14.10.2012 Kapitalisierte Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit Rezensionen
zu Ulrich Sander (Hg.) "Von Arisierung bis Zwangsarbeit - Verbrechen
der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 - 1945" Von Dr. Siegfried Ransch aus Berlin stammt die
folgende Rezension zum Buch "Von Arisierung bis Zwangsarbeit -
Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr, herausgegeben von der
VVN-BdA NRW, das im Mai 2012 erschien. Außerdem wird hiermit
eine Rezension aus "Der Bremer Antifaschist" von Ulrich Stuwe zum
selben Buch vorgestellt, sowie die Besprechung von Dr. Ulrich Schneider
aus der "Glocke vom Ettersberg" (Zeitung der Lagergemeinschaft
Buchenwald-Dora Freundeskreis e.V.) präsentiert. Es war Ende 2007, Anfang 2008, als die
nordrhein-westfälische "Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA)
eine Rallye "Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr
1933 bis 1945" auf den Weg brachte. Der gewählte Zeitpunkt des
Starts der Rallye war zur mahnenden Erinnerung an die 75
Jahre zuvor erfolgte Machtübertragung an Hitler und die NSDAP
gedacht. Inhalt und Ziel der langfristig angelegten Aktion: Vor Ort
Geschichtsbewusstsein schaffen in Verpflichtung gegenüber den
Opfern an die aus Industrie und Banken mächtigen
Täter der Verbrechen erinnern, die Spur der Täter
durch Inschriften sichtbar machen. Vor dem 80 Jahrestag der
Machtübertragung von 1933 im Jahre 2013 geht es nun besonders
darum - dies angesichts der Krise seit 2008: Die Fragestellung "Welche
Krisenauswege wählte das Kapital damals und heute?" zu
betonen. Kapitalisierte
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Rezension zu Ulrich Sander
(Hg.) „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen
der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 – 1945“ 2012
Von Dr. Siegfried Ransch Es
war Ende 2007, Anfang 2008, als die nordrhein-westfälische
„Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund
der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) eine
Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und
Ruhr 1933 bis 1945“ auf den Weg brachte. Der
gewählte Zeitpunkt des Starts der Rallye war der mahnenden
Erinnerung an die 75 Jahre zuvor erfolgte
Machtübertragung an Hitler und die NSDAP geschuldet. Inhalt
und Ziel der langfristig angelegten Aktion: Vor Ort geschichtsbewusst
leben, in Verpflichtung gegenüber den Opfern an die aus
Industrie und Banken mächtigen Täter der Verbrechen
erinnern, die Spur der Täter durch Inschriften sichtbar
machen, zum Nachdenken über die Wurzeln von Nazismus und
imperialistischem Krieg anregen, für Demokratie und Frieden
eintreten. Heute, und das verlauten die VVN-BdA-Aktivisten bei neuen
Aktionen der Rallye, kommt noch – angesichts der Krise seit
2008 – das Problem hinzu: Welche Krisenauswege
wählte das Kapital damals und heute? Antifa-
und Jugendgruppen, Schülerinnen und Schüler wurden
aufgerufen, vor Ort Informationen über Täter und ihre
Spuren zu sammeln und mit Hilfe von VVN-BdA zu
veröffentlichen. Die erste Aktion
fand am 4. Januar 2008 in Köln am Stadtwaldgürtel 35
statt. Dort hatten sich vor 75 Jahren Banker, Konservative und Nazis
unter Führung Adolf Hitlers getroffen, um die
Machtübertragung an Hitler vorzubereiten. Ein Schild erinnert
an Täter und Tatort: „Hier, im Haus des
Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4.
Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine
Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen
zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für
Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die
Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der
Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder
unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des
Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen
der deutschen Wirtschaft an die SS.“ Vier
Jahre nach Beginn dieser „Rallye“ der
nordrhein-westfälischen VVN-BdA, im Frühjahr 2012,
erschien im PapyRossa Verlag ein Buch zur Aktion, „Von
Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und
Ruhr 1933 bis 1945“, herausgegeben von Ulrich
Sander. Für Herausgeber und Autor
Ulrich Sander könnte ein abgewandelter Satz von Arnold
Schönberg gelten. Der Komponist und Lehrer für
Komposition leitet seine „Harmonielehre“ mit dem
Satz ein: „Dieses Buch lernte ich von meinen
Schülern.“ Sander lernte das Buch von
antifaschistischen Aktionen in Nordrhein-Westfalen. Bis
zum Herbst 2011 beteiligten sich Gruppen in 25 Städten des
Bundeslandes an der „Rallye“. (Vorbemerkung des
Herausgebers) Die Darstellungen von Leistungen der beteiligten Menschen
beeindruckt am Buch stark: Die Mühen von Laien, sich
Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft anzueignen, um so die eigenen
Recherchen und Aktionen zu fundieren; ihr Mut, in der Heimatgemeinde
die Wahrheit über die mächtigen Täter zu
verbreiten; ihre Beharrlichkeit, die Spur der Täter sichtbar
zu machen; ihr Engagement gegen Kriegsrüstung und Krieg, gegen
faschistische Gruppen und für Demokratie und Frieden. Neben
der „Vorbemerkung des Herausgebers“ und einer
Einleitung „Von „Verbrechen der
Wehrmacht“ zu „Verbrechen der
Wirtschaft“. Eine notwendige Erweiterung der Perspektive in
der Geschichtspolitik“ (Ulrich Schneider) ist das Buch in 21
Kapitel gegliedert, die von insgesamt elf Autoren stammen. Allein 14
Kapitel haben Ulrich Sander und den unvergessenen Manfred Demmer + zum
Autor bzw. Rechercheur. Von Wissenschaftlern, d.h. Gastautoren, stammen
drei Kapitel: Manfred Weißbecker „Die
große Koalition der Rechten: Die Harzburger Front“;
Thomas Kuczynski „Rückschau auf die
Zwangsarbeiterentschädigung – Kein Schlussstrich!
Wirtschaftswunder als Resultat der Kriegswirtschaft“; Kurt
Pätzold „Faschismus an der Macht und
Kapitalismus“. Das Buch
schließt an Stelle eines Nachwortes mit einem
„Brief an Thomas Gottschalk. Nach dem Urteil von Den Haag zur
Verweigerung jeder Entschädigung für NS-Opfer in
Griechenland und Italien.“ (Ulrich Sander)
Die Rallye „Spurensuche
Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“
findet in einer gegenüber dem Zeitraum von 1945 bis 1992
grundlegend veränderten welthistorischen und innenpolitischen
Situation statt. Die heutige Auseinandersetzung mit den Verbrechen des
deutschen Kapitals, insbesondere des Konzernkapitals aus Banken, Kohle,
Stahl, Chemie und Staatskapital eingeschlossen, bezieht ihre
Berechtigung aus den Schulden gegenüber den Zwangsarbeitern
und KZ-Häftlingen, aus den von Hitler übernommenen
und nie bezahlten Staatsschulden gegenüber Griechenland, aus
fälligen Entschädigungen für Opfer und deren
Hinterbliebene des Naziterrors, etwa in Italien und Griechenland; sie
bezieht ihre Berechtigung aus der Notwendigkeit, alle noch vorhandenen
Quellen zu erschließen, damit eine möglichst
umfassende Darstellung der Geschichte des deutschen Faschismus zwischen
1933 und 1945 gegeben werden kann; sie bezieht ihre Berechtigung aus
der Notwendigkeit, insbesondere jungen Menschen Basiswissen
für demokratische und also auch antifaschistische Haltungen zu
vermitteln, in einem Land, in dem faschistische Banden serienweise
morden und aktive Demokraten systematisch terrorisiert werden, die
faschistoide NPD staatlich gefördert wird. Und die Erinnerung
an die Verbrechen der Wirtschaftsmächtigen 1933 bis 1945 ist
unerlässlich, weil Deutschland wieder an Kriegen beteiligt
ist, weil deutsche Rüstungsindustrie wieder Kriegsindustrie
ist, weil imperialistische Kriege unweigerlich Kriegsverbrechen
hervorbringen – all das verlangt Widerstand. Ulrich
Schneider zeigt einige Momente des Wandels historischer
Auseinandersetzungen mit dem faschistisch verfilzten deutschen
Monopolkapital. Er erinnert an die umfangreichen Untersuchungsberichte
des „Office of Military for Germany (U.S.)“, kurz
OMGUS, aus dem Jahre 1947: „Ermittlungen gegen die Deutsche
Bank“, „Ermittlungen gegen die Dresdner
Bank“ und „Ermittlungen gegen I.G. Farbenindustrie
AG“, sowie an die im selben Jahr begonnenen
Nürnberger Prozesse gegen führende
Wirtschaftsvertreter: Flick-Prozess (Fall V), I.G.-Farben-Prozess (Fall
VI) und Krupp-Prozess (Fall X). Eingebettet zunächst allein in
die Geschichte Westdeutschlands – von der gescheiterten
grundlegenden Abrechnung mit den ökonomischen Wurzeln von
Welteroberungskrieg und Faschismus, über Restaurierung und
Neuentwicklung deutscher Konzerne während des
„Kalten Krieges“ bis hin für die Zeit des
neuen deutschen Staates – hebt Schneider
Veröffentlichungen zur Rolle der deutschen Wirtschaft hervor,
so das 1974 veröffentlichte Werk von George W.F. Hallgarten
und Joachim Radkau: „Deutsche Industrie und Politik Von
Bismarck bis heute“. Die „Deutsche Bank“
heulte auf und setzte durch, dass einige Seiten geschwärzt
wurden. Auch in der „Anti-Festschrift“ von F.C.
Delius zum 125jährigen Jubiläum des Siemens-Konzerns
mussten nach langem Rechtsstreit Stellen geschwärzt werden.
Ulrich Schneider widerfuhr, dass ein I.G.-Farben Nachfolger, die
Behringwerke AG Marburg, juristische Konsequenzen androhte, als er
Dokumente über deren Beteiligung an verbrecherischen
Menschenversuchen im KZ Buchenwald veröffentlichte. In den
80er Jahren habe es eine immer größere Zahl von
Veröffentlichungen kritischer Historiker über die
Rolle von Unternehmen und Unternehmern im Faschismus gegeben.
Insbesondere Otto Köhler trat mit zahlreichen Publikationen
hervor, so 1986 das Buch „… und heute die ganze
Welt. Die Geschichte der I.G. Farben und ihrer
Väter“. Von einem Nachfolgekonzern beauftragt legte
Gottfried Plumpe 1990 das Werk „Die I.G. Farbenindustrie AG
– Wirtschaft, Technik und Politik 1904-1945“ im
Jahre 1990 vor. Schneider hebt die
fundamentale Bedeutung der Ausstellung „Vernichtungskrieg
– Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“
für die zeitgeschichtlichen Debatten der 90er Jahre hervor.
Der Mythos von der „sauberen“ Wehrmacht war
öffentlich widerlegt. Die heftigen Auseinandersetzungen sind
in Erinnerung geblieben. Und auch hier ging es um die Vergangenheit im
Hinblick auf die zukünftige Entwicklung Deutschlands.
Schneider konstatiert einen Aufschwung
kritischer Unternehmensgeschichtsschreibung ab Mitte der 90er Jahre.
Hierzu gehören Hans Mommsen, Manfred Grieger: „Das
Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich“,
Düsseldorf 1996, Rolf Surmann, Dieter Schröder (Hg.):
„Der lange Schatten der NS-Diktatur, Texte zur Debatte um
Raubgold und Entschädigung“,
Hamburg/Münster 199, Ulrike Winkler (Hg.): „Stiften
gehen, NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte“,
Köln 2000, Klaus-Dietmar Henke (Hg.): „Die Dresdner
Bank im Dritten Reich, in vier Teilbänden von Johannes
Bähr, Dieter Ziegler, Harald Wixforth und Klaus-Dieter
Henke“, München 2008. Die
von Schneider genannten Entwicklungen in der Geschichtsschreibung
gehören zu den Voraussetzungen der Aktionen
„Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis
1945“. Die VVN-BdA stützt sich vorurteilslos auf
alle wesentlichen Ergebnisse der Geschichtsforschung in beiden
deutschen Staaten sowie ausländischer Forscher, soweit sie in
deutscher Übersetzung vorliegen. Meisterhaft
die historische Miniatur von Manfred Weißbecker
„Die große Koalition der Rechten: Die Harzburger
Front“. Es ist Sommer 1931, eine Welle von
Bankrotterklärungen großer Banken rollt. Von
Hugenberg (Deutschnationale Volkspartei) bis Hitler sind sich alle
Rechten einig, Hindenburg in Richtung eines autoritären
politisch Systems zu drängen, den Kompromiss mit SPD und
Gewerkschaften zu beenden, die Weimarer Verfassung aufzugeben und
Reichskanzler Heinrich Brüning abzulösen.
Weißbecker zitiert aus einem Brief einer Gruppe prominenter
Industrieller an Brüning: „Man muss der Wirtschaft
die Fesseln abnehmen und ihr das Wirtschaften nach den ewig
gültigen ökonomischen Gesetzen wieder freigeben,
damit sie ihre Kräfte entfalten kann.“ Und in der
Entschließung der „Harzburger Front“
heißt es: „Nur der starke nationale Staat kann das
Leistungsprinzip in jeder Form verwirklichen und die zur
Herbeiführung einer wahren Volksgemeinschaft notwendigen
sozialen Maßnahmen durchführen… Wir
verlangen von den Volksgenossen Pflichterfüllung und
Opfer.“ Man liest es und denkt
sich seinen Teil angesichts der jüngsten
Entwicklungen. In den Kapiteln, die direkt
den Aktionen der Gruppen in Städten und Gemeinden gewidmet
sind, erscheinen geschichtsbedingt häufig dieselben Banken und
Konzerne, immer wieder Namen wie Fritz Thyssen (Duisburg,
Mühlheim, Gelsenkirchen), Fritz Springorum (Hoesch AG,
Dortmund u.a.), Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), H.J. Abs
(Deutsche Bank), Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke
– Vestag), Friedrich Flick (verurteilter Kriegsverbrecher),
Emil Kirdorf (Dortmund, Gelsenkirchen) usw. So gibt es unvermeidlich
Überschneidungen und Wiederholungen, die durch die Systematik
des Buches noch verstärkt werden. Der Leserin und dem Leser
wird einige Geduld abverlangt. Andererseits erhalten sie durch diese
Art von Systematik des Buches einen originären Einblick in die
Selbstdarstellungen der Gruppen. Einige der
Darstellungen seien herausgehoben. Es war
ein Vorschlag von Jupp Angenfort, am
„Industrie-Club“ in Düsseldorf eine
Mahntafel anzubringen. Hitler sprach dort im Januar 1932 vor etwa 500
Industriellen. Eingeladen hatte der Präsident des
Industrie-Clubs, der Chemie-Industrielle Jost Henkel. Henkel und Fritz
Thyssen begrüßten Hitler. Anwesend war auch der
Düsseldorfer OB, Dr. Lehr, später bei Adenauer
Innenminister. Hitler legte sein volles Programm dar, von
„Ausrottung des Marxismus“ bis „Eroberung
von Lebensraum im Osten“. Die Industriellen spendeten
Beifall. Angenfort meinte, die Mahntafel am Ort (jetzt
Seitenflügel eines Steigenberger Hotels) sollte den Text
tragen: „1932 – Hier bekam Hitler von der Industrie
Beifall und Geld. Hier wurden die Weichen zum Krieg
gestellt.“ Das 14. Kapitel, von
Gisela Blomberg (VVN-BdA Düsseldorf) verfasst, trägt
die Überschrift: „Henkel immer dabei – und
mit ihm die Wehrwirtschaftsführer von
Düsseldorf.“ Antifaschisten führten immer
wieder Mahngänge zu Düsseldorfer Stätten von
Hitlers Wirtschaftsführern durch. Das Carsch-Haus
(Heinrich-Heine-Allee 49), den jüdischen Eigentümern
wurde das Eigentum abgepresst. Heute gehört das
Nachfolge-Kaufhaus zur Kaufhof AG. Zu ihr gehört auch die
ehemalige Kaufhaus Tietz AG. Das jüdische Eigentum wurde
geraubt, die Familie Tietz vertrieben. Als die Kaufhof AG 2009 ihr
100jähriges Jubiläum feierte, hieß es im
Magazin der IHK Düsseldorf lapidar: „Die
Nationalsozialisten enteigneten, die Familie Tietz emigrierte ins
Ausland und wurde später
entschädigt.“ Der
Henkel-Konzern, Düsseldorf-Holthausen. Hugo Henkel wurde 1933
Mitglied der NSDAP, sein Werk NS-Musterbetrieb. Er stellte in
Düsseldorf und Genthin auf Kriegsproduktion um und machte
sprunghaft Profite. Hugo Henkels Sohn Jost, seit 1938
Geschäftsführer, wurde zum
Wehrwirtschaftsführer ernannt. Von 1940 bis 1945 beutete
Henkel in Düsseldorf ausländische Zwangsarbeiter und
Kriegsgefangene aus. Mindestens drei Menschen haben die Zwangsarbeit
bei Henkel nicht überlebt. Ein sowjetischer Zwangsarbeiter
wurde von der Wachmannschaft erschossen und zwei Zwangsarbeiter starben
am Verzehr von Chemikalien. Der Name „Hugo Henkel“
stand neben den Namen von 41 weiteren Industriellen auf der
Kriegsverbrecherliste eines Sonderausschusses des US-Senats. Doch 1947
wurden Hugo und Jost Henkel „entnazifiziert“. Der
Konzern stieg zu seiner heutigen Größe als
international operierendes Unternehmen auf. Wie viele der deutschen
Bürger, die heute Produkte von Henkel kaufen, werden von der
Rolle der Henkel-Werke im Nazireich etwas wissen und daran denken
können? Wir wissen es nicht, aber es werden
beschämend Wenige sein. Der
Mannesmann-Konzern, von der Deutschen Bank beherrscht. Die nahtlosen
Stahlrohre der Mannesmann-Röhrenwerke wurden für
Pipelines und bei Rheinmetall für Artilleriegeschosse
verwendet. Wilhelm Zangen (1891-1971) war ab 1935 alleiniger
Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor. Gemeinsam mit der Deutschen
Bank wurden alle jüdischen Vorstandsmitglieder vertrieben.
Viele Fabriken, die jüdische Eigentümer hatten,
wurden geraubt und dem Konzern einverleibt. Zangen wurde
Wehrwirtschaftsführer und Vorsitzender der
„Reichsgruppe Industrie“, ein
„Organisationszentrum für die Kriegsplanung der
deutschen Großindustrie“ (Daniela Kahn). 1942
berief der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Albert
Speer, Zangen in den „Rüstungsrat“.
Mannesmann lieferte die Stahlflaschen für das
tödliche Kohlenmonoxydgas der I.G. Farben, das u.a. in der
Mordstätte Grafeneck innerhalb der T4-Aktion
(„Euthanasie“) zum Einsatz kam. Mannesmann
expandierte: Niederlassungen in Frankreich, in Prag, Bulgarien,
Serbien, Rumänien, Polen und in der Sowjetunion (Taganrog).
Bis Ende 1944 waren über 8 000 Zwangsarbeiter und
Kriegsgefangene bei Mannesmann eingesetzt. Auch Zangen gelang die
„Entnazifizierung“. Von 1948 bis 1957
gehörte er zum Aufsichtsrat bei Mannesmann. 1958 erhielt er
die Ehrendoktorwürde der Universität
Münster, 1965 bekam er das Bundesverdienstkreuz mit Stern.
Zangen log eiskalt in seinen Erinnerungen: er habe keiner Partei
angehört und traute den Nazis nicht. „Ich
… blieb unpolitisch bei meiner Arbeit.“ (W.
Zangen, Aus meinem Leben, Düsseldorf 1968) In Wahrheit war
Zangen bereits 1927 Mitglied der NSDAP und der SS. Der britische
Historiker Adam Tooze (Ökonomie der Zerstörung,
München 2007) nennt Zangen „einen der habgierigsten
Profiteure des nationalsozialistischen Regimes“. Insgesamt
waren in Düsseldorf über 35 000 Zwangsarbeiter und
Tausende Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge
beschäftigt, insbesondere in der Rüstungsindustrie,
darunter bei Rheinmetall. 1944 waren in Düsseldorf 27 Prozent
aller Erwerbstätigen Zwangsarbeiter. Im
Zusammenhang mit Rheinmetall, Düsseldorf,
Ulmenstraße 125, erinnert Ulrich Sander an die lange
Geschichte dieser Rüstungsfirma: Eine der
größten Waffenhersteller im Kaiserreich; im
Nazireich produzierte Rheinmetall-Borsig Maschinengewehre,
Panzerabwehrgeschütze, Minenwerfer, Feld- und
Flugabwehrkanonen, Eisenbahngeschütze. Das Unternehmen ging in
das staatliche Unternehmen Reichswerke Hermann Göring
ein. Rheinmetall liegt gegenwärtig mit fast drei
Milliarden US-Dollar Jahresumsatz etwa an 30. Stelle in der
Weltrangliste der Rüstungsproduzenten. Die Waffenproduktion
von Rheinmetall, darunter die Leopardpanzer, trägt massiv dazu
bei, dass Deutschland drittgrößter Waffenexporteur
der Welt ist. Der Rezensent fügt
hier ein, dass zur Zeit Kriegsgegner Proteste unter der Losung
„War starts here“ gegen das
Gefechtsübungszentrum Heer (amtliche Abkürzung:
GefÜbZH) in der Colbitz-Letzlinger Heide, das Bestandteil des
Gefechtsübungszentrums (GÜZ) auf dem
Truppenübungsplatz Altmark ist, vortragen wollen. Gemeinden,
Bundeswehr und Polizei haben nun weiträumig einen Bann
über das Gebiet gelegt, um die Proteste zu verhindern. Nach
den Ereignissen von Heiligendamm ein weitere eklatanter Fall von
Zivil-Militärischer-Zusammenarbeit. Das
Gefechtsübungszentrum wird von der Rheinmetall
Dienstleistungszentrum Altmark GmbH (RDA) gemeinsam mit der Bundeswehr
betrieben. Jetzt soll für 100 Millionen Euro eine
große Übungsstadt fürs Militär
entstehen. Wenn von Kriegsproduktion im
Stahlbereich die Rede ist, wird der Rezensent an ein Foto-Epigramm aus
der „Kriegsfibel“ von Bertolt Brecht erinnert. Auf
dem Foto sind zwei Stapel Stahlplatten, Seile und Ketten eines
Transportkrans sowie vier Arbeiter zu sehen. Das Epigramm: „Was
macht ihr, Brüder?“ – „Einen
Eisenwagen.“ „Und was aus diesen Platten
dicht daneben?“ „Geschosse, die durch
Eisenwände schlagen.“ „Und warum
all das, Brüder?“ – „Um zu
leben.“ Für
künftige Ausstellungen zur Aktion der VVN-BdA könnte
im Zusammenhang mit dem Fall Thyssen (im Buch S. 150 ff) auch dieses
Fotoepigramm erhellend sein. Ein Bild vom Industriewerk in Katowice,
ein deutscher Offizier und ein Soldat mit Karabiner: „Zehn
Völker hab ich unterm Stiefel und Dabei mein eigenes.
Die blutige Spur Von diesem Stiefel färbt
zerstampften Grund Von Kirkenaes bis Mühlheim an
der Ruhr.“ Die VVN-BdA beantragte
Mitte 2010 in einem Brief an den Rat der Stadt Essen, an der
Geschäftsstelle der FDP in Essen eine Mahntafel anzubringen.
Ein Dr. Ernst Achenbach (1909-1991) war
Geschäftsführer der „Adolf-Hitler-Spende
der deutschen Wirtschaft“ – was die Hinterbliebenen
abstreiten - und ganz gewiss Mitwirkender an den Deportationen
französischer Juden in Mordstätten des deutschen
Faschismus. Nach 1945 hatte er führende Funktionen in der FDP,
war Landtags- und Bundestagsabgeordneter. Mit den SS-Tätern
aus Himmlers Reichssicherheitshauptamt baute Achenbach nach 1945 in
Essen einen Filz auf, um Verbrechern gegen die Menschlichkeit der
Bestrafung zu entziehen. Im
Frühjahr 2011 lehnte der Stadtrat von Essen den Antrag der
VVN-BdA ab. Doch diese ließ nicht locker. Es wurden viele
Dokumente beigebracht – auch mit Unterstützung von
Beate und Serge Klarsfeld – die die Schuld von Ernst
Achenbach bewiesen. Antifaschisten veranstalten weiterhin
Mahnkundgebungen vor der FDP-Geschäftsstelle in Essen. Thomas
Kuczynski fasst in seiner „Rückschau auf die
Zwangsarbeiterentschädigung – Kein Schlussstrich!
Wirtschaftswunder als Resultat de Kriegswirtschaft“ einige
Ergebnisse seines im Zusammenhang mit der Debatte um die
Entschädigung der Zwangsarbeiter vorgelegten Gutachtens
zusammen. Es sei inzwischen weitgehend anerkannt, dass die Zahl der
während des Krieges im „Großdeutschen
Reich“ zur Zwangsarbeit verpflichteten Menschen etwa 15
Millionen betrug. Die Gesamtentschädigung – nur
vorbehaltener Lohn – hätte 180 Milliarden D-Mark
betragen. Gezahlt wurden lediglich etwas mehr als 8 Milliarden. Die
Firma Daimler-Benz, der alle Daten bekannt waren, hätte 1999
für eine reguläre Entschädigung knapp 16 000
D-Mark pro Zwangsarbeitskraft zahlen müssen, insgesamt
über 1,2 Milliarden D-Mark. Kuczynski kritisiert
völlig zu Recht, dass die außerhalb der Industrie
eingesetzten Zwangsarbeitskräfte nur in
Ausnahmefällen entschädigt werden. 1938 waren knapp
70 000 Polen in der deutschen Wirtschaft tätig, Ende September
1940 waren allein in der deutschen Landwirtschaft rund 470 000
„Zivilpolen aus dem Generalgouvernement und den neuen
Ostgebieten“ eingesetzt. Später stieg die Zahl auf
etwa 1,2 Millionen an. Als Kommentar zu den
tatsächlich gezahlten Entschädigungen zitiert der
Autor einen Überlebenden: Es sei das „Letzte an
Beleidigung“ gewesen. Als letzte
Begründung (von insgesamt sechs dargelegten) für die
viel zu geringen Entschädigungen heißt es bei Thomas
Kuczynski: „ … das ist ein besonders
bedrückendes Kapitel in dieser Geschichte – das
Verhalten der Masse der deutschen Bevölkerung. Die deutschen
Konzerne und ihre Regierung hätten niemals mit einer solchen
Unverfrorenheit vorgehen können, wenn eine
Bevölkerungsmehrheit dieses Landes erklärt
hätte: Schluss jetzt mit würdelosen Gezerre auf
Kosten der Opfer, die verdammte Industrie soll endlich zahlen. Aber es
war nur eine verschwindende Minderheit, die so dachte und es auch
sagte.“ Zum Schluss sei auf
Überlegungen von Kurt Pätzold zum Begriff
„Faschismus“ – mehr als ein
Definitionsstreit – hingewiesen. Wenn heute das Wort
„Faschismus“ und somit auch keine Definition des
Begriffes „Faschismus“ mit Bezug auf Deutschland in
geschichtlichen Unterweisungen an Schulen und Hochschulen kaum benutzt
wird, so werde eine jahrzehntelange wissenschaftliche und
publizistische Denkweise verschwiegen. Keine Definition des Faschismus
habe eine weitere Verbreitung und zugleich vielstimmigen Widerspruch
erfahren wie die während der XIII. Tagung des Exekutivkomitees
der Kommunistischen Internationale im November/Dezember 1933
vorgelegte. Der Verfasser ist unbekannt. Da Dimitroff diesen Begriff
vom „Faschismus“ 1935 im Bericht an den VII.
Komintern-Weltkongress (August 1935) verwandte, wurde später
irrtümlich oft von einer „Dimitroff-Formel
gesprochen. Einige Einwände gegen
den genannten Begriff beruhten auf falschen Ansichten über
Begriffsbildungen (Bestimmung wesentlicher Eigenschaften).
Pätzold besteht darauf, den Forschungsprozess vom Einzelnen
zum Besonderen und zum Allgemeinen und von da wieder zurück
bis zum Einzelnen. Inhaltliche
Einwände gründen darauf, dass das Wort
„Faschismus“ für verschiedene Aspekte des
Faschismus verwendet wird, etwa für Ideologie oder
für die politische Bewegung oder für eine
Staatsform. Die Komintern-Definition war
bestimmt, eine verständliche und politisch mobilisierende,
falsche Frontstellungen vermeidende Orientierung zu geben. Die
äußerste Verkürzung barg das Risiko von
Missverständnissen. Besonders wichtig: Die Erfahrungen mit dem
Faschismus waren 1933 minimal, im Vergleich mit denen von 1945 und
später. Pätzold verweist zwar auf den auch
später begründbaren Kern der Definition, die auch
eine Differenzierung innerhalb des Finanzkapitals enthält. Und
er erklärt weiter, was die Bestimmungen „der
reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten
imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ konkret
bedeutet hat. So kommt er zu dem Ergebnis, dass ein
„beträchtliches Quantum an Vorurteilen dazu
gehöre“, der Definition von 1933 Erkenntnis- und
Wahrheitswert abzusprechen. Und zugleich stellt er fest, dass die
Erfahrungen bis 1945 zwar keinen „Widerruf“ der
Definition, wohl aber eine Überprüfung und
Ergänzung dieser Definition erfordert hätten,
insbesondere hinsichtlich der Massengefolgschaft, der Rolle der
Ideologie (besonders Rassismus und Antisemitismus), hinsichtlich der
Genozide an Juden, an Sinti und Roma und der Massenmorde an anderen
riesigen Menschengruppen während des Krieges. Als
materialistische, empirische Forscher waren die Fachhistoriker der DDR
selbstverständlich über diese Definition
hinausgegangen, wovon viele ihrer Publikationen zeugen. Dass dennoch
keine weiterführende Definition des Faschismus entwickelt
wurde, sei auch der kritischen Bewahrung dessen, was 1933 geleistet
worden ist, abträglich gewesen. Noch
ein Hinweis: Die Aktion der nordrhein-westfälischen VVN-BdA
hat auch eine Internetadresse: http://www.verbrechen-der-wirtschaft.de Ihre
Nutzung sei ausdrücklich empfohlen. Dort sind Texte,
Arbeitshilfen, Planung von Projekten, Literaturquellen, Listen der
Unternehmen, die der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft
beitraten und von Unternehmen, die das nicht taten, aktuelle Termine
und Links zu weiteren Internetadressen. Obige
Rezension zu „Von Arisierung bis Zwangsarbeit –
Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 –
1945“, papy rossa 2012, Köln, erscheint im
„Rundbrief“ Herbst 2012 der AG
Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Bundesvorstand der Partei DIE
LINKE Verbrechen
der Wirtschaft Rezension
aus „Der Bremer Antifaschist“ Oktober 2012 Die
Zeit des Faschismus in Deutschland zwischen 1933 – 1945 gilt
als die historisch bestaufgearbeitete Periode der deutschen Geschichte.
Unzählige Bücher kann man zu fast jedem Thema finden.
Selbst zur Rolle deutscher Eliten in allen Phasen gibt es zunehmend
seit den achtziger und neunziger Jahre immer mehr Literatur. Dagegen
gehört die Beteiligung der deutschen Wirtschaft an
Machtübergabe, Machterhaltung und Verbrechen der Nazis zu den
eher vernachlässigten Gebieten. Dem Buch „Von
Arisierung bis Zwangsarbeit“, das auch aus der Rallye
Spurensuche „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933
bis 1945“ entstanden ist, wurde das Ziel gesetzt dem
abzuhelfen. Dies ist auch weitestgehend gelungen. Da
viele der damaligen Konzerne und Trusts ihren Sitz im Gebiet des
heutigen Nordrhein-Westfalen hatten, konnten die Autorinnen und Autoren
nachweisen, dass sich die
„Industriekapitäne“ spätestens
seit 1931/32 für eine Kanzlerschaft Adolf Hitlers einsetzten
und nicht nur von der Bekämpfung der Arbeiterbewegung, der
Aufrüstung, der Eroberung von Rohstoffquellen und
Industriebetrieben in ganz Europa und Zwangsarbeit profitierten,
sondern dies alles vom Regime forderten und umsetzten. Der Schwerpunkt
wird dabei auf das Großkapital gesetzt, wie Thyssen, Krupp,
die IG Farben, die Deutsche Bank, Henkel, Mannesmann, Rheinmetall,
Stinnes, die Flicks, die Quandts und Verbandsorganisationen des
Großkapitals. Exemplarisch für den Mittelstand
– wegen seiner heutigen Bedeutung – wurde aber auch
der Bertelsmann Verlag beleuchtet und zu mindestens im Kapitel
über Düsseldorf finden sich auch kleinere Firmen, die
vom NS-Regime profitierten. Ebenso gelang den Autoren
der Nachweis, dass nach dem Krieg vielfach die Firmenleitungen aktiv
verhindert haben, dass es zur Aufdeckung der aktiven Tätigkeit
kapitalistischer Firmen an allen Aktivitäten des NS-Regimes
kam und dass Opfer des NS-Regimes entschädigt wurden. Auch zur
Zwangsarbeiterentschädigung wurden die global agierenden
deutschen Unternehmen gezwungen. Mal abgesehen davon, dass nicht alle
schuldigen Firmen zahlten und die ausgezahlten Summen nicht einmal
annähernd die gemachten Schäden (nichtbezahlter Lohn,
Gesundheitsschäden) deckten. Einschränkend
muss man allerdings sagen, dass bei einigen wenigen Schlussfolgerungen
die „Beweisdecke“ doch etwas dünn bleibt.
Zwar gelingt der Nachweis einer „Mitverantwortung“
wichtiger Teile des Kapitals für das
„nationalsozialistische Unrechtsregime“ und auch
der Nachweis, dass die gesamte Industrie die Kanzlerschaft Hitlers
„gleichgültig unter welchen Umständen
wünscht“. Es fehlt allerdings am Beweis, dass dies
ausschlaggebend für die Entscheidung von
Reichspräsident Hindenburg war, Hitler am 30.01.1933 zu
berufen. Abträglich für das Buch
wirkt allein der Abschnitt „Antikommunismus – die
Grundtorheit unserer Epoche“ der Thesen der VVN-BdA (Aachen),
wo den Westalliierten vorgeworfen wird aufgrund ihrer
antikommunistischen Haltung nicht nur die faschistischen
Kriegsvorbereitungen gegen die UdSSR geduldet zu haben, sondern auch
durch die späte Landung in der Normandie den Krieg
unnötig verlängert zu haben (S. 111). Diese Haltung
ist mir zu verkürzt und einseitig. Doch im
ganzen gesehen kann das Buch seine Intention, nämlich die
Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse über den
Anteil, den das deutsche Großkapital am NS-Regime und seiner
Verbrechen hatte, erreichen. Allerdings müsste es hierzu eine
breite Leserschaft erreichen, was ich ihm sehr wünsche. Ulrich
Sander (Hrsg.), Von Arisierung bis Zwangsarbeit, Verbrechen der
Wirtschaft an Ruhr und Ruhr 1933 bis 1945, 348 S. PapyRossa Verlag,
Köln 2012, Euro 16,90, ISBN 978-3-89438-489-0. Ulrich
Stuwe
Von
Arisierung bis Zwangsarbeit
„Die Glocke von
Ettersberg“ über das Buch „Von Arisierung
bis Zwangsarbeit“
Von Dr.
Ulrich Schneider, Kassel
Wer 80 Jahre nach der
Errichtung der faschistischen Herrschaft davon spricht, dass es in der
historischen Forschung zu diesem Thema ein
„Tabu-Thema“ gäbe, der erlebt irritierte
Reaktionen. Kein Gegenstand der historischen Forschung scheint so
umfassend aufgearbeitet zu sein, wie die NS – Herrschaft in
Deutschland. Aber in der Tat vermochte es ein Bereich, sich der
historischen Aufarbeitung lange Jahre erfolgreich zu entziehen,
nämlich die Wirtschaft. Abgesehen von den Konzernen IG Farben
und Krupp, deren Vertreter von den Alliierten in den
Nürnberger Nachfolgeprozesse angeklagt und –
äußerst milde – verurteilt wurden, konnten
sich die meisten Unternehmen jahrzehntelang einer Erforschung
erfolgreich entziehen. Erst der zunehmende gesellschaftliche Druck Ende
der 80er Jahre und noch einmal verstärkt die Debatte um die
Entschädigung von Zwangsarbeitern führte dazu, dass
substanzielle Forschungen zur Unternehmensgeschichte in der NS-Zeit
entstanden. Doch wurden solche Untersuchungen viele Jahre durch die
industrieverpflichtete „Gesellschaft für
Unternehmensgeschichte“ dominiert, die durch eigene
Veröffentlichungen, aber auch durch restriktive
Zugangsbedingungen zu den Firmenarchiven dafür Sorge trug,
dass das Bild des „in die Zeit unglücklich
verstrickten“ Unternehmens oder des nur um das Wohl des
Betriebes besorgten Unternehmers keinen Schaden nahm. Daher
bedurfte es der Geschichtswerkstätten und Initiativen vor Ort,
um mehr über die tatsächliche Rolle von Unternehmen
und anderen Wirtschaftsverbänden in der NS-Zeit zu erfahren.
Vor etwa fünf Jahren startete die VVN-BdA in
Nordrhein-Westfalen ein Projekt „Rallye Spurensuche:
Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 –
1945“. In insgesamt 25 Städten arbeiteten
Stadtchronisten, Antifaschisten und Wissenschaftler daran. Im Fokus der
Untersuchung stand die Beteiligung von Wirtschaftsführern und
Unternehmern an den Planungen für Krieg und Massenmord, sowie
ihre Rolle als Akteure und insbesondere als Profiteure. Neunzehn
dieser regionalen Studien sind in dem vorliegenden Sammelband
aufgenommen worden. Und die Erforschten lesen sich wie ein
„Who is who“ der Ruhrgroßindustrie:
Friedrich Krupp, Günther Quandt, Emil Kirdorf, Hugo Henkel,
Reinhard Mohn, Paul Reusch, Fritz Thyssen, Hermann – Josef
Abs, Ernst Achenbach, Paul Kleinewefer, Richard Kaselowsky, Hugo
Stinnes u.a. Wem diese Namen bislang wenig sagen, dem
sei die Lektüre dieser Aufsatzsammlung dringend ans Herz
gelegt. Hier erfährt man – belegt durch Aussagen der
Opfer, durch Selbstdarstellungen aus der NS-Zeit und durch –
leider viel zu seltene – Prozesse gegen diese
Wehrwirtschaftsführer in der unmittelbaren Nachkriegszeit
–, wie diese Unternehmer aktiven Anteil am Aufstieg der
Nazi-Herrschaft genommen haben, wie sie durch Geld und politische
Schützenhilfe die NSDAP, die SA und andere Organisationen
gestützt haben, wie sie Hitler und seinen Getreuen die
Türen zur „besseren Gesellschaft“
geöffnet haben und letztlich dafür ihren Profit aus
dieser Herrschaft gezogen haben. Man
erfährt von der wohlwollenden Aufnahme im
Düsseldorfer Industrieclub 1932, von der politischen
Einflussnahme des Langnam-Vereins. Fritz Thyssen selber
veröffentlichte schon in den 30er Jahren ein Buch „I
paid Hitler“, aber auch Hermann Josef Abs und Friedrich Krupp
leisteten ihren finanziellen und politischen Beitrag. Der
IG-Farben-Konzern hielt sich anfangs etwas bedeckt, aber er war der
erste, der für sich die neuen politischen
Verhältnisse für profitable
Geschäftsbeziehungen in der Herstellung synthetischen
Treibstoffs und Kautschuks nutzte. Der Vier-Jahres-Plan zur
Kriegsvorbereitung war ein IG-Farben-Plan. Eine Autorengruppe listet
unter der literarischen Überschrift: „Wer
zählt die Ort, wer kennt die Namen?“ weitere Tatorte
der Verbrechen der Wirtschaft auf. Der Band
ist ein Lesebuch, das anregen kann und soll, auch in anderen Regionen
der Republik sich auf Spurensuche zu begeben. Dazu fallen dem
Rezensenten spontan Namen wie August Rosterg (Wintershall) oder
Ferdinand Porsche (Volkswagen) ein. Es ist ein lohnendes Buch, dessen
Fortsetzung noch geschrieben werden muss.
Ulrich
Schneider
Bibliographische Angaben: Ulrich
Sander (Hrsg.), Von Arisierung bis Zwangsarbeit, Verbrechen der
Wirtschaft an Rhein und Ruhr, PapyRossa Verlag, Köln 2012, 347
S., ISBN 978-3-89438-489-0, 16,90 € Weitere Rezensionen siehe auch http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0969_ko_hler.htm http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0970_sowjetische_zwangsarbeiter_kriegsgefangene.htm http://www.mt-online.de/lokales/minden/6831040_Handlanger_Taeter_und_Profiteure.html http://www.mt-online.de/lokales/minden/6871317_Ulrich_Sander_beleuchtet_die_deutsche_Wirtschaft_im_Dritten_Reich.html |