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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

03.07.2015

Echo aus der Stadt des Schauplatzes: „Der Iwan kam bis Lüdenscheid" - Tagebuch einer Forschungsarbeit

Geschichte der Zwangsarbeiter: Rund 15 Jahre nach seiner Tätigkeit in der Bergstadt legt Ulrich Sander ein Protokoll seiner bisweilen mühsamen Spurensuche vor. » Iwan war ein zwölfjähriger russischer Zwangsarbeiter, der nach Lüdenscheid kam, ob er das Nazi-Regime überlebt hat und später eine Entschädigung einfordern konnte, weiß Ulrich Sander nicht, aber diesen Iwan hat er stellvertretend für alle Zwangsarbeiter für den Titel seines aktuellen Buches gewählt: „Der Iwan kam bis Lüdenscheid. Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit“.

So beginnt Bettina Görlitzer in den Lüdenscheider Nachrichten 27.6.2015 ihren Bericht. Ein erstes Echo auf das Buch aus Lüdenscheid. Sie schreibt weiter:

IwanFast 15 Jahre ist es her, dass Ulrich Sander im Auftrag des damaligen Heimatvereins (Heute Geschichts- und Heimatverein) die Geschichte der Zwangsarbeit in Lüdenscheid während des NS-Regimes erforscht und dokumentiert hat - soweit es die Quellenlage zuließ. Erledigt ist das Thema der Entschädigung und der Aufarbeitung der Geschichte für den Journalisten und Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) noch längst nicht. Deshalb hat er jetzt das Buch darüber veröffentlicht. Herausgegeben wurde es vom VVN-BdA, und es dokumentiert Sanders Arbeit in der „Forschungsstelle für Zwangsarbeit im NS-Regime“ in Lüdenscheid.

Viele Lüdenscheider werden genannt

Der Kern des Buches ist die detailreiche, 200 Seiten umfassende Dokumentation von Sanders Arbeit in Lüdenscheid - in Tagebuch-Form. Von Mai 2000 bis Dezember 2001 erforschte er im Rahmen einer sogenannten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme die Daten von Zwangsarbeitern während des NS-Regimes in Lüdenscheid. Zunächst ging es vor allem um die Erfassung von Daten, um bei Entschädigungsansprüchen Auskünfte erteilen zu können.

Die Entwicklung der Ereignisse während dieser knapp zwei Jahre wird in „Echtzeit“, streng chronologisch ohne nachträgliche reflektierende Kommentierung präsentiert. Das Tagebuch enthält viele Entdeckungen bei den Recherchen, die Schicksale trotzdem meist nur erahnen lassen, zum Beispiel: „Mittwoch, 2. August 2000 - Heute lese ich die Karte mit dem jüngsten Russen, der nur drei Wochen lebte. Viktor Taranin, geb. 5.9.44, starb am 26.9.44.“ Sander beschreibt, wie er mit den Daten auf Karteikarten umgeht, wie er versucht, an weitere Informationen zu kommen, beispielsweise in Unterlagen der Krankenkasse oder bei Firmen, die nachweislich Zwangsarbeiter beschäftigten. Das war oft wenig erfolgreich. Mal gab es keine Unterlagen mehr, mal wollte man nicht kooperieren. Der Anruf eines Geschäftsführers einer Lüdenscheider Firma - „Wir haben wirklich Zwangsarbeiter gehabt. Was ist zu tun?“ - war nicht die Regel.

Dazu kommen Berichte über die Gespräche und Begegnungen während seiner Arbeit. Sander nennt in seinem Buch viele Namen von

Lüdenscheidern. Es gab Menschen, die Sander unterstützten, aber auch solche, die ihm Steine in den Weg legten und nicht zuletzt diejenigen, die aus verschiedenen Gründen nicht helfen konnten. Es kommen auch Bürger vor, die Sander mit Familienerinnerungen und Zeitzeugenberichten in seiner Arbeit weiterbrachten. Sander scheut sich nicht, Ross und Reiter zu nennen, auch Firmen aus Lüdenscheid und Umgebung, die sich an der Stiftungsinitiative beteiligt haben, und solche, die es nicht taten, obwohl sie Zwangsarbeiter beschäftigten. Deutlich wird durch die dokumentarische Tagebuchform das zähe Ringen um jedes Ergebnis. Immer wieder wurde Sander auch von Berichten in den lokalen Medien wie den Lüdenscheider Nachrichten begleitet, aber auch aus anderen Medien zitiert er.

Die Bergstadt als Teil der Weltpolitik

Dazu verweist er auf die bundes- und weltweiten Entscheidungen und Entwicklungen rund um die Entschädigungsfrage. Seine Arbeit er-folgte im Rahmen der Debatte um die Stiftungsinitiative und die Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.

Der Natur eines Tagebuchs geschuldet, ist das Buch eine rein subjektive Dokumentation. Und der eine oder andere dessen Name genannt wird, wird sich ganz anders an die Ereignisse erinnern. Aber das Buch gibt einen interessanten Einblick, wie schwierig es war - und immer noch ist - ein Thema aufzubereiten, das vielen unangenehm ist, weil sie sich mit einer Vergangenheit beschäftigen müssen, die einen Schatten auf traditionsreiche und zum großen Teil heute noch erfolgreiche Unternehmen und auch auf die Stadt Lüdenscheid wirft. Fakt ist, die NS-Zeit ist das dunkelste Kapitel der deutschen und damit auch der Lüdenscheider Geschichte. Daran zu erinnern und zu mahnen, dazu leistet das Buch „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“ einen wesentlichen Beitrag. Allerdings kommt es auch nicht ohne Polemik aus, die sich möglicherweise aus Sanders Engagement als VVN-BdA-Sprecher ergibt. Sicher verfolgen Lobbyisten und Interessensvertreter verschiedener Couleur bestimmte Ziele - aber Sander gehört als VVN-BdA Sprecher selbst dazu.

Das Buch „Der Iwan kam bis Lüdenscheid. Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit" von Ulrich Sander, herausgegeben von der VVN-BdA, ISBN 978-3- 89438-582-8, ist beim PapyRossa Verlag erschienen und kostet 15,90 Euro. Zu beziehen Ist es unter anderem über den Landesverband NRW des VVN-BdA, Tel. 02 02 /45 06 29, E-Mail nrw@vvn-bda.de, Internet: www.nrw.vvn-bda.de (zzgl 1,80 Euro Versandkosten).