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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

12.02.2013

VVN-BdA wünscht Gedenkstätte für die Opfer des "paranoiden Antikommunismus"

Neues Deutschland greift den Vorschlag auf

Über die Initiative für eine Gedenkstätte für die Opfer der politischen Justiz im Kalten Krieg berichtet ausführlich das "Neue Deutschland" am 9.2.13. Der Bundesausschuss der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/BdA hatte im November eine diesbezügliche Resolution veröffentlicht. Die niedersächsische VVN-BdA wird zu dem Thema eine Arbeitsgruppe bilden.  Der Beitrag unter der Überschrift "Hält der Staat Selbstkritik aus? - Vorschlag zur Erinnerung an die Opfer des 'paranoiden Antikommunismus'" wurde von Hans Canjé verfasst. Hier der Wortlaut:

Hält der Staat Selbstkritik aus?

Vorschlag zur Erinnerung an die Opfer des »paranoiden Antikommunismus«

Von Hans Canje

Das war für die politische Situation in der Bundesrepublik schon eine ungewöhnliche Begegnung, die vor zehn Jahren im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung stattfand Am 13. Februar 2003 empfing hier der damalige Justizminister Christian Pfeiffer (SPD) Mitglieder der »Landesinitiative für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges«. Seiner Einladung waren Frauen und Männer gefolgt, die in den Jahren des Kalten Krieges zwischen 1951 und 1968 im Geist der vom »paranoiden Antikommunismus« (Pfeiffer) bestimmten Regierungspolitik zu Opfern der politischen Justiz geworden waren. Ausgerechnet Pfeiffer (der »Zwangstöpfen« in der DDR-Kinderkrippen mit »Untertanengeist« verband«) war der erste prominente westdeutsche Politiker, der sich öffentlich diesem bis heute mit einem Mantel des Schweigens verdeckten Thema gestellt hat und dies mit vordem und seitdem auch nicht mehr vernommener Klarheit.

Das Magazin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN - BdA) »antifa« informiert nun in seiner Januar/Februar Ausgabe über eine Forderung nach einer Gedenkstätte für die Opfer der politischen Justiz des Kalten Krieges. Zur Begründung verweisen die Initiatoren darauf, dass das Schicksal der vom 1951 in Kraft getretenen 1. Strafrechtsänderungsgesetz (»Blitzgesetz«) Betroffenen weitgehend unbekannt ist. Das Thema werde in keiner Gedenkstätte thematisiert. Dabei machen die Zahlen »einem Polizeistaat alle Ehre«, so der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP): rund 250 000 Ermittlungsverfahren, in die bis zu eine halbe Million Bundesbürger einbezogen waren, sowie letztlich 10 000 Verurteilungen zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen.

Das »Blitzgesetz«, dem das Verbot der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und 1956 das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) sowie etliche Verfahren und Verurteilungen folgten, bezeichnete Pfeiffer damals als »letztlich ein Gesinnungsstrafrecht«. Eingeführt worden sei es zur Rechtfertigung der Wiederaufrüstung des von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) an die Wand gemalten Feinbildes: die Sowjetunion und der Kommunismus. Die Ähnlichkeiten dieses Gesetzes mit den Vorschriften zu Hoch- und Landesverrat und dem Abschnitt »Staatsgefährdung«, seien nicht zufällig den Strafbestimmungen des NS-Staates ähnlich gewesen: »Der zuständige Ministerialrat im Bundesjustizministerium Dr. Josef Schafheutle hatte bereits im Reichsjustizministerium am politischen Strafrecht des NS-Regimes mitgearbeitet.«

Wegen der Vergangenheit des Gefängnisses in Wolfenbüttel böte es sich als Standort einer Gedenkstätte an, heißt es in »antifa«. Zwar könnten auch andere Orte ins Auge gefasst werden, aber - so die Initiatoren - sie sollten sich schon in Niedersachsen befinden. »Denn dort sind an verschiedenen Stellen die Verbindungen zwischen der Justiz vor und nach 1945 wie auch der Opferschicksale vor und nach 1945 besonders ausgeprägt.« Genannt wird dabei konkret die JVA Wolfenbüttel. Sie ist das, was man einen »Ort mit doppelter Vergangenheit« nennt. Hier wurden zwischen dem 23. September 1937 und dem 15. März 1945 mindestens 600 Menschen, darunter belgische, französische und deutsche Widerstandskämpfer, Juden, Sinti und Roma und andere »Volksschädlinge« durch Strang oder Guillotine hingerichtet. Gedenkstättenleiter Wilfried Knauer hält im Ergebnis neuer Recherchen gar 2000 Opfer für möglich.

Nach Informationen des inzwischen verstorbenen Journalisten und einstigen Wolfenbüttel-Häftlings Walter Timpe mussten rund 100 wegen Verstoß gegen das FDJ- oder KPD-Verbot von der niedersächsische Justiz Verurteilte ihre Strafe in Wolfenbüttel verbüßen. Dieser Ort, so der Landesjustizminister 2003, »musste gerade für diese politisch Engagierten und historisch informierten Gegner des Nationalsozialismus besonders schmerzlich gewesen sein: Unmittelbar gegenüber ihren Hafträumen und von deren Fenstern gut zu sehen, befand sich - noch im unveränderten Zustand - die ehemalige Hinrichtungsstätte der NS-Justiz ... Welch eine Aussicht auf die langen Schatten einer unbewältigten Vergangenheit.«

Die Initiative für eine Gedenkstätte in Wolfenbüttel für die Opfer der politischen Justiz im Kalten Krieg schließt sich einer Überlegung von Oberlandesgerichtsrat a. D. Helmut Kramer an: Wenn der »demokratische Staat Selbstkritik aushält«, wird es eine Ausstellung darüber geben, »was in der Frühzeit der Bundesrepublik unter dem scheinbar ungetrübten Himmel des Rechtsstaats möglich war«.

Mit freundlicher Genehmigung von Neues Deutschland (vom Samstag, 9. Februar 2013, Seite 23)

siehe auch:

Forderung nach einer Gedenkstätte für die Opfer des Kalten Krieges in der BRD
Schicksal von 10.000 Inhaftierten weitgehend unbekannt
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1022_opfer_kalter_krieg.htm

Kinder von Widerstandskämpfern erinnern sich
Naziopfer wurden doppelt bestraft - vor und nach 1945
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0434_zweimal_bestraft.htm