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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

23.09.2014

NSU: „Es gab doch kein Bekennerschreiben“

Rechtfertigungsstrategien der Ermittlungsbehörden für das Versagen

Im Rahmen des Birlikte Festivals am 8.6.2014 in der Kölner Keupstraße hielten sechs Nebenklagevertreter Vorträge zu einzelnen Aspekten des Verfahrens. Hier drucken wir den Vortrag von Rechtsanwalt Reinecke ab. Der Vortrag war weitgehend frei gehalten worden und wurde für die Veröffentlichung überarbeitet.

„Es gab doch keinen Bekennerschreiben“ Das ist eigentlich die häufigste Erklärung wenn es um die Frage geht, warum nicht gegen Rechtsradikale ermittelt wurde. Ich will dieses Argument etwas abklopfen und auch die Gedanken die dahinter stecken.

Otto Schilys „Dienstanweisung“

Der Bombenanschlag hier in der Keupstraße war kurz vor 16:00 Uhr. Es gab um 17:04 Uhr eine erste Meldung des Lagezentrums der Polizei. Die lautete wie folgt:

„Betrifft terroristische Gewaltkriminalität. Hier Anschlag auf zwei Geschäfte in Köln Mülheim.“ Es heißt dann u. a. weiter „Ich teile folgenden Sachverhalt mit: bei der Explosion von zwei Geschäften auf der Keupstraße, das heißt in Köln Mülheim wurden zehn bis fünfzehn Personen verletzt. Davon einige schwer. Da es im Umkreis Zimmermannsnägel gefunden wurden geht man von einem Anschlag aus.“

Das war die erste, die spontane und auch richtige Reaktion. Zu diesem Zeitpunkt gab es eben die Bombe und es gab Zimmermannsnägel. Sie müssen sich diese Bombe so vorstellen: Ein Fünfliter-Gasbehälter mit Schwarzpulver gefüllt und dann achthundert Zimmermannsnägel, jeweils ca 10 cm lang nicht im Behälter drin sondern sehr sorgfältig außen drum mit Klebeband Schicht für Schicht befestigt. Da kann man schon allein von der Konstruktion der Bombe davon ausgehen, dass das nicht jemand war, der irgendeine konkrete Person umbringen wollte. Es dauerte allerdings keine halbe Stunde, bis es eine weitere Meldung aus demselben Lagezentrum gab. In der es hieß es:

„Die in Bezug genannte Lagemeldung wird korrigiert. Bisher liegen keine Hinweise auf terroris­tische Gewaltkriminalität vor. Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich um einen Anschlag unter Verwendung von USBV (unkonventionelle Sprengvorrichtung) bei dem ein Personen- und Sachschaden entstand. Es wird nach berichtet.“

Mittlerweile hat es natürlich in den Untersuchungsausschüssen von Bund und Ländern immer wieder den Versuch gegeben aufzuklären, wie es innerhalb einer halben Stunde zunächst zu einer Meldung kommt „terroristische Gewaltkriminalität“ und eine halbe Stunde später wird das zurückgenommen. Wie nicht anders zu erwarten, hat der verantwortliche Herrn Behrens (damaliger Innenminister in NRW) gesagt, er sei dafür politisch verantwortlich aber veranlasst habe er es nicht. Wer es eigentlich veranlasst hat, weiß man bis heute nicht und das ist das ist ein grundsätzliches Problem, das wir im NSU-Prozess haben: Es gibt jede Menge Entschuldigungen vor allem von Leuten, die damals nicht in der Verantwortung standen. Diejenigen, die damals ermittelt haben und die damals in der Verantwortung standen, sind im Grunde genommen bis heute verstockt, wenn wir z.B. im Prozess hören: „Was soll denn ihre Frage, natürlich gibt es eine türkische Mafia“. So z.B. der Leiter der Mordkommission München zu der Frage, warum er in diese Richtung ermittelt hatte und nicht ins rechtsradikale Milieu. Auch heute wird von den damals Verantwortlichen keine Verantwortung übernommen.

Die wesentliche Weichenstellung für das Verfahren erfolgte dann am Folgetag, am 10.06. in der Tagesschau (im Film bei Sekunde 35). Der damalige Bundesinnenminister Schily erklärte (Es lohnt sich, dies noch einmal im Orginal anzusehen. Es sind nicht nur die Worte sondern auch der überhebliche Gestus, der bemerkenswert ist, und Widerspruch von vornherein nicht duldet)

„Die Erkenntnisse die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund sondern auf ein kriminelles Milieu. Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, sodass sich eine abschließende Beurteilung dieses Ereignisses nicht vornehmen kann.“

Aus den Akten ergab sich zu diesem Zeitpunkt nichts für ein kriminelles Milieu. Schily ist natürlich auch im Untersuchungsausschuss befragt worden und er hat, wie es im Untersuchungsausschuss möglich ist, eine eigene persönliche Erklärung abgegeben. (Bei dem Link muss dann die 60. Sitzung aufgeufen werden.)  Aber nicht zu diesem Punkt. Er konnte natürlich auch nicht erklären wie er dazu gekommen ist. Er hätte von irgendwelchen Lagezentren irgendwelche Berichte vorliegen gehabt und denen hätte er das irgendwie entnommen, genaueres konnte er nicht erinnern. Er hat aber in seinem einführenden Statement im Untersuchungsausschuss unter anderem folgendes gesagt. :

„Der absolute Misserfolg unserer Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen berührt mich in besonderer Weise in mehrfacher Hinsicht. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus insbesondere Gewalt bereitende gewalttätige Rechtsextremismus war eine der wichtigsten innenpolitischen Aufgaben im Regierungsprogramm und auch das darf ich sagen, mein vorrangiges persönliches Anliegen. Es gibt dafür auch eine Reihe von Beispielen in denen das zum Ausdruck gebracht worden ist. Ich erinnere daran, dass wir das Bündnis für Demokratie und gegen Gewalt und Extremismus gegründet haben, dass wir eine Aussteigeinitiative beim Bundeskriminalamt in Werk gehabt gesetzt haben und vieles Andere.“

Otto Schily als Wiederholungstäter

Diese mehr oder weniger warmen Worte sind vielfach dahin verstanden worden, als habe Schily die politische Verantwortung übernommen. Man kann daran sehen, wie unverbindlich und folgenlos eine solche Übernahme ist. Eine wirkliche Einsicht fehlte bei Schily. Man muss diese Äusserungen mit seinen Taten und zwar nicht nur die im Zusammenhang mit der Keupstraße sondern auch vorher konfrontieren. Es gibt einen sehr interessanten Bericht im Fernsehmagazin Panorama vom 07.06.2002,also zwei Jahre vor dem Anschlag unter dem Thema „Tricksen und Lügen – Politiker vertuschen das Ausmaß rechtsradikaler Gewalt“. Hier  einige Auszüge:

„Und eins mag Otto Schily besonders gern: Erfolgsmeldungen, und zwar die eigenen.

0-Ton Otto Schily: (Bundesinnenminister, 24.5.2002) “Wir können zunächst einen erfreulichen Sachverhalt feststellen, dass sich im Verlauf des Jahres, des vergangenen Jahres, die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten verringert hat.”

Kommentar: Und mehr noch: Schilys Bericht steckt voller Überraschungen, enthält sogar eine echte Sensation: In Mecklenburg-Vorpommern, jahrelang berüchtigt für braunen Terror, wurde das Problem scheinbar ganz beseitigt. Schily vermerkt für 2001: keine einzige rechtsextremis­tische Gewalttat.

Dieses Opfer aus Mecklenburg also hat es nie gegeben, jedenfalls für Schilys Statistik. Der Grieche Joannis Kalionikidis wurde im September 2001 überfallen, von Nazis. ………

Kommentar: Die Berliner Bürokraten aber bleiben ungerührt. Und Schily beharrt darauf: Keine rechtsex­treme Gewalttat in Mecklenburg-Vorpommern, auch auf Nachfrage.

O-Ton Interviewer: “Halten Sie das für glaubwürdig, dass also plötzlich keine einzige rechtsextreme Gewalttat in Mecklenburg-Vorpommern…..”

Otto Schily: (Bundesinnenminister, 24.5.2002) “Entschuldigung, es kann ja sein. Wenn es so ist, dann kann es uns doch nur freuen.”

Interviewerin: “Vielleicht sollte man aber auch dort noch mal nachfragen.”

Otto Schily: “Ja, eben, fragen Sie Herrn Timm, der steht Ihnen sicher zur Verfügung.”

Kommentar: Und wir haben ihn gefragt.

O-Ton Interviewer: “Nun ist es so, dass in dem Verfassungsschutzbericht des Bundes die Zahl Null ist – wie ist das denn zu erklären?”

Gottfried Timm: (Innenminister Mecklenburg-Vorpommern) “Nein, ich hab‘ mir die Statistik des Bundes angesehen, nachdem sie veröffentlicht wurde und nicht etwa davor, weil vorher hatten wir sie nicht, und daneben die Statistik meines Bundeslandes gelegt und festgestellt: Bei uns sind es vierzig, beim Bund sind es null. Das ist das Problem.”

Kommentar:

Ein schwieriges Problem, denn – wie gesagt – Mecklenburg-Vorpommern hat in seinem eigenen Verfassungsschutzbericht vierzig Taten aufgelistet und diese auch an den Bund gemeldet. Schily allerdings macht daraus ungeniert eine glatte Nullnummer. Schwer verständlich.

O-Ton Gottfried Timm: “Ich hab‘ gesagt, wir haben vierzig.”

Das erinnert nun fatal an den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit durch statistische Tricks. Mit seiner Erklärung in der Tagesschau hat der damalige Bundesinnenminister letztlich die Dienstanweisung gegeben: „Es darf sich nicht um einen rechtsradikalen Anschlag handeln“.

Die gezielte Vernachlässigung aller Spuren nach rechts

In der Aufarbeitung der Keupstraßenanschlages im Bundestagsuntersuchungsausschuss hat der zuständige Oberstaatsanwalt Wolf (Sitzung 22a) sich immer wieder darauf zurückgezogen hat, es hätte ja kein Bekennerschreiben gegeben und deshalb hätte man nicht von einem rechtsradikalen Hintergrund ausgehen können. Da stellt sich natürlich zunächst einmal die Frage, wieso geht die Polizei davon aus, dass zu einem rechtsterroristischen Anschlag ein Bekennerschreiben gehört? Das Gegenteil trifft zu. Dem Untersuchungsausschuss lag u. a. eine Auswertung des Bundesamtes für Verfassungsschutz – entstanden einen Monat nach dem Anschlag in der Keupstraße – also aus Juli 2004 vor . Ich zitiere die Frage, die Frau Petra Pau an den Leiter der hiesigen Ermittlungskommission Keupstraße Herrn Markus Weber gerichtet hat.

Petra Pau (DIE LINKE): In diesem Papier wird darauf hingewiesen, dass vor allem Nagelbomben von der englischen neonazistischen Organisation „Combat 18“ benutzt wurden und dass von dieser Organisation auch Anleitungen zum Bau solcher Bomben publiziert wurden. Da das Bundesamt für Verfassungsschutz einen rechtsextremen Hintergrund für die Tat in der Keupstraße nicht ausschließen konnte und der Bombenanschlag in der Keupstraße eben an das Vorgehen von „Combat 18“ erinnerte, suchte man auch nach Hinweisen auf Sympathisanten dieser Organisation in der Datei und fand tatsächlich 13 Nutzer der Homepage von „Combat 18“ im Großraum Köln. ……

Zeuge Markus Weber: Nein, kann ich mich – - Diese Informationen so zu bekommen – - Daran kann ich mich nicht erinnern, dass wir die so bekommen haben.

Petra Pau (DIE LINKE): Hat das Thema Rechtsextremismus da eine Rolle gespielt. Ich meine, wenn das Bundesamt solche handfesten Hinweise hat?

Zeuge Markus Weber: Es hat insofern keine Rolle gespielt, als da keine Informationen bezüglich Rechtsextremisten geliefert wurden oder thematisiert wurden, die zu weiteren Ermittlungen geführt hätten; nein.

Soweit im Bundestagsuntersuchungsausschuss. D. h. der Herr Weber hat dort schlicht geleugnet, den Zusammenhang, den das Bundesamt für Verfassungsschutz zumindest im Ansatz zutreffend analysiert hat, gekannt zu haben. „Combat 18“ und die Nagelbombenanschlägen in England kannte er nicht.

Die Spur 260

Jetzt bin ich im März dieses Jahres in Meckenheim gewesen und habe die sogenannten Spurenakten ausgewertet. Dabei habe ich festgestellt, dass die größte Arbeit der Sonderkommission darin bestand, beim Einwohnermeldeamt die Daten und Anschriften von Männern zwischen 25 und 35 auszuwerten, die im Umkreis von 10 – 12 (Fuss-)minuten um den Tatort wohnten. Das beruhte auf der Hypothese des BKA, dass die Täter Fahrrädern geschoben hatten und deshalb zirka zehn bis zwölf Minuten im Umkreis des Tatortes wohnen müssten.

Ich bin dann allerdings auf die Spur 260 gestoßen. Der als Spur 260 bezeichnete Aktenteil enthält einen Hinweis von UK-CTLO – das ist New Scotland Yard – an das BKA. Dieser wurde vom BKA weitergeleitet und beim Polizeipräsidium Köln am 29.09.2004 bearbeitet. Übersandt wurde ein mehr als 70 Seiten starkes Dossier, das sich mit Herrn David Copeland befasste, der im April 1999 drei Nagelbombenanschläge in London verübte und der sich im Vorfeld und im Randbereich rechtsextremistischer Gruppen bewegt hat insbesondere im Umfeld von Combat 18. Diese Spur wurde von der Polizei Köln dahingehend überprüft, dass nach Mitteilung von Scotland Yard David Copeland Einzeltäter gewesen sei und im Juni 2004 in Haft gesessen hatte, sodass eine Täterschaft von ihm nicht in Betracht kam. Damit wurde diese Spur zu den Akten genommen und geschlossen. Dass Herr Copeland als Täter nicht in Betracht kam, konnte sich eigentlich auch Scotland Yard denken, als es dieses 70 Seitige Dossier an das BKA übersandte.

David Copeland verübte im April 1999 drei Nagelbombenanschläge in London. Anschlagsziele waren Schwarze, Homosexuelle Inder und Juden. Die Attentate sind in verschiedenen Londoner Stadtteilen verübt worden. Es gab drei Todesopfer und etwa 160 zum Teil schwer Verletzte. Verwendet wurde eine Nagelbombe einfacher Bauart mit Schwarzpulver aus Feuerwerkskörpern und ein mit etwa 1500 größeren Nägeln befülltes Metallrohr (die Pläne für die Bombe entstammten einer rechten Untergrundpublikation). Bei seiner Verhaftung in seiner Wohnung finden die Ermittler Naziutensilien, Hakenkreuz, Neonazipropagandamaterial und eine Sammlung von Zeitungsaus­schnitten zu den Attentaten. David Copeland hatte allerdings auch kein Bekennerschreiben versandt. Er gestand seine Alleintäterschaft. All diese Informationen hat die Polizei Köln über das BKA von Scotland Yard bekommen und hatte nichts anderes zu tun als zu sagen „David Copeland ist nicht der Täter, also ist die Spur irrelevant“.

Die offensichtliche Seelenverwandtschaft, d. h. dass wir es hier mit jemanden zu tun haben, der aus Fremdenfeindlichkeit aus Hass gegen Schwarze und Homosexuelle diese Nagelbomben zündet wurde schlicht nicht gesehen, weil es nicht gesehen werden sollte/wollte. Spätestens nach diesem Hinweis hätte jedem klar sein müssen, dass rechtsradikale Anschläge sich nicht durch Bekenner­schreiben outen. Selbst wenn Herr Weber – wie er im Untersuchungsausschuss des Bundes erklärt hat – die Auswertung des Bundesamt für Verfassungsschutz nicht kannte, hätte er auf demselben Stand mit dieser Spurenakte kommen können. Diese Spurenakte wurde aber bewusst abgelegt und nicht weiterverfolgt. Ich habe jetzt im Prozess einen Antrag gestellt, diese Spurenakte beizuziehen. Der Generalbundesanwalt ist weiter der Meinung, dass sich diese Akte zu Recht bei den Spurenakten befindet und damit für uns nicht in kopierter Form zur Verfügung steht d. h. wir können nach Meckenheim fahren, können das uns dort Notizen machen. Wir dürfen sie (bisher) nicht kopieren, nicht fotografieren.

Die Leugnung der Zusammenhänge zwischen dem Mordfall Yasar (Nürnberg) und dem Anschlag in der Keupstrasse

Entgegen der im Prozess immer wieder von Polizeibeamten aufgestellten Behauptung wurde eben nicht in alle Richtungen ermittelt. Es wurde zumindest ganz bewusst nicht in die rechtsex­tremistische Ecke ermittelt. Ich will das vielleicht auch noch anhand eines rein kriminalistischen Beispiels deutlich machen. Es gab sehr klare Hinweise von einer Zeugin aus Nürnberg die 2005 gesagt hat „Die Täter, die ich hier auf dem Video von der Keupstraße gesehen habe, das sind dieselben die ich in Nürnberg am Tatort Yasar mit dem Fahrrad gesehen habe“ Und dann ist die Zeugin solange vernommen worden, bis sie sagte „So 100%ig sicher bin ich mir auch nicht.“ Damit war diese Spur für die Polizei erledigt. Man konnte im Stadtanzeiger im November 2011 lesen, dass ein Redakteur im Jahre 2006 beim recherchieren die Ähnlichkeit des Phantombildes aus Nürnberg und des Phantombildes aus Köln erkannt hat. Er hat bei der Polizei Köln angerufen und gefragt, was ist denn da und dann gab die Polizei die Auskunft „Haben wir alles abgecheckt. Hat nichts miteinander zu tun.“ Dazu finden wir heute nichts in der Akte. Es gibt einen einzigen Vermerk von der damaligen Sonderkommission in Nürnberg wo sinngemäss sagen „wir haben mit den Kölner Kollegen gesprochen. Haben mal überlegt, ob das so sein könnte und da aber die Tatausführungen unterschiedlich waren, (einmal Pistole, einmal Bombe) sind wir zum Ergebnis gekommen, dass es nicht derselbe Täter sein kann“. Rein kriminalistisch muss man sagen „Okay, dass man mit so einer Zeugin allein, die die Täter gesehen hat, niemanden verurteilen kann, dass ist völlig klar“. Aber man kann erwarten, dass die Polizei eine Arbeitshypothese macht (wo alle anderen Hypothesen ohnehin ohne jede Bestätigung geblieben waren), was ergibt sich für das Täterprofil, wenn wir davon ausgehen, dass der Bombenanschlag in Köln und der Mordanschlag in Nürnberg Yasar von ein und denselben Personen verübt worden sind. Da Yasar aber schon der sechste Mordfall der Ceska Serie war, wäre es also um ein Täterprofil für Morde an Migranten und einem Bombenanschlag auf eine von Migranten bewohnte Strasse gegangen. Viele Möglichkeiten blieben da nicht. Selbst auf dieser rein kriminalistischen Ebene wurde also möglichen Hypothesen nicht nachgegangen, vielleicht nicht einmal obwohl sondern weil das Ergebnis ganz eindeutig gewesen wäre. Zusammengefasst: Es gab genügend Hinweise und sie sollten und sie wollten nicht gesehen werden.

Gab es wirklich kein Bekennerschreiben?

Das Argument „Es gab ja kein Bekennerschreiben“ ist so noch nicht einmal richtig. Es trifft zu, dass es zum Anschlag in der Keupstraße keinen Bekennerschreiben gab, zumindest nicht bevor das Paulchen-Panter-Video nach dem 04.11. 2011 verbreitet worden ist. Es trifft aber nicht zu, dass es keine allgemeine Bekennung des NSU gegeben hätte. Bereits im Jahre 2002 ist in mindestens zwei rechtsradikalen kleinen Fanzises – kleine Heftchen die mit Auflage von 500 bis 1000 – ein Manifest des NSU verbreitet worden. Ich will es zitieren, weil das auch der Verfassungsschutz gelesen hat. Da heißt es:

„Die Aufgaben des NSU bestehen in der energischen Bekämpfung der Feinde des Deutschen Volkes und der bestmöglichen Unterstützung von Kameraden und nationalen Organisationen. Solange sich keine grundlegenden Änderungen in Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weiter geführt. Getreu dem Motto: „Sieg oder Tod“ wird es kein zurück geben. Entschlossenes bedingungsloses Handeln soll der Garant dafür sein, dass der morgige Tat dem deutschen Volke gehört. Jeder Kamerad ist gefragt, auch du!!! Gib Dein Bestes – Worte sind genug gewechselt, nur mit Taten kann ihnen Nachdruck verliehen werden. Der NSU ist keine abstrakte Sache. Jeder Kamerad gehört dazu, sofern er den Mut findet zu handeln und seinen Beitrag zu leisten. Wie erfolgreich der nationalsozialistische Untergrund in der Zukunft sein wird, hängt auch von Deinem Verhalten ab. Das Zeichen des NSU symbolisiert die Sympathie und Verbundenheit gegenüber der neuen Bewegung. Es verkörpert jedoch auch die Ablehnung der bestehenden Verhältnisse und die Bereitschaft, dagegen vorzugehen.“

(Das Zeichen des NSU ähnelt einem auf dem Kopf gestellten Zeichen der SA). Wir hatten hier im Jahre 2002 radikale Bekennung zu „Sieg oder Tod“ Zu diesem Zeitpunkt waren bereits erste Mordtaten und auch der Bombenanschlag in der Probsteigasse begangen worden. Der Verfassungsschutz hat diese Veröffentlichung gelesen und als irrelevant behandelt und ist dem auch nicht weiter nachgegangen. Obwohl in der gleichen Ausgabe eben der Herausgeber des Fanzise schreibt „Dank an den NSU. Die 2,500,00 € haben Früchte getragen.“. D. h. es erfolgte sogar in selben Ausgabe ein Hinweis darauf, dass der NSU in der Lage ist, rechten Publikationen Geldmittel zur Verfügung zu stellen und wenn man weiß, dass ein Großteil der rechten Anhängerschaft von Sozialleistungen leben, dann ist 2.500,00 € sehr viel, das nicht unbedingt aus legalen Einkünften stammt. Der Verfassungsschutz könnte natürlich bei seinen vielen Spitzeln in der rechten Szene gedacht haben, dass ist jetzt ein Teil unseres Geldes.

Wenn man ernsthaft davon ausgeht, dass von Leuten gespendet worden ist, die im Untergrund leben, die also eigentlich keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen können, sondern sich auf andere Weise finanzieren, dann müsste das ein zusätzliches Alarmsignal sein. Das aber wie gesagt nichts ausgelöst hat.

Verharmlosung in den Verfassungsschutzberichten

Das geht darauf zurück, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und auch die Verfassungsschutzämter der Länder permanent das Problem des rechtsradikalen Untergrunds unterschätzt haben. Wir finden im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für das Jahr 1998, also Anfang 1998 erschienen, durchaus einen Hinweis. Auf der Seite 24 heißt

„Im Januar stellte die Polizei bei NEO-Nazis in Jena (das ist also Böhnhard, Mundlos, Zschäpe) unter anderem vier funktionsfähige Rohrbomben sicher. Konkrete Anschläge scheint die Gruppe damit nicht beabsichtigt zu haben. Gegen die drei Tatverdächtigen, die seither flüchtig sind, erging Haftbefehl.“

Warum soll jemand, der Rohrbomben plant, keine konkrete Anschläge beabsichtigen? Ich kann mir nicht vorstellen, wofür man Rohrbomben baut, wenn man keine konkreten Anschläge beabsichtigt. D. h. hier wurde von vornherein abgewiegelt, diese Abwiegelei zieht sich dann wiederum durch sämtliche weitere Jahresberichte, 2001 war der Tenor des Bericht „Es kann theoretisch einzelne gewaltbereite Personen in der rechten Szene geben, aber wir kennen niemanden“. Und so spielen sich die Verharmloser die Bälle gegenseitig zu. Ich hatte oben den damaligen  Bundesinnenminister mit seiner Stellungnahme im Untersuchungsausschuss des Bundes zitiert, in der er dann den Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2003 zitiert: „Anhaltspunkte für terroristische Aktivitäten anderer Rechtsextremisten (ausser einem Strafverfahren) lagen im Jahre 2003 nicht vor.“

Der damalige Verantwortliche für den Verfassungsschutz, der Innenminister, leugnet – wie ich am Anfang ausgeführt habe – weitgehend die Existenz rechtsradikaler Gewalt und reduziert sie mit statistischen Tricks. Das Bundesamt für Verfassungsschutz – getreu dieser Linie – schreibt Jahr für Jahr etwas von möglichen rechten Gewalttätern, auf die es aber keine konkreten Hinweise gäbe, selbst als die drei untertauchen. Schily setzt sich dann wieder in den Untersuchungsausschuss hin und sagt, der Verfassungsschutz kam ja selbst zu dem Ergebnis, dass es keine Hinweise auf solche rechtsradikalen Anschläge gibt. D. h. wir haben hier die vollständige Abschottung, weil man es nicht anders wollte.

Auch beim Oktoberfestattentat gab es kein Bekennerschreiben

Wer die Vergangenheit nicht aufklärt, der steht in der Gefahr, dass sich so etwas wiederholt. Auch beim Oktoberfestattentat gab es bekanntlich kein Bekennerschreiben. Das Problem wurde seinerzeit dadurch erledigt, dass die Theorie von dem verwirrten Einzeltäter in die Welt gesetzt wird, von dem man kein Bekennerschreiben erwartet und sämtliche Hinweise zu Kontakten in die rechtsextreme Szene zu der Wehrsportgruppe Hofmann schlicht und einfach geleugnet wurden und zwar aus ganz bewussten politischen Kalkül für Franz Josef Strauss und seine Aussichten in der damaligen Bundestagswahl. Wenn man damals gesagt hätte „Es ist eine Gruppe, die hinter dem Attentat steht“, dann wäre das Argument „Aber es hat ja kein Bekennerschreiben gegeben“ heute eigentlich von Anfang an tot. Ich empfehle in diesem Zusammenhang das Buch oder den Film „Der blinde Fleck“ zum Oktoberfestattentat. Hier wird sehr nachvollziehbar am Ende dargestellt, dass die Blindheit gegenüber dem Wüten des rechten Terrors durch den NSU auch eine Wurzel in der Leugnung des Zusammenhangs zwischen dem Oktoberfestattentat und rechten Strukturen hat.

Eberhard Reinecke

Mit freundlicher Genehmigung von http://www.blog-rechtsanwael.de/es-gab-doch-aber-keinen-bekennerschreiben/ und http://www.blog-rechtsanwael.de/es-gab-doch-kein-bekennerschreiben-teil-2/

Zu "Keine Bekennerschreiben" verweisen wir auch auf mehrere Veröffentlichungen von uns auf jenen Seiten, die nachweisen, was die Prinzipien der rechtsterroristischen Banden seit 1993  sind:

Z.B.: http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0885_seit_jahren.htm, http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1082_nsu.htm.