imperialistischen Besatzungsmächten
erfüllt. Er warnte vor Leichtgläubigkeit ihnen gegenüber, er
zeigte das Komplott auf zwischen den imperialistischen Generalen und
den geschlagenen Monopolherren, die um ihrer ökonomischen und
politischen Macht willen die nationalen Interessen Deutschlands
verrieten und Kurs auf Restauration und die Spaltung Deutschlands
nahmen.
Im Jahre 1948, als bereits ein auf Anordnung der britischen
Besatzungsmacht erlassener Haftbefehl gegen Max Reimann vorlag,
starb einer seiner Brüder. Er wurde in Ahlen beerdigt. Max wollte
natürlich seinem Bruder die letzte Ehre erweisen. Die Parteileitung
stimmte zu mit der Festlegung, alles zu tun, um eine Verhaftung zu
verhindern.
Max erschien mit einer kleinen, zuverlässigen Begleitung am Grab
seines Bruders. Auf dem Ostfriedhof waren, wie vermutet, zahlreiche
Kriminalbeamte und Militärpolizisten der britischen Armee anwesend.
Die Trauerfeier selbst ging ohne Eingriff zu Ende. Wie aber
sollte Max wegkommen? Unsere Genossen hatten die Lage gut geprüft.
Auf dem Friedhof waren alle Hauptwege und alle Eingänge zum
Friedhof von der Polizei besetzt. An der dichten Hecke, die den
Friedhof umschloß, gab es in der Nähe der Grabstelle einen
schmalen, für den Uneingeweihten unbekannten Durchschlupf. An
dieser Stelle wurde auf der anderen Seite, auf der Straße, ein
schnelles Auto mit laufendem Motor postiert.
Als die Trauerfeier zu Ende war, drängte Max in der Menge zur
Hecke, schlüpfte durch und fuhr in schnellem Tempo ab. Ehe sich die
verdutzte Polizei - die deutsche und die britische - ebenfalls in
die Autos stürzte, hatte Max schon einen guten Vorsprung.
Es begann dann im ganzen Land eine militärisch geleitete
Hetzjagd. Schwerbewaffneter Militärpolizei gelang es nach drei
Tagen, Max Reimann festzusetzen.
Wieder inhaftiert
Als Max Reimann im Gefängnislazarett in Werl lag, besuchte ich
ihn. Welche Erinnerung! Das erste Mal war ich in Werl im Dezember
1933 gewesen, nach meinem Urteil über zweieinhalb Jahre Zuchthaus.
Dann kam ich später ins Moor - nach Neusustrum und Aschendorf. 1936
kam ich das zweite Mal nach Werl - und jetzt zum dritten Mal, zum
Besuch bei Max. Ihm ging es gesundheitlich nicht gut. Trotzdem
hielten die britischen Besatzer ihn in Haft.
Max Reimanns Kerkerhaft im britischen Militärgefängnis war ein
sichtbarer Ausdruck dafür, daß die Anti-Hitler-Koalition
zerbrochen war. Die USA und Großbrittanien hatten den kalten Krieg
begonnen.
Statt des Bündnisses mit der Sowjetunion gegen den deutschen
Faschismus hatten die Imperialisten eine neue Koalition geknüpft:
die Allianz zwischen den deutschen faschistischen Konzernherren,
ehemaligen faschistischen Generalen und den imperialistischen
Befehlsgebern, mit deren Monopolherren, besonders denen der USA, im
Rücken. Damit begann ein neuer Zeitabschnitt.
Die kurze Zeit eines Versuchs der Volkskräfte, einen
demokratischen Anfang zu machen, wurde brutal beendet. Die Macht des
Großkapitals wurde aufgerichtet und ein neuer Abschnitt der
Verfolgung der KPD begann. Der Antikommunismus wurde erneut, wie bei
den Faschisten, hochgepeitscht.
Es ist das große Verdienst Max Reimanns, wesentlich dazu
beigetragen zu haben, daß die Partei fest geschmiedet wurde, die
Mitglieder und Funktionäre im Geiste des Marxismus Leninismus
erzogen wurden. Seine Analysen auf den Konferenzen,
Parteivorstandssitzungen und auf dem Münchener Parteitag 1951
orientierten die Partei auf die wichtigsten Aufgaben jener Zeit, auf
den Kampf um die Einheit der Nation, den Kampf um Frieden, um die
Demokratisierung, wobei Max Reimann immer und mit besonderer
Anteilnahme die Sorge der Partei um den materiellen Lebensstandard
des werktätigen Volkes betonte.
In diesem Geist erzogen, hat die Partei allen Angriffen
standgehalten, ging sie gerüstet nach dem Verbot 1956 erneut in die
Illegalität, in der nach wiederum 12 Jahren jetzt stärker denn je
bewiesen wird, daß in der Bundesrepublik die Arbeiterbewegung und
das Volk eine legale marxistisch leninistische Partei brauchen.
Es sei mir gestattet, diesen Erinnerungen an frühe Begegnungen
und ernste Erlebnisse wohl auch ein Wort über persönliche
Eindrücke und Neigungen anzufügen.
Max Reimann ist ein angenehmer Mensch. Er liebt die Geselligkeit.
Wenn er Freunde um sich hat, fühlt er sich am wohlsten. Das
Gespräch ist für ihn ein Lebensbedürfnis.
Er selbst ist dabei unerschöpflich in der Argumentation.
Obwohl zu jeder Zeit von seinen Aufgaben erfüllt, die er als
Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPD hat, kann er abschalten
und sich ganz dem familiären Kreis widmen. Er besitzt viele Bücher
über alle Wissensgebiete, mit denen er auch zeit seines Lebens
gearbeitet hat. Er ist ein typischer Autodidakt.
Seine Neigung gilt der Musik. Ich glaube, er liebt nicht nur die
Musik, sondern er ist auch selbst sehr musikalisch. Zur
Überraschung vieler Genossen zeigt sich Max Reimann bei
entsprechenden Gelegenheiten als flotter, eleganter Tänzer.
Er liebt - so er die Zeit dazu hat - das Pilzesammeln und das
Angeln. Im letztgenannten Sport hat er sich sogar einen beachtlichen
Ruf erworben.
Ich habe das selbst erlebt. Einmal waren wir zufällig zusammen
an einem See im Urlaub. Max natürlich mit voller Angelausrüstung.
In aller Ruhe - wie nützlich für die Erholung - wurde die
Angelrute vorbereitet. Maiskörner an die Haken, mit gekonntem
Schwung 30 bis 40 m die Haken in den See geworfen. So, alles war
klar.
Eine Reihe Ruten stehen schön nebeneinander. Die Schnur an der
Spitze jeweils ein wenig eingezogen und ein geknicktes Schilfrohr
drangehängt, die Aufpasser. Ich sehe Max im Halbdunkel, wie er auf
seinem Stühlchen sitzt. Nichts rührt sich. Es wird dunkel. Es ist
bald Mitternacht. Trotz der Mücken ein schöner Abend. Auch wenn
nichts gefangen wurde.
Aber Max ist hartnäckig. Er versucht es morgens wieder. Um 4.00
Uhr ist er wieder da. Wieder die drei Ruten, wieder vier Stunden,
aber die Fische verschmähen den Köder.
Doch dann, am anderen Abend, gerade, als wir uns schon damit
abgefunden und getröstet hatten, daß Angeln auch ohne Ergebnis ein
schöner Sport sei, beginnt plötzlich der Aufpasser zu hüpfen.
Nicht den Bruchteil einer Sekunde zu spät hat Max die Rute in der
Hand. Sie biegt sich fast um 90 Grad. Es muß ein schwerer Brocken
sein. Tatsächlich, als der Karpfen im Käscher landet, erweist er
sich als ein Prachtexemplar von etwa sechs Pfund.
Ein Mosaikstein für seinen Anglerruf. Aber es ist wahr, außer
diesem Karpfen hat Max in diesem Urlaub noch einige andere dazu
gefangen.
Mit Heinz Renner im Parlamentarischen Rat
Über Max Reimanns Tätigkeit im Parlamentarischen Rat hatte sein
Fraktionskollege Heinz Renner in seinen leider durch seinen Tod
nicht mehr vollendeten Memoiren die folgende Episode festgehalten:
Am 1. September 1948 trat in Bonn der Parlamentarische Rat zu
seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Als Alterspräsident
fungierte der Hamburger Senator Adolf Schönfelder.
Er begrüßte "in erster Linie die Vertreter der
Militärregierung". Dabei sprach er aus, daß deren Vollmachten
die Abgeordneten in den Stand gesetzt hätten, hier als
Parlamentarischer Rat zu tagen.
Er begrüßte weiter "hohe Würdenträger der Kirche",
die Vertreter der Regierungen und Verwaltungen und insbesondere die
Herren Ministerpräsidenten der Tri-Zone, die "in monatelangen
Verhandlungen die Mittler zwischen dem deutschen Volk und den
Militärregierungen gewesen sind und die auch diese Tagung
vorbereitet haben".
An die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates gerichtet,
stellte er fest, daß "diese Körperschaft in ihrer Eigenschaft
kein Beispiel und kein Vorbild in der Geschichte hat. Wir sind weder
nach der Art unserer Wahl noch nach der uns gestellten Aufgabe ein
Parlament im üblichen Sinne ... Wir sind von den Landtagen, der
Länder gewählt, aber, wie ich meine, nicht als Vertreter der
Länder und ihrer Interessen, sondern als Vertreter des ganzen
deutschen Volkes, wenigstens des Teiles, der in der Tri-Zone
lebt."
Dann kam der sattsam bekannte Höhepunkt:
"In unserem Bekenntnis zur Einheit Deutschlands sind wir in
den Westzonen unerschüttert. Wir lassen uns in dem heißen Willen,
diese Einheit zu errichten, von niemand übertreffen, und von diesem
Willen werden wir uns auch bei unserer Arbeit leiten lassen."
Anschließend erfolgte die eigentliche Konstituierung des
Parlamentarischen Rates durch Namensaufruf der einzelnen
Abgeordneten. Dann wurde das Präsidium gewählt.
Im Namen der CDU/CSU-Fraktion schlug der Abgeordnete Dr. Pfeiffer
dem Hohen Haus zur Wahl als Präsidenten des Parlamentarischen Rates
den Abgeordneten Dr. Konrad Adenauer vor. Als 1. stellvertretenden
Vorsitzenden schlug der Abgeordnete Dr. Schmid (SPD) seinen
Fraktionskollegen Schönfelder vor.
Als 2. Stellvertreter schlug Dr. Heuß von der FDP den
Abgeordneten Dr. Schäfer vor.
Alterspräsident Schönfelder ließ abstimmen, nicht mit
verdeckten Stimmzetteln, wie das vorgeschlagen war, sondern durch
Akklamation. Er stellte die einstimmige Annahme fest. Der
Abgeordnete Max Reimann mußte ihn darauf aufmerksam machen: Zwei
Stimmen Enthaltungen. Dann kam der erste
"Berlin-Vorstoß".
Abgeordneter Dr. Schmid erbat das Wort:
"Ein Parlament, das den Auftrag hat, in dem Teil
Deutschlands, in dem das deutsche Volk in wenigstens relativer
Freiheit und Selbstbestimmung von dem Rechte Gebrauch machen kann,
die Ausübung seiner Hoheitsbefugnisse selbst zu organisieren, wäre
unvollständig, wenn darin nicht Berlin vertreten wäre.
Wir haben hier miteinander ein gesamtdeutsches Anliegen zu
erfüllen, wenngleich vorläufig auf beschränktem Raum und mit
beschränkter sachlicher Reichweite. Darum sollte hier das gesamte
deutsche Volk vertreten sein, soweit es die Möglichkeit hat,
Vertreter aufzustellen und hierher zu senden. Umstände, die zu
ändern außerhalb unseres Vermögens steht, machen es heute noch
unmöglich, andere als die hier vertretenen deutschen Länder und
Berlin mit vollberechtigten Vertretern an unseren Arbeiten zu
beteiligen. Uns aber von den Berlinern wenigstens beraten zu lassen,
von diesem Teil des deutschen Volkes, der mehr als irgendein anderer
gezeigt hat, daß man für die Freiheit. Opfer bringen muß, wenn
man sie verdienen will, wird uns niemand verwehren können. Ich
bitte Sie daher namens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands, folgendem Antrag ihre Zustimmung zu geben:
Der Parlamentarische Rat wolle beschließen, die Delegierten
Berlins, nämlich die Herren Jakob Kaiser, Paul Löbe, Ernst Reuter,
Hans Reif, Otto Suhr einzuladen, an den Arbeiten des
Parlamentarischen Rates als Gäste mit beratender Stimme
teilzunehmen."
Der Abgeordnete Max Reimann gab Dr. Schmid auf diesen Versuch,
die Geschichte des Zustandekommens des Parlamentarischen Rates und
die ihm gestellte Aufgabe der Spaltung Deutschlands und den
tatsächlichen Status Berlins zu verfälschen, sofort eine treffende
Antwort. Laut Protokoll über die erste Plenarsitzung des
Parlamentarischen Rates vom 1. September 1948 erklärte er unter
anderem:
"...Der Parlamentarische Rat ist auf Grund der Londoner
Empfehlungen zusammengesetzt worden, um einen westdeutschen Staat zu
schaffen und diesem westdeutschen Staat eine Verfassung zu geben.
Somit wird Deutschland gespalten. Wir sind der Auffassung, daß
gerade was die Stadt Berlin anbelangt, wir in der jetzigen Situation
äußerste Vorsicht beobachten müssen. Es hat keinen Zweck, wenn
wir als Deutsche die sich anbahnenden Verhandlungen der alliierten
Großmächte durch einen solchen Akt stören ...
Ich stelle daher folgenden Antrag:
Der Parlamentarische Rat stellt seine Beratungen über eine
separate westdeutsche Verfassung ein.
Begründung:
1. Die Bildung des Parlamentarischen Rates erfolgte auf der
Grundlage der Londoner Empfehlungen. Diese aber verstoßen gegen die
völkerrechtlich bindenden Verträge von Jalta und Potsdam.
In diesen Verträgen haben die vier Großmächte die Ausübung
der staatsrechtlichen Souveränität in Deutschland mit der
Verpflichtung übernommen, für die Errichtung eines einheitlichen
demokratischen Deutschlands zu sorgen und dann die Souveränität an
das deutsche Volk zurückzugeben. Bis zu diesem Zeitpunkt könnten
staatsrechtliche Veränderungen nur durch alle vier Großmächte
gemeinsam vorgenommen werden.
2. Der Parlamentarische Rat hat kein Mandat vom deutschen Volk.
Er ist sogar gegen den Willen der Mehrheit aller Deutschen errichtet
worden. Das deutsche Volk will eine einheitliche demokratische!
Republik mit einer Verfassung, die von einer durch das ganze
deutsche Volk gewählten Nationalversammlung ausgearbeitet und dann
dem Volke zur Abstimmung vorgelegt wird..."
Der Abgeordnete Reimann wies dann darauf hin, daß sich in Moskau
die Vertreter der vier Großmächte darum bemühen, eine gemeinsame
Lösung für ganz Deutschland zu finden. "Die Einigung der
Alliierten liegt im Interesse des deutschen Volkes ... Daher sollten
die deutschen Politiker es vermeiden, Handlungen zu begehen, die
diese Einigung stören. Die gemeinsamen Verhandlungen der Alliierten
über Deutschland werden durch die Schaffung einer separaten
Verfassung, die das sogenannte Grundgesetz darstellt, torpediert. Es
sollen dadurch fertige Tatsachen geschaffen werden."
Abschließend wiederholte Max Reimann den Antrag der
Kommunistischen Partei Deutschlands, die Beratungen des
Parlamentarischen Rates über eine westdeutsche Verfassung ebenso
wie über eine westdeutsche Regierung sofort einzustellen. Er schlug
vor, daß die Vertreter aller demokratischen deutschen Parteien in
Verbindung mit dem Deutschen Volksrat den Alliierten einen
einheitlichen deutschen Vorschlag über die Bildung einer
einheitlichen deutschen demokratischen Republik vorlegen.
Mit Berlin, aber ohne den Osten?
Im Anschluß hieran dürfte der folgende Hinweis interessant
sein, der klar aussagt, daß West Berlin selbst von den
West-Alliierten niemals als ein Teil der Bundesrepublik betrachtet
worden ist.
Als Berichterstatter des Hauptausschusses für das Plenum des
Parlamentarischen Rates hatte Adenauers späterer Außenminister von
Brentano (CDU) an dem Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für
die, Bundesrepublik (Drucksache Nr. 850 854) mitgearbeitet. In dem
von Brentano zusammengestellten Abschnitt Übergangs- und
Schlußbestimmungen heißt es auf Seite 103:
"Bezüglich Berlins wurde von den Militärgouverneuren mit
Schreiben vom 5. Dezember 1949 erklärt, daß Berlin keine
abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder Bundesrat
erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden wird, daß es
jedoch eine beschränkte Anzahl Vertreter zur Teilnahme an den
Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaften benennen
darf'."
Aus diesen Feststellungen geht eindeutig hervor, daß sich
bereits die westlichen MiIitärgouverneure und zumindest seinerzeit
auch der Herr Brentano völlig darüber im klaren waren, daß West
Berlin "nicht durch den Bund regiert werden wird".
Diese Rechtslage hat sich seit 1949 in keiner Weise geändert.
Wie Deutschland gespalten wurde
Die wenigsten wissen heute noch, wie Deutschland eigentlich
gespalten wurde. Interessant dürften deshalb wohl die folgenden
Betrachtungen Max Reimanns sein, die er kürzlich niederschrieb. Es
handelt sich um Geschehnisse im Parlamentarischen Rat, der auf
Geheiß der westlichen Besatzungsmächte Ende 1948 eine Verfassung
für die drei damals noch bestehenden Westzonen auszuarbeiten hatte.
Max Reimann schrieb darüber:
Auf der im November/Dezember 1947 in London tagenden
Außenministerkonferenz der vier Mächte wurden, von den USA,
England und Frankreich alle Vorschläge der Sowjetunion abgelehnt,
einen Friedensvertrag zu beschließen und entsprechend dem Potsdamer
Abkommen gemeinsame zentrale deutsche Verwaltungen zu schaffen.
Jede Einheit im Zeichen einer antifaschistischen Demokratie war
offensichtlich für die deutsche Großbourgeoisie und ihre,
ausländischen Verbündeten unannehmbar. Darum betrieben sie im
Bunde mit den imperialistischen Besatzungsmächten, besonders den
USA, über die Bi- und Tri-Zone die Schaffung eines separaten
westdeutschen Staates als Barriere gegen den gesellschaftlichen
Fortschritt. Der heutige Minister für Bundesangelegenheiten, Carlo
Schmid, erklärte zu dieser Zeit aufschlußreich: Die Amerikaner
wollen lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland
halb." Damit spielte Carlo Schmid auf die, demokratischen
Veränderungen an, die in der damaligen sowjetischen Besatzungszone
im Geist und Buchstaben des Potsdamer Abkommens erfolgreich
vollzogen wurden.
Der bizonale Wirtschaftsrat, bereits am 11. September 1946 in
Frankfurt am Main auf Betreiben der Amerikaner gebildet, wurde als
Wirtschaftsinstrument getarnt. Aber sein Verwaltungsrat hatte die
Funktion einer Exekutive, der aus 16 Mitgliedern gebildete Rat der
Länder die einer föderativen zweiten Kammer. Das war schon im Keim
die heutige staatliche Konstruktion des westdeutschen Staates,
zunächst ohne Verfassung und ohne jedes Souveränitätsrecht. Die
Rechte lagen ausschließlich bei den westlichen Besatzungsmächten.
Hier war der erste Kreuzweg, an dem die deutsche Großbourgeoisie in
Übereinstimmung mit den Westmächten sich für die Spaltung
entschied.
Als am 2. März 1948 die Wahl des Vorsitzenden des
Verwaltungsrates Dr. Pünder (CDU) und der Verwaltungsdirektoren,
darunter Prof. Erhard, vollzogen wurde, stellte ich im Namen unserer
kommunistischen Fraktion einen Antrag, um die staatsrechtliche
Position des Wirtschaftsrates zu klären. Unser Antrag hatte den
folgenden Wortlaut:
Gegen die Spaltung Deutschlands
"Die von der amerikanischen und englischen Militärregierung
erlassene Proklamation vom 9. Februar 1948 bezweckt eine
staatsrechtliche Veränderung Westdeutschlands gegenüber
Gesamtdeutschland ... Die Proklamation verhindert eine zukünftige
gesamtdeutsche Regelung und, führt zur Abspaltung Westdeutschlands.
Daher erkennen die Abgeordneten die von der amerikanischen und
englischen Militärregierung erlassene Proklamation nicht an. Die
Abgeordneten erklären sich demgegenüber für die wirtschaftliche
und politische Einheit Deutschlands und wünschen, daß die
Alliierten dem deutschen Volk einen Volksentscheid erlauben, durch
den es selbst bestimmt, wie es seinen demokratischen Staat aufbauen
will."
Gegen den Antrag sprach der sozialdemokratische Abgeordnete und
heutige Vizepräsident des Bundestages, Erwin Schöttle. Er forderte
den Übergang zur Tagesordnung und erklärte wörtlich: "Wir
sind nie um unsere Zustimmung gefragt worden, und wenn wir gefragt
worden wären, hätten wir erklärt: Das zu entscheiden ist eure
Sache." Damit wollte, die rechte SPD Führung ihre aktive
Mitwirkung beim Akt der Spaltung vertuschen.
Das war damals überhaupt die Methode. Man versteckte sich hinter
dem Rücken der Besatzungsmächte und handelte im Auftrage oder, wie
es damals treffend im Volksmund für solche Politiker hieß: als
alliiertes Hilfspersonal. Am 20. April 1948 wurde von der
amerikanischen Besatzungsmacht eine Gruppe von deutschen
Bankspezialisten, unter ihnen Pferdmenges, Abs, Dr. Blücher, Prof.
Erhard, insgeheim nach der amerikanischen Kaserne in Rothwesten bei
Kassel gebracht. Diese Kaserne wurde mit hohem Stacheldraht umgeben
und von einem starken Aufgebot amerikanischer Militärpolizei
bewacht. Sie ging in die Geschichte als Konklave von Rothwesten ein.
Entgegen den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens wurde dort
festgelegt, die einheitliche deutsche Währung zu zerstören. Das
war der erste Schritt zur Spaltung Deutschlands.
Hitlers Wehrwirtschaftsführer bereiteten Währungsreform und
Spaltung vor
Es waren die ehemaligen Wehrwirtschaftsführer Hitlers, die im
Interesse der Aufrechterhaltung ihrer Macht die deutsche Währung
und die Wirtschaft spalteten und später mit Hilfe des
Parlamentarischen Rates politisch die Spaltung Deutschlands
vollzogen. Es waren jene Leute, an deren Händen das Blut von
Millionen Menschen aus allen Ländern Europas klebte.
Wie erbärmlich sie handelten, geht auch daraus hervor, daß die
Geldscheine der neuen Währung in der Staatsbank Amerikas in
Washington gedruckt und - abgesichert durch amerikanische:
Kriegsschiffe - heimlich nach Bremen gebracht wurden, um dann in die
Tresors der Bankherren gelegt zu werden. Dieses neue Geld wurde
durch die Festsetzung der Währungsparität 1 Dollar = 4,20 Mark an
den amerikanischen Dollar gebunden. Als ich bei einer Gelegenheit
Herrn Dr. Blücher fragte, wer diese Milliarden und die Milliarden
aus dem Marshallplan einmal bezahlen soll, antwortete er mir:
"Darüber machen wir uns jetzt noch keine Sorgen, Herr Reimann.
Wenn wir erst einmal mit diesen Geldern unsere ökonomische und
politische Macht hergestellt haben, dann werden wir mit den
Amerikanern reden."
Für die Konzerne wurde in der amerikanischen Kaserne von
Rothwesten ihr Anlagekapital von Reichsmark auf D-Mark ohne Verluste
umgestellt. Sie realisierten so ihre gewaltigen Kriegsgewinne aus
dem zweiten Weltkrieg. Das Umstellungsverhältnis - die Aufwertung -
betrug beispielsweise bei solchen Rüstungskonzernen wie Mannesmann
1 : 2 und bei der Gute-Hoffnungs-Hütte sogar 1 : 3,1. Die
Ersparnisse der Bevölkerung aber wurden durch die Währungsreform
im Verhältnis 100 : 6,5 abgewertet.
Zu dieser Zeit trat Adenauer als Vollstrecker der Spaltung in
Aktion. Am 1. April 1948 erklärte er auf einer Vorstandssitzung der
CDU, "daß die deutsche Einheit vom Westen her wieder aufgebaut
werden müsse ... Das entscheidende politische Geschehen spiele sich
in den Westzonen ab." Sein Plan bestand darin, den Westen
Deutschlands abzuspalten, die Herrschaft der deutschen Imperialisten
wiederzuerrichten, Westdeutschland wieder aufzurüsten, um im
Bündnis mit den USA dann den Osten Deutschlands wiederzuerobern und
Osteuropa "neuzuordnen".
Ich erinnere mich noch, wie am 7. April 1948 der konservative
britische Militärgouverneur Robertson jene Abgeordneten, unter
denen sich auch Dr. Adenauer befand, die zur Spaltung bereit waren,
mit den Worten ermunterte: "Wir bieten Ihnen ... unsere
Zusammenarbeit an. Lassen Sie sich von Unruhestiftern, die ‚Kollaborateur'
schreien, nicht einschüchtern." Ich wurde damals, weil ich
diese nationalen Verräter als "alliiertes Hilfspersonal"
bezeichnet hatte, von einem britischen Militärgericht verurteilt.
Das war zu der Zeit, als der sogenannte Parlamentarische Rat, dessen
Vorsitzender Dr. Adenauer war, das Grundgesetz beriet, mit dem
Deutschland politisch gespalten wurde.
Grundgesetz im Auftrag der Besatzungsmacht geschaffen
Die Ausarbeitung der Verfassung, des Grundgesetzes, ist, wie die
wenigsten heute noch, wissen, keineswegs im Auftrag des deutschen
Volkes erfolgt. Die Bevölkerung war überhaupt nicht gefragt
worden. So konnte später denn auch ein bekannter Staatsrechtler
seinen Kommentar zum Grundgesetz mit den Worten beginnen: "Am
Anfang stand die Weisung!" Nämlich der Besatzungsmächte! Die
Bevölkerung hatte überhaupt keine Möglichkeit, sich in
demokratischer Selbstbestimmung zu diesem tiefen Einschnitt zu
äußern. Die Mitglieder des Rates wurden in, den Landtagen der
Länder der Trizone bestimmt. Es ist darum eine große Irreführung,
wenn es in der Präambel des Grundgesetzes heißt, das deutsche Volk
habe diese Verfassung in freier Selbstentscheidung beschlossen.
Vielmehr stand am Anfang der Befehl der Besatzungsmächte. Treffend
charakterisiert Karl Jaspers die Methoden, mit denen die
Entscheidungen vollzogen wurden: "Das Volk wußte gar nicht,
was ihm geschah, und wirkte nicht mit."
Der Verfassungsgrundsatz, wonach alle Staatsgewalt vom Volke
auszugehen hat, ein Grundsatz, der auch im Artikel 20 des
Grundgesetzes enthalten ist, war somit schon in der Geburtsstunde
des westdeutschen Staates nur ein Lippenbekenntnis.
Es war überhaupt kennzeichnend, daß der Parlamentarische Rat in
seinen Entscheidungen nicht souverän war. Am 30. September 1948
ließen die Militärgouverneure die Katze aus dem Sack. Sie
erklärten, daß der Rat keine Ermächtigung hätte, von den ihm
kraft Besatzungsrecht übertragenen Aufgaben abzuweichen. Am 19.
Oktober 1948 wurden Befehle über die Verteilung der Machtbefugnisse
zwischen Bund und Ländern unterbreitet. In einer Denkschrift an
Adenauer vom 22. November des gleichen Jahres wurde dem Rat sogar
ein ganzer Befehlskatalog übergeben. Die Militärgouverneure
erklärten, nur unter diesen Bedingungen ihre Zustimmung zum
Grundgesetz zu erteilen.
Zwei Ereignisse im Parlamentarischen Rat waren vor allem
bezeichnend für den von der Reaktion vorgezeichneten Weg der
Bundesrepublik als eines aggressiven und hochgerüsteten Staates. Es
wurde die Tür zur Remilitarisierung geöffnet und es wurde die
Spaltung besiegelt.
Ächtung des Krieges und des Kriegsdienstes als
Verfassungsgrundsatz gefordert
Im Entwurf des Grundgesetzes gab es keine Festlegung, den Krieg
zu ächten und die Rüstung zu untersagen. Es war aber ein Absatz
vorhanden, daß zur Kriegführung bestimmte Waffen nur mit
Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in
Verkehr gebracht werden dürfen. Das war für die Schuldigen am
zweiten Weltkrieg, deren ökonomische und politische Macht ständig
anwuchs, die Öffnung der Tür zur Wiederaufrüstung. Das konnten
wir Kommunisten nicht hinnehmen.
Durch unseren Genossen Heinz Renner beantragten wir, den Passus
aufzunehmen:
"Der Krieg ist geächtet. Kein Staatsbürger darf zum
Kriegsdienst gezwungen werden."
Unser Antrag wurde zunächst zurückgestellt, aber später ganz
abgelehnt. Statt dessen wurde eine Formulierung der SPD in das
Grundgesetz eingebaut, wonach niemand gegen sein Gewissen zum
Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann. Der wesentliche
Grundsatz, den Krieg zu ächten, wurde unter den Tisch gefegt.
Der Parlamentarische Rat lehnte auch unseren Antrag ab, auf die
Verabschiedung, des Grundgesetzes zu verzichten und stattdessen
Verhandlungen mit den Vertretern der damaligen sowjetischen
Besatzungszone in Braunschweig über die Schaffung einer
gesamtdeutschen Verfassung aufzunehmen.
In den entscheidenden Stunden vor der Verabschiedung des
Grundgesetzes machte ich damals Adenauer auf die Konsequenzen seiner
Handlung nachdrücklich aufmerksam. In einer von Adenauer
gewünschten Aussprache und auf seine Frage, wie ich, die Situation
sehe, hatte ich Adenauer gesagt: "Wenn Sie noch einen Funken
deutschen Nationalgefühls besitzen, dann beenden Sie sofort die
Arbeit dieses Parlamentarischen Rates, denn das Grundgesetz, das
hier behandelt werden soll, bedeutet die Spaltung
Deutschlands!" Adenauer, der von meiner Mahnung betroffen war,
versuchte seine separatistische Vergangenheit zu vertuschen, die ich
am 8. Mal 1949 mit Tatsachen belegte.
Was Max Reimann bei der Grundgesetzverabschiedung sagte
In dieser entscheidenden 10. Sitzung am 8. Mai 1949 wurde das
Grundgesetz verabschiedet. Ich erklärte namens der KPD, daß wir
Kommunisten aus grundsätzlichen Erwägungen das Grundgesetz als
eine Urkunde der Spaltung Deutschlands ablehnen. Aber ich fügte
sofort hinzu, daß der Tag kommen werde, daß wir Kommunisten das
Grundgesetz verteidigen werden gegen jene, die es brechen. Dieser
Zeitpunkt ist heute, jedermann sichtbar, da, seitdem die
Bundesregierung mit den Notstandsgesetzen das Grundgesetz in seinem
Wesensgehalt zerstört hat.
Am 12. September 1951 nahm unsere Partei die Konstituierung des
Bundesgerichtshofes in Karlsruhe zum Anlaß, unser Verhältnis zum
Grundgesetz noch einmal zu präzisieren. Wir wiesen darauf hin, daß
das Grundgesetz in steigendem Maße von höchsten Bundesstellen
mißachtet und durch Maßnahmen durchlöchert wurde, die sich
eindeutig gegen den Sinn und den Wortlaut des Grundgesetzes richten.
Die Mehrheit des Bundestages verabschiedete ein politisches
Strafrecht zur Anheizung des kalten Krieges, das im schärfsten
Widerspruch zum Grundgesetz stand, was später selbst vom
Bundesverfassungsgericht zugegeben werden mußte.
Unsere Partei erklärte, daß wir Kommunisten unsere Zustimmung
zum Grundgesetz verweigerten, weil mit ihm Deutschland gespalten und
ein separater Staat gegründet wurde, um aus Westdeutschland die
Hauptbasis der USA-Kriegspolitik in Europa zu machen. Unsere Partei
unterstrich noch einmal, daß die Gesetzgeber im Lauf ihrer
volksfeindlichen Politik ihr eigenes Grundgesetz brechen werden.
Wörtlich heißt es in der Erklärung: Wir Kommunisten aber werden
die im Grundgesetz verankerten wenigen demokratischen Rechte gegen
die Verfasser des Grundgesetzes verteidigen.
Aktiv gegen jeden Verfassungsbruch
Eben auch darum, weil die KPD in der Folgezeit gegen jeden
Verfassungsbruch auftrat, und um den Widerstand gegen die
Remilitarisierung zu brechen, wurde die KPD verfolgt und verboten.
Treu dem proletarischen Internationalismus
Franz Ahrens schreibt: Von der ersten Stunde des Bestehens der
Sowjetunion an hat Max Reimann die Bedeutung, die dieser größten
geschichtlichen Umwälzung in unserem Jahrhundert zukommt, erkannt.
Während ein Kautsky der jungen Sowjetmacht nur ein paar Wochen
Lebensdauer zubilligen wollte (- dann wäre angeblich der ganze
Bolschewistenspuk verschwunden -), hatte der 19jährige Soldat Max
Reimann schon sofort gespürt: das ist das Ereignis, das unser
ganzes Leben und das aller Völker entscheidend umgestaltet!
Nicht eine Minute in seinem ganzen Leben hat er geschwankt in
seinem Vertrauen zur sozialistischen Völkergemeinschaft. Zu allen
Zeiten ist Max Reimann der Sache des proletarischen
Internationalismus, der Völkerverständigung und des Friedens treu
geblieben.
Erfüllt von der Überzeugung, daß mit der Oktoberrevolution die
Weichen dieses Jahrhunderts ein für allemal auf den Sozialismus und
damit auf eine glückliche Zukunft der Menschheit hin gestellt sind,
empfindet Max Reimann als Schönstes in seinem Leben, daß diese
Überzeugung im Verlauf der Jahrzehnte immer wieder ihre
Bestätigung in der Praxis fand.
Unvergeßlich wohl für alle, die das damalige Geschehen in Bonn
miterlebten, ist eine Episode, die sich am 22. September 1949 im
Bundestag zutrug und in der Max Reimann wie ein Fels in der Schlacht
stand, die für eine Politik des Friedens und der
Völkerverständigung von den Kommunisten geschlagen wurde.
Dieser Vorfall im Bonner Bundestag verdient der Nachwelt
überliefert zu werden. Er ereignete sich in einer der ersten
Sitzungen des westdeutschen Bundestages überhaupt. Schon bei dieser
Eröffnungssession enthüllte die dominierende Partei des
westdeutschen Nachkriegsparlamentarismus, die CDU/CSU, ihre makabre
Meisterschaft im antikommunistischen Show-Geschäft und zeigte sich
den Verteufeleien eines Goebbels durchaus ebenbürtig.
Adenauer will den Schlussstrich unter die NS-Verbrechen ziehen
und die Grenzen von 1937 wiederhaben
Zwei Tage zuvor hatte der am 15. September 1949 mit einer
einzigen Stimme Mehrheit (seiner eigenen!) zum ersten Bundeskanzler
gewählte Konrad Adenauer seine Regierungserklärung abgegeben. In
dieser Rede wurden bereits die Weichen gestellt für den
Revanchekurs, der 20 Jahre lang die offizielle Politik bestimmen
sollte, wurde der Antikommunismus bereits zur Staatsdoktrin erhoben.
Kommende Generationen werden bei der Lektüre dieser
Regierungserklärung es sicherlich widerlich finden, wie Adenauer
bemüht war, sich Liebkind zu machen bei den USA-Imperialisten.
Besonders gegen die Oder-Neiße-Linie richteten sich Adenauers
Ausfälle. Wir werden uns "unter keinen Umständen damit
abfinden!'' rief er aus und: "Wir werden nicht aufhören,
unsere Ansprüche auf diese Gebiete weiter zu verfolgen." Das
trug ihm frenetischen Beifall nicht nur von den Bänken der CDU/CSU,
sondern auch von Seiten der neonazistischen "Nationalen
Rechten"(1) ein, deren Wortführer Richter(2) denn auch - wie
im Bundestagsprotokoll nachzulesen - prompt dazwischenkrähte:
"Bitte auch das Sudetenland dabei nicht zu vergessen, Herr
Bundeskanzler!'
In serviler Weise stattete Adenauer den USA seinen
"besonderen Dank" ab und bekannte sich zum Kleineuropa. Es
bestehe, so sagte er, "kein Zweifel, daß wir nach unserer
Herkunft und nach unserer Geschichte zur westeuropäischen Welt
gehören. Es gibt keinen anderen Weg als das Besatzungsstatut,
wieder zur Freiheit und Gleichberechtigung zu kommen`, worauf ihm
der KPD-Abgeordnete Heinz Renner den Zwischenruf
"Friedens-Vertrag" entgegenschleuderte.
Während sich gerade jetzt wieder - im Jahre 1968 - in der
Weltöffentlichkeit ein Sturm der Erregung zu erheben beginnt, daß
in der Bundesrepublik alle NS-Mordtaten und -Gewaltverbrechen im
nächsten Jahr - 1969 - verjähren und tausendfache SS-Mörder
straffrei ausgehen sollen, hatte Adenauer schon damals, also vor 20
Jahren!, in seiner Regierungserklärung feierlich erklärt, die
Bundesregierung sei entschlossen - ich zitiere wörtlich aus dem
Bundestagsprotokoll -, "Vergangenes vergangen sein zu
lassen". Er forderte außenpolitisch schon damals die Grenzen
von 1937, wetterte innenpolitisch schon damals - knapp vier Jahre
nach dem Ende der beispiellosen NS-Verbrechen - gegen alle
demokratischen und Linkskräfte erneut "gegen den
Linksradikalismus", während er die in- und ausländischen
Warnungen vor neonazistischen Umtrieben als ganz bestimmt weit
übertrieben" abtat. Kein Wunder, daß ihm darauf der Sprecher
der neonazistischen "Deutschen Partei" (DP), Ewers, unter
"Hört!-Hört"-Rufen den "vollsten und ungeteilten
Beifall" seiner Fraktion versicherte.
Adenauer verstieg sich in seiner Regierungserklärung zur
maßlosen Verleumdung der von der Hitlerarmee überfallenen
Sowjetunion und forderte unter auf die Tränendrüsen berechneter
Stimmungsmache die Freigabe der Kriegsgefangenen. Als ihm Heinz
Renner mit dem Zwischenruf: "Das erreicht man aber nicht durch
die verlogene Hetze!'' unterbrach, wurde Renner vom
Bundestagspräsidenten Köhler ein Ordnungsruf erteilt. Denn, so
sagte Köhler, "derartige Bemerkungen während der Erklärung
des Bundeskanzlers zu machen, stört die Würde des Hauses".
In der Debatte zur Regierungserklärung sprachen zunächst die
Vertreter der CDU/CSU, der SPD, FDP, DP und der Bayernpartei.
Eine Friedensrede führt zu Ausbrüchen des Kalten Krieges
Am 22. September erhielt endlich auch der Vorsitzende der KPD
Bundestagsfraktion, Max Reimann, das Wort. Und hierfür hatte sich
die CDU/CSU, die das Auftreten eines echten Oppositionssprechers
fürchtete, eine schamlose Provokation ausgedacht.
Max Reimann begann mit einer Darlegung der wahren
Machtverhältnisse in dem unter Bruch des Potsdamer Abkommens
gebildeten westdeutschen Separatstaat. Er hatte noch keine drei
Minuten gesprochen, da wurde er auch schon vom
CDU-Bundestagspräsidenten Köhler unterbrochen.
Dabei hatte er nur auf das just am Tage nach der
Regierungsbildung in Kraft getretene Besatzungsstatut der drei
imperialistischen Besatzungsmächte hingewiesen und die
amerikanische Zeitung "New York Herald Tribune" zitiert,
die am 16. März 1949 geschrieben hatte:
"Die geplante westdeutsche Regierung ist auf den Status
einer kolonialen Verwaltungsstelle reduziert, die nicht unter einem,
sondern unter drei Vizekönigen, dem französischen, britischen und
USA-Militärgouverneur, oder ihren zivilen Nachfolgern
operiert."
"Deutlicher als diese Zeitung kann ich den Charakter dieses
Staates nicht ansprechen", hatte Max Reimann ausgerufen, was
ihm prompt einen Ordnungsruf eintrug und das strikte Verbot, das
Wort Kolonie im Zusammenhang mit der Bundesrepublik zu gebrauchen.
Doch Max Reimann ließ sich nicht beirren und fuhr fort:
"Ich möchte ausdrücklich noch einmal darauf aufmerksam
machen, daß das Besatzungsstatut in den Händen der drei Hohen
Kommissare die eigentliche politische Grundlage des westdeutschen
Staates darstellt, einen Friedensvertrag verhindert und die
Besatzungsdauer ungeklärt läßt." Und weiter: "Die
Begleitmusik bei der Bildung dieser Regierung ist das Geklirre
rollender Panzer im Ruhrgebiet und das Dröhnen der Demontagehämmer
zur Vernichtung unserer Friedensindustrie, um die deutsche
Konkurrenz auf dem Weltmarkt auszuschalten."
Max Reimann erinnerte auch an die zynische Bemerkung der
"New York Herald Tribune": "Es ist wahr, daß das
Schlagwort ‚Exportier oder stirb' für Großbritannien und
Deutschland gilt. Aber wenn in dem kommenden Kampf um die
Weltmärkte schon jemand sterben muß, so sollen es die Deutschen
sein."
Reimann erklärte dazu: "Wir wollen nicht, daß diese
Fragestellung Wirklichkeit wird. Wir Deutschen wollen nicht sterben,
wir wollen leben. Deshalb treten wir für eine Verständigung
zwischen Ost und West ein, für die Bildung eines gemeinsamen
Wirtschaftsausschusses zwischen den bestehenden Organen und für
eine gesamtdeutsche Wirtschaftspolitik." Er sprach sich für
den Handel mit dem Osten aus, wies auf den krisenerfüllten
Kapitalismus und die Krisenfestigkeit der Wirtschaft der UdSSR hin.
In seiner Rede würdigte Max Reimann - immer wieder von wütenden
Hassausbrüchen seitens der Regierungsparteien unterbrochen - die
geschichtlich so bedeutsamen Industrie-, Boden- und Schulreformen in
der damaligen deutschen Ostzone. Er zeigte die Schwierigkeiten auf,
unter denen sie vollbracht werden mußten, aus eigener Kraft, ohne
Hilfe von außen, ohne vorhandene Schwerindustrie.
Um ein sichtbares Zeichen zu geben, daß die KPD es mit ihrem
Bekenntnis zur Schaffung der Einheitsfront der Arbeiterklasse ernst
meine, hatte die KPD in der Bundesversammlung bei der Wahl des
Bundespräsidenten am 12. September 1949 dem SPD-Kandidaten Dr. Kurt
Schumacher ihre Stimme gegeben. In der Debatte zur
Regierungserklärung unterstrich Max Reimann dies Bemühen um das
Zusammenwirken von Sozialdemokraten und Kommunisten noch einmal mit
den Worten:
"Wir sind in den Betrieben, in den Parlamenten und auch
sonst wo immer zu gemeinsamen Absprachen mit den Sozialdemokraten
bereit, um den Ansturm der Reaktion auf die Positionen und Rechte
der werktätigen Bevölkerung abzuwehren."
Als ihn auch hier wieder die CDU/CSU-Abgeordneten mit Grölen und
Zwischenrufen zu unterbrechen suchten, konterte er scharf: "Ja,
das tut Ihnen weh, was?!''
Dann kam der Punkt, an dem die Erzreaktionäre in Regierung und
Bundestag zur gemeinsten Provokation griffen: die Oder-Neiße-Linie.
Max Reimann enthüllte die Scheinheiligkeit, mit der die
Bundesregierung und Regierungsparteien und deren neonazistischen
Claqueure im Bundestag über die Aussiedlung der Deutschen aus den
Gebieten jenseits von Oder und Neiße jammerten. Er wies auf die
geschichtliche Tatsache hin, daß es in Jalta und Potsdam die
Westalliierten waren, die die Aussiedlung forderten, während die
Sowjetunion den Standpunkt vertrat, dies sei eine innere
Angelegenheit der betroffenen Staaten selbst.
Nie auch, so rief Max Reimann aus, wären die Westalliierten
plötzlich umgeschwenkt und hätten die Revision der
Oder-Neiße-Grenze gefordert, wenn es nicht zu einer
volksdemokratischen Regierung in Polen gekommen wäre. Ja, wäre das
alte kapitalistische Polen unter Pilsudski geblieben, dann wäre ein
Churchill und jede antikommunistische englandhörige Regierung sogar
bereit gewesen, die polnische Westgrenze ganz bis an die Spree zu
verlegen.
"Aber weil es anders gekommen ist (die Polen und
Tschechoslowaken sich vom anglo amerikanischen Einfluß befreit
hatten), deshalb will man revidieren, deshalb hetzt man das deutsche
Volk erneut gegen die Völker des Ostens auf! Man gibt dem deutschen
Volk ein Kriegsziel! Um die deutsche Grenze bis hinter die Weichsel
ostwärts zu verlegen! Das hat Hitler schon probiert!"
(Zuruf von der Mitte: "Wir fordern die alten Grenzen
wieder!`)
"Gerade die Revision stört nicht nur unser Verhältnis
gegenüber Polen, sondern bedeutet, in der endgültigen Konsequenz,
den Krieg. Das darf nicht sein! Unser Volk darf nicht in einem
dritten Weltkrieg vernichtet werden!"
Besonders der CSU-Abgeordnete Strauß unterbrach den Redner immer
wieder mit wütenden Zwischenrufen. Max Reimann aber fuhr fort:
"Wir wollen in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern
leben und besonders mit den Völkern des Ostens und Südostens. -
Die Oder-Neiße-Grenze ist die Grenze des Friedens!"
(An dieser Stelle verzeichnet das Bundestagsprotokoll:
"Andauernd erregte Zwischenrufe: Pfui, pfui!, Lärm Glocke des
Präsidenten. - Erregte Zurufe: Abtreten! Abtreten!")
Max Reimann in diesen Tumult hinein: "Ich trete nicht ab,
bis ich nicht alles gesagt habe.'
(Fortgesetzter Lärm - Glocke des Präsidenten.)
Bundestagsabgeordneter Köhler: "Herr Abgeordneter Reimann,
ich habe seit gestern…"
(Andauernd große Unruhe und Rufe: Pfui, pfui! Abgeordneter
Strauß: "Schickt ihn nach Moskau! Ziehen Sie die Uniform
an." - Abgeordneter Reimann: "Ich werde hier nicht
gehen!")
Köhler: "Meine Damen und Herren..."
(Andauernd große Unruhe - Zurufe - "Moskauer Agent",
"Bezahlter Provokateur.' - Abgeordneter Reimann: "Das sind
Sie!" - Lärm.)
Köhler: "Abgeordneter Reimann, Sie haben eben
ausgesprochen, daß die Oder-Neiße-Linie die Friedenslinie
ist."
(Anhaltend große Unruhe).
Köhler weiter: "Seitdem gestern hier sämtliche Parteien
gesprochen haben, haben sie übereinstimmend die Oder-Neiße-Linie
als die deutsche Grenzlinie abgelehnt. Das muß ich hier einmal
feststellen."
(Händeklatschen in der Mitte und rechts.)
Köhler: "Es ist eine Provokation der überwältigenden
Mehrheit dieses Hauses, wenn Sie derartige Ausführungen machen. Ich
rufe Sie deshalb zur Ordnung."
(Bravo-Rufe und Händeklatschen in der Mitte und rechts -
Strauß: "Treten Sie ab! Aufhören!" - Lärm)
Max Reimann: "Ich gehe hier nicht fort!" (Abgeordneter
Strauß: "Aufhören! Abtreten!")
Die CDU zieht eine antikommunistische Schau gegen Max Reimann ab
Und hier folgt nun die Provokations-Szene, die in der Sprache des
Bundestagsprotokolls ganz harmlos wie folgt geschildert wird:
"Ein Zuhörer, seinem Aussehen nach ein Heimkehrer aus
russischer Kriegsgefangenschaft, begibt sich unter erregten Zurufen
und Hinweis auf seine Kleidung und seine Schuhe durch die Reihen der
Abgeordneten zum Rednerpult. - Ein Teil der Abgeordneten der CDU
verläßt den Saal. - Der Zuhörer wird aus dem Saal gewiesen."
In Wirklichkeit waren diese Strolche - es waren zwei - auf Max
Reimann gehetzt, um ihn vom Rednerpult herunterzuprügeln. Die
kommunistischen Abgeordneten werfen sich dazwischen, es entsteht ein
ungeheurer Tumult und Handgemenge.
Abgeordneter Fritz Rische (KPD): "Das ist eine unerhörte
Provokation!"
Abgeordneter Heinz Renner: "Der junge Mann war gestern den
ganzen Abend hier. Diese Provokation ist seit gestern Abend
vorbereitet!"
Als die beiden "Heimkehrer"-Provokateure von den
kommunistischen Abgeordneten aus dem Saal gedrängt worden waren,
versuchte Max Reimann seine Rede fortzusetzen. Doch CDU-Präsident
Köhler gab ihm nur noch eine einzige Minute Redezeit und entzog ihm
dann das Wort, während die Lärmszenen noch und noch andauerten.
Sie schlugen in frenetischen Beifall seitens der CDU/CSU und der
Neonazis um, als Adenauer ans Rednerpult eilte und "im Namen
der Bundesregierung" mit geheuchelter Entrüstung emphatisch
verkündete: "Wir bedauern, daß dieser Saal und diese
Rednertribüne durch eine solche Rede des Abgeordneten Reimann, die
den deutschen Interessen absolut zuwiderläuft, entweiht worden
sind."
Die "Heimkehrer' setzten unterdessen ihre Provokationen
draußen in der Vorhalle des Plenarsaales unbekümmert fort. Das
wurde selbst der SPD zu viel. Das Bundestagsprotokoll vermerkt an
dieser Stelle:
Zuruf von der SPD: "Herr Präsident, gebieten Sie mal Ruhe!
Die Demonstrationen nehmen ja kein Ende!" Weiterer Zuruf:
"Ich bitte festzustellen, wer da hinten sitzt!" -
Abgeordneter Renner: "Ich bitte festzustellen, wer den Mann
hierher organisiert hat! Gestern abend ist alles besprochen worden,
daß dieser Mann hier dieses Theater vorzuspielen hat! Dieses
Schauspiel ist famos gespielt worden!" - Abgeordneter Strauß:
"Ihr sollt die Erfolge eurer Politik sehen." Glocke des
Präsidenten. - Abg. Renner: "Gebt den Leuten lieber
Brot!" - Anhaltender Lärm. - Glocke des Präsidenten.
Blättert man heute in den Bundestagsprotokollen zurück, dann
fällt einem auf, daß schon gleich zu Anfang der Rede Max Reimanns
ein Zwischenruf "Haben Sie die Heimkehrer gesehen?"
erfolgte. Und zwar an der Stelle, als Köhler Reimann "mit
entsprechenden Maßnahmen" drohte, falls er die Bundesrepublik
noch einmal als Kolonie oder Kolonialland bezeichnen würde. Der
Zwischenrufer konnte wohl kaum den vorgesehenen Show-Auftritt der
"Heimkehrer" abwarten.
Das Echo in der Welt über diese Provokations Szenen blieb nicht
aus. "Eisiges Entsetzen in Skandinavien über die
Zusammenstöße im Bundestag" - so überschrieb damals die
"Frankfurter Rundschau" in ihrer Ausgabe vom 24. September
1949 ihren dreispaltigen Bericht ihres Skandinavien Korrespondenten
Kurt Neumann über diese Bundestagssitzung. Er ist wert, hier im
vollen Wortlaut wiedergegeben zu werden:
Entsetzen über Nationalismus der CDU/CSU im Ausland
"Stockholm, 23. September. Ohne alle Umschweife kann gesagt
werden: Die Auftritte, die am Donnerstag in Bonn erfolgten, sind
nicht nur ein schwarzer Tag der Deutschen Bundesrepublik, sondern
kommen in ihrer Wirkung auf das Ausland einer Katastrophe gleich,
die länger und tiefer nachklingen wird, als ihre Urheber überhaupt
zu ahnen vermögen. Die günstige Stimmung des Auslandes hat sich
über Nacht in eisiges Entsetzen verwandelt. Der zuerst freigebig
gewährte moralische Kredit ist in ein Mißtrauen umgeschlagen, das
nun nicht mehr am Ausbruch des Parlaments haltmacht, sondern
zugleich das bereits überwundene Thema von der deutschen
Mentalität wieder in voller Wucht in den Vordergrund geschleudert
hat.
Der Korrespondent von ‚Svenska Dagbladet', einem streng
konservativen und bekannt deutschfreundlichen Organ, spricht von
Orgien des großdeutschen Nationalismus. Die große Majorität des
westdeutschen Parlaments, so heißt es hier, sei von einer
Mentalität besessen, die es äußerst schwer machen wird, die
deutsche Bundesrepublik als eine Feste des Friedens und der
Demokratie zu bezeichnen. Nach Ton und Geist der meisten Reden zu
urteilen, würde ein nichtokkupiertes Westdeutschland sehr rasch in
einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt werden. Man frage sich heute
unter den ausländischen Beobachtern in Bonn, ob das Kabinett
Adenauer nicht überhaupt so etwas wie ein Gegenstück zum Papen
Kabinett der Weimarer Republik sei.
Der gleiche Korrespondent, ein ausgezeichneter Kenner
Deutschlands, dessen Berichte nicht nur objektiv zu sein pflegen,
sondern stets auch von unleugbarer Sympathie für Deutschland
getragen sind, sieht es nun als höchst fragwürdig an, ob es im
Bonn Parlament überhaupt irgendeine faktische Opposition gegen den
neuen undemokratischen und für den Frieden gefährlichen
Nationalismus gebe. Es ist bezeichnend für das streng konservative
‚Svenska Dagbladet', das ja den Sozialdemokraten im eigenen Lande
scharf oppositionell gegenübersteht, daß sein eigener
Korrespondent schreibt: Soweit diese Opposition (gegen den
Nationalismus) existiert, findet man sie in der SPD.' Aber', so wird
sofort hinzugefügt, ,leider glaubt die Leitung dieser Partei, sich
am. Wettlauf der nationalistischen Schlagworte beteiligen zu
müssen.' Auf der anderen Seite hätten aber mehrere der alten und
erfahrenen Politiker innerhalb der SPD mit Rücksicht auf die
Ereignisse der letzten Tage offen und ehrlich ihrer Befürchtung
Ausdruck gegeben, daß die Westdeutsche Bundesrepublik bereits von
Beginn an auf einen verhängnisvollen Weg geraten sei, der zum
genauen Gegenteil von Demokratie und Frieden führe.
Die gesamte Presse verurteilt einstimmig und ohne jegliche
Einschränkung die Amtsführung des Präsidenten des Bundestages,
Dr. Köhler. Außerdem wird hinzugefügt, daß sich weder der
Bundeskanzler noch die Minister als fähig erwiesen hätten, die
Lage zu meistern. Es wird als zweifelhaft bezeichnet, ob Dr. Köhler
seinen Posten weiter behalten könne.
Das bürgerliche Blatt ‚Stockholm Tidningen', das ein radikal
antikommunistisches Blatt par excellence ist, spricht nicht nur
wörtlich von Pöbelauftritten der hypernationalistischen
Rechtsparteien', sondern gibt zugleich dem größten Teil seines
heutigen Leitartikels die Form einer beißenden Kritik. Das
Verhalten Dr. Köhlers gegenüber Reimann, das aus grundsätzlichen
parlamentarischen Erwägungen in der schärfsten Form verworfen
wird, die Auftritte, die sich während der Ausführungen Reimanns
abspielten, so heißt es im Leitartikel, seien weder mit mangelnder
parlamentarischer Schulung, noch mit verzeihlicher patriotischer
Indignation zu entschuldigen. 'Alles', so heißt es wörtlich,
deutet darauf hin, daß sie einer Mentalität entspringen, der der
Sinn für das Grundlegende im Begriff der Demokratie fehlt.'
Das Echo der bürgerlichen Presse Schwedens, die ja gegenüber
der deutschen Frage kaum von Ressentiments beseelt ist, muß als
Ausdruck tiefsten Entsetzens gewertet werden." Soweit die
Frankfurter Rundschau.
Die von Heinz Renner noch während der skandalösen Vorfälle im
Bundestag ausgesprochene Vermutung, daß es sich bei diesem
"Auftritt" der "Rußland-Heimkehrer" um eine
Provokation, um bestellte Arbeit der Reaktion handelte, sollte sich
schnell als richtig erweisen. Nur wußte er in dem Augenblick noch
nicht, a) wie hoch der Auftraggeber saß und b) daß selbst die
Anzüge der angeblichen "Heimkehrer" Lüge und Verleumdung
waren. Sie waren nämlich, wie bald danach sogar gerichtsnotorisch
wurde, überhaupt keine Rußland-Heimkehrer, sondern abgefeimte,
wegen krimineller Delikte vom Staatsanwalt lang gesuchte Schurken
und Betrüger. Und den Auftrag zu dieser Schmierenkomödie hatte
ihnen niemand anders als Bundeskanzler Adenauer und sein CDU- und
Busenfreund Bundestagspräsident Köhler selbst gegeben.
Es mußte schon stutzig machen, daß Bundestagspräsident Köhler
am Ende des Tumults, als Heinz Renner immer wieder forderte, zu
untersuchen, wer die Provokation angestiftet hätte, auf einmal
seine Glocke schwang und scheinheilig erklärte:
"Es ist mir mitgeteilt worden, daß sowohl auf der Tribüne
wie außerhalb des Plenums sich Personen an den Kundgebungen
beteiligten. Ich weise darauf hin, daß ich, wenn ich noch einmal
derartige Kundgebungen außerhalb des Plenums dieses Saales
beobachte, sofort die Tribüne räumen lassen werde."
(Zwischenruf des Abgeordneten Renner: "Das kommt reichlich
post festum.")
Wollte Köhler hier schon seine Spuren verwischen, so trug er
nach der Mittagpause noch dicker auf, als er zu Beginn diese
seltsame "Erklärung" abgab: Die Logen, die sich im
Hintergrund des Hauses unterhalb (!) der Balustrade befinden, sind
lediglich Angehörigen der Bundesregierung bzw. Beamten der
Länderregierung zugänglich. Ich muß darum bitten, daß Mitglieder
des Hauses davon absehen, etwa Bekannte oder Verwandte aufgrund
irgendeines Ausweises in diese Logen zu placieren. Für Damen und
Herren, die weder dem Hause angehören noch Vertreter der
Bundesregierung oder des Bundesrates sind, ist lediglich die
Tribüne oberhalb des Saales zur Verfügung gestellt."
Der Heuchler: Niemand anders als er selbst hatte die Gauner durch
eben diese Loge in den Plenarsaal einschleusen lassen! Es ist das
Verdienst des bekannten kommunistischen Journalisten und Publizisten
Emil Carlebach, des früheren hessischen Landtagsabgeordneten, die
ganze Schmierenkomödie und ihre Drahtzieher entlarvt zu haben.
In einer Gerichtsverhandlung vor dein Karlsruher Schöffengericht
- freilich erst ein halbes Jahr später wurde dieser ganze
Gaunerfilm noch einmal abgespult. Lassen wir auch hierzu den Zelt
Chronisten sprechen. Das "Badische Volksecho" schrieb
darüber am 18. März 1950 unter der Schlagzeile: "Geht mal
vor, ihr Heimkehrer!" und mit den Unterzeilen: "Der Fall
der beiden falschen Rußland-Heimkehrer' - ein Skandal der Bonner
politischen Prominenz. Politische Skrupellosigkeit und abgefeimtes
Gaunertum paarten sich zur Antisowjet- und -Kommunistenhetze"
wie folgt:
"Gestern standen die beiden Gauner Thilo Wagner und
Siegfried Kluge, die falschen Rußland Heimkehrer, die im Bonner
Bundestag die Rede des kommunistischen Parteivorsitzenden
unterbrachen, vor dem Karlsruher Schöffengericht. Im Verlauf der
vierstündigen Verhandlung ergab sich eindeutig das Bild, daß die
beiden Gauner ihre Schmierenkomödie im Bonner Bundesparlament unter
politischer Regie einer ganzen Anzahl, vorwiegend CDU-Abgeordneter,
des Bundestags-Präsidenten Dr. Köhler und des Bundeskanzlers, Dr.
Adenauer, durchführten. Die kürzlich von der richterlichen
Untersuchungsbehörde der Öffentlichkeit übergebene Erklärung,
daß die Voruntersuchung mit dem Ergebnis abgeschlossen habe, daß
das erbärmliche Schauspiel der beiden falschen Rußland Heimkehrer
nicht in Verbindung mit Abgeordneten und Ministern gestanden habe,
also ohne politischen Hintergrund gewesen sei, wurde in jedem Punkt
Lügen gestraft. Die Feststellungen in dem offenen Brief, den
deshalb der bekannte Frankfurter Journalist und
Landtagsabgeordneter, Emil Carlebach, an den Karlsruher Staatsanwalt
schrieb, wurden im Prozeßverlauf Punkt um Punkt bestätigt. Mit
zwei ganz gewöhnlichen Gaunern hatten damals in der
Bundestags-Sitzung prominente Mitglieder des Bundestages und der
Regierung eine abgefeimte politische Intrige gegen die
Kommunistische Partei inszeniert.
Aus den Aussagen der Angeklagten Wagner und Kluge ergab sich
folgendes Bild über ihre politische Rolle in Bonn: Der
CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Höfele hatte die beiden als Rußland
Heimkehrer verkleideten Halunken am Bahnhof angesprochen und sie
nach reichlicher Bewirtung im Bahnhofs-Restaurant aufgefordert, mit
in das Bundestagsgebäude zu kommen. Gleich bei ihrem Eintreffen
wurden sie vom Bundestagspräsidenten, Dr Köhler, und dem
Bundeskanzler Adenauer empfangen, die sie, als wären sie Fürsten,
einluden, an der Sitzung des Bundestages teilzunehmen. Anschließend
an diese Sitzung waren sie im Bundestags-Restaurant gefeierte Gäste
des Bundeskanzlers und vieler Abgeordneter.
In ihren Aussagen vor Gericht sonnten sich die beiden Gauner
geradezu bei der Schilderung, wie sehr man sich um sie von höchster
Stelle aus dabei gekümmert und gedienert' habe. Im
Bundestags-Restaurant unter Abgeordneten, Ministern und selbst dem
Kanzler, erfolgte die Aufforderung an Wagner und Kluge, am nächsten
Tag ja pünktlich wieder in der Plenarsitzung des Bundestages in der
Maskerade der Rußland-Heimkehrer zu erscheinen. Das haben sie
getan. Die Polizei erwies sich als im ‚Bilde'. Sie waren auch
bereits vorher unterrichtet, daß Max Reimann sprechen werde und ihr
Erscheinen bedeutungsvoll sei.
Als Max Reimann sprach, tauchten die beiden Gauner am Rednerpult
auf, ermutigt durch den Ruf ‚Geht mal vor, ihr Heimkehrer!', um
dann unter wohlwollender Duldung' des Bundestagspräsidenten Dr.
Köhler, als ob sie nicht im Bundestag, sondern in einer
Vorstadt-Schmiere wären, ihre Rolle vorzuspielen.
Um das Maß voll zu machen, wurden sie anschließend von
Glückwünschen nur so überschüttet. Dr. Adenauer versicherte
ihnen, sie seien jetzt Ehrengäste des Bundestages, sie erhielten
von ihm die Anweisung, ihre Gage' von je 50 DM im Bundeskanzleramt
abzuholen. Nach Papieren seien sie während ihres Bonner Gastspiels
nicht gefragt worden, war das letzte, was die Gauner aussagten, als
die Gerichtssitzung unterbrochen wurde.
Die Verhandlung gegen die beiden ‚Lieblinge von Bonn' erfuhr
einen überraschenden Abschluß. Das Schöffengericht erklärte sich
für nicht zuständig, da bei dem eminenten Vorstrafenregister der
beiden für Bonn engagierten Gauner mit einer Strafhöhe zu rechnen
sei, die in den Zuständigkeitsbereich der nächsthöheren Instanz
falle. Der Prozeß wurde an das Landgericht überwiesen.
Das Karlsruher Schöffengericht ist damit den skandalösen Fall,
der weniger ein Fall der beiden Schwindler, dafür aber umso mehr
der obersten Prominenz des westdeutschen Separatstaates ist, los.
Für das Landgericht in Karlsruhe, das nun die ‚Ehre' hat, ihn zu
bearbeiten, besteht die nicht zu umgehende Konsequenz, den Kanzler
Dr. Adenauer, den Bundestagspräsidenten Dr. Köhler, den
CDU-Abgeordneten Dr. Höfele und eine Reihe weiterer Bonner
Politiker als Zeugen zu zitieren, wenn vor ihren Schranken die
Schmierenkomödie von Bonn erneut zur Verhandlung steht.
Die Verhandlung vor dem Karlsruher Schöffengericht hat in
grellem Licht gezeigt, wie sich Skrupellosigkeit mit niedriger
Erbärmlichkeit und Gaunerei paart, um in Antisowjet- und Kommunistenhetze machen zu können. YM."
Doch wer sich Hoffnung machte, daß nunmehr vor dem höheren
Gericht der Fall noch geklärt und nach allen Seiten und
Hintergründen durchleuchtet würde, kennt die bundesdeutsche Justiz
nicht. Sie zog sich und die CDU-Prominenz elegant aus der Affäre.
Lakonisch meldete darüber die "Welt" vom 25. April 1950
nur:
"Das Landgericht in Karlsruhe fällte am Montag das Urteil
gegen die beiden falschen Heimkehrer von Bonn, den 23jährigen
Siegfried Kluge und den 42jährigen Thilo Wagner. Kluge erhielt
wegen Diebstahls und fortgesetzten Betrugs sieben Monate, Wagner
wegen schweren Diebstahls im Rückfall und gemeinschaftlichen
Betrugs in zwei Fällen zwei Jahre und sechs Monate Gefängnis. Die
Untersuchungshaft wurde ihnen angerechnet.
Das Gericht hatte absichtlich die Möglichkeit politischer
Hintergründe für das Auftreten der beiden bei der Reimann-Rede am
22. September 1949 im Bonner Plenarsaal unberücksichtigt gelassen,
da es sich nur um die juristische Seite des Falles zu kümmern
hatte."
So einfach ist das also. In jedem anderen demokratischen Staat
hätte ein Regierungschef, der in solcher kriminellen Affäre
verwickelt gewesen war, den Hut nehmen müssen. Damals, in der
Geburtsstunde des neuen Parlaments, konnte man noch mit ein wenig
Naivität den Kopf schütteln und fragen: Was muß eigentlich in
Bonn passieren, damit etwas passiert? Seitdem wir erlebt haben, daß
ein Minister wie Franz Josef Strauß das Parlament belügen und
betrügen und trotzdem - nach kurzer Kaltstellung wieder ins
Kabinett einsteigen, ja zum Kanzlermacher avancieren kann, stellt
man solche, naiven Fragen nicht mehr. Man legt die Betonung eben auf
das: "in jedem anderen demokratischen Staat".
Mutiges Bekenntnis zur Oder-Neiße-Grenze
Die westdeutsche Bundesrepublik wurde - wie der Korrespondent des
streng konservativen schwedischen "Svenska Dagbladet' damals
schon befürchtete - "zum genauen Gegenteil von Demokratie und
Frieden". Der kommunistische Abgeordnete Max Reimann aber ging
in die Parlamentsgeschichte ein als der Mann, der in schwierigster
Zeit sich mutig der antikommunistischen Massenhysterie und der
Revanchehetze entgegenwarf und mit dem Bekenntnis zur
Oder-Neiße-Grenze als Friedensgrenze der Sache des proletarischen
Internationalismus wie den wahrhaften nationalen Belangen des
deutschen Volkes einen großen Dienst erwies.
(1) "Nationale Rechte" = Zusammenschluß der Deutschen
Rechtspartei (DRP) und der Deutschen Konservativen Partei im 1.
Bundestag.
(2) Richter entpuppte sich übrigens später als ein alter
waschechter hoher Nazifunktionär, der unter anderem Namen (1) in
den Bundestag eingezogen war! Das alles war schon 4 Jahre nach dem
Ende der Hitler Ära wieder im westlichen Teil Deutschlands
möglich! Erst am 20. 2. 1952 wurde dieser "Franz Richter' im
Bundeshaus verhaftet. Es war der ehemalige Gauhauptstellenleiter der
NSDAP Fritz Rößler. Obwohl schon 1949 wegen Verhetzung der
Jugend" im Schuldienst und im gleichen Jahr im Wilton"
Park Lager in England aufgefallen, weil er Verbindung zum britischen
Faschistenführer Mosley suchte, ließ man ihn bis 1952 Im Bundestag
sein Unwesen treiben!
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