08.06.2016
Gegen eine Fehlinterpretation des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale von 1935
Ulrich Sander antwortet dem DKP-Parteivorstand
Der Leiter des AK für Antifaschismus
beim DKP-Parteivorstand, Jürgen Lloyd, hat in Referaten in Berlin
und Dortmund Positionen zum VII. Weltkongress der Kommunistischen
Internationale von 1935 bezogen und Schlussfolgerungen für heute
daraus abgeleitet, die auf Widerspruch stießen. Dies zumal Lloyd
die VVN-BdA wegen ihrer Bündnispolitik unsachlich kritisierte.
Ulrich Sander antwortete in einem Brief an die Mitglieder des
Parteivorstandes der DKP.
An die Mitglieder des
Parteivorstandes der DKP
Betr. Zum Berliner und Dortmunder Referat von Jürgen Lloyd vom 21. und 25. Mai 2016
Liebe Genossinnen und Genossen!
Unser Genosse Helmut Loeven aus Duisburg,
Buchhändler und Herausgeber der lokalen Kulturzeitschrift
„Der Metzger“ schrieb darin vor kurzem: „Es
gehört zu den Lebenslügen der Linken, dass der Faschismus
bloß eine Herrschaftsform des Kapitals ist und seine Massenbasis
fehlgeleiteter sozialer Protest.“ Aus dieser Lebenslüge
speist sich die derzeit bei einigen Sektierern in Mode kommende Formel
vom vorrangigen Klassenkampf zur Überwindung des Kapitalismus,
womit dann auch das Problem Faschismus erledigt sei. Oder von den
Verlustängsten der Menschen, für die man doch
Verständnis haben solle, und die durch Appelle zum gemeinsamen
Handeln der Armen und Entrechteten sowohl aus dem In- wie aus dem
Ausland zu überwinden sind.
Der Faschismus wurzelt im Kapitalismus, aber nicht nur.
Der Klassenkampf muss geführt werden, das gilt immer. Aber bitte
ohne jedes Verständnis für Menschen, die anderen das Dach
über dem Kopf anzünden oder sie ganz oder halb totschlagen,
weil sie anders und fremd sind. Es gibt keine Ausrede von der schweren
Kindheit für die Nazis und Neonazis, und deshalb bekämpfen
wir sie und nicht nur den Kapitalismus.
Als ich Anfang der 60er Jahre zur damals verbotenen KPD
kam, wurde über ein Dokument heftig diskutiert, das sogar zu einem
vom ZK der SED abgesegneten achtbändigen Werk zur der
„Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ beitrug und
später konstituierend für die Gründungsdokumente der
SDAJ, der DKP und des MSB Spartakus wurde: Die Rede von Georgi
Dimitroff auf dem 7. Weltkongress der Kommunistischen Internationale
1935 in Moskau, sowie die anderen Dokumente dieses Kongresses. Alle
Grundsatzdokumente der westdeutschen Kommunistinnen und Kommunisten
beruhen auf diesen Dokumenten, und sie begründeten die Strategie
der „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt“
hin zur weitere Zurückdrängung der Macht des
Monopolkapitals und zur Vergrößerung des Einflusses der
Arbeiterklasse bis zur Durchsetzung weitergehender
„antimonopolistisch-demokratischer Umgestaltungen“ und
schließlich sozialistischer Veränderungen.
Aus einer Zusammenfassung der Grundsatzdokumente möchte ich zitieren: „Es
ging darum, im Kampf zum Sturz der faschistischen Diktatur das
strategische Ziel und die taktischen Aufgaben so zu bestimmen,
daß die Aktionseinheit der Arbeiterklasse ermöglicht und die
Breite der Bewegung aller antihitlerischen Kräfte gesichert wurde.
Dabei handelte es sich vor allem um solche Fragen wie die Bedeutung des
Kampfes um die Demokratie, das neue Verhältnis zur
Sozialdemokratie, den Aufbau einheitlicher freier Gewerkschaften, die
Ausnutzung legaler Möglichkeiten für den antifaschistischen
Kampf, die Organisierung einer breiten antifaschistischen Volksfront
und die Bildung einer einheitlichen revolutionären Partei der
Arbeiterklasse auf dem Weg über die Aktionseinheit des
Proletariats. Die Neuorientierung der Politik der Partei erhielt die
volle Zustimmung des von den Faschisten eingekerkerten
Parteivorsitzenden Ernst Thälmann.“ Auch im Mittelpunkt des
7. Weltkongresses stand die Orientierung „auf die Notwendigkeit,
die bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten der
Werktätigen gegen den Angriff des Faschismus zu verteidigen:“
(zitiert nach „Einheit“, Zeitschrift des ZK der SED
für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus, August
1962, Sonderheft zum „Grundriß der Geschichte der deutschen
Arbeiterbewegung“
Diese Orientierung war mit schweren Opfern bezahlt
worden. Denken wir zurück an die Zeit der Machtübertragung an
die Faschisten und dann des schweren Ringens um die kritische
Neubesinnung der Linken. Die Republik von Weimar war am Ende. Die
Kommunisten mochten nicht die Republik verteidigen, schon deshalb, weil
zu viele ihrer Genossen von der republikanischen Polizei
niedergeschossen worden waren. Bis fünf nach zwölf hielt die
KPD an der Hauptlosung von der Schaffung des sozialistischen
„Rätedeutschlands“ fest, wo sie hätte die
bürgerliche Demokratie von Weimar hätte verteidigen sollen.
Die sozialdemokratischen Führer wollten das Ende von Weimar nicht
wahrhaben, sie unterschätzten den Faschismus und die hinter ihm
stehenden antirepublikanischen Kräfte und glaubten, auch
ihn, wie jede andere Regierung überstehen zu können.
Zur Einheitsfront konnte es Ende Januar 1933 nicht
kommen, vor allem lag das an der SPD-Führung, aber nicht nur.
Stalin nannte NSDAP und SPD Ende der 20er Jahre
„Zwillinge“; infolge des EKKI-Einflusses bezeichnete die
KPD die SPD als „Sozialfaschisten“, – gleichzeitig
benutzte die SPD den Begriff der „rotlackierten Nazis“
für die Kommunisten. Die kommunistischen Arbeiter, das ergaben
Erhebungen aus jener Zeit, waren für das Zusammengehen gegen
Hitler. Aber: Fast einhellig war die kommunistische Basis – die
KPD-Führung weitgehend auch - gegen das Zusammengehen mit der
SPD-Führung und SPD-Organisationen. Das war die Lage bis
1933.
So wurden die Dokumente des Exekutivkomitees der
Kommunistischen Internationale (EKKI) zu Zeugnissen der tiefgehenden
Selbstkritik der Kommunisten, und dies galt in gewisser Weise auch für
alle linken Antifaschisten.
Genosse Jürgen Lloyd hat nun den 7. Weltkongress
als Gegenstand der neuen „marxistisch-leninistischen“
Erkenntnisse der DKP entdeckt. Nachdem die DKP sich entsprechend einem
Mehrheitsbeschluss des Parteitages nunmehr
„marxistisch-leninistisch“ nennt, scheint man darauf
auszugehen, die Geschichte der Arbeiterbewegung neu zu schreiben. Der
7. Weltkongress wird so vor allem zu einem Kongress der Fortschreibung
bisheriger EKKI-Politik, allenfalls die fehlerhafte Losung der KPD
„Schlagt die Faschisten wo ihr sie trefft“ sei zu
überwinden gewesen. Diese Losung war aber nicht die der KPD,
sondern nur die einer linkssektiererischen Gruppe in der KPD. Das
Hauptproblem, das Festhalten an der
„Sozialfaschismus“-These, wird von Lloyd nicht benannt.
Es gibt das Wort Rosa Luxemburgs von der „Freiheit
als Freiheit der Andersdenken“, das ununterbrochen wiederholt
wird, so als hätte Rosa nichts weiteres zu Papier gebracht.
Ähnlich ist es mit dem Wort Dimitroffs vom „Faschismus an
der Macht als die offen terroristische Diktatur der
reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten
imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Dieses Wort ist
richtig, aber nicht umfassend genug. Es wird oft wiederholt, als
hätte Dimitroff nicht noch andere Erkenntnisse gehabt. Zudem wird
oft – auch bei Lloyd – der Eindruck erweckt, als
ständen die drei Wörter „an der Macht“ gar nicht
im Text, so als wäre das Wesen auch des Faschismus in der Bewegung
gleichermaßen so zu bestimmen, was nicht zutrifft. Jürgen
Lloyd sagte: Die monopolistische Großbourgeoise habe kein
Interesse „an der Abwesenheit von Faschismus“ und daher
müssen auch breite Bündnisse (wenn wir sie unterstützen
sollen) sich gegen das Monopolkapital wenden, „die Macht, die als
einzige ein objektives Interesse am Faschismus hat. Das
Monopolkapital“.
Der Faschismus in der Bewegung – und auch an der
Macht - ist jedoch keinesfalls der Wunschpartner des großen
Kapitals. Wunschpartner sind jene, die am besten das politische und
ökonomische Programm des Kapitals durchsetzen. Und das können
auch die Kräfte „der Mitte“ sein, ja auch die der SPD
(siehe Hartz 4 und Krieg von 1999).
Die neoliberalen Gründer der AfD ziehen sich heute
von der AfD zurück, bezeichnen sie als NPD-light. Pegida wird vom
Bundesverband der Deutschen Industrie verurteilt, der gern viele
Flüchtlinge ins Land ließe, um noch billigere
Arbeitskräfte als bisher zu erlangen. Wir können aber heute
nicht einfach zusehen, bis die AfD schon bald zum Wunschpartner der
„am meisten reaktionären“ Kräfte wird. Dazu kann
es schon nach der nächsten Bundestagswahl kommen.
Alles gegen die AfD! – und zwar nicht nur gegen
den Rassismus der AfD, sondern gegen ihr gesamtes Programm, das dann
ins Regierungsprogramm einfließen könnte – das muss
die Losung sein.
Apropos Rassismus – warum sagt Jürgen Lloyd
dazu nichts? Rassismus als die aktuelle Form rechter Massenbewegung und
Ideologie unterzieht er keiner Betrachtung. Er sagt nichts von dem
aktuellen Flüchtlingsdrama. Allerdings: Auf dem Gebiet war ja auch
das EKKI wortkarg, siehe die mangelhafte Auseinandersetzung mit dem
Antisemitismus.
Worüber Jürgen Lloyd sich gern auslässt,
das ist dieses Basta, dieses: Wir können über alles reden,
aber wir Marxisten-Leninisten haben recht. Sie sind es, die
„zwischen richtiger und falscher Strategie
unterscheiden“. Wir müssen „dafür Sorge
tragen, dass der Antifaschismus sich entlang der richtigen Linie zum
Kampf aufstellt.“ „Diese Frontlinie, um die es sich dabei
handelt, ist die des antimonopolitischen Kampfes.“ Weiter:
„Kommunistische Bündnispolitik ist die praktische Umsetzung
unseres jeweiligen (!) Klassenverständnisses der
gegensätzlichen Lager in den gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen.“ Vor breitesten Bündnissen sollten
„wir uns nicht scheuen, das aber hat nichts zu tun mit der
opportunistischen Duldung des kleineren Übels.“ Nicht ganz
auf unserer Linie Befindliche sind also von Übel. Man
könnte ununterbrochen solche Lloyd-Zitate anfügen. Die
Konsequenz ist immer: Für breiteste Volksfront, aber unter unserer
Führung, unter Führung derer, die immer recht haben.
In diesem Zusammenhang wird die VVN-BdA angegriffen, die
mit anderen die Aktionskonferenz „Aufstehen gegen
Rassismus“ veranstaltet habe. Der gleichnamige Aufruf sei zu
Recht von der DKP nicht unterstützt worden, denn diese Initiative
sei nicht an der richtigen antimonopolitischen Kampffront ausgerichtet.
Das Aufstehen gegen den Rassismus stelle eine gleichermaßen
„sektiererische und opportunistische Fehlorientierung“
dar. Die VVN-BdA und ihre Partner bekämpften
„Menschen, die rassistischer Ideologie hinterherlaufen“.
Der zu bekämpfende Gegner seien diese Menschen jedoch nicht.
Sollen wir also gegen den Faschismus, nicht aber gegen Faschisten und
ihre Mitläufer angehen? Können wir uns beruhigt bei
Naziaufmärschen in den Städten zurücklehnen?
Dieser „vermeintlich antifaschistische Kampf“, so
Lloyd, diene nur dazu, „den Menschen, die die herrschenden
Zustände als unzumutbar empfinden, ihre Unzufriedenheit wieder
auszureden“. Dieser „antifaschistische Irrweg“
leistet „Vorschub für das Entstehen von nun erst recht nach
rechts gewendetem Protest.“ Das Bündnis gegen Rassismus sei
nicht einmal ein Schritt in die richtige Richtung; „eine falsche
Strategie droht zur herrschaftskonformen Ideologie zu verkommen.“
(Die hauptsächliche Begründung der Kritiker des
„Aufstehen gegen den Rassismus“, die Abwesenheit der
Analysen der sozialen und militärischen Fluchtursachen, nennt
Lloyd merkwürdigerweise gar nicht.)
Alle von mir hier präsentierten Zitate von Genossen
Lloyd stammen aus dem Berliner Referat mit dem den VII. Weltkongress
verballhornenden Inhalt, dessen Titel lautete „Kommunistische
Bündnispolitik ausgehend von den Erkenntnissen des VII.
Weltkongresses der Kommunistischen Internationale“ –
ausgehend? Und wo geht er hin? Im Dortmunder DKP-Zentrum
„Z“ wiederholte er sein Berliner Referat, allerdings mit
Zusätzen. So unterzog er auch die äußerst
populäre, an Schulen in Bayern und NRW verbotene, weil
freiheitseinschränkende Losung „Faschismus ist keine
Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen“
„marxistischer“ Kritik.
Schließlich gibt Genosse Lloyd auch noch die
gemeinsam von DKP und VVN-BdA betonte Ablehnung der Öffnung
der Bewegungen nach rechts auf: Wer die Bewegung Irregeleiteter
„als Querfront diffamiert (wie die VVN-BdA) landet auf der
falschen Seite.
Ich habe Lloyd öffentlich aufgefordert, Derartiges zurückzunehmen. Ich habe nichts davon gehört.
Liebe Genossinnen und Genossen!
Mir liegt daran, dass wir alle in wichtigen Fragen der
Bündnisse, des Ringens um Frieden und Demokratie, gegen Faschismus
und Rassismus wieder an einem Strang ziehen.
Erinnerungsarbeit und
Geschichtspolitik - das war das Thema des a. o. Bundeskongresses der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten vom
27.5. bis 29.5.2016 in Bochum. Jochen Vogler fasste nach
Abschluss der Beratungen zusammen: 71 Jahre nach der Befreiung von
Krieg und Faschismus, 26 Jahre nach dem Ende der Blockkonfrontation und
17 Jahre nach Beginn der neuen deutschen Kriegseinsätze ist und
bleibt es notwendig, den Blick und die Deutung der Geschichte aus der
Perspektive des Widerstands gegen Krieg und Faschismus zu bewahren und
weiter zu entwickeln. Genau darum geht.es.
Mit solidarischen Grüßen
Ulrich Sander
(zur Person: Ich war bei der SDAJ-Gründung 1968
Mitglied der Jugendkommission beim Politbüro der KPD; danach
DKP-Funktionär und Journalist; heute Bundessprecher der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten. Der
VVN-BdA gehöre ich seit 1959, der KPDgehörte ich seit 1961 an.)
Siehe auch:
von U. Sander:
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1616_agr_jw.htm
von J. Lloyd:
http://www.dkp-berlin.info/berlin/262-antifaschismus-antirassismus/739-kommunistische-buendnispolitik-ausgehend-von-den-erkenntnissen-des-vii-weltkongresses-der-kommunistischen-internationale
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