Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

28.06.2016

Ist Antifaschismus verfassungsfeindlich?

Dokument der VVN-Bayern gegen die Diffamierung durch die CSU-Regierung

Anders als im Bund und anderen Bundesländern wird die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in der Rubrik „Linksextremismus“ des bayerischen Verfassungsschutzberichts genannt. Die VVN-BdA Bayern hat dazu in einer Flugschrift Stellung genommen: „Durch diese Nennung wird unsere Organisation diffamiert: Antifaschismus ist nicht verfassungsfeindlich, sondern ein Pfeiler der  Demokratie.“

Wörtlich heißt es: 

Ist Antifaschismus verfassungsfeindlich?

Ist Antifaschismus verfassungsfeindlich?Anders als im Bund und anderen Bundesländern wird die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in der Rubrik „Linksextremismus“ des bayerischen Verfassungsschutzberichts genannt.

Durch diese Nennung wird unsere Organisation diffamiert: Antifaschismus ist nicht verfassungsfeindlich, sondern ein Pfeiler der  Demokratie.

Dies ist ein Grund, warum die bayerische VVN-BdA gegen die CSU-Staatsregierung auf Streichung des Verfassungsschutzeintrags klagt.

Ein weiterer Grund: Mit der Nennung wird unsere Organisation auch finanziell bedroht, denn laut Bundesabgabenordnung wird Vereinen, die im Verfassungsschutzbericht „des Bundes oder eines Landes“ aufgeführt sind, automatisch die Gemeinnützigkeit entzogen.

Am 2. Oktober 2014 fand die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München statt. Unsere Klage wurde abgewiesen. Wir haben deshalb die Zulassung der Berufung beantragt; die Auseinandersetzung geht also weiter.

Was wird der VVN-BdA vorgeworfen?

I. „Kommunistisch orientierter Antifaschismus“

Ein zentraler Vorwurf lautet, „in der VVN-BdA werde ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt, der in dieser Form nicht nur dem Kampf gegen Rechtsextremismus diene, sondern der alle nichtmarxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als zu bekämpfende Vorstufe zum Faschismus betrachtet.“ (Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München v. 02.10.2014, AZ M 22 K 11.2221, S. 23, vgl. auch Verfassungsschutzbericht Bayern 2010, S. 215)

Tatsache ist: Die VVN-BdA ist eine überparteiliche Organisation, die allen offen steht, die sich gegen Faschismus und Rassismus engagieren wollen. Bei uns sind Menschen der verschiedensten Berufe,  darunter auch Abgeordnete, Gewerkschafter/innen, Schriftsteller/nnen, Künstler/innen und Geistliche verschiedener Konfessionen.

Nach Parteizugehörigkeit wird in der VVN-BdA nicht gefragt.

Tatsache ist: Es gibt in unserem Verband keine einheitliche (Anti-) Faschismustheorie, ob „kommunistisch“ oder nicht. Es kann in einer pluralistischen Organisation wie der VVN-BdA gar keine irgendwie verbindlichen „weltanschaulichen“ Positionen geben; das würden  sich die Mitglieder schnell verbitten. Bezeichnenderweise können „Verfassungsschutz“ und das Bayerische Verwaltungsgericht keinerlei  Belegstellen dafür vorlegen, dass eine Gliederung der VVN-BdA den o. g. „kommunistisch orientierten Antifaschismus“ als verbindlich propagiert hätte.

Tatsache ist: Die VVN-BdA bekämpft die Demokratie der Bundesrepublik nicht, sie verteidigt und stärkt sie – durch ihre Gedenk- und Erinnerungsarbeit sowie durch ihr Engagement – oft in breiten Bündnissen – gegen Neonazis. Dafür stehen auch die VVN-BdA-Mitglieder, die Abgeordnete des Bayerischen Landtags sind!

II. „Maßgeblicher Einfluss von Linksextremisten“

Die Staatsregierung will in der VVN-BdA einen „maßgeblichen Einfluss von Linksextremisten“ wahrgenommen haben. Sie begründet das so: Nach (unüberprüften) Angaben der Parteizeitung der DKP seien 14% von deren Mitgliedern auch Mitglied der VVN-BdA. Umgerechnet auf Bayern wären dies 48 Personen. Die absurde Folgerung der Staatsregierung: Das zeige bereits einen „maßgeblichen“ Einfluss der DKP!

In der Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts heißt es weiter: „In Gestalt der beiden Personen Ernst Grube und Ulrich Sander bestand eine wesentliche personelle Verschränkung zwischen der DKP und der VVN-BdA. […] Grube und Sander betätigten sich auch als DKP-Mitglieder auf den Politikfeldern der VVN-BdA […] Es gab demnach neben dieser personellen Teilidentität auch eine wesentliche politische Verschränkung der Aktivität in den verschiedenen Rollen, mithin auch eine inhaltlich-politische Teilidentität von DKP und VVN-BdA auf oberster Führungsebene der VVN-BdA.“ (Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München v. 02.10.2014, AZ M 22 K 11.2221, S. 21 f.)

Niemand wird leugnen, dass Kommunistinnen und Kommunisten großen Anteil am Widerstand gegen das Naziregime hatten und viele von ihnen in Konzentrationslagern und Gefängnissen ermordet wurden. Dass in der VVN-BdA, die 1947 als Verband aller politisch, rassisch und religiös Verfolgten gegründet wurde, auch Kommunist/innen tätig waren und sind, ist selbstverständlich.

Dem Gericht genügen aber exakt zwei namentlich genannte Personen, davon eine aus Bayern, eine aus Nordrhein-Westfalen (wo die VVN-BdA nicht im Verfassungsschutzbericht steht!), um eine „wesentliche“ personelle Verschränkung und sogar „Teilidentität“ von VVN-BdA und DKP zu konstruieren. Für das Gericht sind demzufolge wohl über 700 bayerische VVN-BdA-Mitglieder eine willenlose Schafherde, die von zwei Kommunisten ins Verderben geführt wird! Diese These klingt nach abstruser Verschwörungstheorie und entlarvt sich selbst.

Zeitzeugen werden diffamiert

Ist Antifaschismus verfassungsfeindlich?Zum unüberbietbaren Skandal wird die Argumentation, wenn man  betrachtet, wer sozusagen als „kommunistischer Agent in der VVN-BdA“ herhalten muss: Ernst Grube – ein Überlebender des KZ Theresienstadt, noch in hohem Alter unermüdlich unterwegs, um als Zeitzeuge über die Verbrechen des NS-Regimes aufzuklären, der dafür vielfach ausgezeichnet und anerkannt wurde – auch von der CSU-Staatsregierung.

Und trotzdem lässt Innenminister Hermann z.B. im Verfassungsschutzbericht von 2009 schreiben: „Öffentliche Zeitzeugenauftritte von früheren KZ-Häftlingen sollen der [VVN-BdA] einen demokratischen Anstrich verleihen“ (VS-Bericht 2009, S. 184). Damit war wohl ein Höhepunkt der Diffamierung der Zeitzeugenarbeit gegen das Vergessen, des Lebenswerkes von Anni Pröll, Ernst Grube, Martin Löwenberg, Hugo und Hermann Höllenreiner und vielen anderen NS-Verfolgten erreicht. Auf die Herabwürdigung von Ernst Grube durch namentliche Nennung im Verfassungsschutzbericht hat die Staatsregierung mittlerweile verzichtet. Für den Prozess aber wurde die Diffamierung wieder aus der antikommunistischen Mottenkiste hervorgeholt. Kein Mittel ist hier der Staatsregierung zu billig – Hauptsache, die VVN-BdA kann mit dem Etikett „kommunistisch“ belegt werden. So wurde etwa im Verfassungsschutzbericht 2013 einer Funktionärin der VVN-BdA unterstellt, in Regensburg einen Infostand einer kommunistischen Organisation geleitet zu haben; diese Unwahrheit musste inzwischen „geschwärzt“ werden und zeigt damit deutlich die ganze „Glaubwürdigkeit“ des bayerischen Verfassungsschutzes.

Grundgesetz und Wirtschaftssystem

Als „Linksextremist“ gilt der bayerischen Staatsregierung, wer die „Soziale Marktwirtschaft“ kritisch hinterfragt oder gar über Alternativen zu ihr nachdenkt. Fakt ist: Das Grundgesetz trifft keine Aussagen über ein Wirtschaftssystem, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 20.07.1954 feststellte: „Die ‚wirtschaftspolitische Neutralität‘ des Grundgesetzes besteht lediglich darin, dass sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche.“ (BverfGE 4, 7, S. 38 f.)

Prof. Dr. jur. Martin Drath war einer der Verfassungsrichter, die 1956 das Verbotsurteil gegen die KPD fällten. Er führte 1976 dazu aus: „Es ist mir unerfindlich, wie heute einzelne Behörden und einzelne Gerichte aus unserem damaligen Urteil gegen die damalige Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) das Recht ableiten wollen, jede Form und jeden Bestandteil der kommunistischen Idee zu diskriminieren […] Wichtig ist vor allem, dass das Verbotsurteil weder die Theorie des Marxismus-Leninismus noch den Kommunismus schlechthin für verfassungswidrig erklärt hat.“ (Prof. Dr. jur. Martin Drath an Rechtsanwalt H. E. Schmitt-Lermann, 31.03.1976, vgl. auch DER SPIEGEL, 17.04.1982, S. 60)

Nennung der VVN-BdA in den bayerischen Verfassungsschutzberichten ist rechtswidrig

Es ist ein Beispiel für den Verfolgungswahn gegen links, um das Versagen gegen Rechts zu kaschieren. […] Die Beschwerde der VVN-BdA gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 02.10.2014 müsste meines Erachtens Erfolg haben. Es liegt eine eklatante Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, das auch juristischen Personen zusteht.

Dr. Klaus Hahnzog, bayerischer Verfassungsrichter, 29.06.2015

III. Angebliche Gewaltbereitschaft

Genauso absurd ist der Vorwurf an die VVN-BdA, sie befürworte Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung.

Dass sich die bayerische VVN-BdA in ihrer Landessatzung zur Gewaltfreiheit bekennt und dies in ihrem Engagement auch tagtäglich beweist, wird vom Innenministerium und vom Verwaltungsgericht bisher beharrlich ignoriert. Entsprechend werden auch bei dieser Beschuldigung keinerlei Beweise erbracht, denn es gibt sie nicht.

Stattdessen wird vage von „Zusammenarbeit mit gewaltorientierten autonomen Gruppen“ gesprochen. Als „gewaltorientiert“ betrachtet der Verfassungsschutz schon alle autonomen Gruppen, die es für legitim halten, Aufmärsche von Neonazis zu blockieren. So wird als Beleg für den genannten Vorwurf angeführt, dass von einer Kreisvereinigung der VVN-BdA ein „antifaschistisches Jugendcamp“ organisiert wurde, an dem neben Zeitzeugen auch „Autonome“ teilnahmen und bei dem ein „Blockadetraining“ angeboten wurde. Weiß der „Verfassungsschutz“ nicht, dass bei einem Blockadetraining gerade die gewaltfreie Durchführung von Blockaden trainiert wird? Konkret wird der VVN-BdA die Teilnahme an den Blockaden der NPD-Aufmärsche in Dresden 2010 und 2011 vorgeworfen. Dazu stellen wir fest: Selbstverständlich ist es legitim, sich extremen Rechten wie der NPD gewaltfrei in den Weg zu stellen – um ein Zeichen zu setzen, dass sich die Zivilgesellschaft niemals an neofaschistische Hetze gewöhnen darf. Zu solch engagiertem Handeln rufen auch Kirchen, Gewerkschaften und Politiker/innen aus allen Parteien auf!

Überdies ist festzuhalten: „Gewalttaten“ sind Blockaden gegen Naziaufmärsche nicht. Ob Blockaden überhaupt eine Straftat darstellen, ist höchstrichterlich umstritten.

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

Dass das Bayerische Innenministerium und seine Behörde „Verfassungsschutz“ die Gefahr der extremen Rechten seit langem verharmlosen und stattdessen die Gefahr „von links“ in den Vordergrund stellen, zeigt sich schließlich in der Kriminalisierung des von uns (und vielen anderen) verwendeten Mottos „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Der Freistaat hatte dazu in seiner Klageerwiderung ausgeführt, der Satz sei mit der FDGO nicht vereinbar, somit verfassungsfeindlich, denn er bestreite das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dem schloss sich das Gericht mit der Begründung an: „Die […] oft geäußerte Parole „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ […] dient […] schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen.“ (Urteilsbegründung, S. 25)

Wir fragen uns, ob sich „Verfassungsschutz“, Staatsregierung und Verwaltungsgericht der Ungeheuerlichkeit ihrer Aussage zu „Faschismus ist keine Meinung...“ überhaupt bewusst sind. Beweisen denn 60 Millionen Tote des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust nicht, dass das nicht bloß eine „missliebige, andere Meinung“ ist? Wurden nicht seit 1990 fast 200 Menschen in unserem Land von Neonazis umgebracht? Werden nicht schon wieder Brandsätze auf Flüchtlingsheime geworfen?

Als Konsequenz aus den Verbrechen der Nazizeit steht in der Bayerischen Verfassung Artikel 119: „Rassen- und Völkerhass zu entfachen ist verboten und strafbar.“ Grundgesetz und bayerische Verfassung können und dürfen auch von Neonazis unter Berufung auf die Meinungsfreiheit nicht angetastet werden! Deshalb engagieren sich ja auch Menschen in vielfältigster Form gegen heutige Nazipropaganda. Als VVN-BdA werden wir folglich auch weiterhin als Demokratinnen und Demokraten gewaltfrei allen Naziprovokationen entgegentreten – in breitem Einvernehmen mit vielen anderen.

Die Vorwürfe gegen die VVN-BdA sind haltlos. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München darf nicht bestehen bleiben.

Es kann nicht sein, dass Verleumdungen und unbewiesene Behaup- tungen im Raum stehen bleiben, dass die Denunziation von Antifaschismus als „linksextremistisch beeinflusst“ in dieser Sache das letzte Wort ist.

Treten Sie mit uns gemeinsam dafür ein, dass die VVN-BdA aus dem bayerischen Verfassungsschutzbericht gestrichen wird!

Wenden auch Sie sich gegen die Diffamierung zivilgesellschaftlichen antifaschistischen Engagements durch die Bayerische Staatsregierung!

Antifaschismus

verfassungsfeindlich?

Antifaschismus

ist ein Pfeiler

der Demokratie!

http://bayern.vvn-bda.de

V.i.S.d.P: VVN–BdA Landesvereinigung Bayern, Frauenlobstraße 24 Rgb, 80337 München