06.07.2016
Was es mit der Dimitroff-These auf sich hat
Über den Faschismus an der Macht
Während 1945/46 alle deutschen
Parteien auf Distanz zum Kapitalismus/Imperialismus gingen, der
Deutschland in den Faschismus und Europa in den größten
Krieg aller Zeiten führte, wird heute von Geheimdiensten bis
CDU/CSU-Ministerien jede Parallele zwischen Kapitalismus und Faschismus
als verfassungsfeindlich angesehen. Wer diese Parallele sieht und
nachweist, kann mit Entzug des Gemeinnützigkeitsstaus bestraft
werden. (Siehe "Ist Antifaschismus verfassungsfeindlich? Dokument der VVN-Bayern gegen die Diffamierung durch die CSU-Regierung")
Die VVN-BdA NRW hat die Bücher „Der Iwan kam bis
Lüdenscheid“ und „Von Arisierung bis
Zwangsarbeit“ herausgegeben. Sozusagen
Antikapitalismus/Antifaschismus konkret! Als besonders verwerflich wird
in Bayern von der Regierung die sogenannte Dimitroff-These dargestellt.
Prof. Kurt Pätzold (Berlin) hat in „Von Arisierung bis
Zwangsarbeit“ beschrieben, was es damit auf sich hat, Für
unser Projekt Rallye »Verbrechen der Wirtschaft 1933 –
1945“ stellte uns Prof. Kurt Pätzold seine Arbeit »Mehr als ein Definitionsstreit« zur Verfügung.
Ende 1933 charakterisierte die Kommunistische
Internationale den Faschismus an der Macht mit einer Formel, die als
Dimitroff-Formel in die Geschichte einging, obwohl sie von Georgi
Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale
1933 nur zitiert wurde. Die Arbeit von Kurt Pätzold erschien
zuerst in der »jungen Welt« vom 11.12.2008. Die Zeitung
stellte folgende redaktionelle Vorbemerkung voran: Der Autor unseres
Beitrags erhielt am 21. August 1992 von der Präsidentin der
Humboldt-Universität zu Berlin, Frau Professor Dr. Marlis
Dürkop, ein Schreiben, in dem sein Arbeitsverhältnis
gekündigt wurde und sich zur Begründung u. a. der Satz
findet: »Noch in den 70er Jahren gehen Sie in Ihren Arbeiten zum
Faschismus ganz dogmatisch von der Faschismusformel der Kommunistischen
Internationale vom Dezember 1933 aus ...«.
Der Wortlaut des Beitrags von Kurt Pätzold:
»Heute wird der Faschismusbegriff in der
Geschichtswissenschaft kaum noch für geeignet gehalten, die
jeweiligen Besonderheiten faschistischer Systeme und des
Nationalsozialismus angemessen zu erfassen.« Derlei Unsinn
liefert das Internet 2008. Der Begriff Faschismus zielte, seit er
über den »italienischen Fall« hinaus Eingang in die
Sprache von Politik und Gesellschaftswissenschaften fand, nie auf die
Besonderheiten der neuartigen, nach dem Ersten Weltkrieg in mehreren
europäischen Staaten entstandenen Bewegungen. Er abstrahierte
gerade von deren Unterschieden und suchte das Gemeinsame,
Charakteristische zu erfassen, das Wesen dieser Erscheinungen.
Dass der Begriff Faschismus heute in der Bundesrepublik
in geschichtlichen Unterweisungen an Schulen und Hochschulen mit Bezug
auf deutsche Zustände kaum benutzt wird, kommt einer
stillschweigenden Leugnung solcher charakteristischen Gemeinsamkeiten
gleich und besitzt seine Ursachen. Bevor davon zu reden ist, sei
festgestellt, dass die Begriffe Faschismus und Faschisten für die
sich »Nationalsozialisten« nennende Gefolgschaft Hitlers in
Deutschland bereits vor 1933 geläufig waren, vor allem bei deren
linken Gegnern, doch nicht allein dort. Davon überzeugt ein Blick
in die Weltbühne Carl von Ossietzkys. Umstrittener als die
Verwendung des Begriffs war die Kennzeichnung der Bewegung. Wer bildete
sie? Wessen Interessen vertrat sie?
Moskau, Ende 1933
Kein Versuch, darauf zu antworten, erfuhr weitere
Verbreitung und zugleich vielstimmigeren Widerspruch als die in eine
Definition geronnene Charakteristik, die während der XIII. Tagung
des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im
November/Dezember 1933 gegeben wurde: Der Faschismus an der Macht ist
die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten,
chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des
Finanzkapitals. Sie wird meist Georgi Dimitroff zugeschrieben, auch als
Dimitroffsche Definition bezeichnet. In Wahrheit befand sich der
bulgarische Kommunist zum Zeitpunkt der Moskauer Tagung in der Hand der
deutschen Machthaber. Ihm, weiteren Kommunisten und Marinus van der
Lubbe wurde in Leipzig ein Prozess gemacht, mit dem den Kommunisten die
Urheberschaft des Reichstagsbrandes angehängt werden sollte. Wer
im Stab der Komintern, anknüpfend an frühere Bestimmungen
– unter anderem eine von 1923 stammende Clara Zetkins –
diese Kennzeichnung formuliert hat, ist unbekannt. Doch hat Dimitroff,
daher mag die erwähnte falsche Zuordnung rühren, sie sich zu
Eigen gemacht und durch seinen im August 1935 gegebenen Bericht an den
VII. Komintern-Weltkongress, der die Definition enthielt, zu ihrer
Popularisierung enorm beigetragen.
Bevor Werte und Mängel der Definition diskutiert
werden sollen, sind ein paar Bemerkungen zu den gegen sie vorgetragenen
Einwänden nötig. Manche rühren, wie der eingangs
zitierte, aus bloßem Unverständnis dafür her, was die
Definition eines Phänomens aus Natur oder Gesellschaft ist und
allenfalls leisten kann. Niemand wird auf die Idee kommen, eine
Definition der Unterfamilie der Pantherinea (deutsch: Großkatzen)
deshalb zu bemängeln, weil sie die Verschiedenartigkeit der
Lebensgebiete, der Jagdgewohnheiten oder der Fellfärbung von,
sagen wir Leoparden und Tigern, nicht berücksichtigt. Von dieser
Art aber ist ein nicht unerheblicher Teil der Kritiken. Sie gehen am
Interesse der theoretischen Anstrengung vorbei und ignorieren, dass
jede Definition mit wissenschaftlichem Anspruch stets ärmer ist
als die Theorie und diese wieder ärmer als die Wirklichkeit. Mit
dem Gewinn, der aus der Abstraktion erwächst, geht ein Verlust
einher. Daher gilt: Wessen Wissen auf die Definition eines
Phänomens reduziert ist, hat von ihm noch nicht viel verstanden.
Sie kann im besten Fall einen Zugang zum Verständnis des Ganzen in
seiner Vielfalt eröffnen, das erarbeitet werden will, vor allem
dadurch, dass der Gedankenweg, der zu solcher Begriffsbestimmung
geführt hat, zurückgegangen wird – vom Allgemeinen zum
Besonderen und von da zum Einzelnen.
Andere, nun inhaltliche Einwände gründen
darauf, dass zwischen den Aspekten des Begriffs Faschismus nicht
unterschieden wird. Er meint in einer Verwendung eine Ideologie, in
einer anderen eine politische Bewegung, in der dritten eine Staatsform.
Die Komintern-Definition zielte auf den an die (Staats)Macht gelangten
Faschismus. Sie hätte anders gelautet, wäre unternommen
worden, den Extrakt der faschistischen Ideologie herauszustellen oder
die faschistischen Parteien zu kennzeichnen. Den Ideologen und
Theoretikern der Komintern war es darum zu tun, in einer weltweiten
Bewegung klarzumachen, was von den beiden neuartigen, erkennbar eng
verwandten Staatsgebilden, dem 1922 in Italien und dem jüngst in
Deutschland entstandenen, zu halten und zu erwarten sei. Formuliert
wurden eine Warnung und eine Orientierung für den Kampf.
Kurzum: Die knappe Kennzeichnung der faschistischen
Mächte – weitere dieses Typs zu schaffen, dafür wirkten
Bewegungen in mehreren Ländern – erfolgte nicht in
akademischer Absicht. Sie war bestimmt, Massen zu mobilisieren und
falsche Frontstellungen zu meiden. Dazu musste sie
allgemeinverständlich sein. Ihre äußerste
Verkürzung schloss wie in ähnlichen Fällen das Risiko
von Missverständnissen ein und erleichterte zudem absichtliche
Missdeutungen. Diese Zusammenhänge zu berücksichtigen, mag
Menschen schwerfallen, die sich einzig in wissenschaftlichen
Laboratorien bewegt und nie an politischen Kämpfen teilgenommen
haben. Davon gibt es unter den Gesellschaftswissenschaftlern unserer
Tage viele.
Geschichtsferne Einwände
Zahlreich sind auch Einwände, die im Unhistorischen
wurzeln. Die Erfahrungen, die Ende 1933 mit den faschistischen Staaten
vorlagen, sind minimal, verglichen mit jenen, die zwölf Jahre
später angehäuft waren. Das gilt nicht nur für
Antisemitismus und Judenhass. Es betrifft ebenso die
Herrschaftspraktiken der Machthaber in Rom und Berlin, und insbesondere
die Methoden, mit denen die Regime ihre Massenbasis zu sichern wussten.
Deren Beurteilung geschah 1933 unter dem Eindruck der
Konzentrationslager, in denen gepeinigt, gefoltert und gemordet wurde,
und einer sich radikalisierenden politischen Justiz. Eine andere
unhistorische Kritik sieht davon ab, dass die Autoren der Definition
mit ihr in Konkurrenz zu anderen Bestimmungen des Faschismus traten,
von denen sie sich abzugrenzen wünschten. Das geschah insbesondere
gegenüber jener Fehldeutung, die zwischen dem Gefolge der
Faschistenführer, vorwiegend Angehörige der Mittelschichten,
und dem Wesen der etablierten Macht nicht zu unterscheiden vermochte
und sie als Herrschaft des Kleinbürgertums ansah. Eine bis heute
anzutreffende andere Deutung reduzierte den Faschismus gar auf die
»Herrschaft der Primitiven«.
Die Kennzeichnung des Faschismus als Diktatur des
Finanzkapitals, der ökonomisch mächtigsten und daher
einflussreichsten Kräfte des Industrie- und Bankkapitals, diente
vor allem der Entlarvung der Faschistenführer, die in Deutschland
und Italien mit dem Versprechen auftraten, eine ganz neue
gesellschaftliche und staatliche Ordnung errichten zu wollen, in der es
keine Klassenkämpfe geben und alle Glieder der Nation
einträchtig zusammenleben würden, so dass alte
Größe wiedergewonnen und zu neuer aufgestiegen werden
könne. Dieser Kern der Charakteristik richtete sich gegen die
These von der »nationalsozialistischen Revolution« und
zielte auf die Bloßlegung des Verhältnisses der Politiker um
Hitler und Mussolini zum großen Kapital, da wie dort eines der am
besten gehüteten Geheimnisse.
Damit war auch gesagt, dass die Machthaber nicht die
Interessen aller Bourgeois gleichermaßen verfechten würden.
Die Einschränkung – die reaktionärsten,
chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente –
drückte zudem aus, dass nicht alle Personen und Gruppen des
Finanzkapitals die neue Staatsmacht unter dem Hakenkreuz favorisiert
und beigetragen hatten, sie zu installieren. Führungsgruppen von
Großkonzernen, wie beispielsweise die an der Spitze des Jenaer
Zeiss-Unternehmens, die auch unter Krisenbedingungen
wirtschaftsfriedlich mit Betriebsräten und
Gewerkschaftsführern zusammenarbeiteten und dabei ihre Interessen
durchzusetzen vermochten, hatten keinen Antrieb, sich auf die Seite der
faschistischen Gegner der Republik zu schlagen.
Erwiesenes und Prognostiziertes
Reaktionärste – das hieß, es waren jene
Kreise zu entscheidendem Einfluss gelangt, die mit der
revolutionären wie der reformistischen Arbeiterbewegung ein
für allemal abrechnen und ebenso gründlich die
bürgerlich-demokratischen Zustände beseitigen wollten. Wer
die Entwicklung von elf Monaten Nazidiktatur vor Augen hatte, konnte
dies nicht in Zweifel ziehen. Doch war dieser innenpolitische Feldzug
keine Parteipolitik auf nur eigene Rechnung, kein Toben der Rache
für erlittene Niederlagen während der Kämpfe in der
Republik. Jeder Schritt gegen die Arbeiterparteien und die
Gewerkschaften, ausgegeben als Weg zur Volksgemeinschaft, wurde von
Führungskreisen des Kapitals gebilligt, mitunter auch mit Beifall
bedacht, entsprach er doch lang gehegten Wünschen, die
unbeseitigten Folgen der Novemberrevolution zu liquidieren. Weit
über die Zirkel des Kapitals hinaus, die den Weg zum 30. Januar
bewusst ebnen halfen, schlossen sich die wirtschaftlichen
Interessenorganisationen der Bourgeoisie nach der Wende um das sich
etablierende Regime zusammen. Das Experiment, auf Initiative einer
Minderheit einmal riskiert, sollte unter keinen Umständen
scheitern. Man stellte sich, so die offiziellen Erklärungen,
dienend »hinter die nationale Regierung«.
Extrem chauvinistisch – das besagte, es würde
die Außenpolitik der an die Macht gelangten Faschistenführer
sich in keinen anderen Bahnen vollziehen als in jenen, die in
Verlautbarungen zuvor bezeichnet waren. Das ergab sich aus den
weitgehend identischen Vorstellungen von künftiger deutscher
Politik, die im faschistischen Führungszentrum ebenso wie in
maßgeblichen Kapitalkreisen gepflegt wurden. Weder die einen noch
die anderen hatten je die Ergebnisse des Weltkriegs akzeptiert. Sie
beabsichtigten, die 1914 verfehlten Ziele in einem zweiten Anlauf zu
erreichen. Diese Charakteristik kontrastierte mit im In- und Ausland
angestellten Mutmaßungen, ob der Hitler in der
Wilhelmstraße noch der Hitler von »Mein Kampf« sei.
Wer Selbstberuhigung suchte, verließ sich auf die wohlfeilen
Beteuerungen des Friedenswillens, mit denen der
»Führer« vom Tage an, da er Reichskanzler war, nicht
sparte. Die sich davon einlullen ließen, wurden fünf Jahre
später wach, als die faschistischen Chauvinisten zuerst gegen die
Tschechen, dann gegen die Polen hetzten, von denen behauptet wurde, sie
wollten die in ihren Grenzen lebenden Deutschen ausrotten.
Aufs äußerste imperialistisch – diese
Kennzeichnung heute noch zu diskutieren, heißt Eulen nach Athen
tragen. Italiens Eroberung des souveränen Kaiserreiches Abessinien
1935, die Liquidierung Albaniens 1939 und der Angriff auf Griechenland
1940 illustrierten und bestätigten sie ebenso wie –
deutscherseits – die Tilgung Österreichs und der
Tschechoslowakei von Europas Staatenkarte 1938/1939, sodann die
Eroberungen im Zweiten Weltkrieg und die sich mit dem einem
»Endsieg« verbindenden Vorhaben, formuliert u.a. im
Generalplan Ost, und nicht anders die Absicht, die Hand auf die
Ölquellen des Nahen und Mittleren Ostens zu legen.
Der seit 1939 beschrittene Weg, soweit er jener der
deutschen Eroberer ist, wird heute indessen nicht der von Imperialisten
genannt, sondern meist als Hitlers Vernichtungskrieg bezeichnet, als
hätte das Ziel einzig im Ausrotten und Zerstören bestanden
und nicht in Landraub, Rohstoffquellen, Auspowerung versklavter
Einwohner, als wären Kriegszüge und -ziele allein Ausgeburten
des Größenwahns eines Mannes gewesen. Das waren sie auch,
aber eben nur zu einem für sich genommen zu
vernachlässigenden Teil. In Wahrheit vollzog sich unter Hitlers
Führung die Wiederaufnahme, Fortsetzung, Umprägung und
Erweiterung traditioneller Pläne, die in Machteliten des Reiches
nach dessen Gründung 1871 sukzessive formuliert und gehegt worden
waren und schon in den Ersten Weltkrieg geführt hatten.
Es gehört ein beträchtliches Quantum an
Vorurteilen dazu, den Bestimmungen des Faschismus an der Macht aus dem
Jahre 1933 Erkenntnis- und Wahrheitswert abzusprechen, sie als
dogmatische Formel oder als »reduktionistisch« abzutun.
Dennoch lassen sich derlei Etikettierungen massenhaft antreffen,
argumentierende Einwände hingegen sind rar. Diese Art von
»Auseinandersetzung« ist in ihrem Vorfeld inzwischen schon
dadurch erleichtert, dass Begriffe wie »reaktionär«
und »imperialistisch«, die nicht dadurch gegenstandslos
geworden sind, dass sie in Wissenschaft und – mehr noch –
Politik mitunter inflationär und beliebig gebraucht worden waren,
nahezu ganz aus dem gesellschaftswissenschaftlichen und publizistischen
Verkehr entfernt sind. Das geschah, ohne dass je dargetan worden
wäre, welcher Wandel diesen Verzicht rechtfertigen könnte. So
scheinen die Imperialisten irgendwo im 20. Jahrhundert an einer
historischen Weggabelung, die weit hinter uns liegt, sich verhockt zu
haben ...
Der Platz des Terrors
Terroristische Diktatur – diese Hervorhebung
entstand, wie erwähnt, unter dem unmittelbaren Eindruck der
bestialischen Gewaltmethoden, die zum Zwecke raschester Etablierung der
Nazimacht angewendet wurden. Kein Zeitgenosse, dem die Existenz der
Konzentrationslager entgangen sein konnte, war davon 1933 doch in
Zeitungsberichten zu erfahren. Kaum jemand, der die Drohung und
Anwendung von Gewalt gegen Juden nicht bemerkt haben konnte. Niemand,
der die Flucht von Verfolgten und Drangsalierten, darunter viele
jüdische Angehörige der Intelligenz, ins Ausland nicht
wahrgenommen hatte. Doch blieb ungehemmter und zur Schau gestellter
Terror nicht der Alltag des Faschismus. Die Machthaber hatten sich
nicht, wie angenommen wurde, permanent mit Widerständen
auseinanderzusetzen und darauf mit gesteigerten Maßnahmen
brutaler Unterdrückung zu antworten.
Die Entwicklung verlief anders. Sie ermöglichte dem
Regime, sich ein gesittetes Äußeres aufzuschminken und das
weniger mit Rücksicht auf das Inland denn auf den Ansehensverlust,
den die Enthüllung der Bestialitäten im Ausland verursacht
hatten. Etwa zur Zeit des Weltkongresses 1933 verkündete
Göring als preußischer Innenminister eine sogenannte
Weihnachtsamnestie. Häftlinge aus Konzentrationslagern kamen mit
der Auflage der totalen Unterordnung frei. Die Propaganda der Nazis
präsentierte Deutschland als friedliches Land, bevölkert von
in Eintracht lebenden, strebsamen Menschen. Diesen idyllischen Bildern
wurden solche von blutig verlaufenden Konflikten jenseits der Grenzen,
etwa den innenpolitischen Kämpfen in Österreich im Februar
1934, gegenübergestellt.
Die größte Wirkung vermochte diese Reklame
1936 während der Olympia-Wochen zu erzielen. Keine Rede also von
permanentem, öffentlich geübtem und erfahrbarem Terror.
Dessen Hauptinstrument, die Konzentrationslager, wurden in der
Wahrnehmung der Mehrheit der Deutschen wie des Auslands zu einer
Randerscheinung, und was in ihnen geschah, blieb weithin verborgen. In
aller Öffentlichkeit und ungehemmt wurde der
außerjustitielle Terror erst in der Endphase des Regimes wieder
angewendet. Da kam es zu demonstrativen Hinrichtungen von Soldaten und
Zivilisten, die den Krieg nicht länger mehr mitmachen wollten, zu
den heute »Verbrechen der Endphase« genannten Untaten.
Täter knüpften daran Hoffnungen, glimpflich davonzukommen,
und es tobten sich mörderisch Rasende aus, die das eigene Ende
nahe und unvermeidlich auf sich zukommen sahen.
Die Formulierung von der terroristischen Diktatur
bezeichnet in der kommunistischen Ideologie und Theorie jener Jahre
zugleich einen gedanklichen Fortschritt. Sie differenziert zwischen den
kapitalistischen Staatsformen, und diese Unterscheidung eröffnete
einen Gedankenweg zur Neubewertung von bürgerlich-demokratischen,
repressiven, aber nicht terroristischen Herrschaftspraktiken. Hier
kündigte sich, denkt man an das Verhältnis der deutschen
Kommunisten zur Republik von Weimar, das sich etwa in Devisen wie
»Republik, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel«
oder auch in Wendungen wie »Schwarz-Rot-Mostrich« für
die Farben der Republik ausgedrückt hatten, eine Neubewertung an.
Einwände, die sich gegen diesen Teil der
Faschismus-Definition richten, treffen nicht die Aussage, sondern das
Unberücksichtigte. Das Fehlen jeder Erwähnung der mit dem
Terror einhergehenden, sich auf ihn gründenden und mit ihm
kombinierten Methoden der Herrschaftssicherung, also die permanente
Machtstabilisierung durch die Instrumente der Propaganda und durch
Erfolgsbestechung, die von innenpolitischen Veränderungen ebenso
ausging wie von den Geschehnissen auf dem Wege zu
»Großdeutschland«. In diesem Punkte geht es nicht um
eine Korrektur, sondern um eine Ergänzung. Sie betrifft die
Autoren des Jahres 1933 nicht, denn weder der italienische noch der
deutsche Faschismus hatten zu diesem Zeitpunkt Tatsachen geschaffen,
die den Regimen jene Massen von Anhängern schufen, die sie seit
der Mitte der dreißiger Jahre zu formieren verstanden und auf die
gestützt sie in den Krieg zogen.
Die Erfahrungsmasse, die 1945 vorlag, hätte keinen
Widerruf, wohl aber eine Überprüfung und Ergänzung der
definitorischen Kennzeichnung des Faschismus an der Macht erfordert,
die vor allem die Massengefolgschaft, den Platz und die Rolle der
Ideologie, insbesondere von Rassismus und Antisemitismus, die Genozide
an Juden, Sinti und Roma und die Massenmorde während des Krieges
aufzunehmen hatten. Die materialistische Faschismusforschung war, wovon
viele ihrer Publikationen zeugen, gleichsam über diese Definition
hinausgelangt, ohne dass dies unter den Spezialisten in der DDR zu
einer weiterführenden Bestimmung geführt hätte. Das
wurde auch der kritischen Bewahrung dessen, was 1933 geleistet worden
war, abträglich. «
Siehe auch: http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1623_vii_weltkongress_ki.htm
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