22.04.2014 Bekenntnis zum Frieden und zu sozialer
Gerechtigkeit – heute besonders vordringlich Ernst Söders
Rede auf der Gedenkfeier am Karfreitag in Dortmund, Bittermark Es konnte in der BRD nicht verhindert werden,
daß die Aufarbeitung der Nazidiktatur nach 1945 –
sie ist ja bis heute nicht abgeschlossen – nicht in
dem Maße verlief, wie es die Opfer und die Gegner des
Faschismus erhofft und gefordert hatten. Deshalb stehen noch
große Aufgaben vor uns. „Wir schulden es den
unschuldigen Opfern und den vielen Menschen, die im Widerstand gegen
das Nazi-Regime ihr Leben riskierten und verfolgt wurden.“Das
stellte Ernst Söder, Vorsitzender des Fördervereins
Steinwache/Internationales Rombergparkkomitee, in seiner Gedenkrede am
Karfreitag 18.4.14 in der Bittermark fest. Die traditionelle
Gedenkfeuer der Stadt Dortmund war in diesem Jahr ganz besonders
eindrucksvoll. Vertreter von Borussia Dortmund und der Jugendgruppe
„Botschafter der Erinnerung“ hatten ebenso zum
Gelingen der Veranstaltung beigetragen wie der Heinrich Czerkus-Lauf,
ein Gedenklauf, benannt nach einem der 300 kurz vor Kriegsende in der
Bittermark Ermordeten. Ernst Söder führte aus: Sehr
geehrter Herr Oberbürgermeister Sierau, liebe
BotschafterInnen der Erinnerung, sehr geehrter Herr
Ricken, verehrte Anwesende! Erneut gedenken wir
heute der Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft, wir
erinnern an sie, und wir trauern mit den Angehörigen und
Hinterbliebenen an die Männer und Frauen, die noch am Ende des
Zweiten Weltkrieges von Mörderbanden der Geheimen Staatpolizei
ermordet worden sind. Es ist unsere Pflicht und
Verantwortung, uns mit dem dunkelsten Kapitel in unserer
Stadt heute und in der Zukunft immer wieder
auseinanderzusetzen. Mit der Niederlegung von
Kränzen und Blumen geben wir unserer Trauer einen
äußerlichen und feierlichen Rahmen. Es ist ein
Zeichen des Andenkens, das wir den Ermordeten zum Ausdruck
bringen können. Die
BotschafterInnen der Erinnerung begleiten meine
Ausführungen, die ich heute hier machen möchte, durch
selbst erarbeitete szenische Darstelllungen. Die
letzten Kriegswochen im April 1945 waren eine Zeit des Umbruchs, aber
auch der Unsicherheiten. Die Menschen schwankten zwischen Hoffnung und
Verzweiflung. Es fehlte an Wohnraum und es fehlten Nahrungsmittel und
Kleidung, und die Familien hofften auf die Rückkehr ihrer
Väter und Söhne, die in einen sinnlosen Krieg gezogen
waren. Viele von ihnen, Hunderttausende, haben die Heimat und
ihre Angehörigen nie wiedersehen können. Die Ereignisse in der Bittermark Alle
Gesetze der Moral und der Menschlichkeit waren in den zwölf
Jahren NS-Herrschaft außer
Kraft gesetzt, und die tödliche Angst vor der Zukunft trieb in
den letzten Tagen des Krieges die faschistischen Tyrannen zu
verzweifelten Taten gegen diejenigen, von denen sie glaubten, sie
würden sich nach dem Ende des Krieges an sie rächen
bzw. ihre Taten bestrafen wollen. Viele
Männer und Frauen des Widerstandes und
Zwangsarbeiter aus Polen, der Sowjetunion, Frankreich, Jugoslawien,
Belgien und den Niederlanden wurden in der Karwoche 1945 verhaftet und
in die Kerker der Benninghofer Straße nach Hörde
gebracht. Hier war der Sitz der Gestapo, ein Gebäude, an dem
niemand ohne Herzklopfen vorbei ging. Wer eine Vorladung dorthin
bekam, und die Tür durchschritt, die automatisch
hinter ihm zuschlug, der wusste oftmals nicht, ob er dieses Haus wieder
lebend verlassen wird. Am 7. März 1945
begann die Entleerung der Keller – ein schauerliches Werk
begann, das bis zum 12. April dauerte. Bei Nacht und Nebel wurden die
Gefangenen aus den Kellern geführt. Bewaffnete hatten ihre
Hände mit Stacheldraht und Bindegrat gefesselt. Die
Fahrt dieser Armseligen brachte sie in den nahen Rombergpark und in die
Bittermark, zu ihrer letzten Station. Hier hatten einige verirrte
Bomben tiefe Trichter in den Boden gerissen. Ohne Gerichtsurteil ist
hier gemordet worden. Von Genickschüssen getroffen
stürzten die wehrlosen Opfer in die Erde. Die Henkersknechte
der Gestapo erhielten für die Ausführung des
Mordbefehls anschließend eine Sonderration Schnaps und
Zigaretten. Ich habe persönliche
Erinnerungen an diese Tage, ich war damals etwas älter als
sechs Jahre, als in der Singerhoffstraße in Hombruch, in der
ich wohnte, bekannt geworden war, dass ein Nachbar
zu den Ermordeten in der Bittermark gehöre. Es war der
Bergmann Karl Schwartz, dessen Sohn Wolfgang bei der Suche nach seinem
Vater die unmenschlich zugerichteten und erschossenen
Menschen fand, darunter auch seinen Vater, der in einem Bombentrichter
lag. Und ich erinnere mich an die Trauer
von Nachbarn, die sich spontan zusammenfanden, vorhandene Blumen in
ihren Gärten pflückten und sie vor die
Haustüre des Ermordeten legten und an den
Händen fassend, ihre Trauer und ihr Mitgefühl zum
Ausdruck brachten. Die Menschen waren verzweifelt, viele
weinten und umarmten sich. Was war geschehen? „Die Toten im
Rombergpark“ Ich zitiere aus dem Roman
Cäsar, von Erich Grisar, einem Dortmunder Dichter, der im
November 1955 verstarb. „An einem Morgen
Ende April 1945 ging das Gerücht, in einem Park am Rande der
Stadt habe man die verscharrten Leichen einiger hundert Ermordeter
aufgefunden. Eine Lähmung ergriff die Menschen. Die kalte
Hand, die so lange an ihrem Hals gesessen, die sie schon nicht mehr
gespürt, seit die braunen Uniformen von den Straßen
verschwunden waren, griff wieder nach ihnen und würgte sie. In
ihrer Mitte war wieder aufgestanden, was sie zwölf Jahre
hindurch nicht hatten wahrhaben wollen, was sie selbst in ihren
Angstträumen noch verdrängt, Wohl
hatten sie mit dem Wort Gestapo immer etwas Schreckliches, jeden freien
Willen, jede eigene Meinung lähmendes verbunden, aber sie
waren der Wirklichkeit des Wortes aus dem Wege gegangen. Es war ja
immer nur der Nebenmann, der getroffen wurde. So, wie der Tod immer nur
den anderen trifft. Hier aber war der Tod nicht als
Freund gekommen. Unfrisiert und nackt hatte er seine Opfer in den
Tiefen dreier Bombentrichter verscharrt und ohne die Hülle
eines prunkvollen Sarges hatte man lose Erde über sie
gehäuft. Kein Pomp, kein Stein, kein Schild mit einem Namen. Nur
da und dort deutete ein unverhüllt gebliebener Fuß
oder eine zur Anklage gehobene Hand an, dass die Erde nicht gewillt
war, Kupplerin des Geheimnisses zu sein, das man ihr in allzu
großer Eile anvertraut“. In
weiteren Kapiteln schildert Erich Grisar Einzelheiten dieses
unmenschlichen Verbrechens, das sich in der Bittermark und im
Rombergpark zugetragen hat. So wurde auch
Dortmund am Ende des Zweiten Weltkrieges und der
Befreiung von der Nazidiktatur ein Schauplatz des Massenmordes an
deutschen und ausländischen Antifaschisten,
Widerstandskämpfern und Zwangsarbeitern aus sieben Nationen. Als
die Verbrechen der Gestapo in Dortmund im April 1945 entdeckt wurden
verfielen die Menschen in Trauer und Verzweiflung, aber auch in Wut
gegenüber denjenigen, die dafür die Verantwortung
trugen. Die
Täter Erlauben sie mir einige Hinweise zu
den Tätern dieses unfassbaren Meuchelmordes im Jahre 1945 und
die Frage: Wie wurden diese Mordtaten der Gestapo in
der Nachkriegszeit gesühnt? Die Antwort
dazu: Die Täter wurden nicht in dem
Maße zur Rechenschaft gezogen, wie es die
Angehörigen der Opfer und die Staatsanwaltschaft nach der
Befreiung vom Faschismus erhofft und gefordert hatten. Emil
Risse aus Essen, dessen Frau Julie ebenfalls zu den Karfreitagsopfern
zählt, schrieb im September 1946 einen Brief an die
Staatsanwaltschaft in Dortmund. Er möchte gern
wissen, ob denn das furchtbare Verbrechen der Gestapo in Hörde
eigentlich nicht gesühnt wird und die Mörder zur
Verantwortung gezogen werden. Eine Antwort bekam er nicht. Es
dauerte noch sechs Jahre, bevor vor dem Dortmunder
Schöffengericht ein Prozess gegen die Täter begann. Die
Namen und die Herkunft der Mörder dieses unsagbaren
Verbrechens sind nicht unbekannt geblieben, doch nur sehr wenige SS-
und Gestapoleute wurden verfolgt und vom Schwurgericht mit
Gefängnis bestraft. Manche
erhielten erneut Positionen in der Staats- und Justizverwaltung,
arbeiteten wieder bei der Polizei und wurden dort aufgrund ihrer
Verdienste in höhere Dienstgrade befördert. Letzteres
konnte in Deutschland nicht verhindert werden, die Aufarbeitung der
Nazidiktatur nach 1945 – sie ist ja bis heute nicht
abgeschlossen – verlief nicht in dem Maße, wie es
die Opfer und die Gegner des Faschismus erhofft und gefordert hatten.
Mutigen Staatsanwälten und Gerichten wurde häufig die
Arbeit erschwert und die Politik hat sich sehr
zurückgehalten und nur dort Präsenz
gezeigt, wo es unumgänglich war. Die
insbesondere nach dem Kriege wirkende antikommunistische Doktrin
unseres Landes hatte beim Aufbau der Bundesrepublik auch ihre
Grundlagen in den personellen Kontinuitäten. In
Schlüsselfunktionen in der Justiz, Verwaltung, Politik und
beim Aufbau der Bundeswehr mit Personal, die in diesen oder anderen
Funktionen schon während der Nazizeit als Fachpersonal
tätig waren, fanden sich ehemalige Nazis wieder. Dazu
gehörten ebenfalls Dortmunder Gestapobeamte, die
nach 1945 wieder in ihre Positionen als Kriminalbeamte
zurückkehren konnten, was zu einer grotesken
Situation führte, als der Rombergpark- Prozess
vorbereitet wurde. Die Beamten, die hierzu die
Vernehmungen durchführten, hatten genauso viele Straftaten
begangen, wie die von ihnen vernommenen Angeklagten. Entsprechend
dünn und kaum verwertbar waren die Ergebnisse der
Verhöre und die Urteilsfindung beim Rombergpark-Prozess im
Jahre 1952. Am 4. April 1952 verkündete das
Schwurgericht das von den Dortmundern lang erwartete Urteil. Von
dem Exekutionskommando der Dortmunder Gestapo, das nach Ostern 1945 in
alle Welt flüchtete, kamen 1952 lediglich 27 Mörder
vor Gericht. 15 von ihnen wurden freigesprochen. „Die
Angeklagten hätten nur Befehle ausgeführt“,
so der Gerichtsvorsitzende bei der Urteilsbegründung
wörtlich „weil sie unter dem
Militärstrafgesetz stehende Personen gewesen seien, denen
zudem ein Notstand bei der Befehlsausführung zugebilligt
werden müsse“. Die Richter des Landgerichtes
vertraten die Auffassung, die Schuld an den Verbrechen treffe allein
den Vorgesetzten, der die Befehle zur Exekution gab. Urteil
und Begründung sowie die Berichte von Prozess-
und Zeitzeugen bestätigen die
Vermutung, dass bei diesem Prozess amtierende ehemalige
Nazirichter bei der Strafbemessung gegen die
Angeklagten sehr großzügig verfahren sind und die
beschuldigten Gestapoleute schonen wollten. Die
Internationale Häftlingsgemeinschaft der 21000
Überlebenden haben nach ihrer Selbstbefreiung auf dem
Appellplatz des Konzentrationslagers Buchenwald am
19. April 1945 den Schwur abgelegt: „Die Vernichtung des
Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Aufgabe, der Aufbau einer neuen
Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel – und: wir
stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den
Richtern der Völker steht“. Dieser
Schwur hatte nur wenig Erfolg, denn die Schuldigen haben es –
mit Hilfe der Justiz und Unterstützung der Politik verstanden,
weitgehend einer Strafverfolgung zu entgehen. Nach
wie vor haben wir allen Anlass - meine Damen und
Herren - das dunkelste Kapitel unserer Geschichte vor dem Vergessen zu
bewahren, um künftigen Generationen immer wieder vor
Augen zu führen, wo es schon einmal geendet hat, als man die
Menschenwürde in Deutschland mit Füßen
trat, die Grundprinzipien mitmenschlichen Umgangs missachtete und einem
von vielen lange bejubelten Führer Allwissenheit und Allmacht
zubilligte. Wir Jüngeren haben von
Zeitzeugen und Überlebenden erfahren, was wir selbst nicht
bewusst erlebt haben. Sie haben uns von ihren Erfahrungen
erzählt und uns verpflichtet, dass wir wachsam sein
und neue Gefahren abwehren müssen. Das tun wir seit langem und
das werden wir auch weiterhin tun, um ihr Vermächtnis an uns
zu erfüllen. Und zu diesem
Engagement gehört der Kampf
gegen jeglichen Rechtsradikalismus, gegen Fremdenhass
und gegen den Neofaschismus. Die
demokratischen Kräfte, die in Dortmund seit langem Widerstand
gegen die Neonazis und ihre Kameradschaften leisten, werden
stärker. Das ist begrüßenswert und macht
deutlich, dass die Menschen in unserer Stadt friedlich und ohne
Nazis hier leben und wohnen möchten. Wir wollen
keine Neonazis, weder in Dorstfeld noch in Huckarde, noch anderswo und
schon gar nicht am 1. Mai, dem Tag der Arbeit. Ein Wort zur Gegenwart: Auch
die Erklärung des Bundespräsidenten, dass die
Deutschen mehr Verantwortung in der Welt – auch die
militärische – zu übernehmen
hätten, widerspricht dem Inhalt unseres Grundgesetzes, das die
Bundeswehr ausdrücklich zu einer Verteidigungsarmee
erklärt. Wir wissen nicht, was die Konflikte in der
Ukraine, auf der Krim, in Afghanistan und an vielen anderen Orten
für Folgen haben werden, auch für die Menschen in der
Bundesrepublik Deutschlands. Und
ein Letztes: Am 25. Mai finden in diesem
Jahr die Europawahlen und in Nordrhein-Westfalen die Kommunalwahlen
statt. Die extreme Rechte und die
rechtspopulistischen Parteien werden nicht nur im Internet
verstärkt aktiv, sondern auch im Straßen- Wahlkampf.
Solange sie nicht verboten und zu den Wahlen zugelassen sind, werden
sie neben den Infoständen der demokratischen Parteien
öffentlich aktiv und können mit demagogisch und
dummen Sprüchen Ängste vor Überfremdung,
Sozialabbau, Ausländer Kriminalität und
Werteverfall schüren. Dagegen
müssen wir Aufklärendes entgegensetzen und
hervorheben, welche Vorzüge ein humanistisches Menschenbild
und eine Demokratie haben und welche Werte darin zum Ausdruck kommen. Denn
wo demokratische Rechte abgebaut werden, wird Platz gemacht
für faschistische Abenteuer. Wohin uns das führen
würde, wissen wir. Was im Rombergpark, und in der
Bittermark geschah, darf sich niemals wiederholen. Und
es ist auch in diesem Zusammenhang notwendig, auf die Folgen
hinzuweisen, die die NS-Zeit in Deutschland und in Europa mit
Völkerhass, Toten, Vermissten, Zwangsarbeit, Deportation und
Vertreibung, unbeschreiblichen Gräueltaten, Verbot von
Denkweisen, politische Folgen, zum Beispiel durch die
Isolierung Deutschlands , und ein immenser wirtschaftlicher Schaden
durch die Kriegskosten zu verantworten hat. Legen
wir an den Gräbern der Ermordeten ein Bekenntnis ab zum
Frieden und zu sozialer Gerechtigkeit. Wir schulden es den unschuldigen
Opfern und den vielen Menschen, die im Widerstand gegen das Nazi-Regime
ihr Leben riskierten und verfolgt wurden. Wir werden auch weiterhin aus
unserer Geschichte lernen und für die Gegenwart und die
Zukunft entschlossen handeln. Nie wieder Erinnern
und Gedenken, verehrte Zuhörer, Erinnern als Mahnung zu
Toleranz und Weltoffenheit, und das Gedenken an die vielen Millionen
Opfer, sollte jetzt und in der Zukunft unser aller Auftrag
sein. Wir wünschen uns: Nie wieder
Faschismus, nie wieder Krieg! Faschismus ist keine Ideologie sondern
ein Verbrechen und Krieg ist kein Mittel, Konflikte zu lösen.
Frieden, Freiheit und Menschenwürde sind das Modell einer
demokratischen Zukunft. Ich bedanke mich, dass sie
mir zugehört haben.
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