01.04.03
Offener Brief an NRW-Innenminister Behrens
Herrn
Minister des Innern
Fritz Behrens
Düsseldorf
Der Geschäftsführende Landesausschuss der
VVN-BdA NRW an den Herrn Innenminister.
Betr. Pfleglicher Umgang mit
den Neonazi-Organisationen
Sehr geehrter Herr Minister Behrens!
Wir Antifaschistinnen und Antifaschisten
sind enttäuscht über Ihre gestrige Pressekonferenz wie auch
über die Verlautbarung aus Kreisen der Innenminister. Weder ein
Konzept, wie künftig die sich ausbreitende Nazibewegung, die
Bewegung von Terroristen und Gewalttätern - eingedämmt werden
kann, noch ein überzeugender Plan, wie die Organisationsverbote,
die bereits gegen Neonazis ausgesprochen wurden, endlich
angewendet werden, wurde erkennbar. Die Botschaft war, man wolle
an dem V-Mann-Konzept grundsätzlich festhalten, das seine
Funktion als Schutzengel für die NPD bewiesen hat.
Nach der alarmierenden Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes zugunsten der Betätigungsfreiheit der
neonazistischen NPD und nachdem immer dreister Neonazis auf den
Straßen auch unseres Bundeslandes aufmarschieren durften,
erlauben wir uns, noch einmal auf unsere Petitionen an den Landtag
von NRW hinzuweisen, über deren Abschluss Sie in Kenntnis gesetzt
wurden.
Unsere Organisation hatte sich zu dem vom
höchsten Verwaltungsgericht von NRW dringend befürworteten
entschiedenen Vorgehen gegen Neonazis bekannt, und es freute uns,
daß dies auch der Petitionsausschuß des Landtags tat. Der
Petitionsausschuß wies zugleich zustimmend auf die umfangreiche
Rechtssprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster - u.a. vom 2.
März und 30. April 2001 - hin, nach der sich eine
rechtsextremistische Ideologie auch nicht mit den Mitteln des
Demonstrationsrechts legitimieren lässt (Beschluss des OVG NRW,
Az 5 B B 585/01; siehe auch Briefe des Petitionsausschusses des
Landtages vom 11. 10. 02 und 28.09.01 an die VVN-BdA NRW).
Über Ihre Haltung hingegen, sehr geehrter
Herr Innenminister, waren und sind wir, die Opfer des NS-Regimes
und ihre Hinterbliebenen, sehr beunruhigt. Verbittert sind wir
auch über die fortgesetzten Bemühungen dreier Karlsruher
Verfassungsrichter, unter Vermeidung einer endgültigen
Entscheidung den Neonazis in Eilentscheidungen immer wieder das
Demonstrationsrecht zu genehmigen. Die drei Richter einer
Eilkammer bescheinigen den Neonazis, "eine missliebige
Meinung" zu haben, die zu dulden sei.
Die Gegendemonstranten, die unter der Losung
"Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen"
gehen, werden immer wieder behindert, auch durch die Polizei, die
Ihnen, Herr Minister, untersteht. Der historische wie aktuelle
Faschismus wird damit verharmlost, die von ihm ausgehenden
Gefahren werden verniedlicht.
Es hat uns gefreut, dass der Präsident des
Oberverwaltungsgerichtes von Münster gegen diese zweifelhafte
Haltung der drei Karlsruher Juristen öffentlich Stellung bezogen
hat (z.B. FR vom 16. Juli 02). Wir hatten nun den Wunsch
geäußert, der Innenminister von NRW würde es dem
Gerichtspräsidenten und dem Landtagsausschuss gleichtun. Dies
erschien uns notwendig, da sich eine Resignation breit macht, nach
dem Motto: Münster kann entscheiden, was es will, Karlsruhe hebt
es wieder auf. Es wird bereits im Vorfeld fast jeder
Naziprovokation der Versuch unterlassen, mit den Mitteln des
Verbots gegen die Nazis vorzugehen. Es habe keinen Zweck, sagen
Polizeipräsidenten und Landräte. Wenn diese sich wirklich einmal
wagten, Schritte gegen die Neonazis zu unternehmen, mussten sie
leider erfahren, dass der Innenminister sie im Stich lässt.
Anders als die OVG-Rechtssprechung und
Landtagsmeinung behauptete das Landesinnenministerium in seinem
letzten Schreiben (Brief an die VVN-BdA NRW vom 04. 11. 02) an
uns: "Entscheidungen des BverfG sind unanfechtbar. An seine
Rechtssprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden. Insoweit
steht es dem Innenministerium Nordrhein-Westfalen nicht zu,
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu werten."
Wir bitten Sie, derartiges nicht im Raum
stehen zu lassen. Wie dem Verwaltungsgerichtspräsidenten Michael
Bertrams stünde es auch Ihnen gut an, die Kammer des BVerfG zu
kritisieren, denn diese handelt skandalös. Wenn dann noch
Bürgerinnen und Bürger mittels Karlsruher Hilfestellungen an der
Wahrnehmung ihrer Grundrechte auf Meinungs- und
Versammlungsfreiheit gehindert werden und die Landesregierung von
NRW dies geschehen lässt, dann fordern wir, dass endlich alle
Demokraten unseres Landes, die unsere Verfassung ernst nehmen,
dagegen auf den Plan treten.
Wir erinnern uns noch sehr gut daran, wie
bayerische Landesregierungen gegen vermeintlich kritikwürdige
Urteile des Bundesverfassungsgerichtes - Urteile und keine
Eilentscheidungen dreier Herren! - das Volk auf die Straße
riefen. Die Verfassung muss ernst genommen werden, auch von
Innenministern und Verfassungsrichtern.
Doch leider nehmen Sie als unser
Innenminister in Sachen Neonazis nicht mal Ihre eigenen
Entscheidungen - bzw. die Ihrer Vorgänger - ernst. Von 1992 bis
1995 wurden einige rechte Gruppierungen durch die Innenminister,
auch durch den NRW-Innenminister verboten. Doch die Führer dieser
verbotenen Gruppen stellen sich an die Spitze von offenkundigen
Nachfolgeorganisationen - und sie können ungehindert von der
Polizei agieren. Das nennt Ihr Ministerium "konsequente
Durchsetzung der Verbote von ANS, NO und FAP" (Aktionsfront
Nationaler Sozialisten, Nationale Offensive, Freiheitliche
Arbeiterpartei). Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass Strukturen
dieser rechtsextremistischen Vereine existieren. Doch diese
Strukturen sind Woche für Woche in diesem Lande zu besichtigen.
Wir bitten Sie, in Ihrem politischen Handeln
die Nachfolgestrukturen der Neonazigruppen zu erkennen und zu
verbieten. Dazu gehört auch, gegen die NPD und die "freien
Kameradschaften" vorzugehen, wenn sie nachweislich als
Nachfolgeorganisationen verbotener Gruppen fungieren. Wir bitten
Sie zugleich, konsequent an der nordrhein-westfälischen
Rechtssprechung, dass Nazismus nach unserer Verfassung von
vornherein illegal ist, festzuhalten und in diesem Sinne mit
anderen Ländern der Bundesrepublik zusammenzuarbeiten. Selbst
wenn die Dreier-Kammer von Karlsruhe dann gegen eine richtige
nordrhein-westfälische Linie entscheiden sollte, so wäre dies
immer noch besser, als eine weitere Resignation der Demokraten
zuzulassen.
Mit freundlichen Grüße
Für den Geschäftsführende Landesausschuß
der VVN-BdA NRW:
Die Landessprecher Josef Angenfort, Ulrich
Sander, Jochen Vogler
Alle Verfassungsorgane haben versagt
Ohne Rückblick in die Geschichte bleibt die faktische Immunität der NPD unerklärlich
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