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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

20.04.2014

Zur Erinnerung an die Opfer der Karfreitagmorde von Dortmund

Kundgebung auch in Lippstadt - Sie wollten ein friedliches Europa und keine Feindschaft mit Russland

Ulrich Sander, Vorstandsmitglied des Fördervereins Steinwache/Internationales Rombergparkkomitee und Bundessprecher der VVN-BdA, sprach am Ostersamstag auf der Gedenkkundgebung an der Josefskirche in Lippstadt zur Erinnerung an 13 von der Gestapo in der Karwoche 1945 in Dortmund ermordete deutsche und französische Arbeiter.

Verehrte Anwesende, Kolleginnen und Kollegen, liebe Friedensfreunde!

Liebe Hinterbliebene der Dortmunder Karwoche.

Es ist guter Brauch, daß diese traditionsreiche Gedenkveranstaltung hier in Lippstadt seit langem gleichzeitig mit dem Beginn der Ostermärsche für Frieden, Abrüstung und Demokratie begangen wird.

Zum Kriegsende 1945, das nahe Ende ihrer Terrorherrschaft und des Krieges vor Augen, haben die Nazis 700.000 Menschen, Opfer der Kriegsendphase, Opfer von Todesmärschen und der sogenannten „Aktion Gitter“ im Gefolge des 20. Juli 1944  ermordet. Die Führung der Gestapo sagte: „Wir werden nicht den Fehler von 1918 machen, wir werden unsere Feinde nicht am Leben lassen. Sie sollen nicht nach uns zum Zuge kommen, sondern unserer Sache gehört weiterhin die Zukunft.“

Derer wir hier heute gedenken, sie gehörten zu den rund 300 Ermordeten aus der Dortmunder Bittermark und dem Rombergpark vom Frühjahr 1945. Wie kam es zu dieser grauenvollen Mordtat?

Von einem Spitzel auf die Spur gebracht, erschien am 17. Dezember 1944 im Drahtwerk in Lippstadt ein Gestapo-Kommando unter Führung des berüchtigten Schlägers Kurt Vogler. Drei Tage lang wurden Deutsche und Franzosen verschärft vernommen und dann am 20. Dezember über Dortmund ins Polizeigefängnis Herne gebracht. Die sechs Deutschen und sieben Franzosen wurden – wie es hieß - für „hinreichend verdächtig“ gehalten und in der Karwoche 1945 von Herne nach Dortmund-Hörde überstellt.

Die deutschen und französischen Antifaschisten wurden Opfer der Denunziation. Der Gestapo-Beamte Alfred Kossmann fuhr durch den gesamten Zuständigkeitsbereich der Dortmunder Gestapo, berichtete er selbst. „Jede Woche in einer anderen Stadt“, - er leitete Spitzel an, horchte aus, um dann die Verhaftungen und Vernehmungen zu veranlassen. Dieser Gestapo-Mann wurde später freigesprochen. Einer seiner Spitzel, der leitende Angestellte Julius Rath aus Lippstadt, wurde vom Entnazifizierungsausschuß in die Kategorie 5, d.h. „unbescholtener Widerstandskämpfer“, eingestuft. Die von Kossmann und Rath den Folterern überantworteten Häftlinge aus Lippstadt, so berichtete 1950 ein Zeuge bei der Polizei 1950, hätten nicht gewußt, warum sie verhaftet wurden. „Daraufhin wurden sie so lange geschlagen, bis sie von selbst sagten, daß es vielleicht wegen Abhörens eines Feindsenders geschehen sein könnte.“

Eine Anklageschrift des "Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof" gegen einige der Opfer wurde vor sechs Jahren von Mitarbeitern des Internationalen Rombergparkkomitees im Bundesarchiv entdeckt. (Aktenzeichen 9 J 29/45 Bez. 6). Danach wurde die Gruppe "der Feindbegünstigung und der Vorbereitung zum Hochverrat, der Wehrkraftzersetzung und des Rundfunkverbrechens" angeklagt, allerdings nie verurteilt.

Besondere Tragik wurde im Fall von Leon Chadirac deutlich, der lange in seinem Heimatland Frankreich als Abtrünniger galt, weil er vom Kriegsgefangenen- in den Zivilstatus übergehen wollte. Er stellte einen entsprechenden Antrag; dies geschah offenbar zur Tarnung. Die Gestapo behauptete: "Der Angeschuldigte Chadirac beschäftigte sich im Gespräch mit den Verhältnissen der deutschen und französischen Arbeiter und wünschte für sie den Kommunismus herbei. Er trat für ein Pan-Europa mit Einschluss Sowjetrußlands ein.“  Doch er hatte es nicht mit Moskau; er liebte sein Land und wollte Frieden für Europa. Deshalb mußten er und zwölf seiner Kollegen sterben.

Frieden - das wollten alle anderen Ermordeten auch.

Die Tochter Chadiracs Brigitte Scamps hat uns einen Gruß gesandt und wünscht dieser Veranstaltung Erfolg. Sie hat uns bei einem Besuch gesagt: Nun wisse sie endlich, ihr Vater habe wie seine Kameraden „den Kopf oben behalten und gehandelt, während andere den Kopf hängen ließen und nichts taten.“ Er habe „immer sein Bestes mit Großmut und Menschlichkeit gegeben. Dieses Engagement hat er sehr teuer bezahlt. Seine Enkelkinder können stolz auf ihn sein, und er wird ihnen als Vorbild dienen. Sein Beispiel zeigt, dass man auch im Kleinen dem Frieden dienen kann.“

Das Drahtwerk Union war Kriegsbetrieb geworden. Fünf Arbeitskameraden von Franz Engelhardt, die christlichen Gewerkschafter Albert Klar, Franz Schultejohann und Johann Liebner, der parteilose Arbeiter Stefan Freitag und ein langjähriger Freund und Genosse, Fritz Spring, organisierten im Betrieb den Widerstand gegen die Nazidiktatur. Sie verbreiteten ausländische Rundfunknachrichten und standen in enger Verbindung zu den französischen „Fremdarbeitern“ der Union. Für sie waren es jedoch keine „Fremden“. Diese Zwangsarbeiter aus Lille, aus den industriellen Nord- und Westdepartements Frankreichs waren Arbeitskollegen, die von Heimat und Familie getrennt hier zu Fronarbeit gezwungen waren.

Auch 69 Jahre nach der Ermordung hunderter Frauen und Männer aus sieben europäischen Ländern in der Dortmunder Bittermark sind wir aufgefordert, der Opfer des Hitlerregimes zu gedenken. Mit diesem Gedenken wollen wir einen Beitrag leisten für die Schaffung eines Europas frei von jeglichem Rassismus, frei von Völkerhass und Neonazismus.

In diesem Jahr blicken wir auf 54 Jahre Internationales Rombergparkkomitee zurück. Der Rechtsextremismus ist nicht besiegt, deshalb muß die Arbeit weitergehen. Die Aufgabe des Fördervereins Steinwache/Internationalen Rombergparkkomitees – wie die Organisation seit zwei Jahren heißt – ist nicht erfüllt, sondern wir sind ihr nach wie vor verpflichtet.

Wir sollten die Erwartung aussprechen, daß endlich in unserem Land nicht nur die Männer des 20. Juli geehrt werden, sondern auch der Arbeiterwiderstand. Die regelmäßigen Gedenkveranstaltungen hier an dieser Stelle gehören ebenso ins Fernsehen wie die Ehrungen der Adligen und Offiziere – ja sie haben diesen sogar manches voraus: Sie haben gegen Krieg und Faschismus gekämpft, als sich der Offiziersstand noch mit Hitler und für Hitler in Reih und Glied befand, unterstützt von der Rüstungsindustrie und den Wehrwirtschaftsführern.

Wenn den Lippstädter Opfern der Gestapo in der ominösen Anklageschrift vorgeworfen wurde, für ein Pan-Europa mit Einschluß Sowjetrußlands eingetreten zu sein, so ehrt sie das. Wir haben angesichts der gefährlichen Entwicklung in Osteuropa daran zu erinnern: Wir brauchen das einheitliche friedliche Haus Europa – und dazu gehört nicht nur das EU-Europa. Die derzeitigen antirussischen Kampagnen der NATO und der EU sind unverantwortlich. Es entstand eine gefährliche Situation in Europa – eine Situation, die wir nicht für möglich gehalten haben.

Gestern hatten wir in Dortmund eine sehr eindrucksvolle Kundgebung zur Erinnerung an die Karfreitagmorde und zur Mahnung zum Frieden. Wir erinnerten daran, daß das Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr nur zur Verteidigung vorsieht. Wir haben die deutschen Politiker aufgerufen, solche grundgesetzwidrigen Vorschläge wie: Deutsche Soldaten und Waffen an die russische Grenze heranzuführen, endlich zu unterlassen.

Wir sollten immer wieder bekräftigen: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. 

Siehe auch:

Bekenntnis zum Frieden und zu sozialer Gerechtigkeit – heute besonders vordringlich
Ernst Söders Rede auf der Gedenkfeier am Karfreitag in Dortmund, Bittermark

Wir verweisen auch auf den Bericht von derwesten.de:

Karfreitags-Kundgebung in der Bittermark: Jugendliche prägen Gedenken an NS-Zeit
http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/jugendliche-praegen-gedenken-an-ns-zeit-id9257887.html