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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

26.04.2013

Verfassungsschutz als Teil des NSU-Falls

Betrachtungen zum braunen Netzwerk aus VS und NSU

Seine Sicht auf "Das braune Netzwerk von Geheimdiensten und Nazis" (so der Titel der Veranstaltung) breitete Ulrich Sander (VVN-BdA) am 24. April 2013 im EineWeltHaus München aus. Er sprach auf einer Informationsveranstaltung der Münchner DKP vor einem zahlreichen Publikum.  Sanders Fazit: "Die Morde des NSU waren nur möglich, weil Teile des Staatsapparats ihm geholfen haben. Und die gesamte Nazibewegung konnte nur deshalb so anwachsen, weil sie sich auf einen manifesten staatlichen Rassismus stützen konnte und kann. Die Asyldebatte Anfang der 90er Jahre führte zum Abbau der Grundrechte für Migranten und direkt zum heutigen Rassismus - der sich aus dem Wirken eines Sarrazins nährt, ebenso aus dem allgemeinen Antiislamismus, aber auch dem wachsenden Antiziganismus."

Das braune Netzwerk von Geheimdiensten und Nazis

Ulrich Sander auf der Informationsveranstaltung der DKP München

24. April 2013

Am 8. März war es 25 Jahre her, daß zum ersten Mal Galgen und Sprüche wie „Sander wir kriegen dich“ und „Rot Front verrecke“ vor unserem Haus gemalt wurden. Seit dem wurden meine Familie und ich immer wieder bedroht. Per Email wurde mir mitgeteilt: „Kommt Zeit kommt Rat, kommt Attentat“. Ich beginne mein Referat nicht deshalb mit meinen eigenen Erlebnissen, um mich als besonderes Opfer zu stilisieren – es ging bei uns ja noch glimpflich ab -, sondern um den Bogen weit nach hinten zu spannen und mich auf das zu beschränken, was ich selbst erfahren und recherchiert habe.

Das Morden des NSU war besonders brachial und grausam, aber schon seit langem werden ähnliche Verbrechen begangen.

Zunächst jedoch richte ich den Blick auf Norwegen – drei Monate vor der NSU-Entlarvung vom November 2011. Auch dieser Blick ist fast schon ungewöhnlich. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sah nach dem Massenmord an Demokraten, an Linken und Sozialisten in Oslo und Utöya/Norwegen „keine direkte Gefahr durch Terroranschläge von rechts“ in Deutschland. Nach rund 180 Mordanschlägen von rechts gegen andersdenkende, andersaussehende und anderslebende Menschen, nach täglichen Morddrohungen der Nazis hierzulande war eine solche Äußerung des zuständigen Ministers unfaßbar, aber typisch. Zudem war Friedrich bekannt, daß seit Jahren immer wieder umfassende Waffenfunde bei deutschen Nazis erfolgten, - hat er gedacht, das seien nur Sammlerstücke? Die VVN-BdA erklärte dazu:

  • Erinnern wir uns: Es war die bei den Nazis noch heute gültige Schwarze Liste der Anti-Antifa „Einblick“, die schon 1993 zur allgemeinen Lynchjustiz, zur “endgültigen Ausschaltung der politischen Gegner” aufgerufen hat: “Jeder von uns muß selbst wissen, wie er mit den ihm hier zugänglich gemachten Daten umgeht. Wir hoffen nur, ihr geht damit um!” So hieß es darin. Seit jener Zeit verfolgen die Nazis in Deutschland das Ziel, mit Terror das Land zu destabilisieren und zur Erhebung für die “deutsche nationale Identität” zu führen, um es “national zu befreien”. Ausländer und „Ausländerfreunde” sollen aus dem Land getrieben oder „ausgeschaltet” werden; es herrsche Bürgerkrieg (aus Einblick, Drohliste der Anti-Antifa, 1993) So hieß es lange vor dem „Manifest“ des Anders Behring Breivik.
  • Erinnern wir uns: Es gab die hetzerischen Mahnung „Deutschland schafft sich ab“ (Buchtitel) und die rassistische hunderttausendfach verbreitete rassistische Meinungsmache Thilo Sarrazins gegen Muslime. Es gab die Distanzierung von Sarrazin durch offizielle Stellen, der dann die allgemeine Umarmung folgte.

Dann hatte in Norwegen ein Rechtsextremist und früherer Aktivist aus der antimuslimischen „Fortschrittspartei“ (23 Prozent der Wählerstimmen) nicht nur gehetzt, sondern auch gemordet. Aber die etablierte Politik hierzulande wollte noch immer nichts gegen die antimuslimische Hetze unternehmen und pflegt in starkem Maße auch die antikommunistische und antiziganistische Propaganda. Die NPD sollte nicht verboten werden. Faschistische Hasstiraden wurden und werden als „Meinungsfreiheit“ ausgegeben.

Er wolle „Europa vor Marxismus und Islamismus retten“ erklärte der Massenmörder Breivik in seinem „Manifest“, dessen Inhalt auf rechten Blogseiten Deutschlands lebhaft begrüßt wird, wenn auch noch mit Distanzierung zu den Taten des selbsternannten Kreuzritters. Gegen Linke und Muslime hierzulande vorzugehen, ist auch der rassistische Konsens von der rechten Mitte bis zum rechten Rand.

Die VVN-BdA forderte sofort die konsequente Aufklärung über die Vernetzung der Terrorszene vom Norden bis in unser Land. Sie wies auf die Drohungen („Kommis töten“ und „Kommt Zeit kommt Rat kommt Attentat“) hin, die gegenwärtig bei Antifaschisten eingehen, und sie verlangte, dass Polizei und Justiz diese ernst nehmen. Den Bundesinnenminister und die Länderinnenminister forderten wir auf, die rechte Gewalt nicht weiter zu verharmlosen, sondern ihr entgegenzutreten. Naziorganisationen gehören verboten, Nazipropaganda und Nazi-Aufmärsche ebenso! Wörtlich die VVN-BdA: „Und schließlich ist – auch angesichts der Biographie des norwegischen Massenmörders – zu fragen: Wann werden die Sportschützenbünde und -vereine endlich unter Kontrolle genommen, die immer wieder Waffen und Ausbildung für Amokläufer und rechte Schützen bereithalten?“

Breivik folgte der NSU

Drei Monate später dann die Aufdeckung der NSU-Mordserie. Da hieß es: Man habe die Mordserie der Naziterroristen vom NSU nicht als solche erkennen können, z.B. weil die für Terroristen üblichen Bekennerschreiben fehlten. Solche unsinnigen Ausflüchte machten Verfassungs- und Staatsschutz bekanntlich angesichts der uns alle erschreckenden Ereignisse Anfang November 2011. Wenn kein Bekennerschreiben vorliegt, dann handelt es sich um Dönermorde und Rauschgiftbandenkriege.

Doch es gibt das Bekennerschreiben. Ich habe es in meinem Archiv.

„Einblick" heißt es. Das ist die schon genannte Todesliste der faschistischen Anti-Antifa aus dem Jahre 1993. Sie wurde bei Erscheinen vom Staats- und Verfassungsschutz als Ausdruck des „Hochschaukelns von rechten und linken Extremisten“ verharmlost. Ich stehe darin. Und ich schaute genauer hin. Es heißt darin:

Diese Liste behält „für Jahre Aktualität", verliere „mit der Zeit nicht an Brisanz." Die Liste gilt bis zur „endgültigen Zerschlagung von Anarchos, Rot-Front und Antifa sowie Ausschaltung aller destruktiven, antideutschen und antinationalistischen Kräfte in Deutschland". Die Schrift „Einblick" soll nicht nur die darin genannten Menschen angreifen. In heutigen „bürgerkriegsähnlichen Zuständen" müsse man „dementsprechend handeln" und alle Gegner „mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln bestrafen". Als einer der Autoren dieser Schrift wurde derselbe Nazi erkannt, der hier jahrelang in der ganzen Republik als Anmelder von Naziaufmärschen fungieren durfte. Seine Demonstrationsanmeldungen wurden vom Bundesverfassungsgericht letztlich immer abgesichert.

„Einblick“ als mörderische Gebrauchsanweisung

So wie „Einblick“ orientierte, ist es gekommen. Nach dieser Drohliste handelten die von der faschistischen Anti-Antifa Angeleiteten. Ich habe diese Liste kürzlich erneut der Polizei übergeben, sie war dort nicht mehr bekannt. Es wird eben zu vieles zerschreddert bei Ihnen, sagte ich, und fügte hinzu:

„Seit mindestens 20 Jahren werden Bürger von NRW durch die terroristische Anti-Antifa – mitbegründet von den Leuten aus der eben verbotenen Kameradschaft - bedroht, ohne dass die Behörden etwas dagegen unternahmen. Das erstaunt und beunruhigt uns um so mehr, als die Neonazis den Terror eines Bin Laden gegen die USA vom 11. 9. 01 heftig begrüßt und schon seit Jahren auf ihren Internetseiten Selbstmordattentate mit antisemitischen Absichten propagiert haben, schrieben wir. (Siehe Anmerkung 1)

Wir Bedrohten haben viel Solidarität erfahren, dafür danken wir. Wir haben leider auch Schäbigkeiten erfahren, so die Eintragung meiner Person in den Verfassungsschutzbericht mehrerer Bundesländer, vor allem in Bayern, – die dann genüßlich in der “Jungen Freiheit“ zitiert wurde. Solche Berichte kommen aus VS-Ämtern, die von Nazis aufgebaut waren und bis heute von diesen geprägt sind. Schmerzlich ist es auch immer zu erfahren, dass auch Demokraten, die VS-Ämter für geeignet halten, an der politischen Bildungsarbeit unter der Jugend mitzuwirken.

Die Vorgänge in Dortmund

Wie ich schon berichtete, komme ich aus NRW, aus Dortmund.

In Dortmund gab es

  • 2000 drei ermordete Polizisten und einen Selbstmordattentäter, namens Michael Berger, der aus der Naziszene kam und dem sogar der örtliche CDU-MdB nachsagte, er sei ein V-Mann gewesen. Es gab dazu nie eine Untersuchung oder Ermittlung. Es war wie beim Oktoberfestattentat: Der Täter ist tot, Hintermänner gibt es nicht. Die Einzeltäterthese eben.
  • Den toten Schmuddel, Thomas Schulz, ein Punk. Ostermontag im Jahr 2005 wurde - wieder in Dortmund - ein antifaschistischer Punk von einem Nazifan erstochen, und die Naziszene gab bekannt: Es wurde die Machtfrage gestellt und von unserem Kameraden beantwortet. Man werde jeden bestrafen, der sich den freien Kameradschaften in den Weg stelle.
  • Anfang April 2006 den NSU-Mord an Mehmet Kubaşık, einem Kioskbesitzer, der ganz in der Nähe des Hauptquartiers der Dortmunder Naziszene wirkte. Dieser war – wie wir heute wissen - das achte Opfer des NSU. Damals behauptete auch die Dortmunder Polizei und Staatsanwaltschaft, es sei ein Mord unter Ausländern, Dönermorde, vielleicht einer der Mafia. Doch die Veranstalter eines Trauermarsches durch Dortmund nach dem 8. und dann 9. Mord (zwei Tage später hatten die Mörder in Kassel zugeschlagen) erklärten: „Alle Opfer sind Migranten. Da ist doch ein rechtsextremistischer Hintergrund sehr einleuchtend.“ So die taz am 13. 6. 2006. Aber man schaute nach links, die Ermittler tippten darauf, daß Kubaşık in der PKK war, denn er sei ja dereinst als politischer Flüchtling ins Land gekommen.

Was wir heute wissen: Die Polizei hatte bereits fünf Tage vor dem Mord an Kubaşık gewußt, daß eine Nazi-Terrortruppe in der Stadt war, diese hatte auch einen Anschlag auf das türkische Bildungszentrum in der Westhofstraße verübt, schwere Brandschäden verursacht. Der Fall wurde nie aufgeklärt. Die Polizei erhöhte ihre Aufmerksamkeit nicht. Und nahm nun, erst im April 2013, zu den Akten die vorher unbeachtete Mitteilung, daß Uwe Mundlos in der fraglichen Zeit in Dortmund gesehen wurde. Und nebenbei wird jetzt auch mitgeteilt, daß die Behörden heute 129 Personen zum Unterstützerkreis des NSU zählen und daß eine dreistellige Zahl rechter Untergetauchter zu vermuten ist. (Es sind fast 300!)

Ich sage: All das ist die Frucht der mörderischen Anti-Antifa, wie sie in ganz Deutschland wirkte. Vor allem auch mittels NSU. Und zwar nicht erst seit deren Entstehen. Die Anti-Antifa wurde von den Behörden gebilligt und gefördert.

Ich möchte etwas schildern, was in der gesamten Diskussion zu den NSU-Morden ausgeblendet wird. Den Nationalsozialistischen Untergrund gab es vor dem Untertauchen der NSU-Bande wie es ihn auch heute noch gibt. Ich möchte über den Zeitraum vor dem Untertauchen der NSU-Bande 1998 sprechen, als sich die Wirkungen des „Einblick“ zeigten (alles Beispiele aus NRW, über die ich Bescheid weiß):

  • Am 29. Mai 1993 fallen fünf Menschen in Solingen einem Brandanschlag zum Opfer. Die Tat hatte einen „rechtsextremen Hintergrund“, wie die Behörden meldeten. Vier Täter wurden verurteilt, sie kannten sich aus der rechten Szene. Drei wurden von einem rechten V-Mann betreut.
  • In 1995 und 1996 ermordet der Nazi Thomas Lemke einen ehemaligen Kameraden, eine Bekannte und die junge Antifaschistin Patricia Wright. Er gab mit den Morden in der Naziszene des Ruhrgebiets an. Lemke wurde Star in den Berichten der HNG, der Hilfsgemeinschaft Nationaler Politischer Gefangener“; er war bisweilen „Gefangener des Jahres“.
  • Im Jahre 2003 ermordete Thomas Adolf, Deutsche Liga für Volk und Heimat (aus der DLVH ist ProKöln hervorgegangen, Beisicht und Rouhs waren unter anderem vor der Karriere in der pro-Bewegung Funktionäre der DLVH), in Overath ein Anwaltsehepaar und dessen Tochter. Er bezeichnet sich als „Führer der mit der Befreiung des Deutschen Reichsgebiets beauftragten SS-Division“. 
  • Am 9. Juni 2004 wird dann das Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße gemeldet, in der viele Türken leben. 22 Menschen werden schwer verletzt. Als Täter werden sieben Jahre später die NSU-Mörder benannt, während zunächst sofort der politische Hintergrund seitens der Behörden, auch seitens Minister Schily, geleugnet wird.

Es begann lange vor dem NSU-Untertauchen

Angesichts der Meldungen über die sogenannten Pannen bei der Fahnung in Sachen NSU ist es sinnvoll, weiter zurück in der Vergangenheit mit der Recherche zu beginnen. In eine Vergangenheit, da noch überall die Steckbriefe der RAF hingen. Haben Sie mal einen Steckbrief zur Suche nach weiteren NSU-Mitgliedern gesehen? Ich nicht. Kein Foto der 129 weiteren Verdächtigen tauchte auf. Viele von ihnen werden zu den Untergetauchten zählen. Warum werden die nicht gesucht?

Die Zeitungen der WAZ-Gruppe berichteten in ihren Ausgaben vom Freitag, 17. August 2012: "Gewalt von rechts ist längst Terror". Ich fand in meinem Archiv folgende Westfälische Rundschau-Presseberichte aus der Zeit vor dem NSU, aber z.T. aus den Orten, aus denen er kam:

Westfälische Rundschau vom Freitag 10. Dezember 1993:

„Nazi-Anschlagliste entstand unter den Augen der Polizei - Von Thomas Krummenacker - Frankfurt. (rtr) Die Mainzer Telefonnummer erfreute sich großer Beliebtheit. Nicht nur die angesprochenen "Deutschen Kameraden" wählten gerne die Nummer des von Neonazis betriebenen "Nationalen Infotelefons", um sich neueste Informationen über Neonazi-Aktivitäten zu holen. Auch für Verfassungsschutz, Polizei und antifaschistische Gruppen war der Anrufbeantworter über lange Zeit eine erste Adresse. Auch Journalisten erhielten im rheinland-pfälzischen Innenministerium schon mal den Tip, dort anzurufen, wenn sie Informationen über rechte Aktionen begehrten.

Dort konnten sich Anrufer über Konzerttermine von "national gesinnten" Skinheadbands informieren oder - so am 7. Juni - Aufrufen zum Sammeln von Daten über Personen aus dem linken Spektrum lauschen: "Für die Erstellung einer Anti-Antifa-Broschüre im Rhein-Main-Gebiet werden alle Kameraden aus dieser Region gebeten, die Informationen über Zecken besitzen, diese der Anti-Antifa Mainz zukommen zu lassen." Mit Zecken bezeichnen Neonazis ihre Gegner.

Auch bei diesem Aufruf zum Sammeln von Autonummern, Fotos und Adressen missliebiger Personen lauschte der Staatsschutz mit, wie Oberstaatsanwalt Norbert Weise bestätigte. Zwar sei der als Infotelefon dienende Anrufbeantworter beschlagnahmt worden. Aber "zwei Tage später hatten sie einen neuen". Gegen den 20jährigen Betreiber wurde Anklage wegen Volksverhetzung erhoben.

Weil die Ansagen "im Kampfstiel der NSDAP" (Weise) für den Staatsschutz nichts Unbekanntes waren, wundern sich Betroffene jetzt über das große Staunen eben dieser Behörden nach der publizierten Anschlagliste "Einblick", die via Dänemark in deutsche Neonazikreise gelangte (die WR berichtete darüber).

"Daß Neonazis jetzt eine erste systematische Anschlagliste zur Verfügung haben, darf niemanden wundern, der das Infotelefon je gehört hat", sagt ein Antifaschist, der selbst im "Einblick" genannt wird: "Das Staunen über die Todesliste verwischt die Tatsache, dass diese eben nicht geheimnisvoll aus dem Dunkel kam, sondern das Ergebnis langer Propaganda unter den Augen der Polizei ist."

Das meint auch der Pfarrer und Grünen-Abgeordnete Michael Henke: "Die Liste konnte unter den Augen der Behörden entstehen, weil die Brisanz des Aufrufes offensichtlich nicht erkannt worden ist." Der Umfang der "Vernetzung von Neonazis" werde "total unterschätzt".

Eine weitere Meldung aus der Zeit vor dem NSU-Abtauchen:

Westfälische Rundschau vom Dienstag 13. Juni 1995

Neonazis: Unauffällig bei Polizei und Bundeswehr einsickern - Von Carsten Hoffmann - Erfurt. (dpa) Die rechtsradikale Szene in Deutschland plant nach den Verboten mehrerer Organisationen jetzt verstärkt eine neue Strategie: Abtauchen, nicht auffallen.

Einsickern in andere Organisationen und gezielte Anschläge sind nach Einschätzung von Verfassungsschützern jetzt Ziele der Neonazis. Das Thüringer (!) Landesamt für Verfassungsschutz hat mit einem internen Rundbrief bei Bund und Ländern Alarm geschlagen. Das Erfurter Amt zitiert ein Strategiepapier aus dem von Rechtsextremen betriebenen Computernetzwerk "THULE". Darin empfehlen Radikale eine "grundsätzliche Verhaltensänderung". Neue Aktivisten dürften nicht mehr durch politische Äußerungen, Haarschnitt oder Kleidung erkennbar sein, um legal arbeiten zu können. Sie sollten "jede Zuordnung zum nationalen Spektrum" unmöglich machen. "Junge Kameraden, die vor der Berufswahl stehen, unbelastet, intelligent und sportlich sind, sollten eine Ausbildung bei Bundeswehr und Polizei in Erwägung ziehen, mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen", schreiben die Extremisten. (Fortsetzung Anmerkung 2)

Weiter heißt es in dem Artikel: "Die zunehmenden Verbotsmaßnahmen treiben die Neonazis in den Untergrund", hatten schon im Februar Bonner Sicherheitsexperten befürchtet. Verfassungsschützer warnen jetzt vor weiteren vorschnellen Organisationsverboten. Strafrechtlicher Druck habe die Tendenz zum Abtauchen gesteigert, beschreibt der Erfurter Verfassungsschutzpräsident Helmut Roever (! – der hat schon damals für die Schonung der Nazis plädiert) das Dilemma in dem Rundschreiben. Die Verbote drohten, so auch der jüngste nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbericht, "einen Beitrag zur Überwindung der Zersplitterung (zu) leisten."

Und nun Welt online vom 16. August 2012

Die Amadeu-Antonio-Stiftung wirft den deutschen Sicherheitsorganen eine "systematische Verharmlosung" rechter Gewalttaten vor.

Allzu häufig werde Rassismus als Tatmotiv gänzlich ausgeblendet, kritisierte die Vorsitzende Anetta Kahane bei der Vorstellung des Reports "Kartell der Verharmloser". (Anmerkung 3) Weiter heißt es in dem Artikel:

Studienautorin Marion Kraske sagte, in vielen Städten herrsche eine Kultur des Wegschauens. Wer das Nazi-Problem offen anspreche, treffe auf Abwehr, werde gar als "Nestbeschmutzer" diffamiert.

Es gelangten also Nazis - nicht nur die alten - in die staatlichen Stellen. Frage: Wie viele sind es, die dort unerkannt wirken? Petra Pau, MdB und für die Linken im Bundestagsuntersuchungsausschuss zu NSU, stellte fest: „Der Staat, in Gestalt des Verfassungsschutzes, aber auch der anderen Nachrichtendienste, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in Kumpanei mit schlimmsten rechtsextremen Mördern geübt.“ (Jungle World11.4.13)

Weiter frage ich: Warum wurden die Todesdrohungen nicht ernst genommen, obwohl z.B. in den Anti-Antifa-Listen solche Drohungen ausgesprochen werden und seit Erscheinen der Liste ca. 180 Personen von Rassisten und Nazis ermordet wurden?

Verbote gab es – ohne jede Konsequenz

Gab es einmal Organisationsverbote gegen gewalttätige Gruppen, so geschah zweierlei: Die einen aus diesen Gruppen gingen in den Untergrund, die anderen gründet sofort Nachfolgeorganisationen. Das Verbot der Schaffung von Nachfolgeorganisationen und der Fortsetzung der verbotenen Gruppen wurde nie durchgesetzt! Alle Kader aus dem Umfeld zum Beispiel der 1995 verbotenen FAP setzten ihre Tätigkeit unter anderem Gruppennamen, ja sogar als „führerlose“ Gruppen fort. Dazu hatten die Behörden in Verfassungsschutzberichten Persilscheine ausgegeben: Eine Nicht-Organisation könne nicht verboten werden, hieß es darin. So etwas stand schon in den Verfassungsschutzberichten, bevor solche Gruppen gegründet waren. Der Staat als Tippgeber für Nazis.

Im übrigen wären all diese „Parteien“ und Vereine als Nachfolgeparteien der NSDAP anzusehen, die nach dem Völkerrecht nach 1945 verboten wurde (Artikel 139 des Grundgesetzes).

Der Verfassungsschutz ist das Problem – nicht die Lösung

Die Verfassungsschutzbehörden haben die Hauptverantwortung für die Nichtverfolgung von Neonaziverbrechen. Sie geben ihre Erkenntnis unzulänglich an die Polizei und Justiz weiter – und wenn sie es einmal tun, dann geben sie verfehlte Ratschläge wie wir eben an Hand des Zeitungsberichtes über den Herrn Roever erfuhren. Nur ja keine Aktivitäten der Polizei und Justiz! „Quellenschutz geht vor Strafverfolgung“, diesen Grundsatz stellte Petra Pau in den Anhörungen immer wieder fest. Polizei und Justiz ließen sich von den durch V-Leute durchsetzte Verfassungsschutzämtern leiten und unternahmen sehr oft nichts. In Prozessen dürfen V-Leute in der Regel nicht aussagen, so verfügen es die Innenminister. Und die Justiz, die Staatsanwaltschaften, die ja der Polizei Ermittlungsarbeit befehlen könnten, lassen sich zumeist ebenfalls davon abbringen.

Eineinhalb Jahre nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bleibt die Aufklärung über die Position staatlicher Stellen gegenüber der Nazi-Terrorgruppe weiterhin aus. Mittlerweile ist bekannt, dass nicht nur die Ursprungsorganisation des NSU, der Thüringer Heimatschutz, über den Geld an den NSU geflossen ist, zahlreiche V-Leute diverser Geheimdienste in ihren Reihen hatte. Auch das Umfeld des NSU im Untergrund ist nach aktuellem Recherchestand von mindestens zwei Dutzend Kontaktpersonen staatlicher Stellen durchsetzt gewesen. Eine Einschätzung des Landeskriminalamtes in Nordrhein-Westfalen, der NSU-Nagelbombenanschlag vom 9. Juni 2004 in Köln habe einen "terroristischen" Hintergrund, wurde innerhalb nur einer halben Stunde auf Anweisung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums kassiert. "Der Kern des NSU" sei de facto "von bezahlten Kontaktpersonen der Behörden umstellt" gewesen, urteilt Paul Wellsow, Mitautor mehrerer Publikationen zur Thematik und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag, mit Blick auf die V-Leute im Umfeld der Terrororganisation. Es sei "unglaubwürdig", einfach "nur 'von Pleiten, Pech und Pannen' zu reden". Man müsse die Frage stellen, "welche Beziehungen zwischen den Geheimdiensten, organisierter Kriminalität und der extremen Rechten in Deutschland tatsächlich bestehen".

Was in Solingen geschah

Ich sprach schon vom Brandanschlag in Solingen. Wir stehen vor dem 20. Jahrestag dieses Mordanschlags. Die Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem Brandanschlag in Solingen am 29. Mai 1993 wurde bis heute nicht aufgearbeitet. Damals existierte in Gräfrath, einem idyllischen Stadtteil von Solingen, Hak Pao, ein Kampfsportverein, dessen Mitglieder engste Kontakte zur 1992 verbotenen Nationalistischen Front (NF) und anderen rechtsextremistischen Parteien und Organisationen im In- und Ausland unterhielten. Viele von ihnen stellten den "Saalschutz" bei Naziveranstaltungen. Auch drei von vier Angeklagten im Prozeß zum Solinger Brandanschlag waren bis zu ihrer Verhaftung Mitglieder dieses Verbandes Hak Pao. Kurz nach dem Brandanschlag wurden aus dem Gebäude der Kampfsportschule 55.000 Aktenblätter in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abtransportiert. Was mußte so dringend verschwinden? Welche Brisanz hatte dieses Material? Ein Augenzeuge informierte die Polizei. Sie schritt nicht ein. Wer verhinderte das? Erst Silvester 1993 wurden diese Akten aufgefunden, beschlagnahmt. Wie viele waren bis zu diesem Zeitpunkt schon vernichtet worden? Die Unterlagen enthielten Observierungsprotokolle, Handzettelaufrufe zum Bau  von Molotowcocktails, Einsatzbefehle für Aktionen zur Sachbeschädigung bis zur schweren Körperverletzung, Lageskizzen von Häusern und Wohnungen fast ausschließlich von Migranten, datiert bis zum Brandanschlag. Der Leiter der Kampfsportschule, Bernd Schmitt, war V-Mann des Verfassungsschutzes. Er stand auf der Gehaltsliste des Innenministeriums.

Gestern wie heute? Ja! Tausende von Beweismitteln wurden im Zusammenhang mit der Terrorgruppe NSU geschreddert und vernichtet, einer Gruppe, der mindestens zehn Morde zur Last gelegt werden. Welch ein Hohn angesichts der Opfer des rechten Terrors und der anhaltenden Aktivitäten der Nazis in unserem Land.

Die Religion der Gewalt

Die rechten Gewalttäter arbeiten seit vielen Jahren mit der Losung „Sieg oder Walhalla“. Das heißt, sie rufen zu Attentaten auf, dem Täter wird Sieg oder der ruhmvolle Einzug in Walhalla per Selbstmord versprochen. Ich möchte daher eine nie gestellte Frage hier stellen: Warum wird das Phänomen des Germanenkults und der Märtyrerselbstmorde bei Nazis nicht untersucht, das so sehr zu Enthemmung beiträgt?

So wurde der Selbstmord des Naziterroristen von Dortmund in 2000 wurde nie untersucht – der zum Einzeltäter ernannte Mörder war tot, seine Hintermänner wurden nicht vor Gericht gestellt. Gegen sie wurde nicht ermittelt. Es lag wohl auch daran, daß der Täter Michael Berger laut einem CDU-MdB V-Mann gewesen ist. Seine Hintermänner verbreiteten anonyme Flugzettel: „3:1 für Deutschland – er war einer von uns“. Doch die Behörden für „Innere Sicherheit“ wollten keinen politischen Hintergrund erkennen – wie auch nie die ideologische Nähe der Neonazis zu den Terroristen des 11. September 2001 beachtet wurde.

Im November 2011 dann wieder der Selbstmord der zwei aus dem Zwickauer Trio. Warum Selbstmord? Das wird nie von den Untersuchungsbehörden analysiert. Die Selbstmörder ziehen sich aus der Affäre, ihre „germanische Weltanschauung“ wird nicht ernst genommen.

Der Dortmunder Neonazi-Provinzchef Michael Krick bemüht ganz offen den Germanen-Kult. Krick an seine Bande: „Zeigt kein Erbarmen und keine Reue. Sieg oder Walhalla.“ (Nach „Westfälische Rundschau“) (siehe Anmerkung 4)

Verfassungsschutz war immer Nazischutz

Der vielgepriesene Mauerfall von 1989/90 hat vieles gebracht. „Wahnsinn“ wurde allgemein gerufen. Er hat aber auch echten Wahnsinn gebracht: Deutschland führt wieder Krieg. Deutschland hat einen Geheimdienst, der nicht nur für „Horch und Guck“ steht – wie bekannt -, sondern auch für Mord und Totschlag. Es gab die Abschaffung der Stasi und die Machtausweitung des Verfassungsschutzes. Und nicht zu übersehen: Es gab die Machtausweitung des Militarismus!

Selbst zaghafte Versuche der Justiz und der Polizei, den Nazis Grenzen aufzuzeigen, scheiterten an den Behörden für Verfassungsschutz. Die Rechtsanwältin Gabriele Heinicke sagte: „Es ist ein Märchen, daß der Verfassungsschutz die Verfassung schützt. Dieser Geheimdienst ist 1950 von den Alliierten der neuen Bundesregierung erlaubt worden; es sollte ein Dienst zur Abwehr von Regierungsgegnern werden. Und da die Regierung eng mit Nazis verbunden war, kam im Verfassungsschutz – viele dort ehemals Nazis – niemand auf die Idee, gegen rechts vorzugehen. Es gebe bis heute keinen Anlaß zu glauben, daß eine Organisation, die von Nazis aufgebaut wurde, gegen Nazis vorgehe", so Gabriele Heinecke.

Aktenvernichtung, Strafvereitelung, Schutz der Verbrecher vor Strafverfolgung, Finanzierung der Verbrechen mit Steuergeldern, dazu ein Heer von bezahlten V-Leuten, die nicht einmal gehört haben wollen, wenn Nazibands die Mörder besangen, – alles kommt jetzt angesichts des NSU-Terrors ans Licht. Ja es gab offenbar Mitwisserschaft und Mittäterschaft. Das alles hat eine Vorgeschichte.

Es ist die Geschichte der Nazis, die als V-Leute und als offizielle Mitarbeiter ungestört agieren konnten. Oberster Agentenführer war 17 Jahre lang Verfassungsschutzpräsident Hubert Schrübbers (1907-1979, Ex-SA-Mann), vor 1945 an zahlreichen brutalen Terrorurteilen gegen Gewerkschafter beteiligt. Schrübbers’ Chef war Bundesinnenminister Dr. Gerhard Schröder, früher SA, dann CDU. Sogar die der CDU nahestehende Zeitung „Rheinischer Merkur” schrieb damals: „Der Verfassungsschutz scheint das verfassungswidrige Treiben völkischer Ideologen, das auf die Rehabilitierung der Kernstücke des Nationalsozialismus zielt, nicht so wichtig zu nehmen.”

Was Jupp Angenfort mit dem Gladio-Bund Deutscher Jugend erlebte

In jener Zeit existierte der »Bund Deutscher Jugend« (BDJ). Jupp Angenfort berichtete mir von einer sehr frühen Aktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz und dieses BDJ Anfang der 50er Jahre gegen die FDJ und damit gegen die damalige Friedensbewegung, in der die FDJ eine Rolle spielte. Der VS entsandte V-Leute in die FDJ, die provozierten und denunzierten, später sagten diese als Zeugen vom Hörensagen in den politischen Prozessen gegen Linke aus. Jupp Angenfort in einem Interview: Es tauchte damals eine Art Gegenvereinigung zur FDJ, ein »Bund Deutscher Jugend« auf, gefördert von allerhöchsten Stellen, deutschen und US-amerikanischen. Auf Betreiben der sozialdemokratisch geführten hessischen Regierung laut der Welt am Sonnabend vom 18. Oktober 1952 sind um diesen Zeitpunkt herum einige Führer des BDJ festgenommen worden. Der Verdacht war: Ausbildung und Übungen im lautlosen Morden. Dann hatten sie eine Liste von achtzig Leuten, die am Tage X, dem Tag des Kriegsausbruches, ermordet werden sollten. Da waren auch Sozialdemokraten drauf. Weil es ein so gravierendes Delikt war, sind sie dem Bundesgerichtshof oder der Generalbundesanwaltschaft überstellt worden. Und sind tatsächlich in Karlsruhe ins Untersuchungsgefängnis gekommen. Waren aber schon wieder draußen, als ich da ankam. Man hat damals geschrieben: Ein Lastwagen von Beweismaterial sei zum Generalbundesanwalt geschickt worden. Der ist bedauerlicherweise nie angekommen in Karlsruhe. Der ist auf dem Weg nach Karlsruhe verschwunden und bis zum heutigen Tage nicht mehr gefunden worden.

Die Welt am Sonntag weiter: »Seit Ende 1950 ist mit amerikanischen Geldern, mit amerikanischen Waffen und unter amerikanischer Aufsicht eine Kerntruppe von annähernd zweitausend Mann aus dem Bund Deutscher Jugend herausgeschält worden, um unter der Bezeichnung ›Technischer Dienst‹ für den Fall einer russischen Über¬rollung auf Partisanendienst gedrillt zu werden.« Gutbesoldete Mitglieder der Geheimorganisation waren zum größten Teil ehemalige Offiziere der Waffen-SS, des Heeres und der Luftwaffe, im Alter von 35 bis 50 Jahren, in den früheren Diensträngen vom Oberleutnant bis zum Obersten. Nur zwei Zwanzigjährige nahmen an Partisanenlehrgängen teil.

50.000,- DM monatlich und die Ausbildung mit scharfer Munition bekam die Gruppe. Bekannt wurde die sorgfältige Aufstellung einer Kartei der Abteilung 1F dieses Partisanenvereins. Hier waren neben 15 maßgebenden kommunistischen Funktionären auch etwa 80 führende SPD-Mitglieder verzeichnet, die im Kriegsfall notfalls kalt gestellt werden sollten.« Das ist das Wesentliche aus dieser »Welt am Sonnabend«. Und im übrigen hat die Bundesregierung ein Treffen des Bundes Deutscher Jugend in Frankfurt finanziell unterstützt.

Wie wir heute wissen, war diese Aufstellung von Terroreinheiten, die damals unter der italienischen Bezeichnung »Gladio«, also Schwert, liefen, eine Sache, die nicht auf die Bundesrepublik beschränkt blieb, sondern in allen westeuropäischen Staaten von den USA in Zusammenarbeit mit den Regierungsstellen und den einheimischen Geheimdiensten in die Wege geleitet wurde. Jupp Angenfort: „Ich habe darauf hingewiesen, daß man die FDJ verbietet und verfolgt, die nachgewiesenermaßen nichts Gewalttätiges getan hat, im Wesentlichen immer die Notwendigkeit der Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten betont hat, gegen Remilitarisierung, für demokratische Einheit Deutschlands – die sitzen, aber diejenigen, die hier Terror vorbereitet haben, Mordterror, sind auf freien Fuß gesetzt worden.“ Ja der Verein wurde offiziell aufgelöst, arbeitete offenbar aber weiter. Vermutlich bis heute. Jupp Angenfort: Es hat nie ein Verfahren gegeben. Denen wurde mitgeteilt, das Verfahren gegen sie ist eingestellt. So, als wärst du einmal schwarz gefahren mit der Straßenbahn.

Auch jetzt ist der Verfassungsschutz eine Einrichtung zum Schutz rechter Verfassungsfeinde und nicht der Verfassung. Und in dieser Situation soll das Amt reformiert – nicht abgeschafft werden, wenn es nach der Regierung geht. Der VS soll so mit weiterem Machtzuwachs „reformiert werden“. Sowohl die Abschaffung der NPD und anderer Nazibanden wie des Verfassungsschutzes sind auf die Tagesordnung zu setzen.

Gegen Linke hat es immer funktioniert

Während Justiz und Sicherheitsbehörden angeblich keine Handhabe hatten, gegen die Neonazis vorzugehen, ist es den Behörden stets leicht gefallen, gegen linke Antifaschisten einzuschreiten. Als die KPD verboten wurde und rund 10.000 Menschen wegen ihrer kommunistischen Gesinnung eingesperrt wurden, da waren auch Mitglieder unserer Organisation VVN unter den Opfern dieser Verfolgungen. Ihnen wurde die Wahrnehmung ihrer Grundrechte – so die Kandidatur für den Bundestag und NRW-Landtag als Einzelpersonen und die Herausgabe einer kleinen Zeitung - als Fortsetzung der KPD-Tätigkeit ausgelegt, und sie wurden wiederum eingesperrt. Leute wie sie mußten sogar ihre Entschädigungsleistungen, die sie wegen der Leiden als NS-Verfolgter erhalten hatten, zurückzahlen.

Später wurden dann Tausende vom Verfassungsschutz als Verfassungsfeinde denunziert und sie erhielten Berufsverbote. Allein die Spitzelberichte reichten aus, um tausende Existenzen zu vernichten.

Zum NPD-Verbot

Gegen ein NPD-Verbot wird noch heute argumentiert, dies treibe die Kader in den Untergrund. Das Argument sollte doch wohl mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ von Sachsen und Thüringen als erledigt gelten! Die NPD ist im Untergrund und in der Öffentlichkeit tätig. Wenigstens als legaler Arm der Terrorszene sollte sich abgeschafft werden, meinen wir. (Oder hätte man sich vorstellen können, ein legaler Arm der RAF hätte seine Meinung verbreiten dürfen, wenn es ihn gegeben hätte?)

Es wird gesagt, es würden Nachfolgeorganisationen der NPD geschaffen, dagegen sei kein Kraut gewachsen. Das gilt aber nur, wenn die Schaffung von Nachfolgeorganisationen nicht verfolgt wird, wie es beispielsweise im Falle der FAP (Freiheitliche Arbeiterpartei) der Fall war, die verboten wurde, während ihre Kader munter unter leicht veränderten Namen weitermachten. Wie gesagt: Das Verbot von Nachfolgeorganisationen der Linken, der KPD und FDJ wurde hierzulande streng durchgesetzt, das von Rechten soll da nicht durchzusetzen sein?

„Mit Verboten ist der NPD nicht beizukommen, und den ‚Freien Kameradschaften’ und ‚autonomen Nationalisten’ schon gar nicht.“ So heißt es. Nun wird zu recht darauf hingewiesen, dass mit Verboten zumindest der Geldstrom aus Steuertöpfen in den NPD-Kassen in die rechte Szene gestoppt würde, der ja weiter fließt z. B. in die „Heimatfront“ von Thüringen und von da in den NS-„Untergrund“, wie jetzt nachgewiesen wurde. Die Beseitigung des V-Leute-Apparats würde verhindert, daß die Verbrechergruppen Zuwendungen erhalten. (siehe auch Anmerkung 5)

… und zu den V-Leuten

Noch eine Bemerkung zu den V-Leuten: Die V-Leute sorgen für die Strafbefreiung bei Naziverbrechen. Der von dem verstorbenen VVN-Landessprecher Jupp Angenfort durch eine Strafanzeige ausgelöste Prozeß gegen die Nazi-Band Oydoxie/Weiße Wölfe aus Dortmund-Brechten wurde dreimal vertagt und dann schließlich eingestellt, u. a. weil die V-Leute nicht aussagen durften. Die Mitschuld des Innenministeriums von NRW an der rechtsterroristischen Entwicklung im Ruhrgebiet liegt auf der Hand. Wer sich den Nazis als „Störer“ in den Weg stellte, wurde von Minister Ingo Wolf (FDP) und von NRW-Staatsanwaltschaften kriminalisiert und mit Haft bedroht. Und auch der neue SPD-Innenminister Jäger hat nicht zu erkennen gegeben, daß er von dieser Praxis absieht. Er hat wie sein Vorgänger ein Broschüre „Andy“ in die Schulen gegeben, mit der die Losung „Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrecher“, die bei der Jugend sehr beliebt ist, verboten wird.

Herr Professor Hans-Jürgen Papier, langjähriger Exverfassungsgerichtspräsident und als solcher an zahllosen Genehmigungen von faschistischen Aufmärschen beteiligt, hat nun die Latte für ein NPD-Verbot noch einmal höher gehängt. Er sagte, die NPD könne nur verboten werden, wenn nachzuweisen ist, daß sie insgesamt mit Terrorbanden wie jener in Zwickau zusammenhängt und nicht nur über einzelne Mitglieder damit verbunden ist. Dann waren also all die Forderungen, die V-Leute abzuschalten und dann könne ein NPD-Verbot gelingen, nur leeres Gerede? Zu Parteiverboten braucht es die Verfassung. Und die Verfassungswidrigkeit liegt vor. Und Terrorismus muß ohnehin bestraft werden – nicht nur mit einem Parteiverbot.

Rechte Reserve bei der Bundeswehr

Noch eine Frage ist zu beantworten: Welche Rollen spielen Bundeswehr, Reservistenverbände und Schützenbünde bei der Waffenbeschaffung, der Waffenkunde und der Vorbereitung von Verbrechen der Rechten?

Schon vor acht Jahren erhielt ich einen Brief aus dem Innenministerium in Berlin. Ich hatte auf den Aufruf der Neonazis zum verdeckten Eintritt in Polizei und Bundeswehr, aber auch Schützenvereine hingewiesen, auf dass sie dort Waffen und Ausbildung an Waffen erlangten. Aufgerufen hatten auch solche braune Herren, die in NRW sich immer wieder auf den Straßen zeigen und demonstrieren dürfen. Der Minister Schily ließ mir mitteilen, dass alles nach dem neuen Waffengesetz geschehe, das nach dem 11. September und nach dem schrecklichen Attentat auf das Gutenberg-Gymnasium von Erfurt erlassen wurde. Dies Gesetz läßt aber das, was die Neonazis mit ihrem Aufruf bezwecken, durchaus zu.

Nie wirklich beachtet wurde dieser Aufruf von den Behörden aus dem Jahr 1995: „Junge Kameraden und Kameradinnen, die vor der Berufswahl stehen, unbelastet, intelligent und sportlich sind,“ sollten sich unauffällig zu „einer Ausbildung bei Bundeswehr und Polizei“ melden, „mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen“ (aus: „Umbruch“ von S. Hupka, 1995). Der Aufruf schließt mit den Worten: „Widerstand, der auf die Beseitigung eines volksfeindlichen Systems zielt, muß professionell geplant sein."

Und so durchlaufen diese Leute die Bundeswehr und geraten als äußerst rechte Kader in die Reservistenbewegung, – unter ihnen als ZMZ-Kommandeur z.B. der Rassist Wolfgang Lütkemeyer vom thüringischen Reservistenverband und den Nazi-Organisationen „Artgemeinschaft“ und „Familienwerk“ (lt. Blog Braunzone und taz). Weitere ähnliche Kader warten auf ihr Outing. In Bundeswehrblättern wie „Information für die Truppe“ wird seit Jahren auf den Inlandseinsatz gegen den Terror – und das heißt gegen „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ (IfdT 3/2002) - eingestimmt. Und eine solche Bundeswehr steht nun den zivilen Dienststellen „zur Seite“! In sämtlichen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten wurden in den Rathäusern und Landratsämtern Kommandozentralen der ZMZ Inneres geschaffen.

Die Zahl gefährlicher rechter Gruppen ist groß. Es gibt ein Netzwerk des NSU auch weiterhin. Andere gefährliche Netzwerke wirken ganz offen. Es gibt auch ein antidemokratisches Netzwerk des Militärs. Es gibt für Demokraten viel zu tun. Justiz und Ermittler, Untersuchungsausschüsse und Parlamentarier – sie alle haben viel zu tun. Mögen sie Ihre Aufgabe machen. Verlassen dürfen wir uns auf sie nicht.

Fazit und Kommentar

Wir stehen vor dem NSU-Prozeß, den die Justiz offenbar zu einem möglichst unpolitischen Zschäpe- und damit Einzeltäter/innenprozess machen will. Das heißt, es müssen ihr persönlich die Mordbeteiligungen nachgewiesen werden, anders als RAF-Tätern, bei denen das „dabei sein ist alles“ galt. So war das immer: Wer an Massakern von SS und Gebirgstruppe beteiligt war, ging straffrei aus, weil er nicht persönlich ertappt wurde. Und auch dies gilt: Wer die NSDAP fortsetzte, durfte und darf es tun. Wer die KPD oder FDJ fortsetzte, kam zwischen 1950 und 1968 in tausenden Fällen ins Gefängnis. Und noch heute in die Terrordatei.

Die Morde des NSU waren nur möglich, weil Teile des Staatsapparats ihm geholfen haben. Und die gesamte Nazibewegung konnte sich nur deshalb so entwickeln, weil sie sich auf einen manifesten staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus stützen konnte und kann. Die Asyldebatte Anfang der 90er Jahre führte zum Abbau der Grundrechte für Asylsuchende, für Menschen in Not und direkt zum heutigen Rassismus, -  der sich aus dem Wirken eines Sarrazins nährt, ebenso aus dem allgemeinen Antiislamismus, aber auch aus dem wachsenden Antiziganismus. Wie entsetzt war ich, als ich am Ostersamstag in Dortmund-Dorstfeld mit ansehen mußte, wie Nazis in Polizeibegleitung vor ein von Sinti und Roma bewohntes „Ekelhaus“ (so stand es in der Demo-Anmeldung wörtlich) zogen, um Pogromstimmung zu schüren. Das war zwei Tage vor dem 80. Jahrestag des 1. April 1933, an dem damals die Nazis vor die Judenhäuser zogen und Mordhetze betrieben.

Offiziell sind die Offiziellen über derartiges bestürzt und sie sagen, sie wollten handeln. Aber es gelingt nicht. Warum?

Der Umgang der bürgerlichen Gesellschaft, oder sagen wir besser: der Mitte, mit den Rechten ist davon geprägt, daß sie zu viele gemeinsame inhaltliche Schnittmengen mit den Nazis hat, um diese wirklich zu bekämpfen. Man setzt zwar Rechts und Links gleich, aber nur Links wird wirklich bekämpft, – es gibt eben zu wenig inhaltliche Gemeinsamkeiten des Konservatismus mit Linken. (Eine Gemeinsamkeit gibt es, die ökologische: Beide müssen atmen, und sie brauchen saubere Luft dazu.) Das Bindeglied zwischen Mitte und Rechts, das ist der Rassismus. Das wird ganz offenkundig werden, wenn ab 2014 die Rumänen und Bulgaren – zu „gut deutsch“: die Zigeuner – kommen.

Man sagt: An der Oberfläche scheinen doch die Rechten eher gegen die Bürgerlichen und ihre Politik zu wirken: „gegen imperialistische Kriege und Kapitalismus“, so rufen sie. Das ist jedoch unseriös. Es geht nur gegen die Kriege der Juden, der Ostküste und es geht gegen das jüdische Kapital und für die deutsche Volksgemeinschaft. „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ ist die Parole der angeblich antikapitalistischen Rechten.

Die gemeinsamen Schnittmengen mit Rechts verhindern das wirkungsvolle Handeln der Mitte gegen Rechts. Was in Teilen der Mitte allenfalls stört, das sind die Methoden der Rechten, die Gewalt. Würden die sich gewaltloser geben, würde sich das Regierungshandeln gegen die Rechten erübrigen. Das Regierungshandeln sieht – wie das der Nazis – Krieg vor. Innerstaatlich besteht es auf dem Gewaltmonopol, das ihnen von den Nazis streitig gemacht wird.

Mit Verboten haben die Herrschenden derzeit nicht so viel Erfahrung – das KPD-Verbot ist 57 Jahre alt. Aber sie wissen: Man muß an die Inhalte ran, – aber das geht wegen der gemeinsamen Schnittmengen im Falle der Rechten nicht so richtig. Und so verweigern sich Regierung und Parlament dem NPD-Verbotsantrag.

Anders als vor ´33 sind die Rechten heute nicht so sehr auf die Finanzmittel des Kapitals angewiesen, solange sie Staatsgelder bekommen. Und die Kapitalisten sind auch derzeit gar nicht bereit, für die Nazis aus eigener Tasche zu zahlen; sie sind derzeit für sie nicht wirklich wichtig – aber dennoch nützlich: Die protestierenden Antinazis haben weniger Zeit, um sozialen Protest zu machen und gegen Krieg und Rüstung zu wirken. Zudem gibt es ehrliche Mitte-Rechte – wie Michael Rogowski und Hans-Joachim Jentsch, – sie sehen in der Linken ganz offen den eigentlichen Feind.

Ex-Industriepräsident Michael Rogowski sagte es offen, und auch der CDU-Politiker und Verfassungsrichter zu Zeiten des ersten NPD-Verbotsversuchs, Jentsch, forderte als thüringischer Justizminister das PDS-Verbot. Das NPD-Verbot verhinderte er als Verfassungsrichter, indem er die V-Leutefrage hochspielte. Er hält etwas von Parteiverboten, nur nicht für Rechte. (Siehe Kasten)

Eine weitere andere Situation als vor ´33 besteht in der Tatsache, daß Deutschland im Krieg ist. Den hätte man sich vor ´33 nicht erlaubt, dazu brauchten das Bürgertum und das Kapital die Nazis, um kriegsfähig zu werden. Heute werden dafür die Grünen, die SPD und der DGB gebraucht. Und benutzt. Die SPD ist seit 1998/99  Kriegspartei, und der DGB soll es nun auch werden, wie wir seit dem Treffen von Michael Sommer mit Thomas de Maiziére wissen.

Wir haben heute nicht nur eine Kriegsführung – die von den Nazis partiell, aber nicht grundsätzlich abgelehnt wird – sondern auch einen Militarismus (Bundeswehr darf mit Kriegswaffen im Innern kämpfen und in Schulen werben, die Hochschulen werden dem Militär dienstbar gemacht, es gibt Tendenz zum Staat im Staat, eigene Riten, Hervorhebung gegenüber anderen Berufen, Aufbau des Heimatschutzes, rechte Reservistenverbände, Nazi-Wehrmachtstradition usw.). Der Militarismus wird von den Nazis unterstützt. Der Militarismus könnte den Nazis bald wieder eine Massenbasis verschaffen.

Nie vergessen: Bei der Reichstagswahl im September 1930 konnte die bisherige 2,6 Prozent-Partei NSDAP ihren Stimmanteil schlagartig auf 14,3 Prozent steigern.

Bisher haben die Sozialpartnerschaft und die Agendapolitik der SPD den beständigen Masseneinfluß des Kapitals gesichert. Sollten diese Faktoren infolge der Krise wegfallen, wird auch die rechte Sozialdemagogie wieder für das Kapital interessant. Allerdings müßten dafür die Nazis mehr Masseneinfluß haben – und den werden wir zu verhindern haben.

Ein Richter und ein Industriepräisident als Nazi-Helfer

Der ehemalige Industriellen-Präsident und noch heute einflußreiche Michael Rogowski erklärte, als wolle er den Gesprächsfaden vom Industrie-Club 1932 wieder aufnehmen: 1.) Der Rüstungsetat müsse vergrößert werden. Er forderte "eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um drei Mrd. Euro pro Jahr zur Modernisierung der Bundeswehr". Ohne eine starke Rüstungsindustrie werde es "Deutschland schwer haben, seine Stimme zu erheben", wenn es um internationale Entscheidungen gehe", monierte der BDI-Präsident. Und das Bundeswehr-Weißbuch 2006 sieht ja die Erlangung von Rohstoffen und das Freikämpfen von Handelswegen auch als militärisches Ziel vor - ganz wie schon vor 1933 konzipiert. 2.) Die NPD, so Rogowski, sei nicht so beunruhigend wie die Linke, damals die PDS. Das "Phänomen Rechtsextremismus" solle nicht überbewertet werden. ("Freie Presse", Chemnitz, 20.09.2004) 3.) Die Nazi-Losung "Volksgemeinschaft statt Klassenkampf" verinnerlichte auch Rogowski auf seine Weise. Er sagte: "Am 9. November 1989 haben wir mit der Maueröffnung auch die Abrissbirne gegen den Sozialstaat in Stellung gebracht. Hartz V bis VIII werden demnächst folgen. Es ist ein Klassenkampf, und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch wahrzunehmen ist." (am 16.12.2004 in TV Phönix lt. Wikipedia)

Es war ein Politiker als Richter namens Hans-Jochim Jentsch (CDU), dem als Justizminister in Thüringen  einst Gründe einfielen, die PDS zu verbieten, als Bundesverfassungsrichter aber an der Nichtverbietbarkeit von Parteien, hier der NPD, herumstrickte. Er kam auf die Idee, Nazis, die zugleich V-Leute des Verfassungsschutzes sind, als Hemmnis für ein Verbotsverfahren gegen die NPD anzusehen. Die Folgen sind eine NPD und ihre Anhänger, die sich mit Karlsruher Segen fast alles erlauben dürfen. Kommt es mal zum Verbot einer geplanten Nazidemo, dann rufen die Rechten beim Bundesverfassungsgericht an und bekommen Recht.        U. S.

Anhänge

(Anmerkung 1) Bei den in der Liste „Einblick“ genannten Personen wird immer wieder bis in diese Tage - Bedrohliches ans Haus angeschrieben. Bei „Einblick“ geht es allerdings weniger um den einzelnen genannten Bedrohten, sondern um Prinzip. Es sollten auch jene, so heißt es in der schon zitierten Einleitung, in diesem Bürgerkrieg angegriffen werden, die „uns die Suppe eingebrockt“ haben, also Politiker, Justiz, Polizei, wenn diese nicht den Nazis entgegenkommen.

Ich freue mich, dass Dortmund, wo ich seit 45 Jahren mit meiner Familie lebe, eine Opferberatungsstelle geschaffen hat und andere Maßnahmen ergriffen hat, um den braunen Sumpf auszutrocknen. Lange genug hat es gedauert, bis Dortmund endlich sein Problem erkannte und jene nicht mehr länger ablehnte und kritisierte, die ihren antifaschistischen Protest auf die Straße trugen, auch wenn mal Ladenöffnungszeiten und Verkehrsfluss behindert wurden. Man sagte uns, wir würden das Image der Stadt zerstören. Da waren schon fünf Naziopfer in Dortmund ermordet worden, als man hier endlich erkannte, dass wir einen Aktionsplan gegen Rechts brauchen. Ich bin sehr froh über diesen Plan, - aber ich warne auch vor Selbstgerechtigkeit. Das offizielle Dortmund ist noch nicht der Vorreiter gegen rechts, als den es sich feiern lässt.  Schon tauchen wieder Begriffe auf, die an die Zeit erinnern, da man Imageschaden fürchtete. Jetzt heißt es: Dortmund werde diskreditiert, stigmatisiert wenn man es als Nazihochburg bezeichnet. Oder man sagt, wir sind die Größten, wir brauchen keine „Reisekrawallmacher", womit dann Antifaschisten aus dem ganzen Land verunglimpft werden, die ähnlich wie in Dresden auch in Dortmund mithelfen, die Nazis niederzuringen. Eine sehr böse Niederlage in letzter Zeit war es, daß nach dem Verbot des Nationalen Widerstandes in Dortmund vom August 2012 sofort wieder eine Auffangorganisation „Partei Die Rechte“ von Worch und Co. gegründet wurde, deren Ortsverband diesen selben Nazis von vorher nun das Parteienprivileg besitzt.

(Anmerkung 2) Weiter heißt es in dem Pressebericht: Anschläge wie in Mölln hätten den Zielen nur geschadet, so die Rechtsradikalen. Nicht unbekannte Ausländer sollten das Ziel von "phantasievollen Aktionen" sein, sondern Politiker, Journalisten und Intellektuelle, die sich antinational und pro-multikulturell äußern.

"Dieser Personenkreis muß das Ziel des revolutionären Widerstandes sein," schreiben die Neonazis.

In Thüringen wurde bereits ein Polizist bei Übungen mit der inzwischen verbotenen Wiking-Jugend gefasst, wie in Erfurt bekannt wurde. Das Innenministerium hat es bisher aber unterlassen, diesen Fall öffentlich zu machen. Auch die Bundeswehr ist leichtes Ziel, nachdem das Sicherheitsüberprüfungsgesetz die Kontrollecbnsuchungsmöglichkeiten (Fehler im Original - US) bei der Einstellung von Zeitsoldaten deutlich eingeschränkt hat.

(Anmerkung 3) Weiter heißt es in dem Artikel: Die Stiftung widmet sich seit 15 Jahren dem Kampf gegen rechts. In der Studie werden Fälle vermeintlich staatlichen Versagens bei rassistischen Übergriffen in acht Bundesländern aufgezeigt. Trotz Bekanntwerdens der NSU-Mordserie habe sich am unzulänglichen Verhalten der zuständigen Behörden nichts geändert, kritisierte Kahane. Rechte Gewalt werde regelmäßig bagatellisiert, die Gefährlichkeit der Täter negiert. "Die ganze Bundesregierung ist hier mit einem konzeptionellen und vernetzten Handeln und mit einem Fokus auf die Perspektive potenzieller Opfer von rechter Gewalt gefragt", forderte sie.

(Anmerkung 4) Zu einem US-amerikanischen Rechtsterroristen, Timothy McVeigh, unterhielten die Duisburger „Jungen Nationaldemokraten“ Kontakt. Lange vor dem 11.9.01. Mc Veigh wurde in den USA hingerichtet. Er hatte 1995 das Attentat von Oklahoma begangen, dem 168 Menschen zum Opfer fielen. Die NPD-Jugend schrieb: Tim McVeigh reihe sich ein „in die ewigen Kriegerreihen der Helden unserer Bewegung“. Antijüdische und antikommunistische Attentate propagierte auch der in Lübeck einsitzende Polizistenmörders und Neonazi Kay Diesner. Er preist die „Turner Diaries“ an, und seine Terroraufrufe passieren die Knastkontrollen der deutschen Gefängnisse.

(Anmerkung 5) Aber der Arm eines Parteiverbots erreicht nicht die „freien Kräfte“, wird argumentiert. Dieses Argument fand ich zuerst nicht in Texten der Nazis, sondern in den ersten Stellungnahmen aus dem staatlichen Bereich zu den neuen Organisationsformen der Nazis. Die kamen aus dem Bereich der Ämter für Verfassungsschutz – und waren schon da, bevor die Nazis überhaupt ihre „freien“ Kameradschaften etablierten. Es waren ganz einfach Tipps die Behörden gaben, wie Neonazis nach Verboten ihrer Organisationen weitermachen können, ja sogar die mörderische Anti-Antifa legal arbeiten könne.

So hieß es etwa im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1993 zum Thema „Entwicklung im Extremismus 1993“, in dem der Extremismus als eine Einheit dargestellt wird, innerhalb derer es „Aufschaukelungstendenzen“ von Antifaschisten und Faschisten gäbe: Die Praxis der Linksextremisten bei der Veröffentlichung von Fakten über Neonazis sei „inzwischen von den Neonazis aufgegriffen (!) und gegen linke Gegner“ angewendet worden. Das Resultat seien die „Anti-Antifa“ und die Drohliste „Einblick“. In dem NRW-93er-Bericht wird zur Schwarzen Liste „Einblick“ und zu den behördlich empfohlenen Organisationsformen amtlich argumentiert: „Organisatorisch ungebundene Aktivitäten sind mit Verbotsmaßnahmen kaum angreifbar“, deshalb stehe der Schritt „von der Partei wieder zur Bewegung“ ins Haus. Und derzeit geht man von der Bewegung wieder zur Partei – DieRechte! – und wieder kann man nichts machen?!

Die örtlichen Staatsschutzbehörden bekamen seinerzeit vom Bundeskriminalamt den Hinweis, den “Einblick” und die „Kameradschaften“ nicht so ernst zu nehmen: Dies sei die verständliche Antwort der Nazis auf die Anarchisten und Roten. „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, so dachte man im BKA.

So hat man den Nazis Freibriefe ausgestellt! Und ihr Terror wurde verharmlost als Antwort auf linke Aktionen, – doch nur die Rechten haben rund 180 Menschen umgebracht, die sogenannten „Linken“ keinen.

Der braune Terror war seit Jahren vorhanden, wurde aber bis zum Bekanntwerden des Zwickauer Trios nicht in den ansonsten sehr weit ausgelegten Begriff vom Terrorismus mit einbezogen. “Jeder von uns muss selbst wissen, wie er mit den ihm hier zugänglich gemachten Daten umgeht. Wir hoffen nur, ihr geht damit um!” Das schrieben Worch und seine Leute 1993 im „Einblick“ zu ihren Drohlisten – und sollte Worch abstreiten, der Autor zu sein, so sei erinnert: Zumindest stimmte Worch dem im Fernsehen zu.

Neonazis unterliegen nicht den Antiterrorgesetzen. Sie dürfen sich trotz ihrer Tätigkeit für den Anti-Antifa-Terror und trotz der Fortsetzung der verbotenen Organisationen mittels „Kameradschaften“ weitgehend ungehindert entfalten.

Im November 2001 gab es dafür einen weiteren Beleg, dass diese Leute verbotene Organisationen fortsetzen. Der Informationsdienst „Blick nach Rechts“ (29.11.01) berichtete über einen internen Streit, bei dem sich Neonazis gegen den Führungsanspruch von Christian Worch auflehnten. Worch antwortete seinen Kumpanen: „Am Anfang war Michael Kühnen“; dessen politische Konzepte bilden noch „heute die Grundzüge“, denen die „Freien Nationalisten“, die Kameradschaften also, folgen, „auch wenn vielen das nicht immer bewusst“ sei.

Kühnens Banden waren verboten – also müssen auch die Nachfolger verboten werden, meinen wir. Doch viele dieser Nachfolger sind V-Leute gewesen und geworden. Bis heute wirken sie unkontrolliert.