27.09.2012 Kriegsgefahr im Nahen Osten Referat von Dieter
Lachenmayer (Stuttgart) auf der Bundesausschusssitzung der VVN-BdA am
22.9.12 Der folgende Text ist
eine als Diskussionsanregung zum mündlichen Vortrag gedachte
Einführung in das Thema „Kriegsgefahr im Nahen
Osten“. Er erhebt keinesfalls den Anspruch, eine
tiefschürfende oder wissenschaftliche Analyse der Situation im
Nahen Osten zu sein, sondern versucht lediglich einige rote
Fäden für die folgende Diskussion aufzuzeigen. 1. Unser
Thema heißt Kriegsgefahr in Nahen Osten, im Reader sind
jedoch alle möglichen Themen rund ums Thema Frieden
angesprochen. Was also wollen wir diskutieren? Mein
Vorschlag: Wir stellen die aktuell drohende Kriegsgefahr in Nahost und
die Haltung der VVN-BdA dazu erst mal in den Mittelpunkt. Wir werden
dann in der Diskussion erleben, dass sich die Zusammenhänge zu
den allgemeinen friedenspolitischen Forderungen in unserem Land sehr
schnell von selbst ergeben. 2.
Frieden und Antifaschismus Es gibt eine
unlösbare Verbindung von Antifaschismus und Antimilitarismus,
von Kampf gegen Faschismus und vom Kampf um den Frieden. Das
ist im Schwur von Buchenwald festgehalten, in dem der „Aufbau
einer Welt des Friedens und der Freiheit“ zur Zielsetzung des
Antifaschismus erklärt wird. Der Widerstand
gegen den deutschen Faschismus wurde bereits vor der
Machtübergabe unter der Parole: „Hitler bedeutet
Krieg“ geführt. Schließlich
war der deutsche Faschismus angetreten, die Ergebnisse des ersten
Weltkriegs zu korrigieren und dem deutschen Imperialismus einen zweiten
Anlauf zur Weltherrschaft zu organisieren. Daraus
folgt für uns: Das Eintreten für Frieden ist nicht
etwas, was wir nebenher auch noch machen sollten, es ist eine von drei
Kernaufgaben, die wir als antifaschistische Organisation haben.
(Vernichtung des Nazismus, Kampf für Frieden, Kampf
für demokratische Rechte.) Der Kampf um
Frieden, die Friedensbewegung ist nicht, auch wenn das vielfach
ineinander übergeht, eine Einrichtung zur Förderung
alles Guten und Bekämpfung alles Bösen auf der Welt.
Es ist der Kampf um die Abwesenheit von Krieg, als Voraussetzung
für die Lösung aller anderen Probleme, um die
Verhinderung von massenhaftem staatlich politisch organisierten Mord
und Totschlag. Dabei ist klar: Für uns
Antifaschisten gilt: Der Feind steht im eigenen Land, d.h. es gilt in
erster Linie das Augenmerk auf den deutschen Militarismus zu richten,
der so viel Unheil über die Welt gebracht hat. Darin
besteht auch insgesamt die Kompetenz unserer Friedensbewegung und die
Verantwortung gegenüber den Friedensbewegungen in anderen
Ländern. Das sage ich als jemand, der aus
Stuttgart kommt, wo sowohl das Eucom als auch das Africom der US Armee
ihren Sitz haben. Das sind zwei Kommandozentralen, in denen die
militärische Kontrolle von grob geschätzt einem
drittel der Welt durch die imperialistische Führungsmacht der
Welt USA ausgeübt wird. Schon dass beide ihren Sitz in
Stuttgart haben, zeigt, dass die deutsche Politik (sprich der deutsche
Militarismus) tief verwickelt ist in die militärischen
Aktivitäten der USA. Nicht nur direkte deutsche
Kriegsbeteiligung ist von Bedeutung sondern auch das zur
Verfügung stellen von Infrastruktur, Überflugrechten
etc. Schließlich ist Deutschland auch
drittgrößter Waffenexporteur. Die
enge Verbindung der führenden westlichen Industriestaaten in
gemeinsame militärische Abenteuer wird auch in der NATO
sichtbar. Darauf hat Gert Deumlich mit seinem Beitrag im Reader
hingewiesen. 3.
Naher Osten 3.1.
Neue Weltordnung Spätestens seit 1991 ist
die Region zwischen dem Mittelmeer und dem arabischen Meer, die wir
Naher Osten nennen, zum Objekt einer „Neuen
Weltordnung“ geworden wie es der damalige
US-Präsidenten Bush senior nannte; dh. eine Neuverteilung der
Macht und Einflußspären, die nach dem Zusammenbruch
der sozialistischen Staaten möglich wurde. Dass die
Begehrlichkeit an dieser Region vor allem mit den Öl- und
Rohstofflagern, den wichtigen Transportwegen Persischer Golf und Horn
von Afrika zusammenhängt, aber auch anderen geopolitischen und
strategischen Gegebenheiten, ist offenkundig. Während
die religiös fundamentalistisch ausgestalteten arabischen
Monarchien nachkolonial kooperieren stehen oder standen dieser
Neugestaltung eine Reihe von Regimes gegenüber, die infolge
arabisch nationalistischer Unabhängigkeitsbestrebungen
installiert wurden, wie die Baath-Systeme Irak, Libyen, Syrien oder das
infolge islamisch fundamentalistischer Bewegungen entstandene Regime im
Iran, die sich seither einige Unabhängigkeit gegen den
direkten imperalistischen Zugriff bewahrt haben. Über die
innere Verfasstheit dieser Regime ist damit aber ausdrücklich
nichts gesagt. Die Neue Weltordnung schlug sich im
von den imperialistischen Führungsmächten offen
benannten Ziel eines Regimewechsels in diesen Staaten nieder und
führte in der jüngeren Vergangenheit zu einer Reihe
allesamt sehr blutiger und opferreicher Aggressionskriege: der
1. Golfkrieg, den der Irak mit Billigung und Unterstützung der
USA gegen den Iran 1980–88 führte der
1. Irakkrieg der USA und ihrer Willigen 1991 der 2.
Irakkrieg 2003 der Krieg der Nato gegen Libyen 2011 (in
diese Reihe gehört ebenfalls der bis heute andauernde Krieg
gegen Afghanistan seit 2001) Das Projekt
„Neue Weltordnung“ in der Nahostregion ist also
nachweislich älter als der arabische Frühling oder
auch das iranische Atomprogramm. 3.2. Israel /
Palästina Parallel zum Projekt neue
Weltordnung ist die Region seit Ende des zweiten Weltkrieges
überschattet vom Konflikt zwischen Israel und seiner
arabisch/islamisch feindlichen Umwelt. Während
– ebenfalls nach mehreren Regionalkriegen – das
Existenzrecht des Staates Israel de facto nicht mehr in Frage gestellt
bzw. ernsthaft militärisch bedroht wird,
stößt die Kriegs- und Besatzungspolitik dieses
Staates auf Kritik, Widerstand und aggressive Reaktionen. Israel
ist hochgerüstete Militärmacht und verfügt
als einziges Land der Region über atomare Waffen. Es
ist bestrebt, seine Stellung als Regionalmacht zu festigen. 3.3. Der arabische
Frühling Im Dezember begannen
zunächst in Tunesien Aufstände, die soziale
Unzufriedenheit zu Ausdruck brachten, sie endeten in Tunesien und
Ägypten mit der Ablösungen der dortigen Regierungen,
wurden aber auch dort sehr schnell von islamisch fundamentalistischen
Kräften usurpiert und instrumentalisiert. In Libyen und Syrien
führten sie zu bewaffneten Kämpfen und robuster
Einmischung der arabischen Öl-Monarchien, der ehemaligen
Kolonialmächte und der USA. Entsprechende
Interventionen waren entweder im Zuge des Projektes Neue Weltordnung
bereits vorbereitet oder wurden improvisiert. In Libyen führte
der Bombenkrieg der Nato zum Sieg der Rebellen. Das
politische Profil der Aufständischen und ihre Forderungen sind
vollkommen unscharf. es focusiert sich in einem Punkt, dem geforderten
Regimewechsel. Der inhaltliche Charakter des zu erreichenden Neuen
Regimes wird nur sehr unspezifisch als
„demokratisch“ gekennzeichnet. Die Opposition ist
also – jedenfalls soweit das die hierzulande
erhältliche Informationslage beurteilen
läßt – offen für alle
Kräfte, die egal aus welchen sozialen oder politischen
Gründen interessiert an einer Ablösung des alten
Regimes sind. Soweit es die bewaffneten Oppositionskräfte
betrifft darf als gesichert betrachtet werden. dass sie getragen werden
von durch die Ölmonarchien gestützten islamisch
sunnitischen, fundamentalistischen, neokolonialen und neoliberalen
Kräften. 4.
Aktuelle Kriegsgefahr 4.1.
In Syrien wird derzeit ein Bürgerkrieg geführt, der
starke Interventionistische Züge trägt. Die Rebellen
operieren mit Unterstützung des Nachbarlandes Türkei,
der Arabischen Ölmonarchien und westlicher Geheimdienste. Die
Nato-Staaten erklären wie gehabt einen Regimewechsel als Ziel
der Auseinandersetzung und torpedieren jeden innersyrischen
Interessensausgleich. In der Bundesrepublik, die sich
offiziell aus dem Libyenkrieg raushielt, wird die syrische Opposition
nach prowestlicher Ausrichtung organisiert. Derzeit
scheint das syrische Regime militärisch die Oberhand zu
behalten und einen wesentlich stärkeren Rückhalt in
der Bevölkerung zu haben, als zuvor z.B. in Libyen. Von
außen wird immer stärker die offene
militärische Intervention nach libyschem Muster gefordert und
vorbereitet. Die Entscheidung der USA zum Krieg scheint aber noch nicht
gefallen zu sein, kann aber jederzeit erfolgen. Besondere
Brisanz gewinnt die Situation durch die engen Verbindungen Syriens mit
dem Iran. Ein Krieg in Syrien könnte einen
Flächenbrand auslösen. Gleichzeitig sind die beiden
Länder die letzten, die dem Projekt neue Weltordnung im Wege
stehen. 4.2. Iran Der
israelische Ministerpräsident hat einen Militärschlag
gegen den Iran noch vor den Präsidentschaftswahlen in den USA
definitiv angekündigt. Ein offenbar fertig geplantes
Kriegsszenario liegt vor, das mit 500 Toten auf israelischer Seite
rechnet. Es gilt als unwahrscheinlich, daß
ein solcher Schlag ohne US-Unterstützung geführt
werden kann, allerdings würde ein Alleingang Israels eine
solche Unterstützung gegen inneramerikanische
Widerstände faktisch erpressen. Die
Präsidentschaftswahlen sind am 6. November, also in anderthalb
Monaten. Das Papier von Mathias Wörsching
hebt zurecht hervor : „Ein Krieg im Nahen
und Mittleren Osten wäre nicht nur für die Region
unheilvoll, sondern könnte sich zu einer
Menschheitskatastrophe ausweiten. Gründe dafür sind
die in der Region angehäuften Waffenarsenale, die auch atomare
und andere Massenvernichtungswaffen umfassen, und die
strategisch-geopolitische Bedeutung der Region im Hinblick auf
Verkehrswege (Persischer Golf, Suezkanal) sowie Rohstoffe
(Erdöl und Erdgas).“ Gleichzeitig
geht Mathias aber davon aus, daß der Iran der eigentliche
Kriegstreiber sei. Er macht dies am iranischen Atomprogramm und an den
inneren Verhältnissen im Iran fest. Die
Aggressionen im nahen Osten geht aber sichtbar nicht vom Iran aus, in
welch schrecklich innerer Verfassung das Land auch immer sein mag. Der
Iran war mit seiner Zuordnung zur „Achse des
Bösen“ bereits zum Abschuß freigegeben,
als noch niemand über sein Atomprogramm sprach. Ganz abgesehen
davon, dass es zahlreiche Belege und Stimmen einschließlich
der US-Geheimdienste dafür gibt, dass kein Programm zur
atomaren Aufrüstung existiert. 5. Die Friedensbewegung Die
Friedensbewegung hat anders als gegen die Irakkriege 1991 und 2003
keine nennenswerte Mobilisierung weder gegen den Krieg gegen Libyen
noch gegen die aktuelle Kriegsgefahr hervorgebracht. Zwar
gibt es von den Koordinationszentren der Friedensbewegung entsprechende
Erklärungen aber keinen aktionsmäßigen
Wiederhall. Lediglich am 1. September fand einen Demo
gegen den Krieg in Syrien in Frankfurt statt, die vorwiegend von
Immigrantenorganisationen getragen wurde. Eine
wichtige Rolle dabei spielt wohl der Vorbehalt, ein Engagement gegen
den drohenden Krieg, werde als Parteinahme für die jeweiligen
Regimes wahrgenommen. Dagegen ist die Sympathie mit
den „Demokratiebewegungen“ weit verbreitet, obwohl
es so gut wie keinen belastbaren Informationen über die
demokratische Qualität der bewaffneten Rebellenbewegungen gibt. 6. Gründe für
friedenspolitische Zurückhaltung Eine nicht
unbedeutende Rolle in der Verweigerung der Solidarität mit den
zu erwartenden Kriegsopfern spielt in Deutschland zum einen 6.1. - das
Verhältnis zu Israel, das sich im Falle des Irans einerseits
als Kriegstreiber und Aggressor verhält,
- andererseits
als Opfer künftiger (nach meiner Ansicht nach imaginierter)
Aggressionspläne des Iran darstellt.
Daraus
erwächst auch eine entsprechende Verunsicherung innerhalb der
VVN-BdA die sich ja der Sicherheit des Staates Israel verpflichtet
fühlt. Nach meiner Ansicht kann und darf aus
dieser Verpflichtung allerdings nicht die Zustimmung oder
stillschweigende Duldung von Krieg und Kriegsvorbereitung abgeleitet
werden. 6.2.
Zum anderen spielen das mittlerweile sehr verbreitete und verwurzelte
Feindbild des islamischen Fundamentalismus (der ja vom Regime des Iran
verkörpert wird) eine wichtige Rolle bei der Abneigung oder
Zögerlichkeit gegen den Krieg aktiv zu werden. 7. Die VVN-BdA Der
drohenden Kriegsgefahr muß eine klare antifaschistische
Antikriegsposition entgegen gestellt werden: Weder
ein Krieg gegen Syrien noch ein Krieg gegen den Iran dient der
Sicherheit Israels oder irgendjemand anderes. Die
VVN-BdA hat eine Verantwortung gegenüber einer zur
Verunsicherung und Unklarheit neigenden Friedensbewegung: - Kein
Krieg gegen Syrien.
- kein Krieg gegen Iran.
- Wir
verteidigen das Kriegsverbot und das Nichteinmischungsgebot des
Völkerrechts.
- Keinerlei Waffenlieferungen
in das Konfliktgebiet
- Schaffung einer
atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten.
Mein
generelles Plädoyer für die Positionierung der
VVN-BdA lautet: Die Zurückhaltung in
friedenspolitischen Fragen, die sich in den letzten Jahren eingestellt
hat, ist angesichts der realen friedenspolitischen Entwicklung nicht zu
rechtfertigen. Wir brauchen eine starke
Antikriegsbewegung. Siehe auch: Zur Friedensarbeit des Bundesausschusses der VVN-BdA Diskussionsbeitrag von Ulrich Sander auf der Bundesausschusstagung der VVN-BdA am 2. 9. 2012 in Magdeburg |