23.04.2011
"Die Schreckensmeldungen verbreiteten sich
schnell"
Rede des Vorsitzenden des Fördervereins
Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergparkkomitee am
Karfreitag in der Bittermark bei Dortmund. Dort sind 300 Opfer der
Karfreitagmorde der Gestapo von 1945 bestattet. 1200 Menschen kamen
zur Gedenkkundgebung.
Ansprache in der Bittermark von Ernst Söder, Vorsitzender des
Fördervereins der Gedenkstätte Steinwache - Internationales
Rombergpark-Komitee
Karfreitag 2011
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Jörder,
liebe Schülerinnen und Schüler der Geschwister-Scholl-Gesamtschule,
verehrte Anwesende und Freunde aus dem In- und Ausland.
Das Ende des Krieges war absehbar, die alliierten Truppen standen
vor der Stadt. Doch die Henker der Nazidiktatur mordeten weiter.
Fast 300 Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter aus sieben Nationen
fielen einem letzten Blutrausch auf Dortmunder Boden zum Opfer.
Dieses Verbrechen geschah vor 66 Jahren, im April 1945, in der
Dortmunder Bittermark, im Rombergpark und am evangelischen Friedhof
in Hörde. Dort hatte man Leichen in Bombentrichtern gefunden.
Die Ereignisse darüber verbreiten sich schnell. Ein Landwirt
hatte um Ostern herum an einigen Tagen frühmorgens Schüsse
gehört. Als er nachsehen wollte, was das zu bedeuten hat, trat ihm
ein SS-Mann entgegen, der ihm andeutete, dass neue Waffen
ausprobiert würden und er sich wieder in sein Haus begeben solle.
Viele Menschen suchen in diesen Tagen einander. Der Sohn des
Bergmanns Schwartz aus der Singerhoffstraße in Hombruch will seinen
Vater finden, der bei der Gestapo in der Benninghofer Strasse in
Hörde inhaftiert war. Er hört von den Gerüchten. Er hört:
Bittermark, Rombergpark, Lastwagen, Schüsse, Hundegebell,
verschüttete Bombentrichter.
Der junge Mann befürchtet, dass sein Vater von den Nazis
ermordet worden ist. Er will Gewissheit und versucht, seinen Vater
zu finden. Im Lehm eines zugeschütteten Bombentrichters beginnt er
zu graben. Nach kurzer Zeit stößt er auf die Brust eines Menschen.
Immer mehr Trichter werden danach geöffnet, immer mehr Tote
geborgen. Sie sind erschossen, verstümmelt und erschlagen worden.
Vor dieser erbarmungslosen und brutalen Mordmaschinerie wurden
die Frauen und Männer im Keller der Gestapohölle in der
Benninghofer Straße in Hörde zusammengepfercht. Viele Gefangene
wurden noch vor dem Todestransport systematisch gefoltert, mit
Stacheldraht und Bindedraht gefesselt und zu den Bombentrichtern in
die Bittermark verschleppt.
Gesetze der Moral und Menschlichkeit waren außer Kraft gesetzt
und die tödliche Angst vor der Zukunft trieb die faschistischen
Tyrannen zu verzweifelten Taten gegen all diejenigen, von denen sie
annahmen, sie würden sich gegen die braune Gewaltherrschaft
rächen. Zwischen Trümmern und Mord arbeitete selbst in diesen
Tagen noch ein pedantischer Büroapparat.
Zwölf Jahre hatte der Nationalsozialismus die größten
Verbrechen begangen, die unsere Geschichte aufzuweisen hat. Im März
und April 1945 fügte er ein letztes in Dortmund hinzu.
Als Karfreitagsmorde gingen diese Verbrechen in die Geschichte
ein, mit denen die Nazis noch kurz vor Kriegsende die
Widerstandsbewegung zerschlagen wollten. Diese von einem
zivilisierten Verhalten weit entfernte Barbarei der Gestapo war
dennoch nicht nur eine Tat bloßer Willkür, sondern Ausdruck des
Wesens des faschistischen Systems. Schriftliche Mordanweisungen der
Reichsregierung waren dem Massaker vorausgegangen.
Sieben Jahre nach den Ostermorden begann im Jahre 1952 vor dem
Dortmunder Schwurgericht der Prozess gegen die Täter dieses
grausamen Verbrechens.
Am 4. April 1952 erging das Urteil. Von den 28 Angeklagten wurden
15 freigesprochen. Einer der Beamten erhielt eine Zuchthausstrafe
von 6 Jahren. Die meisten der übrigen Verurteilten
wurden mit durchschnittlich 6 Monaten Gefängnis bestraft, die
durch die Untersuchungshaft meistens abgegolten war.
"Die Angeklagten hätten die Befehle ausgeführt", so
das Gericht wörtlich, "weil sie unter dem Militärstrafgesetz
stehende Personen gewesen seien, denen zudem ein Notstand bei der
Befehlsausübung zugebilligt werden müsse".
Die Richter des Landgerichtes vertraten die Auffassung, die
Schuld an dem Verbrechen treffe allein den Vorgesetzten, der die
Befehle zur Exekution gab. Dieser war jedoch bei dem Prozess nicht
anwesend.
Das Urteil mag ein Indiz dafür sein, dass in den fünfziger
Jahren auch noch ehemalige Nazis in wichtigen Positionen des
Landgerichtes beschäftigt waren und ihre Parteifreunde schonen
wollten. Die braune Vergangenheit war längst nicht überwunden.
Heute sind wir hier am Mahnmal in der Bittermark
zusammengekommen, um erneut an die grausamen Ereignisse zu erinnern
und um der Opfer zu gedenken. Die Stadt Dortmund und die vielen
antifaschistischen Organisationen haben in unserer Stadt eine
"Kultur des Erinnerns" geprägt, die in diesem Ausmaße
kaum anderswo zu finden ist. Und da möchte ich insbesondere auch
die Arbeit in und mit der Steinwache einbeziehen, eine Mahn- und
Gedenkstätte, die in besonderer Weise die Geschehnisse des
Dortmunder Widerstandes repräsentiert und ein unvergleichbarer Ort
der Erinnerung ist.
Ewiggestrige sind jedoch bestrebt, vor den Ursachen des
Faschismus und von dem unermüdlichen Leid der Hitlerdiktatur und
seiner Verbrechen in Deutschland abzulenken. Es gibt in unserem Land
und anderswo in Europa neofaschistische Umtriebe, die nicht
verharmlost und unbeobachtet bleiben dürfen. Wir müssen weiterhin
- wie wir das insbesondere auch hier in Dortmund getan haben - uns
gegen die Aufmärsche der Nazis wehren.
Staatliches Handeln gegen die Neonazis ist mehr als notwendig.
Ihre Aufmärsche sind zu verbieten, ein neues Verbotsverfahren
sollte auf den Weg gebracht werden.
Es ist unerträglich, jedes Jahr von Neuem erleben zu müssen,
dass durch oberste Gerichtsentscheidungen die Verbotsverfahren der
Polizei und der Stadt verworfen und den Nazis erlaubt wird, zu
demonstrieren. Das kann auf Dauer so nicht bleiben. Nazis sind
Verbrecher, denen wir uns in den Weg stellen müssen.
Doch so lange die Regierenden in unserem Land sich mehr Sorgen um
die Demonstrationsfreiheit für die Neonazis machen, als den Schutz
der Bevölkerung und der Demokratie vor ihren Feinden zu
garantieren, wird es nicht so leicht gelingen, eine Mehrheit für
ein NPD-Verbot zu finden.
Vielleicht ist es das wichtigste Erbe der deutschen Geschichte,
dass wir wissen, wozu Menschen fähig sind, die sich einer
faschistischen Ideologie verschrieben haben, die ihren Gegnern die
Menschenwürde nimmt.
Unsere Vergangenheit können wir nicht mehr verändern oder gar
bewältigen. Sie lastet auf vielen in unserer Gesellschaft.
Gestalten können wir aber die Gegenwart und aus der Vergangenheit
für die Zukunft lernen.
Das Dortmunder Manifest "Von jung bis alt - gegen braune
Gewalt" ist beispielsweise eine jüngste Initiative gegen
rechten Populismus und Demagogie, Diskriminierung,
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Dortmund. Zu diesem Manifest
haben sich viele Dortmunder Bürger, der Rat der Stadt und
insbesondere auch junge Menschen bekannt.
Ein junger Mann schreibt als Bekenntnis zu dem Manifest "ich
habe nichts gegen freie Meinungsäußerung, aber: Faschismus ist
keine Meinung, sondern ein Verbrechen"
Und zwei weitere Beispiele möchte ich nennen, die uns Mut machen
und aufzeigen, was man tun kann.
Die Aktion "90 Minuten gegen rechts", mit denen die
DGB-Jugend Schüler über faschistische Umtriebe aufklärt,
verzeichnet einen Nachfragezuwachs. Die Gewerkschaftsjugend bietet
Workshops zu den Themen rechte Symbole, Musik, Parteien, Argumente
und rechte Szene an.
Hier werden junge Menschen angesprochen, die wiederum eigene
Fragen und Antworten erarbeiten.
Und eine andere Initiative von Jugendlichen, die gemeinsam in
Auschwitz waren, möchte ich nicht unerwähnt lassen:
"Botschafter der Erinnerung", eine Weiterentwicklung der
Dortmunder Erinnerungsarbeit, durchgeführt vom Jugendring Dortmund
in Zusammenarbeit mit anderen Vereinigungen und Unterstützung des
Dortmunder Oberbürgermeisters, ist ein herausragendes Beispiel, wie
man sich mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen kann.
Und auch den Schülerinnen und Schülern der
Geschwister-Scholl-Gesamtschule möchte ich meinen Respekt bekunden,
dass sie heute die Gedenkveranstaltung mit gestalten werden und sich
mit den Ereignissen 1945 auseinandergesetzt haben.
Auszüge aus dem Mahnruf der toten Frauen von Ravensbrück,
geschrieben von Auguste Lazar, möchte ich zum Abschluss meiner
Ausführungen zitieren:
"Schwestern, vergesst uns nicht
Vergesst nicht die Toten von Ravensbrück!
Wenn ihr uns vergesst, war unser Sterben umsonst
Umsonst die Tränen, die wir geweint
Umsonst die Qualen, die wir gelitten.
Umsonst der Schweiß, der von uns geflossen
In tiefer Erniedrigung
Schrecklicher Angst
Das Grauen
Der Tod
Wenn ihr uns vergesst, war unser Sterben umsonst".
Wir vergessen die Toten nicht, Wir gedenken der Opfer und wir
erinnern an sie. Wir rufen ihnen zu: Nie wieder Faschismus, nie
wieder Krieg, ihr seid uns nicht vergessen.
Vor uns liegt ein langer Weg, ich hoffe und wünsche mir, ein Weg
des Friedens, der Toleranz und der freundschaftlichen Verständigung
unter den Menschen.
|