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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

14.10.2012

Kapitalisierte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Rezensionen zu Ulrich Sander (Hg.) "Von Arisierung bis Zwangsarbeit - Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 - 1945"

Von Dr. Siegfried Ransch aus Berlin stammt die folgende Rezension zum Buch "Von Arisierung bis Zwangsarbeit - Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr, herausgegeben von der VVN-BdA NRW, das im Mai 2012 erschien. Außerdem wird hiermit eine Rezension aus "Der Bremer Antifaschist" von Ulrich Stuwe zum selben Buch vorgestellt, sowie die Besprechung von Dr. Ulrich Schneider aus der "Glocke vom Ettersberg" (Zeitung der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora Freundeskreis e.V.) präsentiert.

Es war Ende 2007, Anfang 2008, als die nordrhein-westfälische "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) eine Rallye "Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945" auf den Weg brachte. Der gewählte Zeitpunkt des Starts der Rallye war zur mahnenden Erinnerung an die  75 Jahre zuvor erfolgte Machtübertragung an Hitler und die NSDAP gedacht. Inhalt und Ziel der langfristig angelegten Aktion: Vor Ort Geschichtsbewusstsein schaffen in Verpflichtung gegenüber den Opfern an die aus Industrie und Banken mächtigen Täter der Verbrechen erinnern, die Spur der Täter durch Inschriften sichtbar machen. Vor dem 80 Jahrestag der Machtübertragung von 1933 im Jahre 2013 geht es nun besonders darum - dies angesichts der Krise seit 2008: Die Fragestellung "Welche Krisenauswege wählte das Kapital damals und heute?" zu betonen.

Kapitalisierte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit 

Rezension zu Ulrich Sander (Hg.) „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 – 1945“ 2012  

Von Dr. Siegfried Ransch 

Es war Ende 2007, Anfang 2008, als die nordrhein-westfälische „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) eine Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“ auf den Weg brachte. Der gewählte Zeitpunkt des Starts der Rallye war der mahnenden Erinnerung an die  75 Jahre zuvor erfolgte Machtübertragung an Hitler und die NSDAP geschuldet. Inhalt und Ziel der langfristig angelegten Aktion: Vor Ort geschichtsbewusst leben, in Verpflichtung gegenüber den Opfern an die aus Industrie und Banken mächtigen Täter der Verbrechen erinnern, die Spur der Täter durch Inschriften sichtbar machen, zum Nachdenken über die Wurzeln von Nazismus und imperialistischem Krieg anregen, für Demokratie und Frieden eintreten. Heute, und das verlauten die VVN-BdA-Aktivisten bei neuen Aktionen der Rallye, kommt noch – angesichts der Krise seit 2008 – das Problem hinzu: Welche Krisenauswege wählte das Kapital damals und heute?

Antifa- und Jugendgruppen, Schülerinnen und Schüler wurden aufgerufen, vor Ort Informationen über Täter und ihre Spuren zu sammeln und mit Hilfe von VVN-BdA zu veröffentlichen. 

Die erste Aktion fand am 4. Januar 2008 in Köln am Stadtwaldgürtel 35 statt. Dort hatten sich vor 75 Jahren Banker, Konservative und Nazis unter Führung Adolf Hitlers getroffen, um die Machtübertragung an Hitler vorzubereiten. Ein Schild erinnert an Täter und Tatort: „Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“ 

Vier Jahre nach Beginn dieser „Rallye“ der nordrhein-westfälischen VVN-BdA, im Frühjahr 2012, erschien im PapyRossa Verlag ein Buch zur Aktion, „Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“, herausgegeben von Ulrich Sander. 

Für Herausgeber und Autor Ulrich Sander könnte ein abgewandelter Satz von Arnold Schönberg gelten. Der Komponist und Lehrer für Komposition leitet seine „Harmonielehre“ mit dem Satz ein: „Dieses Buch lernte ich von meinen Schülern.“ Sander lernte das Buch von antifaschistischen Aktionen in Nordrhein-Westfalen. 

Bis zum Herbst 2011 beteiligten sich Gruppen in 25 Städten des Bundeslandes an der „Rallye“. (Vorbemerkung des Herausgebers) Die Darstellungen von Leistungen der beteiligten Menschen beeindruckt am Buch stark: Die Mühen von Laien, sich Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft anzueignen, um so die eigenen Recherchen und Aktionen zu fundieren; ihr Mut, in der Heimatgemeinde die Wahrheit über die mächtigen Täter zu verbreiten; ihre Beharrlichkeit, die Spur der Täter sichtbar zu machen; ihr Engagement gegen Kriegsrüstung und Krieg, gegen faschistische Gruppen und für Demokratie und Frieden.
Neben der „Vorbemerkung des Herausgebers“ und einer Einleitung „Von „Verbrechen der Wehrmacht“ zu „Verbrechen der Wirtschaft“. Eine notwendige Erweiterung der Perspektive in der Geschichtspolitik“ (Ulrich Schneider) ist das Buch in 21 Kapitel gegliedert, die von insgesamt elf Autoren stammen. Allein 14 Kapitel haben Ulrich Sander und den unvergessenen Manfred Demmer + zum Autor bzw. Rechercheur. Von Wissenschaftlern, d.h. Gastautoren, stammen drei Kapitel: Manfred Weißbecker „Die große Koalition der Rechten: Die Harzburger Front“; Thomas Kuczynski „Rückschau auf die Zwangsarbeiterentschädigung – Kein Schlussstrich! Wirtschaftswunder als Resultat der Kriegswirtschaft“; Kurt Pätzold „Faschismus an der Macht und Kapitalismus“. 

Das Buch schließt an Stelle eines Nachwortes mit einem „Brief an Thomas Gottschalk. Nach dem Urteil von Den Haag zur Verweigerung jeder Entschädigung für NS-Opfer in Griechenland und Italien.“ (Ulrich Sander)   

Die Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“ findet in einer gegenüber dem Zeitraum von 1945 bis 1992 grundlegend veränderten welthistorischen und innenpolitischen Situation statt. Die heutige Auseinandersetzung mit den Verbrechen des deutschen Kapitals, insbesondere des Konzernkapitals aus Banken, Kohle, Stahl, Chemie und Staatskapital eingeschlossen, bezieht ihre Berechtigung aus den Schulden gegenüber den Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, aus den von Hitler übernommenen und nie bezahlten Staatsschulden gegenüber Griechenland, aus fälligen Entschädigungen für Opfer und deren Hinterbliebene des Naziterrors, etwa in Italien und Griechenland; sie bezieht ihre Berechtigung aus der Notwendigkeit, alle noch vorhandenen Quellen zu erschließen, damit eine möglichst umfassende Darstellung der Geschichte des deutschen Faschismus zwischen 1933 und 1945 gegeben werden kann; sie bezieht ihre Berechtigung aus der Notwendigkeit, insbesondere jungen Menschen Basiswissen für demokratische und also auch antifaschistische Haltungen zu vermitteln, in einem Land, in dem faschistische Banden serienweise morden und aktive Demokraten systematisch terrorisiert werden, die faschistoide NPD staatlich gefördert wird. Und die Erinnerung an die Verbrechen der Wirtschaftsmächtigen 1933 bis 1945 ist unerlässlich, weil Deutschland wieder an Kriegen beteiligt ist, weil deutsche Rüstungsindustrie wieder Kriegsindustrie ist, weil imperialistische Kriege unweigerlich Kriegsverbrechen hervorbringen – all das verlangt Widerstand. 

Ulrich Schneider zeigt einige Momente des Wandels historischer Auseinandersetzungen mit dem faschistisch verfilzten deutschen Monopolkapital. Er erinnert an die umfangreichen Untersuchungsberichte des „Office of Military for Germany (U.S.)“, kurz OMGUS, aus dem Jahre 1947: „Ermittlungen gegen die Deutsche Bank“, „Ermittlungen gegen die Dresdner Bank“ und „Ermittlungen gegen I.G. Farbenindustrie AG“, sowie an die im selben Jahr begonnenen Nürnberger Prozesse gegen führende Wirtschaftsvertreter: Flick-Prozess (Fall V), I.G.-Farben-Prozess (Fall VI) und Krupp-Prozess (Fall X). Eingebettet zunächst allein in die Geschichte Westdeutschlands – von der gescheiterten grundlegenden Abrechnung mit den ökonomischen Wurzeln von Welteroberungskrieg und Faschismus, über Restaurierung und Neuentwicklung deutscher Konzerne während des „Kalten Krieges“ bis hin für die Zeit des neuen deutschen Staates – hebt Schneider Veröffentlichungen zur Rolle der deutschen Wirtschaft hervor, so das 1974 veröffentlichte Werk von George W.F. Hallgarten und Joachim Radkau: „Deutsche Industrie und Politik Von Bismarck bis heute“. Die „Deutsche Bank“ heulte auf und setzte durch, dass einige Seiten geschwärzt wurden. Auch in der „Anti-Festschrift“ von F.C. Delius zum 125jährigen Jubiläum des Siemens-Konzerns mussten nach langem Rechtsstreit Stellen geschwärzt werden. Ulrich Schneider widerfuhr, dass ein I.G.-Farben Nachfolger, die Behringwerke AG Marburg, juristische Konsequenzen androhte, als er Dokumente über deren Beteiligung an verbrecherischen Menschenversuchen im KZ Buchenwald veröffentlichte. In den 80er Jahren habe es eine immer größere Zahl von Veröffentlichungen kritischer Historiker über die Rolle von Unternehmen und Unternehmern im Faschismus gegeben. Insbesondere Otto Köhler trat mit zahlreichen Publikationen hervor, so 1986 das Buch „… und heute die ganze Welt. Die Geschichte der I.G. Farben und ihrer Väter“. Von einem Nachfolgekonzern beauftragt legte Gottfried Plumpe 1990 das Werk „Die I.G. Farbenindustrie AG – Wirtschaft, Technik und Politik 1904-1945“ im Jahre 1990 vor. 

Schneider hebt die fundamentale Bedeutung der Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ für die zeitgeschichtlichen Debatten der 90er Jahre hervor. Der Mythos von der „sauberen“ Wehrmacht war öffentlich widerlegt. Die heftigen Auseinandersetzungen sind in Erinnerung geblieben. Und auch hier ging es um die Vergangenheit im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung Deutschlands.  

Schneider konstatiert einen Aufschwung kritischer Unternehmensgeschichtsschreibung ab Mitte der 90er Jahre. Hierzu gehören Hans Mommsen, Manfred Grieger: „Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich“, Düsseldorf 1996, Rolf Surmann, Dieter Schröder (Hg.): „Der lange Schatten der NS-Diktatur, Texte zur Debatte um Raubgold und Entschädigung“, Hamburg/Münster 199, Ulrike Winkler (Hg.): „Stiften gehen, NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte“, Köln 2000, Klaus-Dietmar Henke (Hg.): „Die Dresdner Bank im Dritten Reich, in vier Teilbänden von Johannes Bähr, Dieter Ziegler, Harald Wixforth und Klaus-Dieter Henke“, München 2008. 

Die von Schneider genannten Entwicklungen in der Geschichtsschreibung gehören zu den Voraussetzungen der Aktionen „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“. Die VVN-BdA stützt sich vorurteilslos auf alle wesentlichen Ergebnisse der Geschichtsforschung in beiden deutschen Staaten sowie ausländischer Forscher, soweit sie in deutscher Übersetzung vorliegen. 

Meisterhaft die historische Miniatur von Manfred Weißbecker „Die große Koalition der Rechten: Die Harzburger Front“. Es ist Sommer 1931, eine Welle von Bankrotterklärungen großer Banken rollt. Von Hugenberg (Deutschnationale Volkspartei) bis Hitler sind sich alle Rechten einig, Hindenburg in Richtung eines autoritären politisch Systems zu drängen, den Kompromiss mit SPD und Gewerkschaften zu beenden, die Weimarer Verfassung aufzugeben und Reichskanzler Heinrich Brüning abzulösen. Weißbecker zitiert aus einem Brief einer Gruppe prominenter Industrieller an Brüning: „Man muss der Wirtschaft die Fesseln abnehmen und ihr das Wirtschaften nach den ewig gültigen ökonomischen Gesetzen wieder freigeben, damit sie ihre Kräfte entfalten kann.“ Und in der Entschließung der „Harzburger Front“ heißt es: „Nur der starke nationale Staat kann das Leistungsprinzip in jeder Form verwirklichen und die zur Herbeiführung einer wahren Volksgemeinschaft notwendigen sozialen Maßnahmen durchführen… Wir verlangen von den Volksgenossen Pflichterfüllung und Opfer.“ 

Man liest es und denkt sich seinen Teil angesichts der jüngsten Entwicklungen. 

In den Kapiteln, die direkt den Aktionen der Gruppen in Städten und Gemeinden gewidmet sind, erscheinen geschichtsbedingt häufig dieselben Banken und Konzerne, immer wieder Namen wie Fritz Thyssen (Duisburg, Mühlheim, Gelsenkirchen), Fritz Springorum (Hoesch AG, Dortmund u.a.), Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), H.J. Abs (Deutsche Bank), Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke – Vestag), Friedrich Flick (verurteilter Kriegsverbrecher), Emil Kirdorf (Dortmund, Gelsenkirchen) usw. So gibt es unvermeidlich Überschneidungen und Wiederholungen, die durch die Systematik des Buches noch verstärkt werden. Der Leserin und dem Leser wird einige Geduld abverlangt. Andererseits erhalten sie durch diese Art von Systematik des Buches einen originären Einblick in die Selbstdarstellungen der Gruppen. 

Einige der Darstellungen seien herausgehoben. 

Es war ein Vorschlag von Jupp Angenfort, am „Industrie-Club“ in Düsseldorf eine Mahntafel anzubringen. Hitler sprach dort im Januar 1932 vor etwa 500 Industriellen. Eingeladen hatte der Präsident des Industrie-Clubs, der Chemie-Industrielle Jost Henkel. Henkel und Fritz Thyssen begrüßten Hitler. Anwesend war auch der Düsseldorfer OB, Dr. Lehr, später bei Adenauer Innenminister. Hitler legte sein volles Programm dar, von „Ausrottung des Marxismus“ bis „Eroberung von Lebensraum im Osten“. Die Industriellen spendeten Beifall. Angenfort meinte, die Mahntafel am Ort (jetzt Seitenflügel eines Steigenberger Hotels) sollte den Text tragen: „1932 – Hier bekam Hitler von der Industrie Beifall und Geld. Hier wurden die Weichen zum Krieg gestellt.“ 

Das 14. Kapitel, von Gisela Blomberg (VVN-BdA Düsseldorf) verfasst, trägt die Überschrift: „Henkel immer dabei – und mit ihm die Wehrwirtschaftsführer von Düsseldorf.“ Antifaschisten führten immer wieder Mahngänge zu Düsseldorfer Stätten von Hitlers Wirtschaftsführern durch. Das Carsch-Haus (Heinrich-Heine-Allee 49), den jüdischen Eigentümern wurde das Eigentum abgepresst. Heute gehört das Nachfolge-Kaufhaus zur Kaufhof AG. Zu ihr gehört auch die ehemalige Kaufhaus Tietz AG. Das jüdische Eigentum wurde geraubt, die Familie Tietz vertrieben. Als die Kaufhof AG 2009 ihr 100jähriges Jubiläum feierte, hieß es im Magazin der IHK Düsseldorf lapidar: „Die Nationalsozialisten enteigneten, die Familie Tietz emigrierte ins Ausland und wurde später entschädigt.“ 

Der Henkel-Konzern, Düsseldorf-Holthausen. Hugo Henkel wurde 1933 Mitglied der NSDAP, sein Werk NS-Musterbetrieb. Er stellte in Düsseldorf und Genthin auf Kriegsproduktion um und machte sprunghaft Profite. Hugo Henkels Sohn Jost, seit 1938 Geschäftsführer, wurde zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Von 1940 bis 1945 beutete Henkel in Düsseldorf ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus. Mindestens drei Menschen haben die Zwangsarbeit bei Henkel nicht überlebt. Ein sowjetischer Zwangsarbeiter wurde von der Wachmannschaft erschossen und zwei Zwangsarbeiter starben am Verzehr von Chemikalien. Der Name „Hugo Henkel“ stand neben den Namen von 41 weiteren Industriellen auf der Kriegsverbrecherliste eines Sonderausschusses des US-Senats. Doch 1947 wurden Hugo und Jost Henkel „entnazifiziert“. Der Konzern stieg zu seiner heutigen Größe als international operierendes Unternehmen auf. Wie viele der deutschen Bürger, die heute Produkte von Henkel kaufen, werden von der Rolle der Henkel-Werke im Nazireich etwas wissen und daran denken können? Wir wissen es nicht, aber es werden beschämend Wenige sein. 

Der Mannesmann-Konzern, von der Deutschen Bank beherrscht. Die nahtlosen Stahlrohre der Mannesmann-Röhrenwerke wurden für Pipelines und bei Rheinmetall für Artilleriegeschosse verwendet. Wilhelm Zangen (1891-1971) war ab 1935 alleiniger Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor. Gemeinsam mit der Deutschen Bank wurden alle jüdischen Vorstandsmitglieder vertrieben. Viele Fabriken, die jüdische Eigentümer hatten, wurden geraubt und dem Konzern einverleibt. Zangen wurde Wehrwirtschaftsführer und Vorsitzender der „Reichsgruppe Industrie“, ein „Organisationszentrum für die Kriegsplanung der deutschen Großindustrie“ (Daniela Kahn). 1942 berief der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Albert Speer, Zangen in den „Rüstungsrat“. Mannesmann lieferte die Stahlflaschen für das tödliche Kohlenmonoxydgas der I.G. Farben, das u.a. in der Mordstätte Grafeneck innerhalb der T4-Aktion („Euthanasie“) zum Einsatz kam. Mannesmann expandierte: Niederlassungen in Frankreich, in Prag, Bulgarien, Serbien, Rumänien, Polen und in der Sowjetunion (Taganrog). Bis Ende 1944 waren über 8 000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene bei Mannesmann eingesetzt. Auch Zangen gelang die „Entnazifizierung“. Von 1948 bis 1957 gehörte er zum Aufsichtsrat bei Mannesmann. 1958 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Münster, 1965 bekam er das Bundesverdienstkreuz mit Stern. Zangen log eiskalt in seinen Erinnerungen: er habe keiner Partei angehört und traute den Nazis nicht. „Ich … blieb unpolitisch bei meiner Arbeit.“ (W. Zangen, Aus meinem Leben, Düsseldorf 1968) In Wahrheit war Zangen bereits 1927 Mitglied der NSDAP und der SS. Der britische Historiker Adam Tooze (Ökonomie der Zerstörung, München 2007) nennt Zangen „einen der habgierigsten Profiteure des nationalsozialistischen Regimes“.  

Insgesamt waren in Düsseldorf über 35 000 Zwangsarbeiter und Tausende Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge beschäftigt, insbesondere in der Rüstungsindustrie, darunter bei Rheinmetall. 1944 waren in Düsseldorf 27 Prozent aller Erwerbstätigen Zwangsarbeiter. 

Im Zusammenhang mit Rheinmetall, Düsseldorf, Ulmenstraße 125, erinnert Ulrich Sander an die lange Geschichte dieser Rüstungsfirma: Eine der größten Waffenhersteller im Kaiserreich; im Nazireich produzierte Rheinmetall-Borsig Maschinengewehre, Panzerabwehrgeschütze, Minenwerfer, Feld- und Flugabwehrkanonen, Eisenbahngeschütze. Das Unternehmen ging in das staatliche Unternehmen Reichswerke Hermann Göring ein.  Rheinmetall liegt gegenwärtig mit fast drei Milliarden US-Dollar Jahresumsatz etwa an 30. Stelle in der Weltrangliste der Rüstungsproduzenten. Die Waffenproduktion von Rheinmetall, darunter die Leopardpanzer, trägt massiv dazu bei, dass Deutschland drittgrößter Waffenexporteur der Welt ist. 

Der Rezensent fügt hier ein, dass zur Zeit Kriegsgegner Proteste unter der Losung „War starts here“ gegen das Gefechtsübungszentrum Heer (amtliche Abkürzung: GefÜbZH) in der Colbitz-Letzlinger Heide, das Bestandteil des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) auf dem Truppenübungsplatz Altmark ist, vortragen wollen. Gemeinden, Bundeswehr und Polizei haben nun weiträumig einen Bann über das Gebiet gelegt, um die Proteste zu verhindern. Nach den Ereignissen von Heiligendamm ein weitere eklatanter Fall von Zivil-Militärischer-Zusammenarbeit. Das Gefechtsübungszentrum wird von der Rheinmetall Dienstleistungszentrum Altmark GmbH (RDA) gemeinsam mit der Bundeswehr betrieben. Jetzt soll für 100 Millionen Euro eine große Übungsstadt fürs Militär entstehen. 

Wenn von Kriegsproduktion im Stahlbereich die Rede ist, wird der Rezensent an ein Foto-Epigramm aus der „Kriegsfibel“ von Bertolt Brecht erinnert. Auf dem Foto sind zwei Stapel Stahlplatten, Seile und Ketten eines Transportkrans sowie vier Arbeiter zu sehen. Das Epigramm: 

„Was macht ihr, Brüder?“ – „Einen Eisenwagen.“
„Und was aus diesen Platten dicht daneben?“
„Geschosse, die durch Eisenwände schlagen.“
„Und warum all das, Brüder?“ – „Um zu leben.“ 

Für künftige Ausstellungen zur Aktion der VVN-BdA könnte im Zusammenhang mit dem Fall Thyssen (im Buch S. 150 ff) auch dieses Fotoepigramm erhellend sein. Ein Bild vom Industriewerk in Katowice, ein deutscher Offizier und ein Soldat mit Karabiner:

„Zehn Völker hab ich unterm Stiefel und
Dabei mein eigenes. Die blutige Spur
Von diesem Stiefel färbt zerstampften Grund
Von Kirkenaes bis Mühlheim an der Ruhr.“ 

Die VVN-BdA beantragte Mitte 2010 in einem Brief an den Rat der Stadt Essen, an der Geschäftsstelle der FDP in Essen eine Mahntafel anzubringen. Ein Dr. Ernst Achenbach (1909-1991) war Geschäftsführer der „Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft“ – was die Hinterbliebenen abstreiten - und ganz gewiss Mitwirkender an den Deportationen französischer Juden in Mordstätten des deutschen Faschismus. Nach 1945 hatte er führende Funktionen in der FDP, war Landtags- und Bundestagsabgeordneter. Mit den SS-Tätern aus Himmlers Reichssicherheitshauptamt baute Achenbach nach 1945 in Essen einen Filz auf, um Verbrechern gegen die Menschlichkeit der Bestrafung zu entziehen. 

Im Frühjahr 2011 lehnte der Stadtrat von Essen den Antrag der VVN-BdA ab. Doch diese ließ nicht locker. Es wurden viele Dokumente beigebracht – auch mit Unterstützung von Beate und Serge Klarsfeld – die die Schuld von Ernst Achenbach bewiesen. Antifaschisten veranstalten weiterhin Mahnkundgebungen vor der FDP-Geschäftsstelle in Essen.

Thomas Kuczynski fasst in seiner „Rückschau auf die Zwangsarbeiterentschädigung – Kein Schlussstrich! Wirtschaftswunder als Resultat de Kriegswirtschaft“ einige Ergebnisse seines im Zusammenhang mit der Debatte um die Entschädigung der Zwangsarbeiter vorgelegten Gutachtens zusammen. Es sei inzwischen weitgehend anerkannt, dass die Zahl der während des Krieges im „Großdeutschen Reich“ zur Zwangsarbeit verpflichteten Menschen etwa 15 Millionen betrug. Die Gesamtentschädigung – nur vorbehaltener Lohn – hätte 180 Milliarden D-Mark betragen. Gezahlt wurden lediglich etwas mehr als 8 Milliarden. Die Firma Daimler-Benz, der alle Daten bekannt waren, hätte 1999 für eine reguläre Entschädigung knapp 16 000 D-Mark pro Zwangsarbeitskraft zahlen müssen, insgesamt über 1,2 Milliarden D-Mark. Kuczynski kritisiert völlig zu Recht, dass die außerhalb der Industrie eingesetzten Zwangsarbeitskräfte nur in Ausnahmefällen entschädigt werden. 1938 waren knapp 70 000 Polen in der deutschen Wirtschaft tätig, Ende September 1940 waren allein in der deutschen Landwirtschaft rund 470 000 „Zivilpolen aus dem Generalgouvernement und den neuen Ostgebieten“ eingesetzt. Später stieg die Zahl auf etwa 1,2 Millionen an. 

Als Kommentar zu den tatsächlich gezahlten Entschädigungen zitiert der Autor einen Überlebenden: Es sei das „Letzte an Beleidigung“ gewesen. 

Als letzte Begründung (von insgesamt sechs dargelegten) für die viel zu geringen Entschädigungen heißt es bei Thomas Kuczynski: „ … das ist ein besonders bedrückendes Kapitel in dieser Geschichte – das Verhalten der Masse der deutschen Bevölkerung. Die deutschen Konzerne und ihre Regierung hätten niemals mit einer solchen Unverfrorenheit vorgehen können, wenn eine Bevölkerungsmehrheit dieses Landes erklärt hätte: Schluss jetzt mit würdelosen Gezerre auf Kosten der Opfer, die verdammte Industrie soll endlich zahlen. Aber es war nur eine verschwindende Minderheit, die so dachte und es auch sagte.“ 

Zum Schluss sei auf Überlegungen von Kurt Pätzold zum Begriff „Faschismus“ – mehr als ein Definitionsstreit – hingewiesen. Wenn heute das Wort „Faschismus“ und somit auch keine Definition des Begriffes „Faschismus“ mit Bezug auf Deutschland in geschichtlichen Unterweisungen an Schulen und Hochschulen kaum benutzt wird, so werde eine jahrzehntelange wissenschaftliche und publizistische Denkweise verschwiegen. Keine Definition des Faschismus habe eine weitere Verbreitung und zugleich vielstimmigen Widerspruch erfahren wie die während der XIII. Tagung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im November/Dezember 1933 vorgelegte. Der Verfasser ist unbekannt. Da Dimitroff diesen Begriff vom „Faschismus“ 1935 im Bericht an den VII. Komintern-Weltkongress (August 1935) verwandte, wurde später irrtümlich oft von einer „Dimitroff-Formel gesprochen. 

Einige Einwände gegen den genannten Begriff beruhten auf falschen Ansichten über Begriffsbildungen (Bestimmung wesentlicher Eigenschaften). Pätzold besteht darauf, den Forschungsprozess vom Einzelnen zum Besonderen und zum Allgemeinen und von da wieder zurück bis zum Einzelnen. 

Inhaltliche Einwände gründen darauf, dass das Wort „Faschismus“ für verschiedene Aspekte des Faschismus verwendet wird, etwa für Ideologie oder für die politische Bewegung oder für eine Staatsform. 

Die Komintern-Definition war bestimmt, eine verständliche und politisch mobilisierende, falsche Frontstellungen vermeidende Orientierung zu geben. Die äußerste Verkürzung barg das Risiko von Missverständnissen. Besonders wichtig: Die Erfahrungen mit dem Faschismus waren 1933 minimal, im Vergleich mit denen von 1945 und später. Pätzold verweist zwar auf den auch später begründbaren Kern der Definition, die auch eine Differenzierung innerhalb des Finanzkapitals enthält. Und er erklärt weiter, was die Bestimmungen „der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ konkret bedeutet hat. So kommt er zu dem Ergebnis, dass ein „beträchtliches Quantum an Vorurteilen dazu gehöre“, der Definition von 1933 Erkenntnis- und Wahrheitswert abzusprechen. Und zugleich stellt er fest, dass die Erfahrungen bis 1945 zwar keinen „Widerruf“ der Definition, wohl aber eine Überprüfung und Ergänzung dieser Definition erfordert hätten, insbesondere hinsichtlich der Massengefolgschaft, der Rolle der Ideologie (besonders Rassismus und Antisemitismus), hinsichtlich der Genozide an Juden, an Sinti und Roma und der Massenmorde an anderen riesigen Menschengruppen während des Krieges. Als materialistische, empirische Forscher waren die Fachhistoriker der DDR selbstverständlich über diese Definition hinausgegangen, wovon viele ihrer Publikationen zeugen. Dass dennoch keine weiterführende Definition des Faschismus entwickelt wurde, sei auch der kritischen Bewahrung dessen, was 1933 geleistet worden ist, abträglich gewesen. 

Noch ein Hinweis: Die Aktion der nordrhein-westfälischen VVN-BdA hat auch eine Internetadresse: http://www.verbrechen-der-wirtschaft.de

Ihre Nutzung sei ausdrücklich empfohlen. Dort sind Texte, Arbeitshilfen, Planung von Projekten, Literaturquellen, Listen der Unternehmen, die der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beitraten und von Unternehmen, die das nicht taten, aktuelle Termine und Links zu weiteren Internetadressen.  
Obige Rezension zu „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 – 1945“, papy rossa 2012, Köln, erscheint im „Rundbrief“ Herbst 2012 der AG Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Bundesvorstand der Partei DIE LINKE

Verbrechen der Wirtschaft

Rezension aus „Der Bremer Antifaschist“ Oktober 2012

Die Zeit des Faschismus in Deutschland zwischen 1933 – 1945 gilt als die historisch bestaufgearbeitete Periode der deutschen Geschichte. Unzählige Bücher kann man zu fast jedem Thema finden. Selbst zur Rolle deutscher Eliten in allen Phasen gibt es zunehmend seit den achtziger und neunziger Jahre immer mehr Literatur. Dagegen gehört die Beteiligung der deutschen Wirtschaft an Machtübergabe, Machterhaltung und Verbrechen der Nazis zu den eher vernachlässigten Gebieten. Dem Buch „Von Arisierung bis Zwangsarbeit“, das auch aus der Rallye Spurensuche „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“ entstanden ist, wurde das Ziel gesetzt dem abzuhelfen. Dies ist auch weitestgehend gelungen. 

Da viele der damaligen Konzerne und Trusts ihren Sitz im Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen hatten, konnten die Autorinnen und Autoren nachweisen, dass sich die „Industriekapitäne“ spätestens seit 1931/32 für eine Kanzlerschaft Adolf Hitlers einsetzten und nicht nur von der Bekämpfung der Arbeiterbewegung, der Aufrüstung, der Eroberung von Rohstoffquellen und Industriebetrieben in ganz Europa und Zwangsarbeit profitierten, sondern dies alles vom Regime forderten und umsetzten. Der Schwerpunkt wird dabei auf das Großkapital gesetzt, wie Thyssen, Krupp, die IG Farben, die Deutsche Bank, Henkel, Mannesmann, Rheinmetall, Stinnes, die Flicks, die Quandts und Verbandsorganisationen des Großkapitals. Exemplarisch für den Mittelstand – wegen seiner heutigen Bedeutung – wurde aber auch der Bertelsmann Verlag beleuchtet und zu mindestens im Kapitel über Düsseldorf finden sich auch kleinere Firmen, die vom NS-Regime profitierten.

Ebenso gelang den Autoren der Nachweis, dass nach dem Krieg vielfach die Firmenleitungen aktiv verhindert haben, dass es zur Aufdeckung der aktiven Tätigkeit kapitalistischer Firmen an allen Aktivitäten des NS-Regimes kam und dass Opfer des NS-Regimes entschädigt wurden. Auch zur Zwangsarbeiterentschädigung wurden die global agierenden deutschen Unternehmen gezwungen. Mal abgesehen davon, dass nicht alle schuldigen Firmen zahlten und die ausgezahlten Summen nicht einmal annähernd die gemachten Schäden (nichtbezahlter Lohn, Gesundheitsschäden) deckten.
Einschränkend muss man allerdings sagen, dass bei einigen wenigen Schlussfolgerungen die „Beweisdecke“ doch etwas dünn bleibt. Zwar gelingt der Nachweis einer „Mitverantwortung“ wichtiger Teile des Kapitals für das „nationalsozialistische Unrechtsregime“ und auch der Nachweis, dass die gesamte Industrie die Kanzlerschaft Hitlers „gleichgültig unter welchen Umständen wünscht“. Es fehlt allerdings am Beweis, dass dies ausschlaggebend für die Entscheidung von Reichspräsident Hindenburg war, Hitler am 30.01.1933 zu berufen.

Abträglich für das Buch wirkt allein der Abschnitt „Antikommunismus – die Grundtorheit unserer Epoche“ der Thesen der VVN-BdA (Aachen), wo den Westalliierten vorgeworfen wird aufgrund ihrer antikommunistischen Haltung nicht nur die faschistischen Kriegsvorbereitungen gegen die UdSSR geduldet zu haben, sondern auch durch die späte Landung in der Normandie den Krieg unnötig verlängert zu haben (S. 111). Diese Haltung ist mir zu verkürzt und einseitig.

Doch im ganzen gesehen kann das Buch seine Intention, nämlich die Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Anteil, den das deutsche Großkapital am NS-Regime und seiner Verbrechen hatte, erreichen. Allerdings müsste es hierzu eine breite Leserschaft erreichen, was ich ihm sehr wünsche. Ulrich Sander (Hrsg.), Von Arisierung bis Zwangsarbeit, Verbrechen der Wirtschaft an Ruhr und Ruhr 1933 bis 1945, 348 S. PapyRossa Verlag, Köln 2012, Euro 16,90, ISBN 978-3-89438-489-0.
Ulrich Stuwe

Von Arisierung bis Zwangsarbeit

„Die Glocke von Ettersberg“ über das Buch „Von Arisierung bis Zwangsarbeit“

Von Dr. Ulrich Schneider, Kassel

Wer 80 Jahre nach der Errichtung der faschistischen Herrschaft davon spricht, dass es in der historischen Forschung zu diesem Thema ein „Tabu-Thema“ gäbe, der erlebt irritierte Reaktionen. Kein Gegenstand der historischen Forschung scheint so umfassend aufgearbeitet zu sein, wie die NS – Herrschaft in Deutschland. Aber in der Tat vermochte es ein Bereich, sich der historischen Aufarbeitung lange Jahre erfolgreich zu entziehen, nämlich die Wirtschaft. Abgesehen von den Konzernen IG Farben und Krupp, deren Vertreter von den Alliierten in den Nürnberger Nachfolgeprozesse angeklagt und – äußerst milde – verurteilt wurden, konnten sich die meisten Unternehmen jahrzehntelang einer Erforschung erfolgreich entziehen. Erst der zunehmende gesellschaftliche Druck Ende der 80er Jahre und noch einmal verstärkt die Debatte um die Entschädigung von Zwangsarbeitern führte dazu, dass substanzielle Forschungen zur Unternehmensgeschichte in der NS-Zeit entstanden. Doch wurden solche Untersuchungen viele Jahre durch die industrieverpflichtete „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ dominiert, die durch eigene Veröffentlichungen, aber auch durch restriktive Zugangsbedingungen zu den Firmenarchiven dafür Sorge trug, dass das Bild des „in die Zeit unglücklich verstrickten“ Unternehmens oder des nur um das Wohl des Betriebes besorgten Unternehmers keinen Schaden nahm. 

Daher bedurfte es der Geschichtswerkstätten und Initiativen vor Ort, um mehr über die tatsächliche Rolle von Unternehmen und anderen Wirtschaftsverbänden in der NS-Zeit zu erfahren. Vor etwa fünf Jahren startete die VVN-BdA in Nordrhein-Westfalen ein Projekt „Rallye Spurensuche: Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 – 1945“. In insgesamt 25 Städten arbeiteten Stadtchronisten, Antifaschisten und Wissenschaftler daran. Im Fokus der Untersuchung stand die Beteiligung von Wirtschaftsführern und Unternehmern an den Planungen für Krieg und Massenmord, sowie ihre Rolle als Akteure und insbesondere als Profiteure. 

Neunzehn dieser regionalen Studien sind in dem vorliegenden Sammelband aufgenommen worden. Und die Erforschten lesen sich wie ein „Who is who“ der Ruhrgroßindustrie: Friedrich Krupp, Günther Quandt, Emil Kirdorf, Hugo Henkel, Reinhard Mohn, Paul Reusch, Fritz Thyssen, Hermann – Josef Abs, Ernst Achenbach, Paul Kleinewefer, Richard Kaselowsky, Hugo Stinnes u.a.

Wem diese Namen bislang wenig sagen, dem sei die Lektüre dieser Aufsatzsammlung dringend ans Herz gelegt. Hier erfährt man – belegt durch Aussagen der Opfer, durch Selbstdarstellungen aus der NS-Zeit und durch – leider viel zu seltene – Prozesse gegen diese Wehrwirtschaftsführer in der unmittelbaren Nachkriegszeit –, wie diese Unternehmer aktiven Anteil am Aufstieg der Nazi-Herrschaft genommen haben, wie sie durch Geld und politische Schützenhilfe die NSDAP, die SA und andere Organisationen gestützt haben, wie sie Hitler und seinen Getreuen die Türen zur „besseren Gesellschaft“ geöffnet haben und letztlich dafür ihren Profit aus dieser Herrschaft gezogen haben. 

Man erfährt von der wohlwollenden Aufnahme im Düsseldorfer Industrieclub 1932, von der politischen Einflussnahme des Langnam-Vereins. Fritz Thyssen selber veröffentlichte schon in den 30er Jahren ein Buch „I paid Hitler“, aber auch Hermann Josef Abs und Friedrich Krupp leisteten ihren finanziellen und politischen Beitrag. Der IG-Farben-Konzern hielt sich anfangs etwas bedeckt, aber er war der erste, der für sich die neuen politischen Verhältnisse für profitable Geschäftsbeziehungen in der Herstellung synthetischen Treibstoffs und Kautschuks nutzte. Der Vier-Jahres-Plan zur Kriegsvorbereitung war ein IG-Farben-Plan. Eine Autorengruppe listet unter der literarischen Überschrift: „Wer zählt die Ort, wer kennt die Namen?“ weitere Tatorte der Verbrechen der Wirtschaft auf. 

Der Band ist ein Lesebuch, das anregen kann und soll, auch in anderen Regionen der Republik sich auf Spurensuche zu begeben. Dazu fallen dem Rezensenten spontan Namen wie August Rosterg (Wintershall) oder Ferdinand Porsche (Volkswagen) ein. Es ist ein lohnendes Buch, dessen Fortsetzung noch geschrieben werden muss.

Ulrich Schneider

Bibliographische Angaben: 

Ulrich Sander (Hrsg.), Von Arisierung bis Zwangsarbeit, Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr, PapyRossa Verlag, Köln 2012, 347 S., ISBN 978-3-89438-489-0, 16,90 €

Weitere Rezensionen siehe auch

http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0969_ko_hler.htm

http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0970_sowjetische_zwangsarbeiter_kriegsgefangene.htm

http://www.mt-online.de/lokales/minden/6831040_Handlanger_Taeter_und_Profiteure.html

http://www.mt-online.de/lokales/minden/6871317_Ulrich_Sander_beleuchtet_die_deutsche_Wirtschaft_im_Dritten_Reich.html