07.04.2014 "Wann endlich erfährt Karl Bennert
eine Würdigung im öffentlichen Raum?" Rede von Landessprecher
Jochen Vogler bei der Gedenkfeier am Wenzelnberg Die Erinnerung an die Mordopfer vom Wenzelnberg
und an die zwei Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts ist Mahnung
auch für die Gegenwart und Zukunft: Keinen neuen Kalten Krieg
und erst recht keinen heißen Krieg. Es ist an der Zeit: wann
endlich erfährt Karl Bennert eine Würdigung im
öffentlichen Raum? Sehr geehrte Damen und
Herren, diese alljährliche
Gedenkveranstaltung ist nicht nur Ausdruck der nach wie vor notwendigen
Erinnerung und Auseinandersetzung an die und mit der Zeit des
Faschismus an der Macht in diesem Land sondern es
ist auch ein Ausdruck dafür, wie nachhaltig diese Zeit auch
die folgenden Generationen noch immer prägt. Der
Faschismus an der Macht und der Krieg endeten am 8. Mai 1945. Wer
nach 1945 geboren wurde, weiß von dieser Zeit nicht aus
eigenem Erleben und kann sich die Überlebensbedingungen dieser
Zeit nur schwer vorstellen. Niemand der nach 1945
Geborenen war jemals zu einer solchen verbrecherischen
Entscheidungssituation gezwungen wie der Gefängnisdirektor Dr.
Engelhardt. Er konnte es nicht verhindern, daß 60
Personen aus dem Gefängnis Remscheid Lüttringhausen
auf die Todesliste gerieten. Einer, von denen, die
ihm die Rettung verdankten, war der Priester und Kaplan Joseph
Cornelius Rossaint. Daß das Verbrechen hier
am Wenzelnberg bekannt wurde, verdanken wir vor allem Karl Bennert aus
Solingen. Die Widerstandsgruppe von Karl Bennert
sorgte dafür, daß Solingen kampflos an die
Amerikaner übergeben wurde und verhinderte damit weiteres
Blutvergießen kurz vor der Befreiung. Karl
Bennert und Joseph Cornelius Rossaint waren
Gründungsmitglieder unserer Vereinigung – der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Diese
Vereinigung ist älter als die Bundesrepublik. Sie
wurde 1946 partei- und ideologieübergreifend von den Menschen
gegründet, die wegen ihrer politischen Überzeugung,
wegen ihres Widerstands und wegen ihrer rassistischen Verfolgung die
Qualen in den Konzentrationslagern und Gefängnissen der Nazis
überlebt hatten. Leitmotto der Vereinigung
damals wie heute ist der Schwur von Buchenwald. Die Vernichtung des Nazismus mit
seinen Wurzeln ist unsere Aufgabe, der Aufbau einer neuen Welt des
Friedens und der Freiheit ist unser Ziel - und: wir stellen den Kampf
erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der
Völker steht. Das schwor die
internationale Häftlingsgemeinschaft der 21 000
Überlebenden nach ihrer Selbstbefreiung auf dem Appellplatz
des Konzentrationslagers Buchenwald am 19. April 1945. Die
Täter dieses Verbrechens hier am Wenzelnberg sind bekannt: Die
Gestapoleute Hufenstuhl, Goeke, Blume, Dahlmann, Ilvermann,
Kloß, Schalenberger, Hornberger und Michels. Sie
wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Aber Karl
Bennert wurde nach 1945 wegen seines Engagements gegen die
Remilitarisierung zu einer 9-monatigen Gefängnisstrafe
verurteilt wobei ihm die 19-monatige Gefängnisstrafe von 1934
wegen Staatsgefährdung als Vorstrafe gewertet wurde. Die
nach wie vor wirkende antikommunistische Doktrin dieses Landes hatte
beim Aufbau der Bundesrepublik auch ihre Grundlagen in den personellen
Kontinuitäten. In Schlüsselfunktionen in Justiz,
Verwaltung, Politik und beim Aufbau der Bundeswehr mit Personal, das in
diesen Funktionen schon während der Nazizeit als Fachpersonal
tätig war. Wie Karl Bennert, wie unser
langjähriger Vorsitzender und Ehrenvorsitzender Jupp
Angenfort, der unter Mißachtung seines Landtagsmandats
verhaftet wurde und viele andere wurden bis in die 1960er Jahre zu
Gefängnis- und Zuchthausstrafen wegen ihres Engagements gegen
die Wiederbewaffnung und wegen ihrer KPD-Mitgliedschaft verurteilt
– oftmals von denselben Richtern, die schon während
der Nazizeit Terror-Urteile sprachen. Und
gleichzeitig und nach wie vor erleben wir eine zurückhaltende
Strafverfolgung von gewalttätigen und mörderischen
Nazi- Umtrieben mit teilweiser amtlicher Förderung
durch den Verfassungsschutz. Dabei enthält
das Grundgesetz mit dem Artikel 139 die klare Vorschrift zum Verbot von
Nachfolgeorganisationen der NSDAP. Aber, wie ein
vormaliger Bundespräsident, Herr Herzog sagte, dieser
GG-Artikel sei obsolet. Das meint, er ist nicht mehr
zeitgemäß und nicht mehr anwendbar. Wenn
das so ist, warum ist er dann noch immer Bestandteil des Grundgesetzes?
Es wird dringend Zeit für ein Verbot der
NPD und anderer Parteien und Organisationen der Nachwuchs-Nazis! Stattdessen
brauchen wir die entschiedene Förderung gesellschaftlicher
Initiativen, die in diesem Land für gesellschaftlichen
Ausgleich und friedliches Miteinander sorgen. Dazu
möchte ich einen anderen Bundespräsidenten zitieren. In
seiner Antrittsrede am 1. Juli 1969 sagte Gustav Heinemann u.a. Wir müssen uns in einer
Leistungs-, Aufstiegs- und Bildungsgesellschaft entwickeln, in der die
Vision der Freiheit für alle dadurch verwirklicht wird,
daß jeder seine konkrete und persönliche Chance
erhält. Nicht weniger, sondern mehr Demokratie – das
ist die Forderung, das ist das große Ziel, dem wir uns alle
und zumal die Jugend zu verschreiben haben. Und: Der soziale Wandel schreitet
fort. Deshalb sind wir alle gerufen, die Forderungen des Grundgesetzes
nach dem Ausbau der sozialen Demokratie in steigender Bemühung
zu verwirklichen. Wir werden erkennen müssen, daß
die Freiheit des einzelnen nicht nur vor der Gewalt des Staates,
sondern ebensosehr vor ökonomischer und gesellschaftlicher
Macht geschützt werden muß. Der Einfluß
der Verbände und ihrer Lobbyisten steht oft genug im Gegensatz
zu unserer Ordnung, in der Privilegien von Rechts wegen abgeschafft
sind, aber in der sozialen Wirklichkeit noch weiter bestehen. Und
außerdem: Ich
sehe als erstes die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Nicht der
Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren
habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den
Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in
dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es
keine Existenz mehr. In diesem Sinne kann auch der
ehemalige Bundespräsident Richard v. Weizsäcker
zitiert werden, der in seiner Rede zum 8. Mai 1985, in der er dieses
Datum endlich als Tag der Befreiung würdigte u.a. sagte: - Wenn wir uns daran
erinnern, daß Geisteskranke im Dritten Reich getötet
wurden, werden wir die Zuwendung zu psychisch kranken Bürgern
als unsere eigene Aufgabe verstehen.
- Wenn wir uns
erinnern, wie rassisch, religiös und politisch Verfolgte, die
vom sicheren Tod bedroht waren, oft vor geschlossenen Grenzen anderer
Staaten standen, werden wir vor denen, die heute wirklich verfolgt sind
und bei uns Schutz suchen, die Tür nicht
verschließen.
- Wenn wir uns der
Verfolgung des freien Geistes während der Diktatur besinnen,
werden wir die Freiheit jedes Gedankens und jeder Kritik
schützen, so sehr sie sich auch gegen uns selbst richten mag.
Und: Die Bitte an die jungen Menschen
lautet: Lassen
Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Haß - gegen andere Menschen,
- gegen Russen oder Amerikaner,
- gegen
Juden oder Türken,
- gegen Alternative
oder Konservative,
- gegen Schwarz oder
Weiß.
Lernen
Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander. Lassen Sie auch uns als
demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen
und ein Beispiel geben. Ehren wir die Freiheit. Arbeiten
wir für den Frieden. Halten wir uns an das Recht. Dienen wir
unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit. Schauen
wir am heutigen 8. Mai, so gut wir können, der Wahrheit ins
Auge. Das sind Hinweise aus
längst vergangenen Zeiten. Aber sind sie damit obsolet? Ein
späterer Bundespräsident sah sich veranlaßt
seinen Rücktritt zu erklären, weil er vor
Journalisten als Auftrag der Bundeswehr sinngemäß die
verteidigungspolitischen Richtlinien von 1998 zitiert hatte, die die
Bundeswehr als „Instrument zur Aufrechterhaltung des freien
Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und
Rohstoffen in aller Welt“ beschreiben. Seitdem
wird die Bundeswehr zum Einsatz in alle Welt geschickt und wir erinnern
uns, daß für den Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan der damalige Bundeskanzler damit die Vertrauensfrage
verknüpfte. Und der aktuelle
Bundespräsident fordert mehr deutsche Verantwortung
– auch militärische – in der Welt. Das
Grundgesetz erklärt die Bundeswehr ausdrücklich zu
einer Verteidigungsarmee. Dieser Grundsatz hat inzwischen eine sehr -im
wahrsten Sinne des Wortes- weitreichende politische und juristische
Interpretation. Wie haben sich die
Maßstäbe verändert! Gedenkveranstaltungen
wie diese beschwören immer wieder, daß wir aus der
Geschichte zu lernen und selbstverständlich gelernt haben. Aber
was ist davon zu halten, und was ist von den Inhalten der westlichen
Werte zu halten als deren Handelnde in dieser westlichen
Wertegemeinschaft unsere Politiker es weder unanständig noch
unerhört noch anstößig finden, mit
Faschisten für eine neue Regierung in Kiew zu verhandeln? Im
internet kursieren die Beispiele deren rücksichtslosen und
brutalen Vorgehens gegen diejenigen, die auch Meinungen verbreiten, die
ihnen nicht passen. Und zur aktuellen
gefährlich aufgeheizten Krisensituation um die Krim:
Natürlich ist das Vorgehen der russischen Regierung in dieser
Angelegenheit völkerrechtlich nicht akzeptabel. Aber
weniger aufgeregt und nüchtern und neutral betrachtet ist es
erklärbar aus der Vorgeschichte um das fragwürdige
und bedenkliche Zustandekommen der Übergangsregierung in Kiew
mit Rechtsextremen als Minister. An der
weltpolitischen und gefährlich zugespitzten Aufregung um den
Anschluß der Krim an Rußland zeigt sich auch eine
Doppelmoral der westlichen Wertegemeinschaft. Die
internationale Meinung verhält sich sehr schweigsam zum
Beispiel zu dem Völkerrechts- und zudem Menschenrechtsproblem
auf Kuba. .Nach heutigen Gesichtspunkten ist schon
der Vertrag, den 1899 die US-Regierung Kuba aufgezwungen hatte,
völkerrechtlich bedenklich. Aber dieser
Vertrag zur Besetzung der Bucht von Guantanamo war auf 100 Jahre
befristet. Inzwischen hält die US-Regierung
diese Bucht noch immer besetzt und nutzt sie zudem noch als ein
brutales Foltergefängnis. Der deutsche
Staatsbürger Murat Kurnaz war dort mehrere Jahre unschuldig
eingesperrt. Wenn wir in diesem Jahr an die 2
Weltkriege erinnern, die maßgeblich und
hauptsächlich durch deutsche Regierungspolitik verursacht
wurden, sollten wir Symbole dafür setzen,
daß wir aus der Geschichte gelernt haben. In
Wuppertal erinnern mehrere Straßennamen in Vohwinkel an
Generale, die verantwortlich für die Kriegführung im
1. Weltkrieg waren. Die Mackensenstr., die
Schliefenstr., die von der Goltzstr. erhielten 1936 diese Namen. In
anderen Städten gibt es Beispiele, sich belastender Namen zu
entledigen. In Berlin-Schöneberg wurde 1998
die Mackensenstr. in Else Lasker Schüler Str. umbenannt. Vor
zwei Jharen erfolgte in Münster durch Ratsbeschluß
und Bestätigung durch Bürgerentscheid die Umbenennung
des Hindenburgplatzes in Schloßplatz. Mit
welchen Namen und Symbolen wir den öffentlichen Raum
ausstatten, zeigt auch etwas vom Selbstverständnis zum Umgang
mit den Wertmaßstäben zu unserer Geschichte. Solingen
hat Karl Bennert viel zu verdanken. Wann endlich erfährt er
eine Würdigung im öffentlichen Raum? Meine
vorletzte Bemerkung betrifft die Erinnerung an den ersten Weltkrieg.
Daran wird in diesem Jahr sehr unterschiedlich und sehr
vielfältig erinnert. Mein Beitrag dazu
erfordert etwas Unterstützung, die mir der Johannes und der
Jake liefern. Es ist an der Zeit heißt das
Lied, das vielen hier im Publikum sicher bekannt ist. Der Refrain
eignet sich zum Mitsingen. Meine letzte Bemerkung
betrifft den diesjährigen Ostermarsch. Ostern
auf die Straße – Es ist an der Zeit. Wir
dürfen uns weder einen neuen Kalten Krieg und erst keinen
heißen Krieg leisten. Bertolt Brecht sagte
in seiner Rede an den Frieden 1952 zum Schluß: Denn der Menschheit drohen
Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und
sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller
Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände
zerschlagen werden. Nato-
und EU-Kriege stoppen, Atomkraft-Atomwaffen abschaffen –
für ein zivile EU! Für
Frieden und eine gerechte Weltordnung, gegen Krieg, Rüstung
und Militär. Ist der Ostermarschaufruf
überschrieben. Infos dazu am VVN-Tisch. Vielen
Dank für die Aufmerksamkeit. Nachfrage: Zu Jochen Voglers Rede Die
folgenden Hinweise erhielten wir von der Tochter eines
Kriminalpolizisten, der wegen der Beteiligung am Gestapo-Massaker im
Wuppertaler Schießstand Burgholz im Februar 1945 (24
Zwangsarbeiter und 6 Zwangsarbeiterinnen wurden dort erschossen)
angeklagt und verurteilt wurde. Wer vermag diesen Hinweisen nachzugehen
und die gestellten Fragen zu beantworten? Jochen Vogler hatte
ausgeführt: „Die Täter dieses Verbrechens hier am
Wenzelnberg sind bekannt: Die Gestapoleute Hufenstuhl, Goeke, Blume,
Dahlmann, Ilvermann, Kloß, Schalenberger, Hornberger und Michels.
Sie wurden nie zur Rechenschaft gezogen.“ Jedoch: Hufenstuhl beging am 24.5.1945 Suizid Klo(ß)s,
Hornberger, Michels - diese drei Wuppertaler Gestapoleute wurden 1948
im "Burgholz-Case" in Hamburg angeklagt und verurteilt. Blume, Walter wurde 1948 im Nürnberger Einsatzgruppenprozeß angeklagt und verurteilt Habt Ihr im VVN-Archiv (oder sonstwo) Dokumente zu den Gestapoleuten: Goeke,
Dahlmann, Ilvermann, Schalenberger? bei welcher Dienststelle waren die?
welche Funktion hatten die bei dem Fall Wenzelnberg? Ich bin an
etwaigen Dokumenten im Zusammenhang mit der Geschichte des
Burgholz-Massakers interessiert. Gruß L. Mit freundlichen Grüßen VVN-BdA NRW, Ulrich Sander und Jochen Vogler Siehe auch: Gedenkfeier für 71 Opfer der Nationalsozialisten http://www.rga-online.de/rga_106_110568458-2-_Gedenkfeier-fuer-71-Opfer-der-Nationalsozialisten.html Solingen: Gedenken am Wenzelnberg http://www.rp-online.de/nrw/staedte/solingen/gedenken-am-wenzelnberg-aid-1.4157081 Zu Karl Bennet: 22.04.2013 Wenzelnberg: Gedenken an die Ermordeten und Mahnung zum Frieden http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1081_wenzelnberg.htm 26.04.2004 "Der kalte Krieg kündigte sich schon an...“ Im Kalten Krieg blieben Nazis zumeist ungeschoren, Antifaschisten hingegen hatten das Nachsehen http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0036_rede_ulli_wenzelnberg.htm |