20.06.2015
Feierliche
Enthüllung der Gedenkstele für die Widerstandsgruppe
um Karl Bennert
Rede
von Inge Krämer, VVN-BdA Solingen,
anläßlich der Ehrung von Karl Bennert und seiner
Mitkämpfer
Die Gedenkstele zum Gedenken
an die Widerstandsgruppe um Karl Bennert wurde am 8. Mai durch die
VVN-BdA Solingen, nach genau 70 Jahren Befreiung vom Faschismus,
feierlich enthüllt. Zahlreiche Gäste aus dem
Stadtteil Wald und der Solinger Lokalpolitik hatten sich vor dem
Rathaus Wald versammelt. Heinz Siering mit seinem Trio
“Swingvergnügen” begleitete die
Veranstaltung musikalisch. Bezirksbürgermeisterin Birgit Zeier
(SPD) hielt ein Grußwort. Inge Krämer, Sprecherin
der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund
der Antifaschistinnen und Antifaschisten Kreisvereinigung Solingen),
referierte in einer bewegenden Rede über die letzten Tage des
Naziregimes im Stadtteil Wald und über die mutigen Taten der
Widerstandskämpfer und ihrer Gruppe gegen die faschistische
Herrschaft. Sie führte aus:
Sehr geehrte Frau Bezirksbürgermeisterin
Zeier,
Sehr geehrter Herr Bürgermeister
Lauterjung,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kameradinnen und Kameraden,
liebe Freundinnen und Freunde!
Ein herzliches Willkommen auch Heinz Siering mit
seinem Trio Swingvergnügen!
Auf diese Stunde haben wir zehn Jahre gewartet.
Endlich ist es gelungen – heute, am 70.
Jahrestag der Befreiung von Faschismus, Krieg und
unvorstellbarem Leid, dessen schmerzliche Erinnerungen viele Menschen
bis in die heutige Zeit begleiten.
Mit dieser Stele, die wir jetzt der
Öffentlichkeit übergeben werden, können wir
endlich die Widerstandsgruppe um den Kommunisten Karl Bennert ehren.
Ihr lebensgefährlicher Einsatz hat im April 1945 diesen
Stadtteil, Solingen-Wald, vor der Zerstörung
bewahrt und weitere Opfer verhindert.
[E n t h ü l l u n g]
Text der Stele
Solingen-Wald vor Zerstörung gerettet
Erinnerung an die Widerstandskämpfer
K a r l B e n n e r t
4.7.1912 -14.2.2000
Alex Borgermans, Artur Dillenberg, Helmut Mertens, Fritz und Karl Rauh
Im April 1945 erhoffte die Bevölkerung in
Solingen-Wald sehnlichst den Frieden. Aber SS und Gestapo versuchten
durch Waffengewalt und Terror das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus
zu zögern.
Die Widerstandsgruppe um den Kommunisten Karl
Bennert trat ihnen mutig entgegen. Sie rief die Walder Bevölkerung
auf, zum Zeichen des Friedenswillens weiße Tücher aus den
Fenstern zu hängen. Der Turm der Walder Kirche wurde, weit
sichtbar, weiß beflaggt.
Eine SS-Patrouille nahm jedoch eine Reihe weißer Fahnen unter Beschuss. Dabei wurde eine Frau getötet.
Unter Lebensgefahr entwaffnete die
Widerstandsgruppe die NSDAP-Leitung im Walder Rathaus. Panzersperren,
die den Einmarsch der amerikanischen Truppen blockieren sollten, baute
sie ab.
Damit konnte die Zerstörung unseres Stadtteils verhindert und weitere Menschen vor dem Tod bewahrt werden.
Auch an der Aufdeckung der Kriegsverbrechen am Wenzelnberg war Karl Bennert maßgeblich beteiligt.
Das mutige Handeln dieser Widerstandsgruppe gegen Terror und Gewalt ist uns auch heute noch ein Beispiel für Zivilcourage.
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[Musik]
Zunächst möchte ich der
Bezirksbürgermeisterin, Frau Zeier, die Gelegenheit zu einem
Grußwort geben. Ihr, der Fraktion der SPD, den
Bezirksvertretern der Grünen und der Partei DIE LINKE gilt
heute unser besonderer Dank. Sie haben es ermöglicht, dass
hier eine Stätte des Gedenkens, des Erinnerns, aber auch der
Ermutigung geschaffen wurde. Der Ermutigung, in unserer Zeit
Verantwortung zu übernehmen, Neonazis und Rassisten offen
entgegenzutreten, Zivilcourage zu zeigen und nicht zu schweigen!
Herzlichen Dank!
[Musik]
Sehr geehrte Anwesende,
unsere Organisation, die VVN-BdA, Vereinigung der
Verfolgten des Nazi-Regimes Bund der Antifaschisten hat sich sehr stark
für diese Stele engagiert. Warum?
Weil ein Leitsatz unserer Organisation lautet:
„Die Vergangenheit vor Ort dem Vergessen
zu entreißen!“
„Wer aber vor der Vergangenheit die
Augen verschließt, wird blind für die
Gegenwart“, sagte Richard von Weizsäcker in seiner
berühmten Rede vom 8. Mai 1985.
Angesichts der Gegenwart in unserem Lande mit
zunehmendem Rassismus, rechtsextremen Morden, und Übergriffen
auf Flüchtlingsheime darf niemand mehr die Augen
verschließen. Heute wie damals ist Zivilcourage gefragt.
Deshalb bleibt unser Anliegen, in dieser
Stadt eine ständige Ausstellung zu installieren, die die
Frauen und Männer würdigt, die sich dem
Terror der Hitlerfaschisten mutig entgegengestellt haben, die ihr Leben
für das Leben anderer Menschen einsetzten.
In Solingen leisteten1500 Frauen und
Männer diesen gefahrvollen und mutigen Widerstand. Mehr als
800 von ihnen wurden in Gefängnissen und Konzentrationslagern
ihrer Freiheit beraubt, 35 kehrten nicht mehr zu ihren Familien
zurück. Die Nazis verurteilten 7 Solinger zum Tode, 6 kamen in
den KZ ums Leben und 7 Menschen starben bei den Voruntersuchungen. Mit
einer Ausstellung, die ihren Lebensweg nachzeichnet, könnte
eine geschichtspolitische Erinnerungsarbeit verwirklicht
werden. Auch der jungen Generation sind wir das schuldig, damit sie die
Porträts und Biografien dieser Menschen aus ihrer Heimatstadt
kennenlernt. Ihrer Haltung, ihrer Taten und ihres Mutes wegen
dürfen sie nicht vergessen werden: Kommunisten,
Sozialdemokraten, Christen und Liberale.
Ich möchte zurückkommen auf die
Apriltage 1945.
Was geschah in jenen Tagen hier in Solingen-Wald?
Bereits 1943 hatte sich um den Kommunisten Karl
Bennert eine Widerstandsgruppe gebildet. Als sich im Jahre 1944 immer
deutlicher die Niederlage der faschistischen Wehrmacht und damit das
Kriegsende ankündigte, bereitete sie diesen Tag vor.
Größte Geheimhaltung war gefordert, weil man im
letzten Augenblick mit Racheakten der Faschisten rechnen
musste.
Am 15. April 1945 hörte man schon in
ziemlicher Nähe die Artillerie der amerikanischen Truppen. Die
SS und die Gestapo errichteten in aller Eile mit Hilfe der Hitlerjugend
Panzersperren, um so den Vormarsch der Amerikaner zu stoppen. Mit
Militärwagen fuhr die SS in Abständen durch die
Straßen. Man musste damit rechnen, dass sie vor den
heranrückenden Truppen nicht kapitulieren wollten.
Sollte der Stadtteil Wald noch in letzter Minute
vernichtet werden?
Die Widerstandsgruppe wollte das verhindern. Sie
war nun ununterbrochen in Alarmbereitschaft. Hoch auf dem Turm der
Walder Kirche wurden zum Zeichen des Friedenswillens weiße
Fahnen gehisst. Die Nazis versuchten, das zu verhindern. Denn die
Führung der Hitlerfaschisten gab den Befehl, bis zum letzten
Mann zu kämpfen. Eine SS-Patrouille fuhr durch Wald und nahm
eine Reihe weißer Fahnen unter Feuer, die die Menschen
inzwischen aus ihren Fenstern gehängt hatten. Auch im
sogenannten Walder Schlauch, dieser engen Straßendurchfahrt,
schoss eine SS- Streife auf die weißen Tücher. Dabei
töteten sie eine Frau. Jetzt musste die Gruppe um Karl Bennert
handeln, um in letzter Minute vor Kriegsende weitere Opfer und die
Zerstörung des Stadtteils Wald zu verhindern. Sie
drang, inzwischen verstärkt durch einige Männer aus
der Ortschaft Eigen, in das Walder Rathaus ein und gaben sich
als Bürgerausschuss aus. Vom Polizeileutnant Anhalt
verlangten sie die sofortige weiße Beflaggung des Stadtteils
anzuordnen. Anhalt weigerte sich .Er wurde entwaffnet und seines
Dienstes enthoben. Der Polizeimeister Mönning stellte sich
jedoch der Widerstandsgruppe zur Verfügung. Zusammen
erreichten sie, dass innerhalb einer halben Stunde straßauf,
straßab kein Haus mehr ohne weiße Beflaggung blieb.
Schließlich floh das letzte Aufgebot des
Nazi-Terrors. Die Widerstandsgruppe baute die Straßensperren
ab. So konnte der Stadtteil Solingen-Wald ohne weiteres
Blutvergießen und Zerstörung an die amerikanischen
Truppen übergeben werden.
Dieser Widerstandsgruppe gehörten die
Walder Bürger:
Karl Bennert, Alex Borgermans, Artur Dillenberg,
Helmut Mertens, Fritz Rauh und Karl Rauh an.
Sie hatten schon vor dieser Tat
Aufklärungsarbeit über den Nazi-Faschismus
und den Krieg geleistet. Dabei war ihr Leben ständig in Gefahr.
Karl Bennert hat diese Ereignisse später
aufgezeichnet. U.a schreibt er: „Es war uns während
der ganzen Zeit nicht möglich gewesen, diese Gruppe zu
vergrößern oder neue Gruppen zu bilden, da
diejenigen, die vertrauenswürdig waren, sich weigerten
mitzumachen und es sich von selbst verbot, an zweifelhafte Personen
heran zu treten. Wären wir stärker gewesen,
hätten wir die ganz hohe Parteileitung dieses Gebietes im
Walder Bunker, der als besonders sicher galt, festnehmen
können.“
Wer war Karl Bennert?
Karl Bennert war Mitglied der
Arbeitersportbewegung.
Mit 21 Jahren wurde er zum ersten Mal mit Plakaten
unter dem Arm von einer Polizeistreife aufgegriffen und
abgeführt. Hier im Keller dieses Rathauses sperrte man ihn
ein, ließ ihn aber bald wieder laufen. Im November desselben
Jahres griff ihn, mit einer Ladung Flugblätter, im dichten
Nebel eine SA-Streife auf.
Auf dem Polizeirevier wurde er mit
Gummiknüppeln zusammengeschlagen. Im Keller des
früheren Solinger Rathauses setzte die Gestapo diese Tortur
fort, während der sechsmonatigen Haft immer wieder bei jedem
Verhör. Er kam vor das Sondergericht in Hamm, danach in
Einzelhaft in die Haftanstalt Bendahl. Das berüchtigte
Konzentrationslager Kemna bei Wuppertal blieb ihm durch einen puren
Zufall erspart.
Trotz dieser schrecklichen Erfahrungen ging er
nach seiner Haftentlassung erneut in den Widerstand, gemeinsam mit den
mutigen Männern, die wir mit dieser Stele ehren.
Nachdem der Stadtteil Solingen-Wald befreit worden
war, stand Karl Bennert noch ein schwerer Weg bevor.
Am Tage des Einmarsches der US-Soldaten in
Solingen-Wald erhielt Karl Bennert aus antifaschistischen Kreisen die
Nachricht von dem Verbrechen der Nazis, das vier Tage vor der Befreiung
der Stadt in der Wenzelnbergschlucht verübt worden
war. Der US-Kampfkommandant gestattete Karl Bennert
und seinen Freunden, zur Erkundung mit einem PKW an den
Wenzelnberg zu fahren. Dort entdeckten sie das Massengrab. Sie
schaufelten die Erde beiseite und fanden 71 Leichen. Diese Menschen
waren von der Gestapo, immer zu zweit mit Stacheldraht gefesselt, durch
Genickschüsse getötet worden.
Später schreibt Karl Bennert:
„Ich habe gestern noch einmal den Wenzelnberg erklommen. Es
war mir, als seien die letzten Spuren der Gefangenen noch im Sande zu
sehen. Die Kränze welkten, die am Jahrestag der Ermordung dort
niedergelegt wurden. Möge diese Stätte zu einem
Mahnmal werden, zu der noch unsere Enkel mit ihren Kindern pilgern und
dort an eine der finstersten Menschheitsepochen erinnern.“
Dieser Wunsch ist ihm erfüllt worden, wie die
jährlichen Gedenkfeiern am Wenzelnberg zeigen.
Karl Bennert und seine Widerstandsgruppe hat sich
um Solingen verdient gemacht. Diese Männer haben bewiesen,
dass es auch ein anderes Deutschland gab.
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus war
für Karl Bennert, bis ins hohe Alter, stets Verpflichtung. Bei
alternativen Stadtrundfahrten, in Schulen, auf Veranstaltungen und wo
immer sich ihm Gelegenheit bot, vermittelte er seine Erfahrungen den
nachfolgenden Generationen.
Für ihn war es
selbstverständlich, sich in der Friedensbewegung stark zu
engagieren.
Seit dem Brandanschlag auf das Haus der
türkischen Familie Genc wirkte er maßgeblich im
„Solinger Appell“ mit.
Eines der letzten Bilder zeigt ihn vor der
Solinger Stadtkirche, schon durch Krankheit gezeichnet, bei einer
leidenschaftlichen Rede gegen den Krieg im Kosovo.
Viele Solinger, die heute noch in Parteien und
Initiativen aktiv sind, können sich noch lebhaft an
Karl Bennert und seine Persönlichkeit erinnern.
Damit diese Stele entstehen konnte, waren wir auf
finanzielle Unterstützung angewiesen.
Im Namen unserer Organisation bedanke ich mich
für großzügige Spenden:
bei der Bezirksvertretung Solingen-Wald, der DKP,
der Partei DIE LINKE, beim Öko-Fonds, bei der Stadtsparkasse
Solingen und den vielen Menschen, die durch Einzelspenden bisher einen
Betrag von 805,-- € beigetragen haben und damit auch eine
Wertschätzung für Karl Bennert und seine
Widerstandsgruppe zum Ausdruck brachten.
Unser Dank gilt auch den Handwerkern für
ihre engagierte Arbeit, ihre fachliche Kompetenz und die termingerechte
Herstellung dieser Stele.
[Musik und Erläuterungen dazu]
Siehe auch:
26.04.04
"Der kalte Krieg kündigte sich schon an...“
Im Kalten Krieg blieben Nazis zumeist ungeschoren, Antifaschisten hingegen hatten das Nachsehen
Zu Ende des schon verlorenen Zweiten Weltkrieges wurden in der
Wenzelnbergschlucht von der Gestapo 71 Häftlinge erschossen.
Jährlich wird diesen letzten Opfern des NS-Faschismus gedacht.
Diesmal hielt Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA NRW, einen
Redebeitrag am 25.4. zum Gedenken an diese Opfer und erinnerte an erste
Versuche nach dem Krieg, den Nazi-Verbrechern habhaft zu werden, und
dass diese Versuche bald - im Kalten Krieg - auch aus Sicht der
Siegermächte nicht mehr erwünscht waren. Im Folgenden
dokumentieren wir Ulrich Sanders Rede und anschließend die von
Dirk Krüger:
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0036_rede_ulli_wenzelnberg.htm
07.04.2014
"Wann endlich erfährt Karl Bennert eine Würdigung im öffentlichen Raum?"
Rede von Landessprecher Jochen Vogler bei der Gedenkfeier am Wenzelnberg
Die Erinnerung an die Mordopfer vom Wenzelnberg und an die zwei
Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts ist Mahnung auch für die
Gegenwart und Zukunft: Keinen neuen Kalten Krieg und erst recht keinen
heißen Krieg. Es ist an der Zeit: wann endlich erfährt Karl
Bennert eine Würdigung im öffentlichen Raum?
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1258_wenzelnberg.htm
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