16.06.2013 "Ein Militärspektakel, das die
fortschreitende Militarisierung unserer Gesellschaft symbolisiert" Rede von Alice Czyborra
anlässlich der Demo "Nein zum Neuen Heimatschutz in NRW!" am
14.06.2013 vor der Zeche Zollverein in Essen Am
14. Juni von 17.00 bis 20.00 Uhr hat die Bundeswehr mit einem
öffentlichen Aufstellungsappell auf Zeche Zollverein
für Regionale Sicherungs- und
Unterstützungskräfte (RSUKr) den neuen
„Heimatschutz“ in NRW aus der Taufe
gehoben. Die Werbeveranstaltung der Bundeswehr und des
Reservistenverbandes ist ein weiterer Vorstoß, das Verbot von
Inlandseinsätzen der Bundeswehr zu unterwandern und die Innere
Militarisierung gesellschaftsfähig zu machen. Als
ranghöchste Politiker haben Bundesverteidigungsminister Thomas
de Maizière und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore
Kraft der geplanten Show Legitimität und mediale
Attraktivität verleihen. Ein breites Bündnis aus
Friedensgruppen, Politik, Gewerkschaften und VVN-BdA hat dagegen
protestiert: "Vor dem Hintergrund schlimmer historischer Erfahrungen
mit Militäreinsätzen bei inneren Konflikten wenden
wir uns entschieden gegen diese Neukonzeption des 'Heimatschutzes'
durch Zivil-Militärische Zusammenarbeit und Regionale
Unterstützungs- und Sicherungskompanien. Ziviler
Katastrophenschutz und polizeiliche Aufgaben sind genauso wenig Aufgabe
der Bundeswehr, wie ihre Werbeveranstaltungen in den Schulen!", so das
Veranstalterbündnis. Im Folgenden geben wir die Rede von Alice
Czyborra, VVN-BdA Essen, wieder: Liebe
Friedensfreundinnen und Freunde, Was sich hier heute
auf dem Gelände der Zeche Zollverein fast
klammheimlich abspielt, in den Medien kaum thematisiert, von der
Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, ist ein
Militärspektakel, das die fortschreitende Militarisierung
unserer Gesellschaft symbolisiert. Es ist ein Akt der Fortsetzung
unseliger deutscher Militärtradition. Mit dieser Tradition
sollte nach dem millionenfachen Sterben im Zweiten Weltkrieg endlich
Schluss gemacht werden, wäre es nach unserem Grundgesetz von
1949 gegangen. Von Deutschland sollte nie wieder ein Krieg ausgehen.
Längst ist dieses Grundgesetz geändert worden. Seit
1956 gibt es die Bundeswehr und seit 1999 führt Deutschland
wieder Krieg. Für Kriegseinsätze in
aller Welt wird nun die Bundeswehr reformiert, unsere Gesellschaft
weiter militarisiert. Uns wurde weisgemacht, dass die
Bundeswehr mit der so genannten Reform kleiner und billiger
würde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der Reservisten
wurde um 800.000 erhöht, indem das Alter der Reservisten,
bisher begrenzt auf 45 Jahre jetzt auf 60 Jahre angehoben wurde. Die
Reservisten werden sowohl für
Ausländseinsätze trainiert als auch für den
Einsatz innerhalb unseres Landes. Ausdrücklich heißt
es in Bundeswehrpublikationen, die Bundeswehreinsätze im
Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von Naturkatastrophen
und der Hilfe bei Unglücksfällen. Weshalb sollten
auch für solche Situationen, wie wir sie jetzt bei
der Überschwemmungskatastrophe erleben, bewaffnete
Kampftruppen eingesetzt werden? Nein, sie werden dafür
aufgestellt, um gegen den Terrorismus zu kämpfen. Es
ist nicht auszuschließen, dass sehr schnell auch die
außerparlamentarische Opposition den Terroristen zugeordnet
wird. Soll die außerparlamentarische Opposition
künftig militärischen Einheiten
gegenüberstehen? Einen Vorgeschmack haben wir bereits in
Heiligendamm verfolgen können, als die Bundeswehr Kriegsmarine
und Kampfjets gegen Demonstranten einsetzte. Und auch die
Heimatschutzkommandos aus der Region waren mit von der Partie. Die
brutalen Einsätze der Polizei gegenüber den
Blockupy-Demonstranten vor zwei Wochen in Frankfurt sind uns noch sehr
gegenwärtig. Nicht auszudenken, was gewesen wäre,
wenn eine mit Kriegswaffen ausgestatteten Kampftruppe eingesetzt worden
wäre. Dass dies möglich ist, hat
das Bundesverfassungsgericht in seiner Mehrheit im Juli letzten Jahres
bestätigt. Die Verwendung militärischer Kampfmittel
im Innern sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Damit hat das
Bundesverfassungsgericht eindeutig gegen das Rechtsprinzip
verstoßen, „Streitkräfte niemals als
innenpolitisches Machtinstrument“ einzusetzen. Ein weiterer
Meilenstein bei der Anwendung der Notstandsgesetze, die wir,
die Älteren, 1968 so vehement zu verhindern suchten. Auf
leisen Sohlen hat sich in allen Landkreisen und kreisfreien
Städten unseres Landes, auch in Essen, nun ein Netzwerk
gebildet mit dem Namen Zivil-militärischer Zusammenarbeit.
Organisatorisch geht es um die Zusammenarbeit von aktivem
Militär, Reservisten, Polizei, Feuerwehr,
Technisches Hilfswerk. Alle zusammen schützen
angeblich unsere Heimat, der Heimatschutz, eine Mischung aus zivilen
Einrichtungen und Militär. Das Kommando hat das
Militär. Und sollten einmal Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des Transport-, Energie-, Gesundheitssektors oder der
Müllabfuhr für höhere Löhne
streiken, ist der „Heimatschutz“ vor Ort, die
schnell einberufenen Reservisten sofort zur Stelle, um die
„kritische Infrastruktur“ zu sichern in welcher
Vorgehensweise auch immer. Unzweifelhaft beeinflussen
Reservistenverband und Bundeswehrverband die Tausenden
Reservisten. In diesen Verbänden haben vielfach Ultrarechte
das Sagen. Offiziersstudenten - die künftige
Führungselite der Bundeswehr - stehen deutlich
weiter rechts als ihre zivilen Kommilitonen, berichtete "Die
Zeit". Und sie sind in jüngsten Jahren noch ein Stück
weiter nach rechts gerückt. Dort gibt es kaum
Vorbehalte gegen Neonazis. In Neonazikreisen kursiert der Aufruf, bei
der Bundeswehr das Waffenhandwerk zu erlernen. Der mörderische
NSU hat bei der Truppe das Schießen gelernt, das
dürfen wir nie vergessen. Nach wie vor
wird in der Bundeswehr die Nazi-Wehrmachtstradition gepflegt. So hatte
der Reservistenverband der Kameradschaft Oberhausen am 05. Juni, d.h.
letzte Woche, zum Thema „Die Waffen SS“ eingeladen.
Wir haben da allen Grund zu misstrauen, wie über diese
verbrecherische Waffen SS an diesem Abend gesprochen wurde. Heute
werden wenige Meter von uns unter Missbrauch des Industriedenkmals
Zollverein die Regionalen Sicherungs- und
Unterstützungskräfte (RSUKr) in
übelster militärischer Tradition geehrt. Wir
sind zusammengekommen, um diesen Skandal in unserer Stadt
öffentlich zu machen. Ganz besonders vor dem Hintergrund
unserer Geschichte fordern wir den Stopp einer weiteren Militarisierung
unseres Landes nach innen und nach außen, den Stopp aller
Auslandseinsätze und Waffenexporte. Wir
freuen uns, dass es breite Bündnisse gibt, die unter
der Losung „Bunt statt braun“ handeln. Wir meinen
aber: Es muss auch heißen: Bunt statt braun und
olivgrün. Denn 1945 haben sich die Menschen geschworen und wir
bekennen uns noch immer dazu: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. |