26.04.04
"Der kalte Krieg kündigte sich schon an...“
Im Kalten Krieg blieben Nazis zumeist ungeschoren, Antifaschisten hingegen hatten das
Nachsehen
Zu Ende des schon verlorenen Zweiten Weltkrieges wurden in der
Wenzelnbergschlucht von der Gestapo 71 Häftlinge erschossen.
Jährlich wird diesen letzten Opfern des NS-Faschismus gedacht.
Diesmal hielt Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA NRW, einen
Redebeitrag am 25.4. zum Gedenken an diese Opfer und erinnerte an
erste Versuche nach dem Krieg, den Nazi-Verbrechern habhaft zu
werden, und dass diese Versuche bald - im Kalten Krieg - auch aus
Sicht der Siegermächte nicht mehr erwünscht waren. Im Folgenden
dokumentieren wir Ulrich Sanders Rede und anschließend die von
Dirk Krüger:
Verehrte Anwesende!
Liebe Freundinnen und Freunde!
Vor einem Jahr hat unser Freund Jupp Angenfort hier gesprochen und an den Schwur der befreiten KZ-Häftlinge von Buchenwald erinnert. Darin heißt es: „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“ Und an anderer Stelle: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht.“
Einer, der den Kampf für die Ziele seiner Kameraden nicht einstellte, weil er sich ihnen verpflichtet fühlte, war Karl Bennert aus Solingen. Er ist heute nicht mehr unter uns. Ihn verband sehr viel mit dieser Stätte, an der wir hier stehen.
Karl Bennert gehörte zu jener Widerstandsgruppe, die am Morgen des 17. April 1945 den Stadtteil Solingen-Wald den Amerikanern kampflos übergeben konnte. Es war ihr gelungen, den Stadtteil weiß zu beflaggen und Kämpfe mit den Amerikanern zu verhindern. Das war ein lebensgefährliches Unternehmen. Die SS schoß auf die Widerstandskämpfer, eine Bürgerin kam ums Leben.
Zu jener Zeit wurden noch Tausende umgebracht, die Frieden machen wollten und dafür von entmenschten Standgerichten und Gestapo-Leuten erschossen wurden. Ein solches Verbrechen wurde auch an den 71 Häftlingen verübt, die hier in der Wenzelnbergschlucht bestattet liegen. Einige davon hat Karl Bennert selbst gekannt.
Er hatte noch am Tage des Einmarsches der US-Soldaten Nachricht von dem Verbrechen erhalten, das sich hier in der Wenzelnbergschlucht vier Tage vor der Befreiung der Stadt zugetragen hat. Auf Befehl des Kommandanten des Ruhrkessels, Generalfeldmarschall Model, und des Reichssicherheitshauptamtes der SS waren Häftlinge, die gegen die Nazis nach Kriegsende Zeugnis ablegen könnten, aus den Gefängnissen zusammengeholt und ermordet worden. Der US-Kampfkommandant gestattete Karl Bennert und seinen Freunden nach der Befreiung Solingens zur Erkundung mit einem PKW an den Wenzelnberg zu fahren. Das Massengrab, noch frisch, war leicht zu entdecken. Beim Nachgraben stieß die Gruppe zunächst auf die Leiche von Erich Lohmer, der, wie sich später herausstellte, als politischer Untersuchungsgefangener mit drei anderen Schicksalsgenossen aus dem Untersuchungsgefängnis Wuppertal-Bendal abgeholt worden war.
Bennerts Gruppe von Antifaschisten wurde nun mit Polizeiaufgaben in Solingen-Wald betraut. Gemeinsam mit einem Kommando unter Leitung von US-Sergeant Jerrie Lilienthal sollte sich Karl Bennert besonders der Aufklärung des Massenmordes widmen. Karl erzählte mir: „So kam es, dass ich mit Jerrie Lilienthal, der dann mein Freund wurde, bis Ende Mai zusammenarbeitete, wobei es uns gelang, die Zusammenhänge aufzuklären und die Schuldigen namhaft zu machen. Doch dann kamen Anfang Juni die Engländer als Besatzungsmacht ins Bergische Land. Ihnen übergaben die Amerikaner alle Untersuchungsergebnisse und mich als Informanten. Es zeigte sich aber bald, dass die Engländer und ihr Geheimdienst kein besonderes Interesse an einer Strafverfolgung der Täter hatten. Der kalte Krieg kündigte sich schon an...“ Im Kalten Krieg blieben Nazis zumeist ungeschoren, Antifaschisten hingegen hatten das
Nachsehen.
Karl Bennert hat die Zeit nach seiner kurzen Polizistenkarriere als „Mann der ersten Stunde“, als Kommunalpolitiker der KPD erlebt, wurde dann Kaufmann und Vertreter für Solinger Stahlwaren. Die Besatzungsmächte, mit denen er kurz zusammenarbeitete, hatten schon bald gemeinsam mit deutschen Politikern dafür gesorgt, dass Nazis wieder in hohe Ämter zurückkehrten, Richter, Generäle, Minister wurden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Mörder der am Wenzelnberg Bestatteten später wieder Polizeibeamte wurden. Bestraft für ihre Morde wurden sie jedenfalls nicht. Viele ihrer Mordkumpane erhielten ihre Bezüge und Ämter zurück. Und das ging bis ganz nach oben.
Bennert jedoch, der Informationsmaterial für die „kommunistische Friedensbewegung“ - so die Lokalpresse im Jahre 1961 - beschafft haben sollte, wurde zur gleichen Zeit für seine Arbeit für den Frieden und gegen das KPD-Verbotsurteil vom Düsseldorfer Landgericht zu neun Monaten Gefängnis verurteilt und lange Zeit in Untersuchungshaft gehalten. Eine Solinger Tageszeitung berichtete am 30. September 1961 über den Prozeß im üblen rechtsextremen Stil: Bennert sei ein „Handlanger roten Terrors“ gewesen. Er sei bezeichnenderweise „bereits im Jahre 1934 wegen Staatsgefährdung für 19 Monate hinter Schloß und Riegel gesetzt“ worden. Auch das Gericht bezog sich ausdrücklich auf Bennerts antifaschistischen Widerstandskampf. Ja, die Haft als Widerstandskämpfer gegen die Nazis – und Karl Bennert war einer von ihnen – wurde oft als Vorstrafe und Belastung gewertet. Es gab politische Prozesse gegen die „Unbelehrbaren“ und Linken, während unbelehrbare Nazis und Antisemiten wie Hans Globke hohe Staatsämter erklommen.
Als „enttäuschten und zornigen alten Mann“ sah sich Karl Bennert später. In anderen Ländern wurde Menschen, die so mutig wie er handelten, die Ehrenbürgerschaft angetragen. In diesem Land war es schon viel, wenn Zeitzeugen überhaupt einmal zu Wort kamen. Davon gibt es immer weniger. Und deshalb wollte ich meine Rede nutzen, um Menschen wie Karl Bennert als ein Beispiel derer zu benennen, die schon 1933 den Widerstand wagten und nach 1945 das Richtige taten, und das lautet – und so steht es in jenem großen Dokument des Widerstandes, im Schwur von Buchenwald, ebenfalls: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.“
Diese Wurzeln sind noch da. Sie werden in jedem Überfall auf Ausländer sichtbar, in Intoleranz und Antisemitismus vieler Mitbürger, in jeder geduldeten Zusammenrottung und jedem Aufmarsch von Neonazis. Sie werden sichtbar, wenn unser Grundgesetz gebrochen wird, wenn die Wirtschaft wieder die politische Allmacht erringt, wenn gegen das Verbot der Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen verstoßen wird. Wenn das missachtet wird, was die Menschen nach 1945 vereinte:
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.
Es hat mich sehr erschreckt, als angesichts des zunehmenden Antisemitismus in den „seriösen“ Kreisen und angesichts des dreisten Versuchs der Nazis, gegen einen Synagogenbau zu demonstrieren, der Landesrabbiner Dr. Brandt äußerte, „es geht nicht mehr um ‚Wehret den Anfängen’, sondern um ‚Wehret dem Durchbruch’.“ Gegen diesen Durchbruch wollen wir handeln.
Karl Bennert dachte nicht an sich, sondern an seine ermordeten Kameraden. Er trug hier am Schluß seiner Rede 1995 ein eigenes Gedicht vor, in dem er die hier Begrabenen sagen lässt – und auch ich möchte damit schließen:
„Keine Müh’ sei Euch teuer,
seid wachsam ohnegleichen.
Niemals dürft Ihr
uns vergessen.“
Eine Erinnerung an Kaplan Dr. Joseph Cornelius Rossaint,
Rede von Dirk Krüger: Zu Beginn möchte ich mich bei der Stadt Wuppertal, namentlich beim Oberbürgermeister, Herrn Dr. Kremendahl, und bei der VVN/BdA als den Ausrichtern der Gedenkveranstaltung dafür bedanken, dass mir Gelegenheit gegeben wird, hier an dieser Stelle etwas zu einem Menschen zu sagen, dessen Schicksal eng mit den Ereignissen verknüpft ist, deretwegen wir uns alljährlich hier und heute erneut versammelt haben. Am 14. April 1946 notiert ein Mann in seinem Tagebuch: „Heute, ich konnte fast das Weinen nicht mehr zurückhalten, als ich in den Sandbergen stand und an die Erschossenen dachte, den Regierungsrat begrüßte und jemand erzählen hörte, man habe noch einige Mützen und Lederpantinen in dem Sand gefunden.“ Dieser Mann, der das seinem Tagebuch anvertraut, ist Kaplan Dr. Joseph Cornelius Rossaint. Einen Tag zuvor, am 13. April 1946, hatte er hier an dieser Stelle gestanden, genau ein Jahr nachdem sich die grausamen Ereignisse in dieser Schlucht abgespielt hatten, und hielt - von Emotionen ergriffen - die Gedenkrede. Wer war dieser Mann? Was verband ihn mit den Ereignissen? Am 5. August 1902 geboren, wurde durch den Ersten Weltkrieg das bis dahin weitgehend unbeschwerte Leben der Rossaints zerstört. Es gelang ihm dennoch, kurz vor Weihnachten 1920 das Abitur abzulegen und 1921 ein Studium in den Fächern Philosophie und Theologie an der Uni Bonn zu beginnen. 1926 verlieh ihm die Uni Bonn den Doktortitel. Zu diesem Zeitpunkt stand sein Entschluss bereits fest, katholischer Priester zu werden. Die Weihe fand am 26. Juni 1927 im Kölner Dom statt. Kurz darauf arbeitete er als Kaplan an der Pfarrei St. Marien in Oberhausen. Fünf Jahre war er dort tätig. Absolute Schwerpunkte seiner Arbeit wurden die Tätigkeit unter, für und mit der Jugend und publizistische Arbeiten. So organisierte er im April und Mai 1931 die Aktion „Die Katholische Jugend gegen Nationalsozialismus“ und im Februar 1932 parallel zur Genfer Weltabrüstungskonferenz eine Antikriegskundgebung. Im Juli 1932 wurde er von der Kirchleitung aus Oberhausen abberufen und nach Düsseldorf versetzt. Hier setzte er seine Tätigkeit unbeirrt fort obgleich sich durch den Machtantritt Hitlers am 30. Januar 1933 die Situation völlig verändert hatte. Aus Protest gegen die Zustimmung der Zentrumspartei zu dem Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 erklärte Rossaint seinen Austritt. Sehr enttäuscht äußerte er sich auch immer wieder über die Haltung der Bischöfe zum NS-Staat. Eine ganz andere Haltung nahm dagegen der Friedensbund Deutscher Katholiken ein, in dem Rossaint eine herausragende Rolle spielte. So organisierte er zusammen mit Karl Kremer am 2. April 1933 im Düsseldorfer St. Anna-Kloster eine Zusammenkunft von ca. 100 Anhängern des Friedensbundes. Im Zentrum stand die Diskussion über Aufgaben und Grundlagen heutiger Friedenspolitik. Die Versammlung verurteilte einmütig und scharf den Boykott gegen die Juden, der am 1. April 1933 die Weltöffentlichkeit aufschreckte. (Es war auch der Tag an dem in Wuppertal bereits die ersten Bücher brannten.) Viele ähnliche Aktivitäten könnten aufgezählt werden. Sie alle trugen die unverkennbare Handschrift Rossaints. Die NSDAP und ihr angeschlossene Organisationen verfolgten diese Aktivitäten mit wachsender Unzufriedenheit. Im Einsatz für die Erhaltung des Friedens sah Dr. Rossaint eine (seine) Hauptaufgabe des Widerstands. Für dieses Ziel war er bereit, mit allen Gegnern des Hitlerfaschismus zusammenzuarbeiten. Dies schloss Kontakte zu und die Zusammenarbeit mit Kommunisten ein. Und das wurde ihm zum Verhängnis. Die Gestapo wusste lange Zeit nichts über die Verbindungen von Rossaint zum kommunistischen Widerstand. Die 1934 verhafteten Jungkommunisten hatten darüber keine Angaben gemacht. Dennoch wurde er observiert, Hausdurchsuchungen, Verhöre, Demütigungen und Folter waren ständige Begleiter in dieser Zeit.
Rede und Lesung aus Briefen, Tagebüchern und Dokumenten basieren auf den
Büchern:
Karl Heinz Jahnke / Alexander Rossaint: Dr. Joseph Cornelius Rossaint
(1902-1991). Aus seinem Leben und Werk. Frankfurt am Main 1997
und
Karl Heinz Jahnke / Alexander Rossaint: Hauptangeklagter im Berliner
Katholikenprozeß 1937: Kaplan Dr. Joseph Cornelius Rossaint. Frankfurt am
Main 2002
Beide Bücher sind zu beziehen über: Neue Impulse Verlag, Hoffnungstraße 18,
45127 Essen, Tel.: 0201-248 648 2 |
Erst im Zusammenhang mit der Festnahme katholischer Jugendführer Anfang 1936 erfuhr sie von diesen Verbindungen und nutzte das zunächst zielgerichtet zur Zerstörung der bis dahin noch legalen katholischen Jugendbewegung. Rossaint, wurde daraufhin am 29. Januar 1936 von der Gestapo verhaftet - unmittelbar nach der Heiligen Messe. Am 7. April 1937 wurde das Verfahren gegen ihn vor dem Volksgerichtshof eröffnet. Der „Völkische Beobachter“ titelte „Katholisch-kommunistische Einheitsfront aufgedeckt.“ Ähnliche Artikel finden sich in fast allen Zeitungen der gleichgeschalteten Presse. Am 28. April wurde die Urteile gesprochen. Für Rossaint lautete es 11 Jahr Zuchthaus, für Franz Steber 5 Jahre, für Hermann Jülich 2 Jahre und für Karl Kremer 1 Jahr und sechs Monate. Joseph Goebbels notierte am gleichen Tag in seinem Tagebuch: „Rossaint bekommt 11 Jahre Zuchthaus. Damit ist dieses Kapitel abgeschlossen. Eine schwere Niederlage der Kirche.“ Alexander Roissant, ein Neffe Rossaint wirft in seiner Darstellung auch die Frage auf: „Wie verhielt sich die katholische Kirche nach dem Urteilsspruch vom 28. April 1937 zu Kaplan Dr. Joseph Roissant?“, um darauf die folgende Antwort zu geben: „Roissant wurde von der Kirchenführung alleingelassen. Niemand aus der Hierarchie des Erzbistums Köln setzte sich für ihn ein. Im Gegenteil, sein Verhalten wurde abgelehnt und verurteilt.“ Diese Haltung - und das füge ich hinzu - hat sich auch nach 1945 nicht geändert. Hinzuweisen ist aber auch auf das beträchtliche Aufsehen, das diese Vorgänge im Ausland hervorgerufen haben, auf die zahlreichen publizistischen Hinweise und Solidaritätsbekundungen in vielen Ländern. Fast acht Jahre, vom 26. Mai 1937 bis zum 19. April 1945, war Dr. Joseph Rossaint im Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen inhaftiert. Es ist von Außenstehenden schwer zu ermessen, was es für einen Menschen bedeutete, zwischen dem 34. und 42. Lebensjahr unter derartigen Bedingungen zu leben... Seine Tagebuchaufzeichnungen sprechen eine deutliche Sprache. Daraus werde ich noch einige Stellen zitieren. Wir alle, die wir Jahr für Jahr an der Gedenkveranstaltung teilnehmen, kennen aus den Redebeiträgen das mutige und humanistische Verhalten des Leiters des Zuchthauses Lüttrighausen, Dr. Engelhardt. Er war es, der Gefangene nach dem Auftauchen von Beauftragten der Gestapo-Außenstelle Wuppertal am 10. April, auf unterschiedlichste Art zu retten versuchte. Eine seiner Maßnahmen bestand darin, Gefangene im weitläufigen und unübersichtlichen Gefängnisgebäude zu verstecken. Dazu gehörte auch Rossaint. Dr. Engelhardt nahm seinen Namen nicht in die Liste der Abzutransportierenden auf. Oberwachtmeister August Schmitz, der schon vorher den Gefangenen mehrfach geholfen hatte, versteckte Rossaint im Brotschneideraum... Am 19. April konnte er so mit anderen Überlebenden das Gefängnis verlassen.
Die Zeit nach 1945 Es ist unmöglich an dieser Stelle alle seine Verdienste und Aktivitäten nach 1945 aufzuzählen oder gar darzustellen. Hier nur einige Splitter: Er wurde Vorsitzender des Bundes Christlicher Sozialisten, Präsident der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, er unterhielt engste Kontakte zum Weltkirchenratspräsidenten Dr. Martin Niemöller, er entwickelte eine ungemein reichhaltige publizistische Tätigkeit, hielt Vorträge auf unzählichen Kongressen und anderen Veranstaltungen im In- und Ausland, war Vize-Präsident der
FIR. Zahlreich sind auch die Publikationen über ihn. Auf eine möchte ich besonders hinweisen: Es ist ein Brief des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1966. Gerichtet ist er an Herr Oberstadtdirektor der Landeshauptstadt Düsseldorf. Darin ist u.a. zu lesen: „Betr.: Dr. Josef Rossaint, Düsseldorf, Parkstr. 47...Seit der letzten hiesigen Stellungnahme zur Frage der Paßversagung für Dr. Rossaint vom 15.12.1961 sind folgende bemerkenswerte und beweisbare einschlägige Erkenntnisse über Dr. R. angefallen:...“ Es folgt eine angsterfüllende exakte Auflistung von über 30! Aktivitäten an denen Rossaint beteilgt war. Eine möchte ich hier zitieren, weil sie auch die heutige Gedenkveranstaltung betrifft. Unter dem Punkt „Nachstend werden hierzu folgende Einzelerkenntnisse aufgeführt“ heißt es u.a.: „Dr. R. sprach auf einer vom DGB-Kreisausschuß Rhein-Wupper-Leverkusen veranstalteten Feier am 2.5.1965 zum Gedenken an die NS-Opfer von Wenzelnberg bei Leichlingen. Seine Ausführungen waren derart, daß der Oberbürgermeister der Stadt Leverkusen Dopatka (damals noch SPD-MdB) und andere Gäste unter Protest die Feierstunde verließen, weil sie Dr. Rossaints Worte als Beleidigung der Bundesrepublik empfanden (s. beigefügte Ausschnittsablichtung aus ‘Rheinische Post’, Solingen, vom 3.5.1965).“ Dazu passt eine Tagebuchnotiz Roissants vom 13. April 1958, dem 13. Jahrestag der Morde in der der Wenzelnbergschlucht. Er notiert: „Man darf in der Bundesrepublik alles gewesen sein, erst recht aktiver Nationalsozialist, Richter, Staatsanwalt im typischen Sinn des Hitlersystems, man erhält eine besondere Stellung, man kann Minister werden, wie es fast dutzendfach der Fall ist, aber man darf kein Gegener des Nationalsozialismus gewesen sein, dann sind alle Stellen verschlossen.“ Diese Bemerkungen im Tagebuch lenken unseren Blick auf die Tatsache, dass die Zeit nach 1945 auch viele bittere Erlebnisse und Erkenntnisse für Dr. Roissant - aber nicht nur für ihn - mit sich gebracht haben. Darüber sollten wir häufiger und offen nachdenken und sprechen, denn das gehört auch zu unserer Geschichte und damit auch zu den Morde in der Wenzelnbergschlucht. Am 1. September 1989, dem traditionellen Antikriegstag, wurde Roissant mit dem Aachener Friedenspreis geehrt, mit dem gleichen Preis also, der im vorigen Jahr dem Papst zuteil wurde. Zuvor, am 9. Januar 1982, hatte er bereits das Bundesverdienstkreuz, 1987 den Ehrenring der Stadt Oberhausen und die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität zu Berlin erhalten.
Im Alter von 88 Jahren ist Dr. Joseph Cornelius Rossaint am 16. April 1991 in Bad Neuenahr verstorben.
Zum Schluss möchte ich noch einige Zitate aus seinen Briefen, Lebenserinnerungen und Tagebüchern vortragen. (Es folgen Auszüge aus seinen Briefen und Tagebüchern.) Das letzte Wort möchte ich dem evangelischen Glaubensbruder Roissants, Martin Niemöller, dessen Schicksal ja auch eng mit der Geschichte unserer Stadt Wuppertal und dem Widerstand gegen den Faschismus verknüpft ist, überlassen. 1965 auf einer Festveranstaltung zum 20. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg sagte er mit Blick auf Dr. Rossaint, aber auch mit Blick auf uns: „Wir wissen aber auch, daß wir, die wir die Verfolgung im Dritten Reich gemeinsam zu ertragen und zu erdulden hatten, eine gemeinsame Aufgabe übernommen haben, die uns auch mit all jenen verbindet, die in anderen Ländern sich zum Kampf genötigt sahen: daß wir nämlich denen, die nach uns gekommen sind, unsere Erfahrungen als Warnung und Mahnung auf ihrem Weg mitgeben und daß wir den Frieden, das friedliche Beieinander, Miteinander und Füreinander, als die oberste und unentbehrliche Vorbedingung für jegliche Zukunft des Menschengeschlechts auf unserer Erde, schaffen, erhalten und festigen müssen. So wollen und müssen wir’s bezeugen, daß wir die Schule des Leidens nicht umsonst durchlaufen haben.“
6. April 2003 Gedenkfeier Wenzelnberg
Redebeitrag Josef Angenfort, Landessprecher der VVN-BdA NRW
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