22.04.2013 Wenzelnberg: Gedenken an die Ermordeten und
Mahnung zum Frieden Die
Städte Leverkusen, Remscheid, Langenfeld, Solingen und
Wuppertal erinnerten am Sonntag, dem 21. April in einer Gedenkstunde am
Wenzelnberg an das Massaker von der Wenzelnbergschlucht im
Frühjahr 1945. Dort erschoss die Geheime Staatspolizei am 13.
April 1945 71 Häftlinge. Christa Bröcher sprach
für die VVN-BdA und erinnerte daran: "Die Opfer, an die wir hier mahnend erinnern,
gehörten zu den 700.000 Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeitern, Häftlingen, Kriegsgefangenen und Deserteuren,
die noch im Frühjahr 1945 bei Todesmärschen,
Erschießungen und Massakern sterben mussten."
Christa Bröcher erinnerte an den Solinger Karl Bennert
(1912-2000), der sich in der letzten Kriegswoche in einer gefahrvollen
Aktion für die weiße Beflaggung und die kampflose
Übergabe Solingens einsetzte und sich für die
Aufklärung des Massenmordes in der Waldschlucht engagierte.
Während die Gestapomörder unbestraft davon kamen,
wurde Bennert in der Zeit des Kalten Krieges für seine Arbeit
für den Frieden eingesperrt. Die VVN-BdA fordert seit langem,
Karl Bennert durch die Stadt Solingen zu ehren. Aus einem Bericht der
WAZ-Gruppe "DerWesten" vom 22. April 2013: Als Erster
ergreift Bürgermeister Frank Schneider das Wort. Die
große Resonanz zeige Jahr für Jahr, dass weder die
Opfer noch die Schandtat selber in Vergessenheit gerate. „Es
könnte ein Frühlingstag wie der heutige gewesen sein,
als sich an dieser Stelle am 13. April 1945 das grausamste Verbrechen
gegen die Menschlichkeit auf Langenfelder Boden ereignete“,
so Schneider. „Die Gedenkstätte und letzte Ruhe der
Ermordeten ist eine Mahnung an die Sinnlosigkeit von Krieg und Gewalt
und ein Ort der dafür sorgt, dass wir niemals vergessen, was
der Mensch dem Menschen anzutun im Stande ist.“ Unser aller
Aufgabe sei es, so Schneider, die Friedensbotschaft in das
tägliche Leben zu übertragen und wachsam zu sein
gegenüber rechter Gesinnung. Anschließend
hielten zwei Abiturienten des Konrad-Adenauer-Gymnasiums eine Ansprache
gegen das Vergessen in der dritten Generation nach Kriegsende. Schon
die enorme Zahl von 6 Millionen Opfer ist kaum vorstellbar –
selbst wenn man sie in Relation setzt: Im Regierungsbezirk
Düsseldorf leben derzeit etwa 5,1 Millionen Einwohner. Auch
die Kaltblütigkeit und Systematik mit der das NS-Regime gegen
alle Gegner vorging, erschreckt noch heute. Bereits am 24. Januar 1945
wurde die Hinrichtung der Gefangenen am Wenzelnberg vom
Reichssicherheitshauptamt in Berlin angeordnet und akribisch
vorbereitet. „Diese Taten dürfen wir nicht
vergessen, damit in den nächsten Generationen
menschenverachtende Systeme früh erkannt und vermieden werden
können“, mahnten Jan und Simon. Die Namen der Opfer
wurden von Henriette und Leonie, ebenfalls zwei Abiturientinnen,
vorgelesen. In ihrer Rede erinnerte Christa Broecher
von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und dem Bund der
Antifaschisten (VVN-BdA) an den Solinger Karl Bennert, der sich
für die Aufklärung des Massenmordes in der
Waldschlucht einsetzte. Es gelang zwar die Schuldigen namhaft zu
machen, aber aufgrund es Straffreiheitgesetzes von 1954 wurden sie
nicht verurteilt. Heutige Generationen tragen keine Schuld an den
Ereignissen der Vergangenheit, so Broecher. Aber sie können
schuldig werden, wenn sie nicht entschieden gegen Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit eintreten. „Einig zu sein im Kampf gegen
Rechts“, so ihre Forderung. Das seien wir alle unseren Eltern
und Großeltern sowie den Widerstandkämpfern und
Opfern des Faschismus schuldig. Zum Abschluss der Veranstaltung sangen
viele Besucher das Lied „Die Moorsoldaten“, das von
Insassen eines Konzentrationslagers im Emsland komponiert wurde. Hier nun der Wortlaut der Rede
von Christa Bröcher: Ich spreche hier
für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der
Antifaschisten. Unsere Organisation wurde 1946 in Nordrhein-Westfalen
von 50.000 Überlebenden der Verfolgungen durch die Nazis als
überparteiliche Organisation gegründet. Die
Opfer, an die wir hier mahnend erinnern, gehörten zu den
700.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, Häftlingen,
Kriegsgefangenen und Deserteuren, die noch im Frühjahr 1945
bei Todesmärschen, Erschießungen und Massakern
sterben mussten. In diesem Jahr ist es 80 Jahre her,
dass Hitler und seiner Partei die Macht übertragen wurde. Das
Nürnberger Kriegsverbrechertribunal stellte im November 1945
fest, dass sofort nach dieser Machtübertragung an die
Naziverschwörer, die geheime Aufrüstung begann. Schon
vier Tage nach dem 30. Januar traf sich Hitler mit den Befehlshabern
des Heeres und der Marine. Man einigte sich darauf, die
„Wiedergewinnung der militärischen Macht“
und deren Gebrauch anzugehen mit dem Ziel der „Eroberung von
Lebensraum im Osten“ und dessen rücksichtslose
„Germanisierung“ als Hauptaufgabe. Mit
„Germanisierung“ war die Ausrottung von Juden und
Slawen umschrieben. Mit den Führern der Stahl- und
Rüstungsindustrie einigte sich Hitler am 20. Februar 1933
darauf, dass sie ihn unterstützen und er ihnen gewaltige
Rüstungsaufträge verschafft. Und so kam es
zum grauenvollsten Krieg der Weltgeschichte. In
den ersten Monaten dieses Jahres gibt es viele
“runde” Gedenktage, die schlaglichtartig immer
wieder bewusst machen, mit welch zielstrebigen Konsequenz das
faschistische System, die faschistische Ideologie installiert wurden
und welche ungeheuren Verbrechen verübt wurden –
unterstützt von Stahl-, Rüstungs- und Chemieindustrie
und bis zu ihrer Selbstauflösung ohne nennenswerten Widerstand
der bürgerlichen Parteien. 1945 schworen
sich die Menschen: Es
darf nie wieder soweit kommen! Krieg darf nie mehr sein! Aber
inzwischen wird mit deutschen Waffen wieder weltweit Krieg
geführt. Deutsche Soldaten stehen im Kriegseinsatz auf drei
Erdteilen. Deutschland ist Rüstungsexportnation Nr. 3. Zurzeit
wird wieder der Export von Waffen nach Saudi Arabien und Katar
diskutiert..... Zu den wirkungsvollen Bewegungen im
Lande gehört die antifaschistische Bewegung. Überall
treten Menschen den Nazis und Rassisten mit phantasievollen Aktionen
und Veranstaltungen entgegen. Wir wünschen uns entschiedenere
Unterstützung dieser Aktivitäten durch die
Behörden, Polizei und Gerichte. Uns
empört sehr, dass man bei gewalttätigen
Naziaktivitäten wie z.B. den Verbrechen des sogenannten
“Nationalsozialistischen Untergrunds” sogar von
Mithilfe der Behörden ausgehen muss, wie die
Anhörungen immer klarer zeigen. Es sieht so
aus, als sollte bei dem NSU-Prozess in München wieder die
Einzeltätertheorie bemüht werden, obgleich es doch
ein Netzwerk von terroristischem Untergrund gibt, zu dem auch V-Leute
und Beamte von Behörden gehören. Ein
anderes Ereignis bewegt uns ebenfalls sehr: Die Tatsache, dass erst
jetzt 50 Täter aus dem Vernichtungslager Auschwitz angeklagt
werden sollen. Die Ludwigsburger Zentralstelle hat dies jetzt bekannt
gegeben. Es zeigt sich wieder: Diese Zentralstelle
zur Aufklärung von NS-Massenverbrechen war und ist nicht in
der Lage, solche Aufträge zur Aufklärung zu
erfüllen. Sie hat nur 19 Mitarbeiter, inklusive Kraftfahrer
und Reinigungskräften. Zum Vergleich: Ludwigsburg hatte 20
Jahre nach Kriegsende 121 Mitarbeiter. Die
Stasi-Unterlagen-Behörde hatte 20 Jahre nach Ende der DDR
1.687 Mitarbeiter. 14 mal mehr Mitarbeiter also um
die Aktenberge der Stasi aufzuarbeiten als für die Verfolgung
der Schuldigen an den Leichenbergen der Nazis zur
Verfügung standen. Nie hatte die
Zentralstelle ausreichende Mittel und auch nie genügend
Personal, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Jahr
für Jahr haben hier die Zeitzeugen, die Zeugen des
Widerstandes gesprochen und an den Schwur der befreiten
KZ-Häftlinge von Buchenwald erinnert. Darin heißt es: „Der Aufbau einer
neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir
unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen
schuldig.“ Und an anderer Stelle: „Wir stellen den Kampf
erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der
Völker steht.“ Einer,
der lebenslang den Kampf für diese Ziele führte, weil
er sich ihnen verpflichtet fühlte, war Karl Bennert aus
Solingen. Er war aktiv im Kampf um die Erhaltung des Friedens bis zu
seinem Lebensende im Jahr 2000, auch als seine Kräfte schon
schwanden. Ihn verband sehr viel mit dieser Stätte, an der wir
hier stehen. Karl Bennert gehörte zu jener
Widerstandsgruppe, die am Morgen des 17. April 1945 den Stadtteil
Solingen-Wald den Amerikanern kampflos übergeben konnte. Es
war ihr gelungen, den Stadtteil weiß zu beflaggen und
Kämpfe mit den Amerikanern zu verhindern. Es
konnte leider nicht verhindert werden, dass das Verbrechen an den 71
Häftlingen verübt wurde, die hier in der
Wenzelnbergschlucht bestattet liegen. Einige davon hat Karl Bennert
selbst gekannt. Er hatte noch am Tage des
Einmarsches der US-Soldaten Nachricht von dem Verbrechen erhalten, das
sich hier in der Wenzelnbergschlucht vier Tage vor der Befreiung der
Stadt zugetragen hat. Der US-Kampfkommandant
gestattete Karl Bennert und seinen Freunden nach der Befreiung
Solingens, zur Erkundung mit einem PKW an den Wenzelnberg zu fahren.
Das Massengrab, noch frisch, war leicht zu entdecken. Karl
Bennert sollte sich dann besonders der Aufklärung des
Massenmordes widmen, Es gelang, die Schuldigen namhaft zu
machen. Doch keiner der namentlich bekannten Gestapo-
und Kripobeamten wurde je für die Morde in der
Wenzelnbergschlucht bestraft. Denn nach §6 des
„Straffreiheitsgesetzes“ von 1954 sollte
Straffreiheit für all jene Straftaten gewährt werden,
die „unter dem Einfluss der
außergewöhnlichen Verhältnisse des
Zusammenbruchs zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 31. Juli 1945 in
der Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht insbesondere auf
Grund eines Befehls“ begangen worden waren. Dies war de facto
die Generalamnestie für alle Mörder, die sich
„Kriegsendphasen-Verbrechen“ schuldig gemacht
hatten. Karl Bennert aber wurde wegen seines
Eintretens gegen die Remilitarisierung der BRD und wegen seiner
Tätigkeit in der Friedensbewegung lange in Untersuchungshaft
gehalten und zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt. Als
„enttäuschten und zornigen alten Mann“ sah
sich Karl Bennert später: In anderen
Ländern wurde Menschen, die so mutig wie er handelten, die
Ehrenbürgerschaft angetragen und es wurden Straßen
nach ihnen benannt. In diesem Land war es schon
viel, wenn Zeitzeugen einmal zu Wort kamen. Davon
gibt es immer weniger. Dies ist einer der
Gründe, warum wir uns seit 1971 Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten nennen. So
können seitdem auch Hinterbliebene und jüngere
Antifaschistinnen und Antifaschisten bei uns Mitglied werden. Gemeinsam
streiten wir für die “Vernichtung
des Nazismus mit seinen Wurzeln”. Diese
Wurzeln sind noch da. Sie werden in jedem Überfall auf
Ausländer sichtbar, im Antisemitismus vieler
Mitbürger, in jeder geduldeten Zusammenrottung von Neonazis
und in jedem kriegerischen Akt, an dem auch unser Land leider schon
wieder mitwirkt. Wie fruchtbar der Geist noch ist,
aus dem das kriecht, zeigt sich in einer wissenschaftlichen Studie, die
für die Friedrich Ebert Stiftung herausgegeben wurde. Titel:
Die Mitte im Umbruch – Rechtsextreme Einstellungen in
Deutschland 2012 (Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler) Ich
möchte hier nur die Aussagen wiedergeben, die eine Zustimmung
von etwa 30 % aller Deutschen fanden – was man wohl nicht
mehr als „Rand der Gesellschaft“ bezeichnen kann. „Wir sollten endlich
wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“
(39,2 %). „Was
unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches
Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem
Ausland“ (29,7%). „Das
oberste Ziel deutscher Politik sollte es sein, Deutschland die Macht
und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“ (27,4 %). „Die Bundesrepublik
ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen
Maß überfremdet“ (37,2%). Immerhin
noch 8 % aller Deutschen finden die Aussage richtig: „Die
Verbrechen des Nationalsozialismus sind in der Geschichtsschreibung
weit übertrieben worden“ und 10,2 % stimmen zu, dass
„der Nationalsozialismus (...) auch seine guten
Seiten“ hatte. Womit wir wieder bei den
Zeitzeugen wären: Es gibt nur noch wenige,
die weiter in die Schulen oder Jugendgruppen gehen können um
dort ihre Erlebnisse, ihre Erfahrungen im Widerstand gegen den
Faschismus eindrucksvoll weiterzugeben und mit den Jugendlichen zu
diskutieren - so wie es viele Naziverfolgte jahrzehntelang getan haben.
Und auch mit Ihnen über die Entwicklungen in der BRD nach
1945, die politische Verfolgung in der Zeit des „Kalten
Krieges“ bis hin zu den Berufsverboten zu sprechen. Der
Verlust solcher Zeitzeugen wie Karl Bennert durch Tod oder
Gebrechlichkeit hat zur Gründung der Gruppe „Kinder des
Widerstandes – Antifaschismus als Aufgabe“
geführt. Diese Gruppe entstand auf
Initiative von 4 Frauen und unterstützt von der VVN/BdA. Alle
4 sind Töchter von Widerstandskämpfern und
–kämpferinnen: „Kinder des
Widerstandes“ wollen dem antifaschistischen
Kampf ein persönliches Gesicht geben, zeigen was Widerstand,
Verfolgung, Inhaftierung, Folter und Terror für den einzelnen
Menschen und dessen Familien bedeutete. Viele unserer
Eltern und Großeltern leisteten schon während der
Weimarer Republik Widerstand gegen den aufkommenden Faschismus, klar
benennend, wer ein Interesse an der Machtergreifung der Nazis hatte und
welche Ziele diese verfolgten. Ihre Erkenntnisse sind angesichts des
Erstarkens des Rechtsradikalismus in unserem Land brennend aktuell. Ihre
Erfahrungen im Kampf gegen den Faschismus wollen wir weitergeben
– auch ihre Einschätzung, warum es nicht gelang,
dass „Dritte Reich“ zu verhindern. Wenn
heute so überrascht getan wird angesichts der Morde und des
Terrors des Nationalsozialistischen Untergrundes NSU, dann
müssen gerade wir „Kinder des
Widerstandes“ daran erinnern, dass die Überlebenden
des Naziterrors bereits nach 1945 und besonders in den
Anfängen der BRD, in den 50 und 60 Jahren, den Kampf gegen die
Refaschisierung aufnahmen. „Vergesst nicht unsere
bitterste Erfahrung!“, warnt Peter Gingold in
dem 2009 erschienenen Buch „Paris Boulevard St. Martin
No.11.“ „Die
Faschisten sind nicht an die Macht gekommen, weil sie stärker
waren, als ihre Gegner, sondern weil wir uns nicht rechtzeitig
zusammengefunden haben. ... 1933
wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die
Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam,
dafür gab es ... nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten
keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht
ist. Aber
heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muss jeder wissen, was
Faschismus bedeutet. Für alle zukünftigen
Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus
nicht verhindern“, so Peter Gingold. Heutige
Generationen tragen keine Schuld an den Ereignissen der Vergangenheit.
Aber sie werden schuldig, wenn sie heute nicht entschieden gegen
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, menschenverachtendes
Verhalten - kurz: gegen die vielfältigen
Erscheinungsformern faschistischer Ideologie, eintreten. Und
dabei gilt es, bei allen vorhandenen ideologischen Unterschieden, einig
zu sein im Kampf gegen Rechts. Das
sind wir unseren Eltern und Großeltern, allen
WiderstandskämpferInnen und Opfern des Faschismus und den
kommenden Generationen schuldig. |