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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

06.03.2016

Auschwitzprozess in Detmold

Eine Initiative gegen das Vergessen unterstützt die Hinterbliebenen

Mitglieder der Initiative gegen Neonazis in OWL und andere Erinnerungsarbeiter nehmen sich des Prozesses gegen einen Auschwitz-Täter in Detmold an und werden dabei von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/VVN-Bund der Antifaschisten unterstützt.

Der Autor von Büchern über den Frankfurter Auschwitzprozess Conrad Taler ist skeptisch, was den neuen Prozess anbelangt.

Wir veröffentlichen seinen Kommentar aus „Ossietzky“ 2/2016 und darunter den Bericht über die Aktionen in Detmold.

Conrad Taler: Fiat justitia? Irrtum!

Bei allem Verständnis für den guten Willen der Beteiligten: Mit einem Sieg der Gerechtigkeit hat das Detmolder Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Auschwitzer SS-Wachmann Reinhold Hanning ebenso wenig zu tun, wie die vorausgegangen Prozesse gegen die Helfer beim Massenmord John Demjanjuk und Oskar Gröning, Der Prozess wirkt vor dem historischen Hintergrund eher wie eine weitere Alibiveranstaltung zur Beruhigung des deutschen Gewissens,  die das  empörende Bild vom lässigen Umgang unserer Justiz mit den Verbrechen der Nazis aufhellen und der Welt den Eindruck von deutscher Gründlichkeit und Selbstreinigung vermitteln soll, von den kleinen Pannen wie etwa dem Freispruch für die deutsche Blutjustiz mal abgesehen Was Auschwitz selbst betrifft, gibt es in der Sache nichts  mehr aufzuklären Eine Beweisaufnahme darüber erübrige sich, meinte  die Vorsitzende Richterin zu Beginn der Verhandlung gegen Reinhold Hanning. Der Prozess diene der Feststellung der individuellen Schuld des Angeklagten. Das Gericht kenne das Anliegen der Opfer, die Geschichte ihres Leidens vor einem deutschen Gericht dazustellen, „und dem wollen wir nachkommen“.

Um beim Letzten zu bleiben. Natürlich ist es für Überlebende des Holocaust und die Hinterbliebenen der Opfer wichtig, dass die Öffentlichkeit Kenntnis nimmt von dem Grauenvollen, das ihnen widerfahren ist. Sie mussten ja über Jahrzehnten hinweg damit leben, dass die Verantwortlichen für dieses Grauenvolle reihenweise freigesprochen wurden oder mit geringen Strafen davonkamen. Wenn jetzt Randfiguren der Prozess gemacht wird, dann müssen sie sich eigentlich zum zweiten Mal verhöhnt fühlen. Wie schäbig sich die deutsche Justiz mitunter gegenüber dem hehren „Fiat justitia, et pereat mundus“ verhält, dämmerte irgendwann selbst den Richtern des Bundesgerichtshofes. Im Urteil gegen einen ehemaligen DDR-Richter räumten sie ein, es liege nicht fern, dass ihm eine grundlegend veränderte Haltung der Rechtsprechung, ohne die seine Verurteilung nicht möglich gewesen wäre, kaum als gerecht zu vermitteln sein dürfte. (AZ5 StR 747/94).

Es ist ein Irrglaube, zu meinen, die deutsche Gerichtsbarkeit habe mit der Verurteilung des KZ-Wachmanns John Demjanjuk ihre Rechtsprechung zugunsten der Opfer grundlegend geändert. Für das Münchner Gericht, das Demjanjuk für schuldig befand, mag das teilweise zutreffen. Rechtskräftig geworden ist das Urteil nicht , weil der Angeklagte verstarb, noch ehe der Bundesgerichtshof über die dagegen eingelegte Revision entschieden hatte. Mit dem Urteil gegen den ehemaligen SS-Unterscharführer Oskar Gröning, der in Auschwitz Buch geführt hat über das den Opfern geraubte Gelds, verhält es sich ähnlich, es ist noch nicht rechtskräftig geworden. Die Entscheidung über die Revision steht noch aus. Ich bezweifle, dass der Bundesgerichtshof hier dieselbe Kehrtwende macht wie im Fall des DDR-Richters.

Diese Ungewissheit hatte die Vorsitzende Richterin im Verfahren gegen den ehemaligen SS.-Wachmann Hanning wohl im Hinterkopf, als sie sagte, der Prozess diene der Feststellung der individuellen Schuld des Angeklagten, der selbst niemanden getötet hat. Er war eines der kleinen Rädchen der Maschinerie, ohne die der Massenmord in den Todesfabriken nicht möglich gewesen wäre. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer war der Ansicht, dass die Zugehörigkeit zu dieser Todesmaschinerie genüge, um jemanden als Täter oder Mittäter zu bestrafen. Er wollte dieser Rechtsauffassung im ersten großen Auschwitz-Prozess Geltung verschaffen, ist damit aber gescheitert. Einen Teil davon haben sich die Richter in den Verfahren gegen John Demjanjuk und Oskar Gröning zu Eigen gemacht, sie erkannten immerhin auf Beihilfe zum Mord.

Mehr wird in dem Verfahren gegen den SS-Wachmann Reinhold Hanning wohl auch nicht herauskommen. Den Prozess als eine längst überfällige Korrektur jahrzehntelangen Justizversagens zu betrachten, wie  Auschwitz-Überlebende und ihre Nachfahren sich Pressemeldungen zu Folge geäußert haben sollen, geht an der Wirklichkeit vorbei. Er hat weder mit einer Korrektur des Justizversagens noch mit einem Sieg der Gerechtigkeit etwas zu tun. Er ist das, was Militärs als Nachhutgefecht bezeichnen, ein Ereignis also, das am Gesamtgeschehen nichts ändert und – wie hier -  allenfalls dessen ganze Trostlosigkeit offenbart.

Es wurde uns gestattet, obigen Beitrag aus Ossietzky zu veröffentlichen. Wir sind allerdings nicht ganz der Meinung des Autors, siehe z.B.

http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0912_urteil_haribo.htm

http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0507_iwan.htm

http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article119622352/Wir-hoffen-auf-Gerechtigkeit.html (Dies Interview wurde weltweit beachtet)

In der neuen Antifa steht:

Auschwitzprozess in Detmold

Eine Initiative gegen das Vergessen unterstützt die Hinterbliebenen

Mitglieder der Initiative gegen Neonazis in OWL und andere Erinnerungsarbeiter nehmen sich des Prozesses gegen einen Auschwitz-Täter in Detmold an. Es geht hier um den Prozess gegen Reinhold Hanning aus Lage, der am 11. Februar begann. Es wurde ein umfangreiches Begleitprogramm zunächst bis Ende Mai beschlossen. Darin wird der Vorsitzende Roman Kent des Internationalen Auschwitzkomitees zitiert: „Wenn wir vergessen, wird das Gewissen der Menschheit zusammen mit den Opfern beerdigt. Wir müssen uns alle erinnern.“

Am 10. Februar 2015 hatte die zuständige Zentralstelle für die Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen gegen den nunmehr 93-jährigen Reinhold Hanning (SS-Unterscharführer) erhoben. Als Angehöriger des SS-Totenkopfsturms soll er unter anderem für die Bewachung des Lagers Auschwitz I (Stammlager) zuständig gewesen sein. Daneben hätte er als Wachmannschaftsangehöriger im Rahmen von regelmäßigen Bereitschaftsdiensten bei ankommenden Transporten die „Ausladung und Selektion“ zu bewachen gehabt. Im einzelnen wird dem Angeklagten die Beihilfe zu Tötungshandlungen vorgeworfen wie "Ungarn-Aktion", Massenerschießungen und Selektionen. Ferner habe er die Lebensverhältnisse - schlechte Unterbringungsverhältnisse, mangelnde Nahrung und Kleidung, unzureichende hygienische Verhältnisse und medizinische Versorgung, schwere körperliche Arbeit – mit bewirkt, „so dass die in das Lager gebrachten Gefangenen dieses nicht wieder lebend verließen“, heißt es in der Anklageschrift.

Am 13.Juni 1944 erfolgte die Versetzung Hannings, im Zivilberuf Fabrikarbeiter, zur 9. Kompanie des SS-Totenkopfwachbataillons, mit dem er im Konzentrationslager Sachsenhausen bis zum Kriegsende seine verbrecherische Laufbahn fortsetzte.

Die Antifaschistinnen und Antifaschisten aus dem Raum Ostwestfalen Lippe haben eine Veranstaltungsreihe zum Auschwitzprozess von Detmold gestartet. Dazu gehören Vorträge, Filmveranstaltungen Mahnwachen, Betreuung der Angehörigen und Überlebenden sowie ein Konzert mit Esther Bejarano und Microphone Mafia. Gegen bekannte Holocaustluegner/innen, die im Gerichtssaal Platz nehmen wollten, gingen die Antifaschist/innen erfolgreich vor. Es wird gebeten, die Initiative gegen das Vergessen zu unterstützen: Konto IBAN DE 88 476501300046217311. Stichwort: Gegen das Vergessen. In NRW werden noch elf weitere Prozesse in NS-Fällen vorbereitet.