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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Nazis raus aus dem Internet

 

20.04.03

Referat Internationales Rombergpark-Komitee, Dortmund (17.April 2003)

Von Dr. Ulrich Schneider (Kassel), Bundessprecher der VVN-BdA

Für eine antifaschistische Verfassung eines Europas des Friedens und der Völkerverständigung

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

liebe Freunde,

Gestern wurde in Athen mit der Unterzeichnung der Verträge durch die zehn Beitrittsstaaten die Erweiterung der EU vertraglich besiegelt. Es sind vor allem Staaten aus Ost- und Mitteleuropa, die in dieser Erweiterungsrunde Mitglieder der EU werden sollen. Damit steht eine Europäische Union vor uns, die zwar geographisch weit über das traditionelle West-Europa hinausreicht, die aber von ihrer politischen Verfasstheit noch weit von dem entfernt ist, was für uns als aktive Demokraten und Antifaschisten als Zielvorstellung denkbar wäre.

Es stellt sich die Frage: Welches Europa haben wir und welches wollen wir?

Plakativ könnte man es auch so ausdrücken: Wollen wir ein Europa des Kapitals und der Expansion - oder feiner ausgesprochen: ein Europa des freien Warenverkehrs oder ein Europa der Menschen und der Völkerverständigung?

Bis heute steht in der Europäischen Union die Zusammenarbeit auf ökonomischen Grundlagen, die Freizügigkeit von Geld, Waren, Dienstleistungen und Wirtschaft im Vordergrund. Eine soziale und demokratische Union ist trotz aller Deklarationen und trotz des Vertrags von Amsterdam noch lange nicht erreicht worden. Dabei bringt diese wirtschaftliche Einheit für Millionen Bürger in den Ländern der EU nicht den erhofften Wohlstand, große soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut lasten auf ihnen. Wir müssen daher auch die Frage in den Blick nehmen, ob und wie es gelingen kann, für die Durchsetzung gemeinsamer politischer Rechte und sozialer Grundsätze einzutreten, für die Durchsetzung ausreichender sozialer, gewerkschaftlich abgesicherter Standards in dieser Europäischen Union.

Neben den sozialen Defiziten beklagen viele politische Kräfte zurecht ein zu geringes Maß an Demokratie in diesem neuen Europa. Im Rahmen der gesamteuropäischen Organisation übernimmt die Brüsseler Bürokratie vielfältige Aufgaben, sie greift durch Verordnungen in nationales Recht ein. Jedoch ist die politische Legitimation dieses Handelns durch die Vertreter im Europaparlament sehr wenig verankert. Die Kontrolle und Gestaltungsmöglichkeit in solchen Entscheidungsprozessen ist gegenwärtig noch – freundlich formuliert – bescheiden. Die Europäische Union hat in dieser Hinsicht ein eklatantes Demokratiedefizit. Es ist daher eine zukünftige politische Aufgabe eine Erweiterung der Rechte des europäischen Parlaments und größere Mitwirkungsmöglichkeiten für gesellschaftliche Organisationen - wie z.B. die Gewerkschaften - in der Europäischen Union durchzusetzen.

Historische Wurzeln

Wenn wir als Antifaschisten solche Forderungen erheben, dann tun wir dies auch aus einer historischen Verantwortung. Die Vorstellungen eines vereinten Europas sind nicht erst im letzten Jahrhundert entstanden. Schon Friedrich Engels träumte von einer politischen Union, die er die „Vereinigten Staaten von Europa“ nannte, die die alten Mächte des Monarchismus überwinden könnte und auf deren Basis ein friedlicher Ausgleich in Mitteleuropa möglich sein würde, für die sich die Arbeiterbewegung einsetzen sollte.

Doch auch die imperialistischen Kreise hatten eine europäische Vision, so der Vertreter der Chemischen Industrie Carl Duisberg, als er von einem Wirtschaftsraum vom Atlantik bis Odessa – natürlich unter deutscher Führung – sprach. Und der deutsche Faschismus plante auf dem Höhepunkt seiner imperialistischen Expansionspolitik eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, in der die Vasallenstaaten und die weiteren okkupierten Gebiete den ökonomischen Interessen des deutschen Kapitals unterzuordnen seien.

Mit solchen Vorstellungen hatten die Antifaschisten und Nazigegner natürlich nichts zu tun. Sie schufen – zwangsweise vereinigt – in den Konzentrationslagern und Haftstätten, aber freiwillig vereint im gemeinsamen Widerstand der Völker eine neue Verbindung der Menschen Europas. Und so ist heute daran zu erinnern, dass auch die antifaschistischen Kräfte ein einiges Europa planten, jedoch ein demokratisches Europa – den „Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“, wie es im Schwur von Buchenwald, den wir am letzten Wochenende anlässlich der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Selbstbefreiung erneuert haben, heißt.

Das Entstehen eines vereinigten Europas kann also nicht getrennt werden von der Erinnerung an die Entscheidungen und Zielsetzungen des antifaschistischen Widerstandes und der Anti- Hitler- Koalition. Durch ihr Handeln wurde die Hegemonie des deutschen Nazismus und eine auf Rassismus und nationaler Vorherrschaft basierende Neuordnung Europas verhindert und eine demokratische und humanistische Perspektive für Europa entwickelt. In der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte von 1948 und in der UNO-Charta wurden diese Perspektiven noch einmal fixiert. Die Erinnerung an diese historischen Wurzeln ist eine Verpflichtung für die Gestaltung des zukünftigen Europas, aber auch ein Vermächtnis, das sich in der Bewahrung der Zeugnisse von Widerstand und Verfolgung sowie die Orte faschistischer Verbrechen, wie beispielsweise die faschistischen Konzentrationslager, ausdrückt.

Herausforderungen der Europäischen Union

Vor der neuen größer gewordenen Europäischen Union stehen heute nicht allein finanzielle Herausforderungen. Die neue EU ist gefordert auf Existenzfragen der Menschen Antworten im Interesse ihrer Bürger zu finden. Dazu gehört zu aller erst die Frage des Friedens, dazu gehört die Offenheit der EU und die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Man könnte also sagen, es geht um den äußeren und inneren Frieden in der EU.

Es ist daran zu erinnern, dass es trotz Kaltem Krieg und allen politischen Spannungen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts durch das Wirken von Friedensbewegungen und Regierungen mehr als 50 Jahre gelang, direkte kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Staaten Europas zu verhindern. Über die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) gelang es einen Prozess des Zusammenwirkens von Staaten unterschiedlicher politischer Orientierung zu vertiefen und in einem Teil Europas gemeinsame politische Strukturen zu schaffen, die auf nichtmilitärischen Konfliktlösungen basierten.

Das Ende der Systemkonkurrenz durch den Zusammenbruch der sozialistischen Staaten führte nun nicht zu einem Abbau von Spannungen, sondern zu einer Aufweichung dieser Übereinkunft. Der Überfall der NATO unter Beteiligung der deutschen Bundeswehr auf die Bundesrepublik Jugoslawien hat dieses Prinzip ausgehebelt. Doch alle Versuche militärischer "Pazifizierung" solcher regionalen Konflikte sind – wie wir immer wieder erleben – zum Scheitern verurteilt.

Es gibt keine lebenswerte Alternative zu nichtmilitärischen Konfliktlösungen und friedlicher Zusammenarbeit aller Staaten und Völker in Europa. Wir müssen uns einsetzen gegen neuerliche Militarisierung, für einen demokratischen und sozialen Charakter des Kontinents. Dies ist eine Forderung, die vor dem Hintergrund des amerikanisch-britischen Angriffskrieges gegen den Irak traurige Aktualität erhielt.

Angesichts des Krieges gegen den Irak, mit dem eine wesentliche Errungenschaft der Kämpfe der Völker und Nationen gegen den deutschen Hitlerfaschismus, die UN-Charta, zerstört zu werden droht, wird es um so mehr darauf ankommen, bei der bevorstehenden Verabschiedung der EU-Verfassung ein Verbot von „Präventiv“ - Angriffskriegen entsprechend der UN-Charta und des Grundgesetzes Artikel 26 zu bekräftigen, wie die VVN-BdA Nordrhein-Westfalen in ihrer Erklärung zurecht betont hat. Denn wir dürfen nicht übersehen, dass weitere Kriege drohen, nicht nur infolge der Politik der Bush-Administration.

Die mit der gestrigen Unterzeichnung der Beitrittsverträge besiegelte Erweiterung der Europäischen Union in Richtung Osteuropa kann ein wichtiger Schritt zur Sicherung von Stabilität und Frieden in Europa werden. Jedoch dürfen wohlstandschauvinistische Grenzen einer europäischen Zusammenarbeit und der Freizügigkeit für Menschen nicht im Wege stehen. Es muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass es in Europa Bürger „erster Klasse“ und Bürger „zweiter Klasse“ gibt. Das Fundament der EU muss die Einhaltung der allgemeinen Menschenrechte und die Gewährung gleicher Rechte für alle Bürger - unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit - sein. Dieses vereinigte Europa muss offen bleiben, es darf kein "Bollwerk" gegen nicht der EU angehörige Staaten werden. Diesen Vorstellungen widerspricht ganz eklatant das Abkommen von Schengen, mit dem die EU-Außengrenzen gegen alle „Fremden“ abgeschottet werden sollen. Dies darf auf Dauer nicht die Realität der Europäischen Union bleiben.

Solche Ausgrenzung fördert nicht Toleranz und Offenheit, sondern unterstützt alle Formen von Xenophobie, also Fremdenfeindlichkeit, wie es in der EU-Sprache heißt. Dabei sehen wir seit Jahren mit Besorgnis die Zunahme von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa: Fremdenfeindliche Übergriffe, Morde und Wahlerfolge der Neonazis in Deutschland; Wahlerfolge der Neofaschisten in Italien; Rechtsextremismus in Frankreich und Österreich; spektakuläre Erfolge rechtspopulistischer Parteien in den Niederlanden und Dänemark; Zunahme rassistischer Erscheinungen in den osteuropäischen Ländern sowie der Geschichtsrevision durch die Rehabilitierung von Nazi- und Kriegsverbrechern und andere faschistische Tendenzen. Hier sei nur auf die Ehrung der SS-Verbrecher in den baltischen Ländern verwiesen oder auf die Rehabilitierung der Vasallenarmeen in Ungarn.

Im Vertrag von Amsterdam wird im Paragraph 13 (Antidiskriminierungsforderung) den Staaten eine Verpflichtung zum Handeln gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auferlegt. Das erfordert jedoch auch Aktivitäten aller demokratischen und antifaschistischen Kräfte. Aus den Erfahrungen des antifaschistischen Widerstandes rufen wir Demokraten aller Generationen zum gemeinsamen Handeln mit dem Ziel: Gemeinsam gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus! Gegen eine "Festung Europa"!

Der europäische Konvent

Im Dezember 2001 hat der Europäische Rat beschlossen, „einen Konvent einzuberufen, dem die Hauptakteure der Debatte über die Zukunft der Union angehören“. Aufgabe dieses Konvents unter Leitung seines Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing sollte es sein, einen Verfassungsentwurf bis zum Juni 2003 auszuarbeiten, der die Grundlage einer Europäischen Verfassung darstellen soll. Aus Deutschland sind sechs Vertreter in diesem Konvent vertreten, sie vertreten verschiedene Fraktionen des europäischen Parlaments, den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung. Gesellschaftliche Kräfte sind nur über ein „Forum Zivilgesellschaft“ angebunden, ihre Stimme kann jedoch nur über Mitglieder des Konvents selber in die Beratung Eingang finden.

Um in diesen Prozess der Verfassungsentwicklung einzugreifen hat sich die VVN - BdA mit ihrem Bundessprecher Prof. Dr. Gerhard Fischer in einem Brief vom 20.Februar 2003 an den EU-Konventspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing gewand und die Verankerung der antimilitaristischen und antifaschistischen Positionen der Anti-Hitler-Koalition von 1945 in der EU-Verfassung gefordert:

In dem Schreiben heißt es unter anderem:

„Eingedenk der Lehren aus dem antifaschistischen Kampf sind wir für eine Verfassung der Europäischen Union, die

  • sich auf die Charta der Vereinten Nationen und die grundlegenden Beschlüsse der UNO stützt,

  • eine friedliche Zusammenarbeit der Staaten und freundschaftliches Miteinander der Völker auf unserem Kontinent fördert,

  • ein demokratisches und soziales Europa wachsen lässt, frei von Faschismus und Rassismus, von Nationalismus und Revanchismus.“

Gleichzeitig haben wir für die Arbeit des Konvents sechs ganz konkrete Vorschläge entwickelt, die im Folgenden erläutert werden sollen:

1. Zur Präambel:

Einen zentralen Stellen besitzt die Präambel, in der die politischen Wurzeln und Orientierungen für Europa formuliert werden. Sie ist gegenwärtig in der Diskussion. Man streitet noch darüber, ob diese EU eher dem „christlichen Abendland“ oder den Idealen der französischen Revolution verpflichtet sei. Als Grundlagen des Zusammenlebens und als Ziele der Union werden in dem aktuellsten Entwurf vom 6.Februar 2003 „eine friedliche Gesellschaft ..., in der Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität herrschen“ benannt. Dies sind hehre Ziele. Ihnen kann man in dieser Abstraktheit zustimmen. Wir erinnern jedoch daran, dass sie zum ersten Mal in den Forderungen der Überlebenden der Konzentrationslager benannt wurden. Daher schlagen wir vor, dass die Präambel den gemeinsamen Kampf der Völker Europas gegen Nazismus und Faschismus als eines der bedeutsamsten Fundamente des heutigen Europas würdigt.

2. Zu den Grundrechten:

Noch ist das Kapitel „Grundrechte“ nicht geschrieben. Zwar heißt es, die Union beruhe auf den Werten Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit, doch über die konkrete Ausformulierung dieser Werte, die in einer „Charta der Grundrechte“ ihren Niederschlag finden müsste, ist man sich noch nicht einig. Unklar ist dabei, ob soziale Grundrechte in diesem Zusammenhang ihren Platz finden werden oder ob man es bei der Benennung individueller Bürgerrechte belässt..

Wir unterstützen die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich schon in der bisherigen Diskussion dafür ausgesprochen haben, die EU-„Charta der Grundrechte" mit ihrem Akzent sowohl auf individuelle als auch auf kollektive Menschenrechte in die Verfassung zu übernehmen.

Wir orientieren uns dabei natürlich an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, wie auch an dem Grundrechte - Katalog, der im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und in den verschiedenen Landesverfassungen verankert ist.

3. Friedens- und Außenpolitik:

Wie sicherlich bekannt, ist die Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik der EU als Aufgabenstellung in der Diskussion. Als EU-Außenminister wird dabei sogar Joschka Fischer gehandelt. Gleichzeitig werden auf militärpolitischem Gebiet Fakten geschaffen, die auf eine europäische Armee, die als internationale Eingreiftruppe einsetzbar wäre, hinauslaufen.

Demgegenüber sollte die Diskussion um die Europäische Konvention genutzt werden, um das Primat der Politik und der Völkerverständigung und das Verbot von Angriffskriegen in dieser Verfassung zu verankern.

Dieser letzte Punkt wäre eine notwendige Begrenzung auch für nationale Militärstrategien, wie z.B. die bundesdeutschen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die auch in ihrer überarbeiteten Form Optionen für einen Präventivkrieg enthalten. Die Bundesregierung versucht dieses Konzept im Zusammenhang mit dem Mazedonien- und Kosovo-Einsatz und den Debatten im Umfeld mit dem Irak-Krieg auch in der EU zu verankern. Es soll Abschied genommen werden von defensiven Militärkonzeptionen und stattdessen militärischen Konfliktlösungen denkbar werden, die Tausende Kilometer vom EU-Territorium entfernt erfolgen sollen. Man strebt ein „out of area“ - Konzept auch für die zu bildende europäische Armee an.

Wir unterstützen dagegen jene europäische Friedensforen sowie andere Nichtregierungsorganisationen, die danach streben, dass die Verfassung

  • die Verbindlichkeit der allgemeinen Regeln des Völkerrechts festschreibt,

  • sich ausdrücklich zum Gebot von Frieden und Sicherheit sowie zum Verzicht auf unerlaubte Androhung und Anwendung militärischer Gewalt bekennt,

  • insbesondere Vorbereitung, Führung und Unterstützung von Angriffs- und „Präventiv"kriegen verbietet.

Hier könnte das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mit seinem Artikel 26 durchaus Vorbildcharakter für Europa besitzen.

4. Sozial- und Wirtschaftsordnung:

Wie eingangs schon betont, ist in der gegenwärtigen EU die soziale Frage deutlich in den Hintergrund gerückt. So liegen für diesen Bereich bislang noch keine Entwürfe für regelnde Paragraphen vor. Noch ist es unklar, ob soziale Rechte in der Charta der Grundrechte Eingang finden werden.

Zu kämpfen ist jedoch darum, dass in der europäischen Konvention das kapitalistische Privateigentum nicht als einige Form der Wirtschaftsordnung aufgenommen wird. Zwar ist dieses Thema vorrangig eine Aufgabe der Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen. Jedoch war eine der zentralen Erkenntnisse des antifaschistischen Neubeginns, dass wirtschaftliche Macht zu politischen Zwecken missbraucht wurde und dass Banken, Großindustrie und Großagrarier zu den aktivsten Förderern der faschistischen Organisationen gehörten. Daraus ergaben sich in vielen Landesverfassungen die Sozialisierungsforderungen der Schlüsselindustrie, Forderungen, die bis heute nicht verwirklicht wurden.

Wir empfehlen für die europäische Verfassung als Minimum die Sozialpflichtigkeit des Eigentums festzuschreiben.
Als Beispiel sei auf das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verwiesen, das in Art. 14 (2) bestimmt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

5. Faschismus- und Diskriminierungsverbot:

Angesichts der zahlreichen Initiativen der EU und des europäischen Parlaments gegen Neonazismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit wäre es nur folgerichtig, wenn in der europäischen Konvention diese Themen in allgemein verbindlicher Form ihren Niederschlag fänden. Hier dürfte sich über die verschiedenen nationalen Interessen und politischen Grenzen hinweg eine breite Unterstützung finden lassen.

Wir erwarten, dass die Verfassung jede Form von Faschismus und Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus ächtet. Das schließt die Verpflichtung ein,

  • der Gründung, Existenz und Betätigung faschistischer Parteien und Vereinigungen entgegenzuwirken und ihre Aktivität mit allen rechtsstaatlichen Mitteln, bis zum Verbot, zu unterbinden sowie

  • die Verbreitung faschistischer und rassistischer Ideologie zu untersagen.

Natürlich ist damit das gesellschaftliche Problem nicht beseitigt, aber es wäre eine große Unterstützung für alle diejenigen, die bereit sind, sich aktiv gegen den Vormarsch neofaschistischer Tendenzen einzusetzen.

6. Gemeinsames Gedenken:

Zu den gemeinsamen Wurzeln dieser Europäischen Union gehört, wie ich eingangs bereits betont habe, der Kampf gegen den Faschismus. Daher ist auch der Tag des endgültigen Sieges über diesen gemeinsamen Feind, der 8.Mai 1945, für fast alle europäischen Staaten ein Tag der Freude und der Zukunftsorientierung.

Unabhängig von den jeweiligen nationalen Befreiungstagen, die in ihren Ländern eine identitätsbildende Funktion haben, betrachteten wir es als sehr wünschenswert, jährlich den 8. Mai als gesamteuropäischen Gedenktag zu begehen, der mahnend und verpflichtend an das Ende des Zweiten Weltkrieges, an die Befreiung unserer Völker von faschistischer Barbarei erinnert. Dabei geht es nicht um ein europäisches Totengedenken, sondern um einen Tag, der verbunden wäre mit der Aufforderung an die nachgeborenen Generationen für aktives Handeln im Sinne antifaschistischer Orientierung.

Im gleichen Maße, wie sich das europäische Parlament für den Schutz der Gedenkstätten der faschistischen Konzentrationslager und Haftstätten einsetzt, könnte mit einem solchen europaweiten Gedenktag an die antifaschistischen Wurzeln des Werdens von Europa erinnert werden.

Wie handeln?

Weitere Forderungen an diese Konvention sind möglich und von demokratischen Kräften bereits erhoben worden. Es kommt nun darauf an, dass möglichst vielfältige Initiativen von gesellschaftlichen Kräften in Richtung auf den Europäischen Konvent gestartet werden, um für diese Forderungen einzutreten.

Wir sind uns natürlich bewusst, dass unsere Stimme nicht so laut und einflussreich ist, wie die vieler anderer Lobbyisten. Dennoch wissen wir, dass die geschichtliche Erinnerung an die faschistischen Verbrechen, an die Okkupation und an den antifaschistischen Widerstand in vielen europäischen Ländern weit mehr ausgeprägt ist als in unserem Land.

Daher sind wir optimistisch, dass es gelingen kann, unsere Forderungen nicht nur in die Diskussion einzubringen, sondern auch auf Resonanz zu stoßen, um so mehr, als auch andere antifaschistische Kräfte vergleichbare Initiativen ergriffen haben. Zu nennen wäre da das Internationale Komitee Buchenwald - Dora, das sich bereits gegenüber den französischen Vertretern im Rat für die Aufnahme der antifaschistischen Traditionen in die Präambel der Konvention eingesetzt hat.

Mein Wunsch wäre es, dass sich auch das Internationale Romberg Park-Komitee mit einer Initiative zu Gehör bringt, um die gemeinsame Stimme der Verfolgten- und Opferverbände um eine weitere Nuance zu ergänzen.

Dr. Ulrich Schneider

(Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten)

Siehe auch:

Dortmunder Erklärung des Internationalen Rombergparkkomitees

 

Karfreitag 2002:

Aufruf des Internationalen Rombergpark Komitees