07.10.2017
Hessische Landesregierung
kann Silvia Gingold weiter durch Geheimdienst beobachten lassen
Verwaltungsgericht
Kassel weist Klage der Tochter jüdischer
Widerstandskämpfer auf Löschung der
Verfassungsschutzakte ab
Am 5. Oktober hat das
Verwaltungsgericht Kassel nun das Urteil zugestellt, das von der
Kasseler Lehrerin und vielen ihrer Unterstützerinnen
seit der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2017 mit
Spannung erwartet worden war (VG Kassel - 4 K 641/13.KS). Die 4. Kammer
unter ihrem Vorsitzenden Spillner wies die von Frau Gingold gestellten
Anträge auf Löschung der über sie bei dem
Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz geführten
Akte und Einstellung ihrer geheimdienstlichen Beobachtung ab. In der
Erklärung von Rechtsanwalt Otto Jäckel
heißt es weiter:
Wie der Wiesbadener Fachanwalt für
Verwaltungsrecht Otto Jäckel, der Frau Gingold vertritt, in
einer ersten Bewertung des Urteils erklärte, ist das Gericht
in allen Punkten der Position des Verfassungsschutzes gefolgt. Die
Landesregierung hatte die bekannte Lehrerin, die zu Beginn ihrer
beruflichen Laufbahn wegen ihrer politischen Betätigung
zunächst aus dem Dienst entfernt, auf Grund großer
internationaler Proteste sodann jedoch wieder eingestellt worden war,
nach Beendigung ihrer völlig unbeanstandeten
beruflichen Tätigkeit seit 2009 erneut geheimdienstlich
beobachten lassen. Anlass war etwa ein Vortrag von Frau Gingold zum
Jahrestag des Beginns der Politik der Berufsverbote, den sie an der
Seite des Thüringischen Ministerpräsidenten Bodo
Ramelow hielt und vor allem Lesungen aus den Erinnerungen ihres Vaters.
Peter Gingold musste 1933 mit seiner jüdischen Familie aus
Deutschland emigrieren und hatte sich in Frankreich der
Résistance angeschlossen. Obwohl von der
Französischen Regierung und dem Frankfurter
Oberbürgermeister mit Orden für seine Verdienste im
Kampf gegen den Faschismus ausgezeichnet, erlitt
die Familie auch in der Nachkriegszeit bis heute
politische Verfolgung.
Mit ihren Reden und Lesungen auf Einladung der
Partei Die Linke und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
habe Silvia Gingold die Anziehungskraft dieser Organisationen ganz
erheblich verstärkt, führten nun die Richter in
Kassel in ihrer Entscheidung an. Das Gericht ziehe dabei in Betracht,
dass „die Klägerin wegen der relativen Bekanntheit
ihres Namens als Tochter eines Widerstandskämpfers gegen den
Nationalsozialismus quasi als Magnet für Personen gewirkt hat,
die den Zielen der Veranstalter bislang eher fern gestanden
haben.“ „Entscheidend ist“, so das
Gericht, „die objektive Gerichtetheit ihres Tuns;
auf die subjektive Sicht der Klägerin kommt es nicht an.
Insbesondere ist unerheblich, ob und wie sich die Klägerin mit
den Zielen der Veranstalter identifiziert…“
Mit dieser Position hat das Gericht selbst den
noch in den Berufsverboteverfahren der 70iger Jahre von den Gerichten
verfolgten Grundsatz der Einzelfallprüfung verlassen, so
Jäckel. Das, was jemand denkt, sagt oder tut, soll nach
Auffassung des Gerichts keine Rolle spielen. Es soll nur darauf
ankommen, ob es einer von dem Verfassungsschutz als linksextrem
eingestuften Organisation nützt. Den von Jäckel in
der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwand, sowohl die
Partei Die Linke als auch die Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes seien in den aktuellen Verfassungsschutzberichten des
Bundes als auch des Landes Hessen gar nicht mehr als zu beobachtende
Organisationen aufgeführt, tat das Gericht mit einem Hinweis
auf eine Bemerkung des Vertreters des Landesamts für
Verfassungsschutz ab. Dieser hatte erklärt, der Geheimdienst
beobachte auch Organisationen, die im Verfassungsschutzbericht nicht
aufgeführt seien. „Ich werde Frau Gingold empfehlen,
die Zulassung der Berufung bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof
gegen das Urteil zu beantragen“, so Jäckel
abschließend.
Siehe auch:
27.09.2017
Protest der VVN-BdA gegen die Praxis des NRW-Verfassungsschutzes: Bekräftigung des Schwurs von Buchenwald
Auch NRW-Verfassungsschutz bespitzelt die Antifaschisten und
verunglimpft den Schwur von Buchenwald als verfassungsfeindlich.
Dagegen hatte im Frühjahr die VVN-BdA von NRW in einem Brief an
die damalige Ministerpräsidentin, Hannelore Kraft (SPD)
protestiert. Sie hat nicht geantwortet. Jetzt hat die VVN-BdA erneut
geschrieben – und zwar an den neuen Ministerpräsidenten
Armin Laschet (CDU):
„Die VVN-BdA protestierte entschieden gegen die
Geheimdiensttätigkeit wider die NRW-VVN. Wir bitten Sie
dringend, dafür zu sorgen, dass das Vorgehen der Behörde
gegen unsere Organisation beendet wird.“ Seit vielen Jahren wurde
die VVN allerdings nicht mehr im nordrhein-westfälischen
Inlandsgeheimdienst-VS-Bericht genannt. Jetzt wurde diese Praxis in
einem Verfassungsschutzverbund, dem auch NRW angehört, wieder
aufgenommen. Und zugleich wurde die absurde, aber leider ernst gemeinte
Idee einer Verurteilung des Schwurs der Häftlinge vom April 1945
aufgegriffen. Dies kommt einer Schmähung des deutschen
Widerstandes gleich. Der Brief hat den Wortlaut:
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1814_vs_schwur.htm
22.09.2017
Persönliche Erklärung von Silvia Gingold: Was ist an meinem Tun verfassungsfeindlich?
„Wie schon bei der Verhandlung am 12.1. 17 am Verwaltungsgericht
in Wiesbaden möchte ich heute erneut meine Betroffenheit und
Empörung angesichts der Beobachtung meiner Person durch den
Verfassungsschutz zum Ausdruck bringen“, erklärte Silvia
Gingold vor dem Verwaltungsgericht Kassel am 19.September 2017. Ihre
persönliche Erklärung lautete ferner:
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1809_gingold.htm
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