29.11.2012 Forderung nach einer Gedenkstätte
für die Opfer des Kalten Krieges in der BRD Schicksal von 10.000
Inhaftierten weitgehend unbekannt Der
Bundesausschuss der VVN-BdA hat am 19. November 2012 getagt und
beschlossen: Er möchte dabei helfen, dass in der
alten BRD eine Gedenkstätte für die Opfer des Kalten
Krieges in Westdeutschland entsteht. Er – wie auch die
VVN-BdA Niedersachsen und NRW und die
„Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer
des Kalten Krieges“ - unterstützt die
Vorschläge von Herrn Richter a.D. Dr. Helmut Kramer
(Wolfenbüttel) wie auch von Peter Dürrbeck
(Göttingen), die sich seit längerem mit dem Thema
„Schaffung einer Gedenkstätte für die Opfer
des Kalten Krieges in der BRD“ befasst haben. Auch die Gruppe
„Kinder des Widerstandes“ befürwortet auf
der Grundlage der Kramerschen Recherchen (siehe unten) die Schaffung
einer solchen Gedenkstätte auf dem Gebiet der alten BRD. Ein
Besuch in einer Gedenkstätte für die Opfer des Kalten
Krieges in der BRD ist in Ermangelung einer solchen nicht
möglich. Dass es Opfer des Kalten Krieges, auch solche aus dem
Kreis der „Kinder des Widerstandes“ und der doppelt
– vor wie nach 1945 – wegen politischer Opposition
und Widerstands bestraften Menschen im Westen gab, das ist weitgehend
unbekannt und wird in keiner Gedenkstätte bisher thematisiert. Wegen
der Vergangenheit des Gefängnisses in Wolfenbüttel
böte es sich als Standort an. Allerdings sollten auch andere
Standorte in Auge gefasst werden. Aber sie sollten sich in
Niedersachsen befinden. Denn dort sind an verschiedenen Stellen die
Verbindungslinien zwischen der Justiz vor und nach 1945 wie auch der
Opferschicksale vor und nach 1945 besonders ausgeprägt. Der
Richter im Ruhestand Dr. Helmut Kramer führte in einem Aufsatz
in der Zeitschrift „Ossietzky“ aus: Aus:
www.justizgeschichte-aktuell.de: Gedenkstätte ohne
Täter Helmut Kramer in der Zweiwochenschrift für
Politik / Kultur / Wirtschaft <Osietzky> Heft 12/2012: Auszug:
(…) Adressaten der Gedenkstätte
Wolfenbüttel sind alle Bürger, aber besonders
Juristen und angehende Juristen. In Wolfenbüttel
könnten sie lernen, daß juristische
Berufsqualitäten ins Gegenteil umschlagen können. Die
Möglichkeit eines manipulativen Umgangs mit dem juristischen
Instrumentarium ist kein Spezifikum des Unrechtsstaates. Deutlich wurde
das in den 1950/60er Jahren, als weit über 100.000
Bürger mit Strafverfahren überzogen wurden, weil sie
als Kommunisten oder auch nur in Zusammenarbeit mit Kommunisten die
Adenauer-Regierung kritisierten und gegen die unter Adenauer betriebene
Wiederaufrüstung agitierten. Zur NS-Justiz
gab es nicht nur argumentative Parallelen, sondern auch viele
personelle Kontinuitäten. Der damals 24jährige
Journalist Walter Timpe hatte es gewagt, Artikel gegen die
Wiederaufrüstung und über die Nazivergangenheit
einiger Minister, darunter die des Bundesvertriebenenministers Theodor
Oberländer, zu veröffentlichen. Auch hatte er das
Verbot der kommunistischen Jugendorganisation FDJ kritisiert. Daraus
konstruierte die Anklage eine
»Rädelsführerschaft« in einer
verfassungsfeindlichen Vereinigung und Beihilfe zur
Geheimbündelei in verfassungsfeindlicher Absicht. Deswegen
wurde er 1955 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Sein
Ankläger war Staatsanwalt Karl-Heinz Ottersbach, der beim
Sondergericht Kattowitz gegen jüdische und polnische
Angeklagte mit unvorstellbarer Grausamkeit gewütet hatte. Vor
der politischen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg sahen
Timpe und viele andere Kommunisten sich auch mit dem
Landgerichtsdirektor Konrad Lenski konfrontiert. Dieser hatte im
Dritten Reich als Richter und Staatsanwalt beim Reichskriegsgericht
mindestens 13 französische und andere
Widerstandskämpfer unter das Fallbeil gebracht. Einen Zeugen
Jehovas ließ er wegen »Zersetzung der
Wehrkraft« zum Tode verurteilen. Als in dem von der DDR
veröffentlichten »Braunbuch« die Namen
Lenski und Ottersbach erschienen, verfügte das Landgericht
Lüneburg mit Wirkung für die gesamte Bundesrepublik
die Einziehung des »Braunbuchs«. Landgerichtsdirektor
Kurt Bellmann hatte am Sondergericht Prag über 110
Todesurteile gefällt. Mehrere Frauen wurden verurteilt, weil
sie ihre jüdischen und kommunistischen Freunde zeitweise bei
sich beherbergt und beköstigt hatten. Bellmann wurde zwar nach
dem Krieg in Prag zu 20 Jahren schwerem Kerker verurteilt, aber schon
1955 wurde er als »nicht amnestierter
Kriegsverbrecher« in die Bundesrepublik abgeschoben. Dort
übernahm ihn die niedersächsische Justiz sofort als
Landgerichtsdirektor. Ein gegen Bellmann eingeleitetes Verfahren wurde
eingestellt. In der Einstellungsbegründung der
Staatsanwaltschaft Hannover vom 5. Mai 1961 heißt es zu den
von der Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus und anderen
Gruppen erstatteten Strafanzeigen: »Es handelt sich offenbar
um eine Schützenhilfe der VVN, gelenkt vom östlichen
Weltkommunismus ... Die Anzeigen … sind nichts anderes als
Kampfmittel im Kampfe des östlichen Weltkommunismus gegen die
westlichen Demokratien und müssen als solche gesehen, erkannt
und gewertet werden.« Timpe und seine
Gefährten mußten ihre Strafen in der JVA
Wolfenbüttel verbüßen. Ihr Schicksal und
die Namen der für ihre Verurteilung verantwortlichen Juristen
kommen in der Gedenkstätte nicht vor. Der Gedanke, die
nötigen Informationen würden bald nachgeholt, ist
angesichts der rechtslastigen Einstellung des
niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann wohl
illusionär. Wer sich wenigstens durch Einsichtnahme in das
Archiv der Gedenkstätte informieren möchte, sieht
sich der von Knoch verfügten totalen Archivsperrung
gegenüber. Mit der
Vernachlässigung des Täteraspekts setzt die
Gedenkstätte Wolfenbüttel die Tradition jenes Systems
von Verschweigen und Verharmlosung fort, das die Vergangenheitspolitik
früherer Jahrzehnte beherrscht hat. Die Ausstellung leidet
nicht unter einem Zuviel, sondern unter einem Mangel an Texten.
Für Täterbiographien steht in den noch immer leeren
Aktenschubern und im »Täterturm« reichlich
Platz zur Verfügung. (…) (Mit
Mißständen in der Gedenkstätte
Wolfenbüttel hat sich Helmut Kramer, ehemaliger Richter am
Oberlandesgericht Braunschweig und Gründer des Forums
Justizgeschichte e.V., zuvor schon in den Ossietzky-Heften 8, 9 und
10/12 befaßt.) Anmerkung: Neben dem
VVN-Aktivisten Timpe waren VVN-Geschäftsführungs-
bzw. Landesvorstandmitglieder in Wolfenbüttel inhaftiert, z.B.
solche, die vor 1945 verfolgt wurden und nach 1950 dort
saßen. Es waren August Baumgarte, Richard Brennig und August
Stein, sowie Leo Heinemann, ferner einige Kinder von Naziverfolgten
sowie viele FDJler, KPD-Funktionäre, Mitglieder von
Organisationen wie Freie Wählervereinigungen oder der
Arbeitsgruppe „Für demokratische Rechte“
oder DDR-Bürger, die im Auftrage von ihren Organisationen in
die Bundesrepublik gefahren waren, um zu gesamtdeutschen
Gesprächen einzuladen. Redakteure der
niedersächsischen Tageszeitung der KPD „Neue
niedersächsische Volksstimme“ waren unter den in
Niedersachsen Verfolgten - schon vor dem KPD-Verbot. (Aus
einem Bericht von Peter Dürrbeck) Insgesamt
haben, so die Forschungen von Dr. Rolf Gössner (Liga
für Menschenrechte), rund 10.000 politische Gefangene in den
50er und 60er Jahren in Westdeutschland eingesessen, es gab 200.000
Ermittlungsverfahren und 500.000 Bürger wurden durch
Maßnahmen des Verfassungsschutzes betroffen. |