05.12.03
Neues von der Aufarbeitung der NS-Verbrechen durch die deutsche Justiz
Staatsanwaltschaft durchsucht Räume der VVN/BdA
NRW - Vorwürfe haltlos
Am Mittwoch erhielten Landessprecher Ulrich Sander in seiner
Privatwohnung und unser Landesbüro in Wuppertal Besuch von der
Polizei. Unserer Räume wurden durchsucht. Der Vorwurf:
Landessprecher Ulrich Sander habe im Namen des gegen die
ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die mutmaßlich die Verbrechen in
Kephallonia begangen haben, ermittelnden Oberstaatsanwaltes Maaß
Briefe verschickt, in denen Ermittlungsverfahren gegen diese
angekündigt seien - er habe also Amtsanmaßung begangen, so der
ermittelnde Oberstaatsanwalt Bernhard Düllmann.
Landessprecher Sander weißt alle Vorwürfe zurück. Die Briefe
können alle möglichen Leute verschickt haben. Dass die Briefe
Ähnlichkeit mit dem Schriftwechsel zwischen ihm und dem
Oberstaatsanwalt Maaß hätten, beweise nicht, dass die "amtsanmaßenden" Briefe von ihm stammten. Der Briefwechsel ist
schließlich im Internet veröffentlicht worden (siehe Ermittlungen aufgenommen!
Antwort des Oberstaatsanwalts Maaß, Dortmund, an die VVN-BdA NRW).
Pressemitteilung von Ulrich
Sander zu diesem Vorgang:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich informiere Sie hiermit über einen Fall der Missachtung des Zeugnisverweigerungsrechtes von Journalisten. Ohne als Zeuge gefragt zu werden, machte man mich kurzer Hand zum Beschuldigten, um mein Archiv (auf PC) beschlagnahmen und kopieren zu können. In diesem Zusammenhang erhebe ich schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft Dortmund und gegen den Dortmunder Polizeipräsidenten.
Am Mittwoch, 3.12.03, erschienen in meiner Wohnung und im Büro der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten, Landesverband NRW in Wuppertal, insgesamt zehn Vertreter des Staatsschutzes, um Hausdurchsuchungen vorzunehmen. Es ging um den Vorwurf der Amtsanmaßung.
Mir wurde eröffnet, ich hätte mit dem Briefkopf der Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen, Dortmund, zahlreiche Personen, denen schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wurden, angeschrieben, um ihnen mitzuteilen, dass das Untersuchungsverfahren gegen sie erneut eröffnet wurde.
Derartige Briefe, Fälschungen, habe ich nie versandt. Ich habe jedoch, den Staatsanwaltschaften in München, Dortmund und Ludwigsburg wiederholt, zuletzt im September d. Js., über 200 Namen und Adressen von möglichen Tätern an Massakern in Griechenland und Italien übergeben. Ich habe verlangt, dass gegen sie ermittelt und sie verurteilt werden. Alle Aktionen fanden in der Öffentlichkeit statt, stets habe ich sie als Journalist und Landessprecher der VVN-BdA durchgeführt.
Mit einem Durchsuchungsbefehl vom 9.7.03 wurden jetzt, fünf Monate später, die Durchsuchungen durchgeführt. Es wurden zwei Briefe und mein Computer mit allen Dateien darauf beschlagnahmt. Ich habe protestiert. Unter einem Vorwand wurde das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten und anderen Personengruppen ausgehebelt. Statt die Naziverbrecher endlich zu belangen, wurde mit mir ein antifaschistischer Journalist an seiner Arbeit gehindert. Offenbar soll ich eingeschüchtert werden mit dem Ziel, dass ich meine Ermittlungen einstelle.
Nachstehend der Text des Durchsuchungsbeschlusses.
Mit freundlichen Grüßen
- Ulrich Sander -
Proteste bitte an
- Staatsanwaltschaft Dortmund, Gerichtsplatz 1, 44135 Dortmund
- Justizminister des Landes NRW, Martin Luther Platz 40, 40212 Düsseldorf
Kopien zur Info bitte an U. Sander, Postfach 321, 44383 Dortmund.
Im Folgenden dokumentieren wir
einige Presseartikel zu diesem
ungeheuerlichen Vorgang:
Westfälische Rundschau
Polizei durchsuchte Wohnung von VVN-Landessprecher in Dortmund
(AWi) Besuch von der Polizei erhielt am Mittwoch Ulrich Sander, Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Die Beamten legten ihm einen Durchsuchungsbeschluss vor, nahmen seinen PC mit. Der Vorwurf: Amtsanmaßung.
Nach Darstellung von Oberstaatsanwalt Bernhard Düllmann wird dem
engagierten antifaschistischen Journalisten vorgeworfen, unter Verwendung
des Briefkopfes "Leiter der Zentralstelle im Lande NRW für die Bearbeitung
von Nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft
Dortmund" eine Vielzahl von Personen angeschrieben zu haben und dabei den
Namenszug des Leiters der Zentralstelle, Oberstaatanwalt Maaß, in den
jeweiligen Schreiben verwendet zu haben. "In diesen Schreiben wurde den
Empfängern mitgeteilt, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei", so Düllmann.
Auffällig sei, so heißt es in dem Durchsuchungsbeschluss, "dass die
Schreiben offensichtlich gegen Mitglieder des Gebirgsjägerregimentes 98
gerichtet sind." Diese sollen an Straftaten der Wehrmacht auf der griechischen Insel Kephallonia beteiligt gewesen sein. Wie Düllmann
erklärte, haben einige der Mitglieder Strafanzeige gestellt.
"Derartige Briefe habe ich nie versandt", widerspricht Ulrich Sander den
Vorwürfen. "Hier will jemand meine Aufklärungsarbeit torpedieren, ich soll
eingeschüchtert werden, mit dem Ziel, meine Ermittlungen einzustellen." Er
habe lediglich, so Sander im Gespräch mit der WR, den Staatsanwaltschaften
in München, Dortmund und Ludwigsburg im April und September 2003 über 200
Namen und Adressen von möglichen Tätern an Massakern in Griechenland und
Italien übergeben. "Ich habe verlangt, dass gegen sie ermittelt wird und
sie verurteilt werden", so der Journalist. All diese Aktionen hätten in
der Öffentlichkeit stattgefunden. Eine solche ihm zur Last gelegte Tat sei
an den Haaren herbeigezogen. Er verwahre sich entschieden gegen die
Vorwürfe.
05.12.2003
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
In Briefen als Staatsanwalt ausgegeben
Die Wohnung von Ulrich Sander und das Büro der Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes / Bund der Antifaschisten in Wuppertal, die er als
Geschäftsführer vertritt, wurden am Mittwoch vom Staatsschutz durchsucht.
Ulrich Sander, der sich seit langem um die Aufklärung von Verbrechen der
Nationalsozialisten bemüht, soll unter Verwendung des Briefkopfes "Leiter
der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen bei der Staatsanwaltschaft
Dortmund" eine Vielzahl von Menschen angeschrieben haben. "Den Empfängern
wurde darin mitgeteilt, dass gegen sie Ermittlungen wegen Mordes im
Zusammenhang mit mutmaßlichen Straftaten der Wehrmacht auf der griechischen Insel Kephallonia wieder aufgenommen wurden", erläutert
Oberstaatsanwalt Bernhard Düllmann. Die so Angeschriebenen, fünf von ihnen
gehören dem "Kameradenkreis der Gebirgstruppe" in München an, wandten sich
an Anwälte oder direkt an den Leiter der Zentralstelle, Ulrich Maaß. Der
erstattete Anzeige gegen Unbekannt, die Angeschriebenen zeigten das
Vereinsmitglied Ulrich Sander an. Denn er ist seit 1991 Mitglied der
"Gebirgsjäger". Im April überreichte Sander dem Leiter der Zentralstelle,
in der ein Verfahren gegen Mitglieder des Gebirgsjägerregimentes 98 läuft,
eine Liste von möglichen Tätern, darauf waren auch die Angeschriebenen.
Ulrich Sander, gegen den wegen Amtsanmaßung ermittelt wird, bestreitet
Urheber der Briefe zu sein. Sie entsprechen aber einem Schreiben, das der
Leiter der Zentralstelle an den VVN sandte. bam
05.12.2003
Neues Deutschland
Hausdurchsuchung bei VVN-Landessprecher
Ermittlung gegen Antifaschisten statt gegen Nazitäter
Von Wolfgang Hübner
Am Mittwoch stand bei Ulrich Sander der Staatsschutz vor der Tür.
Fünf Beamte durchsuchten die Wohnung des in Dortmund lebenden Journalisten. Zur gleichen Zeit untersuchten fünf weitere
Staatsschützer das Wuppertaler Büro der Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten (VVN/ BdA), deren Landessprecher Sander ist. Grund der Polizeimaßnahme ist der Vorwurf
der Amtsanmaßung. Briefe sowie Sanders Computer wurden vorübergehend
beschlagnahmt. Sander sei verdächtig, heißt es in einem Beschluss
des Dortmunder Amtsgerichts, im Mai dieses Jahres den Briefkopf und
den Namenszug des Leiters der nordrhein-westfälischen Zentralstelle
für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen verwendet zu haben. Auf
solchen Briefbögen habe Sander diversen Adressaten mitgeteilt, dass
gegen sie wegen Verbrechen der Wehrmacht in Griechenland ermittelt
werde.
In der Tat beschäftigt sich Ulrich Sander als aktiver Antifaschist
seit vielen Jahren mit Verbrechen der Wehrmacht und ihrer Aufarbeitung. Insbesondere bemüht sich die VVN/BdA darum, Täter der
Massaker von Kephallonia zu ermitteln und ihrer Strafe zuzuführen. Im September 1943 hatten Wehrmacht-Gebirgsjäger auf der griechischen
Insel Kephallonia über 6000 italienische Soldaten ermordet, die bereits vor den Alliierten kapituliert hatten. Dieses Verbrechen
wurde in der Bundesrepublik nie juristisch aufgearbeitet, eine ganze
Reihe damals Beteiligter lebt noch. Sander und andere haben Namen und Adressen von über 200
Tatverdächtigen ermittelt und diversen Staatsanwaltschaften übergeben. Im diesem Frühjahr erhielten etliche einstige
Gebirgsjäger einen Brief vom Leiter der Dortmunder Zentralstelle, in
denen von Ermittlungsverfahren gegen sie die Rede ist. Die Zentralstelle hat die Briefe indessen nicht verschickt; da sie aber
Anfang des Jahres ein Schreiben mit ähnlichen Informationen an Sander gerichtet hatte, schlussfolgern die Ermittler messerscharf,
der habe die Fälschungen fabriziert.
Der 62-Jährige bestreitet das und verweist darauf, dass die
VVN/BdA ihre Schriftwechsel mit den Staatsanwaltschaften regelmäßig
veröffentlicht und alle möglichen Leute diese Briefe kennen. Dass
gegen ihn ermittelt werde, sei ein Skandal, sagt Sander: Statt endlich die Naziverbrecher zu belangen, versuche man, einen
antifaschistischen Journalisten an der Arbeit zu hindern und einzuschüchtern. (ND 05.12.03)
Ruhrnachrichten
"Ankläger" im Visier der Anklage
Jahrelang sah sich Ulrich Sander als Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in der Rolle eines "Nazi-Anklägers". Jetzt geriet er selbst ins Visier der Ermittler.
Fünf Polizisten durchsuchten Mittwoch die Wohnung des Buchautors und Journalisten, der sich mit dem Faschismus in der deutschen Geschichte und der Gegenwart befasst.
Die Staatsanwaltschaft verdächtigt Ulrich Sander, von ihm als mutmaßliche Kriegsverbrecher ausgemachte Mitglieder eines ehemaligen Gebirgsjägerregiments angeschrieben zu haben. Und zwar mit dem Briefkopf der "Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen". Der Vorwurf: Amtsanmaßung. Dateien auf einem sichergestellten Computer sollen den Verdacht erhärten.
Sander soll laut Durchsuchungsbeschluss den Adressaten in diesen Schreiben eröffnet haben, dass gegen sie "Ermittlungen wegen Mordes im Zusammenhang mit mutmaßlichen Straftätern der Wehrmacht" aufgenommen worden seien.
Den Verdacht gegen den auch als Journalist tätigen VVN-Funktionär begründet die Staatsanwaltschaft mit der "Diktion" der gefälschten Schreiben, die zum Teil einem authentischen Brief an den Zentralstellen-Leiter, Staatsanwalt Ulrich Maaß, entspreche. Zudem seien die Adressaten identisch mit einer Namensliste der "Kriegsverbrecher".
Diese Liste hatte die VVN der Staatsanwaltschaft im April übergeben. Für Sander sind die Ermittlungen ein Fall von "Missachtung des Zeugnisverweigerungsrechtes von Journalisten." Oberstaatsanwalt Düllmann entgegnet: "Herr Sander ist Beschuldigter, kein Zeuge." Daher könne er sich nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht
berufen. ban
05.12.2003
Frankfurter Rundschau
Staatsanwalt ermittelt gegen VVN-Sprecher
Vereinigung der Nazi-Verfolgten soll gefälschte Briefe verschickt haben / Streit über nie geahndete Kriegsverbrechen
Der NRW-Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Ulrich Sander, wehrt sich gegen Vorwürfe , er habe einen Briefkopf der Staatsanwaltschaft gefälscht. Er seinerseits wirft den Ermittlern mangelndes Engagement bei der Aufklärung von Verbrechen der Wehrmacht vor.
VON INGRID MÜLLER-MÜNCH
VVN-BDA
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), am 15. März 1947 in Frankfurt von ehemaligen KZ-Häftlingen, Widerstandskämpfern und anderen Verfolgten gegründet, kämpfte gegen die Rehabilitierung von Nazis und die Remilitarisierung sowie für Entschädigungen. Mit dem Zusatz "Bund der Antifaschisten" öffnete die VVN sich 1971 Jüngeren, engagierte sich in der Friedensbewegung. Seit 2002 sind west- und ostdeutsche Verbände vereint, zählen rund 11000 Mitglieder. olk |
Dortmund · 5. Dezember · Als völlig ungerechtfertigt und überzogen kritisierte der Dortmunder Journalist Ulrich Sander, Landessprecher der VVN in Nordrhein-Westfalen, dass Mitte der Woche seine Wohnung in Dortmund und sein Arbeitszimmer in den Wuppertaler Geschäftsräumen der VVN durchsucht wurden. Die Ermittler beschlagnahmten in der Geschäftsstelle Briefe. Aus den Privaträumen Sanders entfernten sie für zwei Tage dessen Computer.
Anlass für die Aktion war der Verdacht der Amtsanmaßung. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft vermutet, dass Sander ein Schreiben unter Verwendung des Briefkopfes "Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund" verschickt hat. Adressiert war der Brief an eine Vielzahl von Personen, denen mit der gefälschten Unterschrift des Leiters der Zentralstelle mitgeteilt wurde, gegen sie werde wegen Mordes in Zusammenhang mit Kriegsverbrechen der Wehrmacht auf der griechischen Insel Kephalonia ermittelt.
Tatsächlich hat der Leiter der Dortmunder Zentralstelle, Ulrich Maß, im September 2001 solche Ermittlungen erneut aufgenommen. Er überprüft 4000 Männer, die unter anderem als Mitglieder des Gebirgsjägerregiments 98 dort stationiert waren. Das Regiment soll im September 1943 etwa 5000 italienische Kriegsgefangene ermordet haben. Es war eines von etwa 50 nie strafrechtlich geahndeten Massakern deutscher Gebirgseinheiten. Oberstaatsanwalt Maß konnte die in den 60er Jahren eingestellten Ermittlungen wegen "neuer Tatsachen und Beweismittel" wieder aufnehmen. So erhielt er aus der Stasi-Akten-Behörde, von der Wehrmachtsauskunftstelle in Berlin und aus DDR-Archiven und Tagebüchern immer wieder Hinweise auf mögliche Tatbeteiligte.
Ulrich Sander weist den Vorwurf, den Brief gefälscht zu haben, entschieden von sich: "Derartige Briefe habe ich nie versandt." Sander hat allerdings seit Jahren wegen der Wehrmachtsverbrechen in Griechenland recherchiert und wirft den Ermittlern mangelndes Engagement vor. So wertete er gemeinsam mit Historikern der Arbeitsgemeinschaft "Angreifbare Traditionspflege" die Mitgliederzeitschrift der Gebirgsjägereinheit akribisch aus. Dabei stieß er auf Erlebnisberichte und Anekdoten, aus denen hervorgeht, welcher Gebirgsjäger wann wo stationiert war. "Eine Fundgrube", sagt er, "wir haben Leute gefunden, von denen wir annahmen, dass sie dabei gewesen sein müssen." Der Staatsanwaltschaft wirft er vor, statt dass sie sich dieser Verbrechen intensiv widme, "hier etwas aufzubauschen, nur um dahinter zu kommen, über welches Material die VVN noch verfügt".
06.12.03
Ermittlungen aufgenommen!
Antwort des Oberstaatsanwalts Maaß, Dortmund, an die VVN-BdA NRW
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