22.03.03
Alle Verfassungsorgane haben versagt
Ohne Rückblick in die Geschichte bleibt die faktische Immunität der NPD unerklärlich
Die
NPD bleibt uns erhalten. Die Unfähigkeit der Juristen in Berlin
und in den Ländern wird als Begründung für das Scheitern in
Karlsruhe herangezogen. Das Versagen der Richter in Karlsruhe wird
aus der Kritik ausgespart. Doch sämtliche Verfassungsorgane haben
versagt. Auch das höchste Gericht. Ein Blick in die Geschichte
des Neonazismus in der BRD gibt einen Eindruck davon, warum dies
so ist.
Die
NPD wurde im November 1964 in Hannover gegründet. Ihr traten
sofort zahlreiche alte Nazis und junge Neonazis bei. Darunter die
V-Leute und wohl auch bewährten Jungnazis Wolfgang Frenz und Udo
Holtmann vom Verfassungsschutz, die es zu
Bundesvorstandsmitgliedern brachten. Oberster Agentenführer war
Verfassungsschutzpräsident Hubert Schrübbers, vor 1945 in Hamm
an zahlreichen harten Urteilen in Hochverratsprozessen gegen
antifaschistische Widerstandskämpfer beteiligt. Schrübbers Chef,
der ihn einsetzte, war Bundesinnenminister Dr. Gerhard Schröder,
früher SA, nunmehr CDU. Die der CDU nahestehende Zeitung
"Rheinischer Merkur" schrieb damals: "Der
Verfassungsschutz scheint sich fast ausschließlich mit der Abwehr
kommunistischer Agenten zu beschäftigen und das
verfassungswidrige Treiben völkischer Ideologen, das auf die
Rehabilitierung der Kernstücke des Nationalsozialismus zielt,
nicht so wichtig zu nehmen."
Der
Verfassungsschutz wurde von ehemaligen Nazis im starken Maße
beeinflusst, und "das Amt" hatte von Anfang an in der
NPD seine Finger drin. Es ist also verfehlt, den heutigen
Innenministern allein die Schuld am Desaster von Karlsruhe zu
geben. Die V-Leute im NPD-Apparat stellten für diesen von Anfang
an die Schutzengel dar, die nun wieder einmal die NPD vor dem
Verbot bewahrten.
Es
wurden jetzt Bundestag wie Bundesrat, Bundesregierung wie die
Landesregierungen als unfähig dargestellt, auf die richtige Weise
mit der NPD umzugehen. Zu recht. Das Bundesverfassungsgericht
wurde von der Kritik ausgespart. Zu unrecht. Allenfalls wurde
kritisiert, das Gericht habe nicht inhaltlich Stellung bezogen.
Auch das stimmt nicht. Das Gericht hat mit dem Spruch einer Kammer
von drei Verfassungsrichtern immer wieder dafür gesorgt, daß
Neonazibanden auf den Straßen unseres Landes aufmarschieren und
Organisationsverbote der Innenminister umgehen durften: Den
Neonazis wurde bescheinigt, allenfalls eine "missliebige
Meinung" zu vertreten. Damit wurden Verwaltungsgerichte, die
der Meinung waren, daß "sich eine rechtsextremistische
Ideologie auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts
legitimieren lässt" (so das oberste Verwaltungsgericht von
NRW) ausgebremst. Die drei Verfassungsrichter aus der Karlsruher
Kammer, die zugunsten der "Meinungsfreiheit" der Nazis
votierten und die im Namen aller 16 Verfassungsrichter sprachen,
wurden nie von diesen Richtern korrigiert. Die Sympathien der
Karlsruher Richter, so mußte man vermuten, waren grundsätzlich
eher bei den Rechten angesiedelt.
Zudem
hat der federführende VerfRichter Dr. Hans-Joachim Jentsch dafür
gesorgt, daß jenes V-Mann-Problem hochgespielt wurde, mit dessen
Hilfe dann die NPD aus der Verbotszone bugsiert wurde. Dieser
Jentsch, der sich als CDU-Justizminister in Thüringen als Förderer
des Gedankens eines PDS-Verbotes betätigte, forderte nun höchste
Rechtsstaatsmaßstäbe für die NPD ein. Von da an lief die
Nothilfeaktion für die NPD wie geschmiert. Die
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Agenten und Nazis, genannt NPD,
wurde wieder mal verlängert, so daß die NPD beruhigt ihrem 40.
Gründungstag im nächsten Jahr begehen kann.
Vielleicht
kann dann der ehemalige Bundespräsident und vormalige
Bundesverfassungsgerichtspräsident Roman Herzog (CDU) zum
Festvortrag gewonnen werden? Etwa über die Frage: "Wie ich
den Artikel 139 - andauerndes Verbot des Nationalsozialismus
entsprechend den alliierten Bestimmungen von 1945 - aus der
Verfassung herausbekam und wie mir dabei mein teurer Lehrer Prof.
Maunz half." Maunz und Herzog gehören zu den maßgeblichen
Grundgesetzkommentatoren, und ihnen gelang es zu erreichen, daß
kein Richter und Staatsanwalt mehr mit dem Artikel 139 Grundgesetz
gegen die Nazis und Neonazis arbeitet, obwohl er noch immer im
Grundgesetz enthalten ist. Prof. Dr. Theodor Maunz war führender
Staatsrechtler sowohl in der NS-Zeit wie in der westdeutschen
Nachkriegsrepublik. Von 1957 bis 1964 war er CSU-Kultusminister in
Bayern; er mußte infolge von Enthüllungen aus der DDR entlassen
werden. Nach seiner Entlassung vertrieb er sich die Zeit u.a. mit
Gutachten über die Frage, wie die DVU des Herrn Dr. Frey aus München
ein Parteiprogramm und -statut bekommt, das grundgesetzlichen Prüfungen
standhält.
Weder
unsere Politikergarde in Bund und Ländern, noch die Richter und
anderen Juristen, die sich heute als maßgeblich darstellen, sind
in der Lage, in der richtigen Weise mit dem Problem des
Neonazismus umzugehen. So kann die Ankündigung des hessischen
Ministerpräsidenten Roland Koch, nun müsse man sich wieder (!)
politisch mit der NPD auseinandersetzen, nur zu den schlimmsten
Befürchtungen Anlaß geben. Da wird es schon besser sein, wenn mündige
Demokraten dafür sorgen, daß die Feststellung
verantwortungsvoller nordrhein-westfälischer Verwaltungsrichter
von der grundsätzlichen Illegalität rechtsextremistischen
Handelns in breite öffentliche Aktionen umgesetzt wird. Sowohl
die Abschaffung der NPD wie des Verfassungsschutzes sind auf die
Tagesordnung zu setzen. Ferner die Durchsetzung antifaschistischer
Aussagen in der neuen Europa-Verfassung, so wie die VVN-BdA es
wiederholt verlangt hat.
Ulrich Sander
Zur NPD:
V-Männer überall
Brief an den Innenminister:
Für Einhaltung der gegen rechts ausgesprochenen Organisationsverbote – „Gegen links hat es doch stets funktioniert“
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