01.07.2016
Bundesausschuss
Friedensratschlag tagte am 26.6.2016 in Kassel
Referat
von Lühr Henken (Sprecher des BAF) zum neuen
Weißbuch der Bundeswehr
Das Weißbuch der
Bundeswehr 2016 liegt nur als Entwurf vor. Mitte Juli soll es vom
Kabinett verabschiedet werden. In groben Zügen
machten den Inhalt die FAZ, die Süddeutsche, die Welt
und tagesschau.de öffentlich. Das Weißbuch
gilt als sicherheitspolitisches Programm der
Bundesregierung. Veränderungen gegenüber dem
letzten Weißbuch von 2006 sind zum Teil gravierend. Das
führte BAF-Sprecher Lühr Henken am 26. Juni
auf einer Bundesausschusstagung in Kassel aus. Er sagte
weiter:
Der FAZ-Autor kommt auch gleich zur Sache:
„Im neuen Weißbuch wird Deutschland eine weitaus
wichtigere Rolle in der Welt zugeschrieben als noch im alten. Das hat
Konsequenzen.“ [1]
Die FAZ schreibt: „Der neue
Text […] sieht Deutschland ‚aufgrund seiner
wirtschaftlichen, politischen und militärischen
Bedeutung‘ in der Verantwortung, ‚die globale
Ordnung aktiv mitzugestalten‘. In Europa werde Deutschland
zunehmend als globaler Akteur wahrgenommen: Daraus ergäben
sich wachsende Handlungsmöglichkeiten, aber auch
größere Verantwortung.“
Das Weißbuch wird beim Geld konkret:
„Deutschland bleibe dem Ziel verpflichtet, sein Wehretat
‚langfristig‘ an die Zielgröße
von zwei Prozent des Bruttosozialprodukts
‚anzunähern‘ und - als zweites Ziel
– innerhalb des Verteidigungshaushalts eine Quote von20
Prozent für Rüstungsinvestitionen
anzustreben.“
Das Weißbuch unterbreitet auch ein
„neues Angebot an die internationale Gemeinschaft:
Deutschland sei bereit, sich ‚früh, entschieden und
substantiell[2] als Impulsgeber in die internationale Debatte
einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu
übernehmen‘. Dazu zähle auch
‚die Bereitschaft, zur Bewältigung heutiger und
zukünftiger sicherheitspolitischer sowie humanitärer
Herausforderungen beizutragen‘.“[3]
Stefan Kornelius fasst in der
Süddeutschen zusammen:
„Da präsentiert sich eine
selbstbewusste und fordernde Nation, die eigene Spuren in der
Sicherheitspolitik ziehen möchte und einen Anspruch anmeldet
zur Gestaltung Europas und der westlichen Bündnisse. Das hat
zwar jede Bundesregierung bisher auch schon getan – nur so
deutlich gesagt hat es noch keine.“ [4] So Kornelius.
In dem Zusammenhang kommt mir der bereits in den
Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 formulierte
machtpolitische Anspruch in den Sinn: „Wenn ... der Frieden
gefährdet ist, muss Deutschland auf Anforderung der
Völkergemeinschaft auch militärische
Solidarbeiträge leisten können. Qualität und
Quantität der Beiträge bestimmen den politischen
Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen
Interessen international zur Geltung gebracht werden
können.“ [5]
So offen wurde später nicht mehr
formuliert. Denn im Klartext heißt das ja: Je
größer die Bundeswehr, desto
größer die Macht Deutschlands weltweit.
Zum wichtigsten Thema, dem Verhältnis zu
Russland.
Im Weißbuch 2006 wurde noch
formuliert, dass es gelte, „eine dauerhafte und belastbare
Sicherheitspartnerschaft mit Russland zu entwickeln und zu
vertiefen“ [6] Der Begriff Partnerschaft war dafür
prägend im alten Weißbuch. [7]
Die Beschreibung des Verhältnisses zu
Russland in Springers „Welt“ spricht eine
gegenteilige Sprache: „Russland ist kein Partner mehr, stellt
die Regierung fest, sondern ein Rivale. Durch seine auf der Krim und im
Osten der Ukraine zutage getretene Bereitschaft, die eigenen Interessen
auch gewaltsam durchzusetzen und völkerrechtlich garantierte
Grenzen einseitig zu verschieben, stelle Russland die nach dem Kalten
Krieg geschaffene europäische Friedensordnung offen infrage.
Das habe tiefgreifende Folgen auch für die Sicherheit
Deutschlands. Russland wende sich vom Westen ab, betone strategische
Rivalität und erhöhe seine militärische
Aktivitäten an den EU-Außengrenzen.“ So
„Die Welt“. Dies war alles indirekte Rede. Was
davon Interpretation des Springer-Autors ist, und was
tatsächlich im Weißbuch-Entwurf steht,
lässt sich nicht verifizieren. Wörtlich zitiert wird
in der „Welt“, wo es um die „besondere
Sorge“ der Regierung geht: nämlich den zunehmenden
Einsatz „hybrider Instrumente zur gezielten Verwischung der
Grenze zwischen Krieg und Frieden“, die „subversive
Unterminierung anderer Staaten.“ Als Fazit zitiert
„Die Welt“ aus dem neuen
Weißbuch-Entwurf: „Ohne grundlegende
Kursänderung wird Russland somit auf absehbare Zeit eine
Herausforderung für die Sicherheit auf unserem Kontinent
darstellen.“ [8]
Auch die FAZ hebt dieses Zitat hervor, um dann aus
dem Weißbuch zitierend fortzufahren: „Die
nachhaltige Sicherheit und Prosperität in Europa sei
künftig jedoch ‚nicht ohne eine belastbare
Kooperation‘ mit Russland zu gewährleisten. Es komme
im Umgang mit Russland daher auf ‚die richtige
Mischung‘ zwischen Verteidigungsfähigkeit und
Abschreckung einerseits und Kooperationsangeboten an.“
[9] Dazu zwei Anmerkungen: Der deutsche Eigenanteil an der
Krise mit Russland wird im Weißbuch nicht reflektiert. Die
Schuld wird Russland zugeschrieben. Und die zweite Anmerkung. Gegen
Russland soll das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche zur
Anwendung kommen. Dieses Prinzip widerspricht jedoch jeglicher
Partnerschaft. Auf den Punkt bringt es Stefan Kornelius in der
Süddeutschen: „Seit dem Kalten Krieg hat keine
Bundesregierung so eindeutig ein Land als bedrohlich
gezeichnet.“ [10]
Bedeutend ist auch folgende Veränderung,
auf die die Süddeutsche hinweist. Die Haltung zur
Militarisierung der EU. Deutschland lege ein breites Bekenntnis zu
Bündnissen ab, schreibt das Münchner Blatt. Und
weiter: „Neu ist dabei zweierlei: Erstens ist die Konkurrenz
zwischen NATO und EU verschwunden, Berlin gibt der NATO in
militärischen Fragen Priorität. Und zweitens tut sich
allerhand in Sachen Verzahnung und Aufgabenteilung mit den
europäischen Nachbarn. Bemerkenswert ist dabei, so die
Süddeutsche , „was nicht im Weißbuch
steht. Während sich im Koalitionsvertrag von 2013 noch das
hehre Ziel einer europäischen Armee findet (‚Wir
streben einen immer engeren Verbund der europäischen
Streitkräfte an, der sich zu einer politisch kontrollierten
europäischen Armee weiterentwickeln kann‘), so
verschreibt sich die Bundesregierung jetzt dem Realismus. Die
europäische Armee ist jedenfalls gestrichen, stattdessen wird
durch Rangfolge und Wortwahl klar, dass militärische
Sicherheit Sache der NATO ist, inklusive nuklearer Abschreckung und
Raketenabwehr.“ [11]
Christian Thiels stellt auf tagesschau.de
„einige kontroverse Akzentuierungen“ fest. Etwa in
Punkto Auslandseinsätze der Bundeswehr. „Einerseits
will sich Deutschland künftig stärker bei
Blauhelm-Missionen der Vereinten Nationen engagieren,“
schreibt Thiels, „andererseits würden
‚Ad-hoc-Koalitionen‘ als Instrumente der
internationalen Krisenbewältigung ‚weiter an
Bedeutung zunehmen‘, heißt es im
Weißbuch-Entwurf. Deutschland werde sich in Fällen,
in denen es ‚seine eigenen Interessen auf diesem Wege
schützen kann‘, an solchen Kooperationen beteiligen.
Anders formuliert,“ schreibt Thiels, „Koalitionen
von Willigen, wie etwa bei der US-geführten Anti-IS-Koalition
in Syrien und dem Irak, sind für von der Leyen
künftig ein Normalfall. Grüne und Linkspartei, aber
auch so mancher in der SPD, sehen das anders und würden derlei
Interventionen – wenn überhaupt – nur
unter dem Dach der Vereinten Nationen oder der EU zustimmen.“
[12] Meine Anmerkung: Wittert Thiels Völkerrechtsbruch?
Zum Abschluss noch zwei Punkte, die nicht
ungenannt bleiben sollen.
Erstens. Die Süddeutsche hebt hervor,
dass bei der Interessendefinition Deutschlands „an dritter
Stelle bereits – Prosperität und ungehinderter
Welthandel“ stehen. „Will
heißen“, so das Blatt: „Die Freiheit der
Meere und die Versorgung mit Rohstoffen stehen im Interessenkatalog
ganz oben.“ [13] Eine Anmerkung dazu: Auf
Bundeswehreinsätze im wirtschaftlichen Interesse haben wir
Friedensbewegte vom ersten Tag an, und das waren die
Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992, kritisch aufmerksam
gemacht. Mein Eindruck ist, dass wir darin nie richtig ernst genommen
wurden. Nun zeigt sich, wie ernst es gemeint war und ist.
Zweitens. Der Bundessicherheitsrat soll
sich künftig „kontinuierlich“ mit
strategischen Fragen befassen und als „strategischer
Impulsgeber“ fungieren. [14]
Das Resümee aus der
Süddeutschen: „Das neue Weißbuch
ist – gemessen an seinen Vorgängern – von
neuer Klarheit. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Land
so deutlich zu seiner führenden Rolle in der Welt bekannt und
daraus auch eine sicherheitspolitische Verpflichtung
abgeleitet.“ [15]
Meine letzte Anmerkung: Das Weißbuch
markiert eine epochale Wende: Markant mehr Rüstung und
Auslandseinsätze sollen einen machtpolitischen Anspruch
Deutschlands weltweit durchsetzen. Die militärischen
Instrumente dafür stehen in wenigen Jahren zur
Verfügung. Es sei denn, wir entwickeln Gegenkräfte,
die das verhindern. Auftakt dafür könnte die
Demonstration in Berlin am 8. Oktober sein.
NATO-Manöver und das Verhältnis
NATO - Russland
Die NATO hat im Juni an ihrer Ostgrenze drei
Großmanöver abgehalten. Die Heeresübungen
Anakonda mit 31.000 Soldaten in Polen und Saber Strike
(Säbelschlag) mit 10.000 Soldaten in den drei baltischen
Staaten sowie der Marineübung BALTOPS mit 6.100 Soldaten. An
10 Tagen im Juni fanden alle drei Kriegsmanöver gleichzeitig
statt, so dass 47.000 Soldaten sehr nahe an der russischen Westgrenze
konkrete Kriegsübungen abgehalten haben.
Über Anakonda[16] sagte Polens
Präsident Duda: „Das Ziel ist klar. Wir bereiten uns
auf einen Überfall vor.“ [17] Aus Russland ist
gemeint. Die Bundeswehr nahm mit 400 Pionieren an Anakonda teil. Die
FAZ berichtet: „Die Panzerpioniere aus Minden haben einen
Rekord aufgestellt: Die längste Brücke, die je mit
amphibischen Brückenelementen zusammengekoppelt wurde,
überspannte […] die Weichsel.“ [18] Die
FAZ weiß auch, wozu die Pionierübungen dienen:
„Sie sollen demnächst die Schnelle Eingreiftruppe
der NATO, die sogenannte ‚Speerspitze‘ mit ihren
Fähigkeiten unterstützen.“ [19] Anakonda
wird seit 10 Jahren alle zwei Jahre durchgeführt. Vor zwei
Jahren waren es nur gut 13.000 Soldaten gewesen, davor 11.500. Also ein
enormer Aufwuchs auf 31.000.
Saber Strike
Auch das NATO-Manöver Saber Strike[20]
unter Führung des USAREUR in Wiesbaden und dem EUCOM in
Stuttgart wächst seit seinem Start 2011 kontinuierlich,
angefangen mit 2000 über 6000 und nun 10.000 Soldaten. Die
Bundeswehr war daran mit 50 Heeresaufklärern mit
Fennek-Spähpanzern beteiligt. Die Berichterstattung auf der
Heeresseite der Bundeswehr lässt schaudern: Das lesen auch die
Russen. Als Zwischentitel liest man: „Kampfstark dem Feind
entgegen“ und „Geballte Feuerkraft
zerschlägt den Feind.“ [21] Wenn das kein
Säbelrasseln ist?
BALTOPS
Die Beteiligung der deutschen Marine an BALTOPS
ist enorm hoch. 12 der 45 Kriegsschiffe stellt die Bundeswehr. [22]
Die Geschichte der NATO-Manöver in den
letzten 10 Jahren zeigt eine erhebliche Zunahme der Soldatenzahl und
der teilnehmenden Länder. [23] Die Soldatenzahlen
nähern sich den Zahlen der Großmanöver der
70er und 80er Jahre an. Das waren meist 50.000 bis 60.000, aber auch
100.000 in Westdeutschland.
Der NATO-Generalsekretär betont immer
wieder, dass man keine Konfrontation mit Russland wolle und keinen
neuen Kalten Krieg anstrebe. Allerdings zeigen die Handlungen das
Gegenteil.
Hinzu kommen die Truppenstationierungen: Die
Verdreifachung der NATO Response Force von 13.000 auf 40.000 Soldaten
inklusive einer superschnell einsetzbaren Speerspitze von 5.000 Mann,
die innerhalb von 2 Tagen am Einsatzort sein kann. Zudem die ca. 4 mal
1000 Soldaten, die in Polen und im Baltikum zwar rotierend, aber eben
dauernd stationiert werden sollen. Deutschland bietet sich als
Führungsnation eines dieser Bataillone an. Start soll Anfang
nächsten Jahres sein. Dazu die rotierende deutsche
Ausbildungstätigkeit für die litauische Armee an
Panzerhaubitzen und Infanteriefahrzeugen unter dem Titel Persistent
Presence (Ausdauernde Anwesenheit).
Die russische Seite hat angekündigt, als
Gegenmaßnahmen bis Ende des Jahres drei neue Divisionen
aufzustellen, zwei im Westen, und eine im Süden. [24] Mehr ist
nicht bekannt. Eine russische Division kann zwischen 6.000 und 20.000
Soldaten umfassen. Das klingt nach Aufrüstung. Man muss
allerdings berücksichtigen, dass Russland seit 2009 die
Truppen im westlichen Militärbezirk um 80.000 Soldaten
reduziert hat. Und eine unverdächtige Quelle aus der Stiftung
Wissenschaft und Politik, Oberst a.D. Wolfgang Richter, stellte
kürzlich fest: „Wir sehen keinen
russischen Aufmarsch an den baltischen Grenzen. Russland hält
derzeit noch die Zurückhaltungsverpflichtung für die
Regionen,“ die an Estland und Lettland angrenzen. [25]
Allerdings gibt es ja weitergehende US-Vorhaben:
eine zusätzliche US-Brigade zu Übungen rotierend nach
Osteuropa zu entsenden, und nicht nur vier jeweils 1.000 Mann ins
Baltikum und nach Polen zu entsenden, sondern viermal 5.000.
Präsident Putin hat angekündigt,
die Einsatzbereitschaft der russischen Armee zu prüfen.
Kontrolleure würden den Zustand der Reserve und der
eingelagerten Munition und Geräte prüfen. [26] Zwei
Tage nach dieser Ankündigung Putins meldete sich
NATO-Generalsekretär Stoltenberg via BILD-Zeitung zu Wort und
goss Öl ins Feuer: „Russland versucht mit
militärischen Mitteln einen Einflussbereich
aufzubauen.“, sagte er. „Das Bündnis
beobachte eine massive russische Aufrüstung an der eigenen
Grenze – in der Arktis, im Baltikum, im Schwarzen Meer bis
zum Mittelmeer. Darauf müsse die NATO reagieren.“
[27] Das im Widerspruch zur SWP. Ein paar Tage später sagte er
wieder: Wir müssen auf Russland reagieren, „das
seine Militärausgaben seit 2000 verdreifacht hat.“
[28] Meine Anmerkung: Man muss solche Aussagen auf den Wahrheitsgehalt
untersuchen und sie einordnen. Die Aussage für sich genommen
stimmt. Der russische Militärhaushalt ist seit 2000 von 29 auf
91 Milliarden Dollar gestiegen[29]. Das ist ein Plus von 62 Milliarden
bei inflationsbereinigten Preisen von 2014. Um es einzuordnen, hilft
der Vergleich mit den USA im selben Zeitraum. Dort: Ein Anstieg von 415
auf 595 Milliarden: Ein Plus von 180 Milliarden. Also war der Zuwachs
des US-Militärhaushalts dreimal höher als der
russische. Das, was zunächst aussieht wie russische
Aggressionsvorbereitung, entpuppt sich als Abwehrmaßnahme
gegen US-Aufrüstung.
Die russische Ankündigung, in diesem Jahr
den Rüstungshaushalt um 5 Prozent und die Ausgaben
für Beschaffung neuer Waffen sogar um 10 Prozent
kürzen zu wollen, übergeht Stoltenberg.
Es gibt noch so ein perfides Argument. Diesmal vom
Oberbefehlshaber für das US-Heer in Europa, Ben Hodges. Er
befehligte Anakonda. Er sagte, die NATO könne die baltischen
Staaten nicht vor einem Angriff der Russen schützen. Der
US-General wörtlich: „Russland könnte die
baltischen Staaten schneller erobern, als wir dort wären, um
sie zu verteidigen. Binnen 36 bis 60 Stunden könnten russische
Truppen die drei baltischen Hauptstädte erobert haben. [30]
Stimmt. Was er aber nicht sagt, ist, dass West-Berlin während
des Kalten Krieges auch nicht zu verteidigen war. Haben die
sowjetischen Truppen in der DDR Westberlin angegriffen? Und was er auch
nicht sagt, ist, dass Russland anders wie auf der Krim im Baltikum
keine strategischen Interessen verfolgt. „Es ging um die
strategischen Interessen an der Sicherung der Flottenbasis auf der
Krim,“ [31] sagt Oberst a.D. Richter von der SWP.
Sozialdemokraten meldeten sich wohltuend kritisch
zu Wort. Altkanzler Schröder und Außenminister
Steinmeier. Schröder sagte: „Obwohl die
NATO-Russland-Akte keine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen
zulässt, sollen diese jetzt genau dorthin. […] Ich
halte die Beteiligung der Bundeswehr vor dem Hintergrund unserer
Geschichte für einen großen Fehler. Aber von der
NATO hätte ich soviel Klugheit erwartet, nicht ausgerechnet
Deutsche mit Führungsaufgaben zu betrauen. 75 Jahre nach dem
Überfall auf die Sowjetunion sollen wieder deutsche Soldaten
an der russischen Grenze stationiert werden. Welche Wirkung muss so
etwas in Russland haben? Darüber macht man sich in der NATO
anscheinend kaum Gedanken.“ [32]
Und Schröder sagte noch etwas:
„Wir sollten jetzt darauf achten, nicht in einen neuen
Rüstungswettlauf einzusteigen. Das trägt nicht dazu
bei, Konflikte zu reduzieren und ein gutes Verhältnis mit
Russland wiederherzustellen.“ Und noch etwas sagte
Schröder. Und das finde ich außerordentlich
bedeutsam: „Die Vorstellung, dass irgendjemand an der
russischen Führung die Absicht haben könnte, in
NATO-Staaten zu intervenieren, hat mit der Realität nichts zu
tun.“ [33]
Außenminister Steinmeier wurde
mindestens ebenso deutlich: Er sagte: „Was wir nicht tun
sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die
Lage weiter anzuheizen.“ Er nannte es
„‘fatal‘, den Blick auf das
militärische zu verengen und in einer Abschreckungspolitik das
Heil zu suchen.“ Wörtlich: „Wer glaubt,
mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses
mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt.“ Er mahnte
Abrüstung und Rüstungskontrolle an. [34]
Auch die Stimme Gernot Erlers,
Russlandbeauftragter der Bundesregierung, ist von Bedeutung: Er sagte,
„Stationierungsentscheidungen und Militäroperationen
schaukeln sich gegenseitig hoch. Das ist gefährlich. Genau aus
solchen Entwicklungen heraus entstehen unkontrollierte Situationen bis
hin zum Krieg.“ Zwar rechtfertige das Vorgehen
Moskaus in der Ukraine eine Reaktion der NATO. „Aber wir
befinden uns in einer Spirale. So kann es nicht weitergehen. Wir
brauchen ein Stoppsignal, bevor es zu spät ist.“[35]
Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der „Münchner
Sicherheitskonferenz“, empfiehlt der NATO
Zurückhaltung im Umgang mit Russland. Das westliche
Militärbündnis solle „nicht draufsatteln,
sondern mäßigen“. Die Gefahr, dass
„aus Eskalationsschritten militärische
Kampfhandlungen“ werden, ist aus Ischingers Sicht
größer als in der Spätphase des Kalten
Krieges oder „in den vergangenen 25 Jahren“, ja
sogar „größer denn je“.[36]
Ischinger will Dialog, Entspannung und Rüstungskontrolle mit
Russland.
Meine Anmerkung: Die Sozialdemokratie zeigt
spürbar Kante. Sie wollen klar weg von der Konfrontation hin
zur Kooperation mit Russland. Das ist genau in unserem Sinne.
[1] Johannes Leithäuser,
Ordnung muss ein, FAZ 27.5.2016
[2] Bundespräsident Gauck,
Münchner Sicherheitskonferenz, Rede 31.1.2014. „Ich
meine: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner
früher, entschiedener und substantieller
einbringen.“ http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Sicherheitskonferenz1/gauck.html
[3] Johannes Leithäuser, Ordnung muss
ein, FAZ 27.5.2016
[4] Stefan Kornelius, Bedrängt von allen
Seiten, Süddeutsche Zeitung 13.6.2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/internationale-krisen-bedraengt-von-allen-seiten-1.3031318
[5] Blätter für deutsche und
internationale Politik 9/1993, S. 1137 bis 1151 und http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Bundeswehr/vpr1992.html
[6] Weißbuch 2006, 165 Seiten, Seite 10,
Seite 24
[7] Weißbuch 2006 S. 58 f
„Russland ist für viele europäische Staaten
ein wichtiger Energielieferant und bedeutender Wirtschaftspartner.
Sicherheit, Stabilität, Integration und Wohlstand in Europa
sind deshalb ohne Russland nicht zu gewährleisten. Deutschland
hat ein besonderes Interesse daran, dass die Modernisierung Russlands
durch eine verstärkte politische, wirtschaftliche und
gesellschaftliche Zusammenarbeit unterstützt wird.“
[8] Thomas Jungholt, Die
größten Gefahren für Deutschland, Die Welt,
4.6.2016, http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article155953915/Die-groessten-Gefahren-fuer-Deutschland.html
[9] Johannes Leithäuser, Ordnung muss
ein, FAZ 27.5.2016
[10] Stefan Kornelius, Bedrängt von allen
Seiten, Süddeutsche Zeitung 13.6.2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/internationale-krisen-bedraengt-von-allen-seiten-1.3031318
[11] Daniel Brössler, Stefan Kornelius,
Europäische Armee – Abschied von einem Traum,
Süddeutsche Zeitung 13.6. 2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/europaeische-armee-abschied-von-einem-traum-1.3031234
[12] Psychologie in Zeiten des Krieges, Christian
Thiels, tagesschau.de, 18.6.2016, https://www.tagesschau.de/inland/weissbuch-bundeswehr-103.html
[13] Zuerst stehen: (1) Schutz der Bürger
und des Landes, (2) Schutz der Verbündeten. Stefan Kornelius,
Bedrängt von allen Seiten, Süddeutsche Zeitung
13.6.2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/internationale-krisen-bedraengt-von-allen-seiten-1.3031318
[14] Johannes Leithäuser, Ordnung muss
ein, FAZ 27.5.2016
[15] Stefan Kornelius, Bedrängt von allen
Seiten, Süddeutsche Zeitung 13.6.2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/internationale-krisen-bedraengt-von-allen-seiten-1.3031318
[16] Anakonda ist mit 31.000 teilnehmenden
Soldaten aus 24 Ländern das bisher größte
in Polen seit 1989. Es findet seit 2006 alle zwei Jahre unter
polnischer Führung statt. In diesem Jahr 10 Tage lang vom 7.
bis 17. Juni. 12.000 kommen aus Polen und 14.000 sind US-Soldaten. Es
nehmen 3000 Fahrzeuge, 105 Kampfflugzeuge und Hubschrauber sowie 12
Kampfschiffe teil. Geführt wird das Manöver vom
Multinationalen Korps Nord-Ost in Szczeczin. FAZ 14.6.16
[17] Militärmanöver in Polen: Im
Würgegriff der „Anakonda“, Spiegel online,
7.6.2016, http://www.spiegel.de/politik/ausland/militaermanoever-in-polen-mit-nato-staaten-aerger-um-anakonda-a-1096262.html
[18] Pro Stunde können 140 Fahrzeuge die
Brücke passieren. FAZ 14.6.16.
[19] FAZ 14.6.16
[20] findet seit 2011 jährlich rotierend
in den drei baltischen Staaten und Polen statt. 2016 führte
das EUCOM in Stuttgart vom 27. Mai bis 21. Juni rund 10.000
Soldaten aus 13 Ländern in den drei baltischen
Ländern, zum Teil 150 km von der russischen Grenze entfernt.
[21] 22.6.2016, http://www.deutschesheer.de/portal/a/heer/!ut/p/c4/NU7BCoMwFPsWf-C16iZjN4swdh2Mzd1qfejT2sqj6mUfv_
awBEIgIUR8RKTTOw06kHfairdoDV27A0ZEBj2HDa0Fp83IZMaADiY9ciHzCqbNUTLilVZ6BOMdhqSxFijqwDp4htVzsCnZmGMC1ItW5o2SZ_
lH_q1VpZ63sjw1d_VIg91RWHJz_OPdjhywF-uyXI46y3473jGt/
[22] Ein multinationales Seemanöver, das
in diesem Jahr vom 3. bis 19. Juni in der Ostsee stattfand. 6.100
Soldaten aus 15 NATO-Ländern sowie Finnland und Schweden haben
teilgenommen. Es nehmen 60 Flugzeuge und Hubschrauber teil. BALTOPS
finden seit 1971 statt. Es ist das 44. Manöver unter der
Führung des EUCOM in Stuttgart. Ein Höhepunkt sind
amphibische Landungsübungen an den Küsten Finnlands
und Polens. Auch wird geübt, dem Gegner den Zugang zu Gebieten
zu verwehren (Anti Access / Anti Denial A2/AD). Bis 2008 hatte auch
Russland noch im Rahmen der NATO Partnership for Peace teilgenommen,
seitdem nicht mehr.
[23] Persistent Presence (Ausdauernde Anwesenheit)
ist eine Ausbildungsmission in Litauen, die mit dem Readiness Action
Plan am letzten NATO-Gipfel im September 2014 ins Leben gerufen wurde.
Im Dreimonatsrhythmus bilden Soldaten diverser deutscher
Jägerbataillone Litauer an Panzerhaubitzen, Gepanzerten
Transportpanzern BOXER und Spürpanzern FENNEK aus. Zurzeit
sind es 300 Artilleristen. Stolz meldet die Bundeswehr, dass zum ersten
Mal die Panzerhaubitze 2000 nach Litauen verlegt werde. Litauen will
davon 12 von der Bundeswehr kaufen.
[24] Spiegel online.de 4.5.16
[25] Jerry Sommer, Renaissance der
NATO-Abschreckung – Schritt zu mehr Sicherheit?, NDR Info,
Streitkräfte und Strategien 18.6.2016
[26] Spiegel online.de 14.6.16
[27] Spiegel online.de 16.6.16
[28] NATO-Generalsekretär „Jede
russische Gegenmaßnahme wäre
ungerechtfertigt“, Süddeutsche.de 20.6.2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/nato-generalsekretaer-jede-russische-gegenmassnahme-waere-ungerechtfertigt-1.3043507
[29] https://www.sipri.org/databases/milex
[30] Baltikum ist laut US-Befehlshaber kaum zu
verteidigen, 22.6.2016, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-06/anakonda-nato-russland-militaer
[31] Oberst a.D. Wolfgang Richter (SWP), in: Jerry
Sommer, Renaissance der NATO-Abschreckung – Schritt zu mehr
Sicherheit?, NDR Info, Streitkräfte und Strategien 18.6.2016
[32] Prominente SPD-Politiker stellen sich gegen
NATO-Verhalten gegenüber Russland, 18.6.2016, http://augengeradeaus.net/2016/06/prominente-spd-politiker-stellen-sich-gegen-nato-verhalten-gegenueber-russland/
[33] Gerhard Schröder warnt vor neuem
Rüstungswettlauf mit Russland, Süddeutsche Zeitung
18.6.2016, http://www.sueddeutsche.de/leben/gerhard-schroeder-ueber-russland-putin-hat-nie-versucht-mich-ueber-den-tisch-zu-ziehen-1.3035335?reduced=true
[34] „Säbelrasseln und
Kriegsgeheul“, Spiegel online, 18.6.16, http://www.spiegel.de/politik/ausland/frank-walter-steinmeier-kritisiert-nato-manoever-in-osteuropa-a-1098360.html
[35] NATO und Russland – Erler warnt vor
Eskalation „bis hin zum Krieg“, Spiegel online.de,
23.6.2016, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/nato-und-russland-erler-warnt-vor-eskalation-bis-hin-zum-krieg-a-1099270.html
[36] Kritik an der NATO – Ischinger
warnt vor Kriegsgefahr mit Russland, Spiegel online.de, 23.6.2016, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/nato-und-russland-wolfgang-ischinger-warnt-vor-kriegsgefahr-a-1099341.html
Siehe auch:
16.06.2016
Süddeutsche Ztg. freut sich über kriegerisches
Weißbuch
Weißbuch
stellt die Gesellschaft auf neue deutsche Kriege ein
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