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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

04.05.2011

Gelungene Erneuerung der Erinnerungsarbeit

Neues vom Gedenken zum Jahrestag des Karfreitags 1945 von Dortmund

Das Gedenken an die Dortmunder Karfreitagopfer von 1945 hat die Umstellung vom gemeinsamen Erinnern mit den Zeitzeugen auf das Erinnern weitgehend ohne sie gut überstanden. Es bewährte sich, dass sich das Internationale Rombergparkkomitee mit dem Förderverein Gedenkstätte Steinwache zusammenschloss und nun gleichberechtigter Partner der Stadt Dortmund ist. Und auch die Veränderungen bei der Großkundgebung am Karfreitag 22. April: Die Worte aus Frankreich nun als schriftliche Grußbotschaft, die Rede des Vorsitzenden des vereinten Komitees, die wieder einmal stärkere Beteiligung an der Kundgebung wie am Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf der Jogger und Walker, die gemeinsam mit Gisa Marschefski vorbereiteten Worte der Schüler/innen der Geschwister Scholl Gesamtschule vor allem auch zum Arbeiterwiderstand – sie alle waren hoffnungsvolle Signale für ein geglücktes Hinüberwachsen der Erinnerungsarbeit in eine Phase notwendiger Veränderungen.

Auf der Grundlage einer neuen gemeinsamen Satzung kamen wir am Gründonnerstag 21. April 2011 zur ersten Vollsitzung des Komitees mit dem neuen Namen „Förderverein Gedenkstätte Steinwache/Internationales Rombergparkkomitee“ zusammen, und zwar im traditionsreichen Versammlungsraum der Steinwache. Die Teilnehmer kamen aus dem Ruhrgebiet und aus den Niederlanden. Die Mitglieder aus Russland, Polen und Frankreich grüßten aus der Ferne und kündigten an, bei künftigen Vollsitzungen wieder dabei zu sein. Gisa Marschefski (Ehrenvorsitzende), Norbert Schilff (stellvertr. Vorsitzender) und Ulrich Sander (Vorstandsmitglied) führten durch die Tagesordnung. Eine lebhafte Diskussion entspann sich nach dem Referat von Dr. Ulrich Schneider aus Kassel (Generalsekretär der Föderation des Internationalen Widerstandes FIR) über das Thema „Geht Europa nach rechts?“. (Zusammenfassung des Referats siehe unten) Der Dortmunder Musiker Reinhard Timmer sei genannt, der ein Lamento, eine Hommage an die (am 13.4.2011 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrten) Edelweißpiraten und ein traditionelles Liebeslied vortrug und zum Gelingen des Treffens beitrug.

In der Diskussion zum Referat wurde thematisiert: Die Frage, wie der antifaschistische Konsens von 1945 wieder hergestellt werden kann. Die Notwendigkeit, die Rolle der Europäischen Volkspartei und darin die Rolle der CDU als führendes EVP-Mitglied bei der gefährlichen Rechtsentwicklung in Europa zu verdeutlichen. Das Phänomen, dass Kriege in Frankreich und durch Frankreich populär sind, in Deutschland aber die Regierung vor neuen Kriegsbeteiligungen immerhin zurückschreckt und auf die Bevölkerung Rücksicht nimmt. Die Bedeutung der großen Krise für die Rechtsentwicklung und damit die Gefahr erneuter Versuche der Krisenauswege mittels scharfem Rechtskurs. Das Verhältnis des Sarrazinismus (oder besser –zynismus) zu den deutschen und europäischen Rechten und die Möglichkeit, dass sich eine Rechtsentwicklung in Deutschland weniger mittels NPD etc. Bahn bricht als durch die rechte Radikalisierung der Mitte. Die Funktion der Extremismus-Kampagne der Bundesregierung im Kontext der europäischen Entwicklung, um mittels Gleichsetzung von linken Antifaschisten mit Faschisten zu einer Geschichtsrevision und einem rechten Auftrieb zu gelangen. Schließlich wurde festgestellt: Die neuen Herausforderungen durch Reisefreizügigkeit in der EU führen z.T. zur Rückkehr des Antizyganismus und anderer Formen des Rassismus.

Im weiteren Verlauf der Aussprache wurde zur Entwicklung der fragwürdigen Rolle Dortmunds als neofaschistischer Brennpunkt Stellung genommen. Glücklicherweise gibt es in Dortmund eine breite Ablehnung gegenüber den Faschisten. Die Vorbereitungen zur Abwehr der Nazis am 3. September wurden begrüßt. Die Tatsache, dass mit der Karfreitagtradition sowohl der Kundgebungen in der Bittermark als auch der Gründonnerstagstreffen in der Steinwache die Zusammenarbeit der antifaschistischen Linken verschiedener Parteizugehörigkeiten manifestiert wurde, ist ein ermutigendes Zeichen. Norbert Schilff fasste es zusammen: „Dass Dortmund zum Zentrum der Nazi werden konnte, ist eine Schande für die Stadt. Aber hervorzuheben ist der Konsens des Antifaschismus, der seit dem Kalten Krieg besteht und durch diesen nicht zerstört werden konnte, der Konsens der Kräfte von der SPD bis weit links von der SPD. Ja man kann fast von einer Volksbewegung gegen Rechts sprechen. Die Forderung der CDU nach Ausgrenzung der Linken im Antifaschismus wird nicht zum Zuge kommen.“

Von der antifaschistischen Gemeinsamkeit waren dann auch die Kranzniederlegungen mit Kurzansprachen in Huckarde, Lünen, auf dem Internationalen Friedhof Brackel und in Lippstadt – und dann schließlich die große Kundgebung in der Bittermark mit unserem Vorsitzenden Ernst Söder als Redner und mit Bürgermeisterin Birgit Jörder als Rednerin der Stadt geprägt. U. S. / M. H.

Aus dem Referat von Ulrich Schneider auf der Vollsitzung des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache/Internationales Rombergparkkomitee am 21. April 11 in der Steinwache

1.

Die politische Situation in Europa wird durch eine zunehmende Rechtsentwicklung geprägt. Ausdruck davon sind Wahlergebnisse offen rassistischer und faschistischer Parteien in Europa und eine ideologische Offensive der Rechtskräfte, die mit Totalitarismus-Doktrin das historische Gedächtnis verändern und neue geschichtspolitische Orientierungspunkte setzen wollen.

In verschiedenen baltischen Republiken erleben wir die Umdeutung der faschistischen Kollaboration in „Freiheitskampf“. Insbesondere in Lettland und Estland können SS-Verbände ungehindert bzw. mit gerichtlicher Erlaubnis ihre Aufmärsche durchführen. In der West-Ukraine gilt Stepan Bandera, der Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten, die mit der faschistischen Wehrmacht kollaborierten und an Massenverbrechen in Lwow/ Lemberg beteiligt waren, als „Nationalheld".

2.

Bei nationalen Parlamentswahlen in Ungarn (FIDESZ und JOBBIK - der gewalttätige Arm), Belgien (nicht mehr Flams Belang, dafür Flämische Nationalisten), Schweden (Schweden-Demokraten mit Verbindung zu gewalttätigen Rassisten) und den Niederlanden (Geerd Wilders) verzeichneten rechtspopulistische und neofaschistische Parteien erschreckende Zuwächse. Solche Erfolge werden von rechten Gruppierungen und Parteien in anderen Ländern Europas analysiert, aufgenommen und modifiziert.

Die neue Attraktivität einer Marine LePen (der Front National) zeigt, dass moderater Faschismus ähnlich wie in Italien (Fini - Alleanza nationale) eine hohe Akzeptanz im gesellschaftlichen Mainstream besitzt. Welch gesellschaftliche Wirkung Rechtspopulismus und insbesondere Antiislamismus entfalten kann, sehen wir an dem Abstimmungsverhalten in der Schweiz (SVP-Blocher, Minarett-Verbot, Waffenbesitz etc.)

Es gibt Bestrebungen zur Vernetzung von rechtspopulistischen und neofaschistischer Strukturen auf europäischer Ebene (Dresden-Teilnahme/ Tag der Ehre in Budapest). Sie werden durch den jeweiligen Nationalismus/ Rassismus begrenzt. (Rumänien und Italien/ Italien und Südtirol/ Haltung zu Israel etc.)

3.

In dieser gesellschaftlichen Situation versuchen die politisch hegemonialen Rechtskräfte in Europa z.B. die Europäische Volkspartei (ihr gehören aus Deutschland die CDU und CSU an) zusammen mit nationalistischen Kräften in mittel- und osteuropäischen Staaten durch die Etablierung neuer Gedenktage, wie dem 23. August als „Gedenktag gegen Totalitarismus", die in den 80er Jahren zurückgedrängte Totalitarismus-Doktrin zu reaktivieren. Nicht die Erinnerung an den faschistischen Terror und den antifaschistischen Widerstand, sondern die Gleichsetzung von Faschismus und sozialistischen Herrschaftsformen soll das Geschichtsbild Europas prägen.

Damit wird der europäische geschichtspolitische Konsens der 90er Jahre nach rechts verschoben (Beispiele auf der Ebene des Staatshandelns: Polen, Ungarn, Tschechische Republik - Strafbarkeit des Zeigens „kommunistischer Symbole“; Ungarn - Gesetz gegen Auschwitzleugnung durch „Verbot der Leugnung der kommunistischen Verbrechen“ ergänzt; Kroatien - neues Gesetz über den Schutz der Gräber der „kommunistischen Gewaltherrschaft"; Bulgarien - Verleugnung der Geschichte der monarcho-faschistischen Herrschaft)

4.

Gegen solche geschichtspolitische Vorstöße können wir nicht alleine erfolgreich sein. Dazu benötigen wir Partner in unserem Land und als antifaschistische Organisationen mit lange bestehenden internationalen Kontakten Mitstreiter in ganz Europa, die sich ebenfalls aktiv in solche Auseinandersetzung einbringen.

Unser Ziel muss es sein, offensiv gegen die Versuche einer Etablierung der Totalitarismus-Doktrin als erkenntnisleitende These der Geschichtssicht vorzugehen. Dazu sollten wir - auch gegen den ideologischen Mainstream - die Erklärung des Europäischen Parlaments zum Schutz der Gedenkstätten und gegen die Vermischung der KZ-Geschichte mit jeglichen Formen der Nachnutzung vom 11. Februar 1993 verteidigen.

In der praktischen Geschichtspolitik auf internationaler Ebene sollten wir die Initiativen der FIR und deren Projekte unterstützen, u. a. das Ausstellungsprojekts der FIR zum Europäischen Widerstand zum Herbst 2011 und das geplante Internationale Jugendtreffen der FIR im Mai 2012 in Auschwitz.

Ulrich Schneider
Generalsekretär der FIR