26.10.2013 Ein Briefwechsel mit dem Polizeipräidenten: Was bedeutet "rechtlich zulässig"? Verfassungsrichter
a.D.: "Das Grundgesetz hat ein historische Gedächtnis - das
schließt Antisemitismus, Rassismus und
Ausländerfeindlichkeit aus" Der Dortmunder
Polizeipräsident Norbert Wesseler hat auf den in der Lokalpresse
veröffentlichten Leserbrief von Ulrich Sander zu den
Sprengstoffwürfen der Nazis vom 31. August geantwortet. (Siehe http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1140_nicht_einlullen.htm, http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1145_dortmund.htm).
Dazu nimmt Sander erneut Stellung und er verweist zudem auf die
höchste Rechtsprechung von NRW. Hier der Wortlaut des Briefes
von Wesseler und die Antwort darauf. Polizeipräsidium Dortmund 07. Oktober 2013 Aktenzeichen: ZA 21-13.05.01-448/13 Eingaben und Beschwerden Ihr Schreiben vom 11.09.2013 Sehr geehrter Herr Sander, Ihren Leserbrief vom 11.09.2013 habe ich erhalten. Ich
möchte Ihnen hierauf gerne verdeutlichen, dass ebenso wie in den
vergangenen Jahren durch mich als Versammlungsbehörde alle
rechtlichen Möglichkeiten ergriffen wurden, um im Bezug auf den
Aufzug des rechtsextremistischen Spektrums am 31.08.2013
beschränkende Verfügungen zu erlassen. Auch wenn Sie
offensichtlich meinen Ausführungen bezüglich der
polizeilichen Arbeit gegen Rechts wenig Glauben schenken, möchte
ich Ihnen darüber hinaus versichern, dass meine Behörde
weiterhin mit zahlreichen Maßnahmen, sofern rechtlich
zulässig, gegen die rechtsextremistische Szene vorgeht. Mit freundlichen Grüßen Gez. Norbert Wesseler Polizeipräsident Sander antwortete wie folgt: Herrn Polizeipräsident Norbert Wesseler Dortmund, den 18. 10. 2013 Ihr Schreiben vom 7.10. 2013, ZA 21-13.05.01-448/13 Sehr geehrter Herr Wesseler, Ich
danke Ihnen für Ihre E-Mail, mit der sie auf meinen Leserbrief vom
11.9.2013 antworteten, in dem ich Landesinnenminister und
Polizeipräsident Dortmund kritisierte. Ihre Versicherung,
dass Ihre Behörde weiterhin mit zahlreichen Maßnahmen gegen
die rechtsextremistische Szene vorgeht, begrüße ich
außerordentlich. Sie schränken diese Zusicherung ein und betonen, die Maßnahmen müßten "rechtlich zulässig" sein. Was
das bedeutet, darüber gibt es bekanntlich sehr unterschiedliche
Auffassungen, obgleich das Grundgesetz mit Artikel 139 einen klaren
Rahmen vorgibt. Eindeutig definierte es immer wieder das
Oberverwaltungsgericht Münster, höchstes OVG in NRW. Leider
hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder die gegen die Nazis
gerichteten Urteile des OVG Münster aufgehoben. Das haben wir
kritisiert und kritisieren es weiter. Ich erinnere an folgendes: Als
die Dortmunder Polizei vor drei Jahren eine ähnliche Situation
heraufkommen sah wie Ende August 2013 bei uns, schritt sie sofort zum
Verbot des Naziaufmarsches. Es lag der Fall Falko Wolf vor. Der Neonazi
hat damals in Berlin und Aachen bei Demos mit Sprengstoff hantiert, und
kam dann zum Naziaufmarsch Anfang September 2010 nach Dortmund. Es
bestand große Gefahr und die Polizei handelte. Leider hat das BVG
dann trotzdem das Verbot des Aufmarsches der Nazis ganz kurz vor Beginn
der Gegenaktionen der Demokraten aufgehoben. Das war für uns
unfaßbar. Das war fahrlässig. Und unfaßbar ist
das für uns, was die Dortmunder Polizei am 31. August 2013
zugelassen hat. Man hätte wenigstens eine strenge Untersuchung der
Teilnehmer des Naziaufmarsches vornehmen müssen. Ein
Sprengstofffund muß sofort zum Verbot führen! Und zwar auch
dann, wenn das BVG noch so absurde Verhaltensweisen an den Tag legen
könnte. (Hat es ja nicht. Warum wurde das Verbot nicht einmal
versucht?) Die Gläubigkeit in die Weisheit der höchsten
Richter des Bundes - unter Außerachtlassung der Vernunft der
Richter des Landes NRW - ist uns auch vor dem Hintergrund der
Geschichte des 20. Jahrhunderts unverständlich. Was hätte an
Krieg und Katastrophen verhindert werden können, wenn 1932 nach
dem Preußenschlag die Demokraten und Antifaschisten den Spruch
des höchsten Reichsgerichts nicht einfach hingenommen hätten!? Heute
haben wir eine andere Situation - aber dennoch: Wehret den
Anfängen. Politik und Polizei müssen handeln, und die
Öffentlichkeit dazu, wenn Teile der Justiz versagen. Wobei im
Falle 31. 8. 13 ja noch nicht einmal der Test unternommen wurde, wie
die höchsten Justizkreise sich in diesem Fall verhalten
hätten. Mit freundlichen Grüßen Ulrich Sander PS Ich gestatte mir, Ihnen einige Links zur Situation von 2010 zukommen zu lassen. http://www.taz.de/!57836/ http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/neo-nazis-poebeln-schlagen-bomben-bauen-id3642657.html#plx1923102817 http://www.bnr.de/search/node/falko Der Leserbriefe hatte gelautet und dazu nahm Norbert Wesseler Stellung: 11.09.13 Leserbrief Neonazi-Terror erhebt in Dortmund das Haupt - und was geschieht? Ein
von Neonazis beauftragter Bombenbastler wurde aus der Untersuchungshaft
entlassen, gegen weitere mutmaßlich Tatbeteiligte wird nur wegen
Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt. Das wird
über die Akteure der Terroraktion der Nazis vom 31. August in
Dortmund gemeldet. Schon am Tage, da wir Dortmunderinnen und Dortmunder
uns freundlich als Widerständler feiern ließen, war mir sehr
unwohl zumute, als ich von den "Böllern" hörte. Lassen wir
uns nicht einlullen! Die Lage ist ernst! In den Vorjahren wurden die
Neonazis, die mit Genehmigung höchster Gerichte marschierten,
wenigstens mit starken Auflagen versehen. Sie wurden nach Waffen
durchsucht, bevor sie auf anständige Menschen losgelassen wurden.
Diesmal offenbar nicht. Innenminister und neuer Polizeipräsident
versichern uns immer wieder, sie stünden den Nazis auf den
Springerstiefeln. Das klingt gut, trifft aber offenbar nicht zu. Die
Fahrlässigkeit im Umgang mit der Sicherheit der Bürgerinnen
und Bürger muss ein Ende haben. Die Verbot der Nazigruppen
müssen durchgesetzt werden und nicht faktisch außer Kraft
gesetzt werden. Schluß mit jeglicher Genehmigung von
Naziaufmärschen. Das Grundgesetz, Artikel 139, verlangt es,
es gebietet, dass die Lehren von 1933 gezogen werden. Ulrich Sander Bundessprecher der VVN-BdA, Dortmund Man
beachte auch das Interview der Frankfurter Rundschau mit dem
scheidenden obersten Verfassungsrichter und Präsidenten des
OVG in Münster Michael Bertrams (12. Januar 2013) u.a. über
die Vernunft der Richter des Landes NRW: "Das
Grundgesetz hat ein historisches Gedächtnis - das schließt
Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit aus" Mit
dem Bundesverfassungsgericht lagen Sie immer wieder spektakulär
über Kreuz, wenn es um Neonazi-Demonstrationen ging, deren Verbot
Sie in Münster bestätigt hatten, während Karlsruhe
anschließend auf Zulassung entschied. Bedauerlicherweise, ja. Verletzte Eitelkeit unter Kollegen? Einspruch!
Die Auseinandersetzung mit Karlsruhe hat nichts mit persönlicher
Eitelkeit zu tun, sondern mit meiner Rechtsüberzeugung und sehr
grundsätzlichen Überlegungen. Sie allein waren Anlass, in
eine Konfrontation zu gehen. Nämlich? Das
Grundgesetz hat ein „historisches Gedächtnis“. Nach
Auffassung des Senats, dem ich vorgestanden habe, ist es damit
ausgeschlossen, dass Antisemitismus, Rassismus und
Ausländerfeindlichkeit am Prozess der öffentlichen
Meinungsbildung teilhaben können. Es handelt sich dabei nicht
bloß um „missliebige Meinungen“, wie Karlsruhe das
qualifiziert hat, sondern um Haltungen, denen das Grundgesetz eine
entschiedene Absage erteilt hat. Wer damit in die Öffentlichkeit
gehen will, darf nach meiner Überzeugung durch ein
Versammlungsverbot daran gehindert werden. Wo stehen Sie im Streit über das erneute NPD-Verbotsfahren? Der Antrag ist dringend notwendig und kommt leider viel zu spät. Warum? Es
ist unerträglich, dass Neonazis vom Steuerzahler mitfinanziert
werden und ihr braunes Gift ungehemmt in der Öffentlichkeit
verbreiten können. Es frisst sich so immer weiter in die Mitte der
Gesellschaft hinein. Da erwarte ich von den Hütern der Verfassung
ein klares „Nein“. Es
geht Ihnen also um die Signalwirkung? Sie werden mit einem NPD-Verbot
doch weder die Neonazis selbst los noch deren Gedankengut. Richtig.
Aber der Staat kann seine Wehrhaftigkeit zeigen und deutlich machen,
„das wollen wir in Deutschland nicht“. Wenn das
Bundesverfassungsgericht das öffentliche Agieren einer Partei wie
der NPD über viele Jahre immer wieder durchwinkt, dann entsteht
sehr schnell der Eindruck, „so schlimm kann das mit dieser Partei
ja wohl nicht sein, sonst hätte das oberste Gericht des Landes
bestimmt anders entschieden“. Denken Sie nur daran, dass die
NSU-Morde in die Zeit der sehr liberalen – ich möchte am
liebsten sagen: libertinären – Karlsruher Rechtsprechung
fielen. Da sehen Sie einen Zusammenhang? Hätte
das Verfassungsgericht die Existenz solcher hochaggressiven Strukturen
bis hin zur Mordbereitschaft vor Augen gehabt, wäre die
Rechtsprechung sicher anders ausgefallen. Man hat den Rechtsextremismus
viel zu lange verharmlost und dramatisch unterschätzt. FR-Interview mit Michael Bertrams, oberster Verfassungsrichter NRW, am12.1.13 |