26.09.09
Schleichende Militarisierung
Bundesregierung will künftige Einsätze der Bundeswehr gegen
Streikende und Demonstrierende nicht ausschließen -
Von THOMAS WAGNER, 2. September 2009 -
Ein Tag in naher Zukunft. Die Wirtschaftskrise eskaliert. Die
Beschäftigten von Bahn und Post warten seit Monaten auf ihre Löhne
und Gehälter. Es kommt zu Monate dauernden Streiks, die den
Güterverkehr lahm zu legen drohen. Die Situation spitzt sich immer
weiter zu. Schließlich entscheiden die Krisenstäbe verschiedener
Landesregierungen, Einheiten der Bundeswehr als Drohkulisse vor
Betrieben und Gewerkschaftshäusern aufmarschieren zu lassen.
Ein Szenario wie dieses schien in der Bundesrepublik Deutschland
lange Zeit ausgeschlossen. Doch nun haben sich die Zeiten geändert.
Jedenfalls will uns das die Bundesregierung Glauben machen. Denn in
ihren Augen ist der Einsatz der Bundeswehr gegen Streikende und
Demonstrierende im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit
(ZMZ) heute nicht mehr völlig auszuschließen. Das geht aus ihrer
Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag
hervor. (1)
Ob "Großereignisse (Staatsbesuche, Gipfel) sowie damit in
Zusammenhang stehende Demonstrationen Anlässe für die
Zusammenkunft der Katastrophenschutzstäbe sein" können,
obliege den für die örtliche polizeiliche und nichtpolizeiliche
Gefahrenabwehr zuständigen Landesbehörden, heißt es darin. Es
bleibe "dem jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten",
ob "Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor oder
bei der Müllabfuhr als Begründungen für ein Tätigwerden der
ZMZ-Strukturen herangezogen werden können".
So ein konkreter Einzelfall war anscheinend die
Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006. In Frankfurt am Main
"waren Soldaten während der WM aktiv - als zusätzliche
Sanitäter und Schutzkräfte für terroristische Angriffe mit
atomaren, biologischen oder chemischen Waffen", berichtete die
Frankfurter Rundschau. (13.08.2009 )
Heute stehen flächendeckend Strukturen bereit, um die Bundeswehr
im Inneren tätig werden zu lassen. Seit 2007 haben die
Streitkräfte ein Netz von 441 Kommandos der Zivil-Militärischen
Zusammenarbeit Inland (ZMZ/I) in sämtlichen Regierungsbezirken
sowie Kreisen und kreisfreien Städten aufgebaut.
Laut Bundeswehrpublikationen gehe es bei den Bundeswehreinsätzen
im Innern nicht nur um die Bekämpfung von Naturkatastrophen und die
Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch um den Kampf gegen den
Terrorismus und "Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der
Globalisierungsgegner", schreibt Ulrich Sander.(2)
Die Vermischung von zivilen und militärischen Bereichen geht
schleichend vor sich. Scheinbar harmlose Sportveranstaltungen
verschaffen die notwendige Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung.
Ein Beispiel dafür war der 6. Westmünsterländer
Vergleichswettkampf, der am 22. August unter der Schirmherrschaft
des Bürgermeisters Karl-Heinz Holtwisch von der
Reservistenkameradschaft Westmünsterland in Gronau durchgeführt
wurde.
"Absicht des Wettkampfes ist ein Vergleich der Kenntnisse
und körperlichen Fähigkeiten der Organisationen im Rahmen der
Zivil-MilitärischenZusammenarbeit (ZMZ), die Förderung der
Kameradschaft und die Darstellung der Arbeit in der
Öffentlichkeit", schrieb die Ahlener Zeitung am 09.08.2009.
Deshalb verlief die Laufstrecke auch mitten durch die Innenstadt
von Gronau. Unter den Teilnehmern waren die Feuerwehr Bocholt, die
Polizei Borken, das Team der Reservistenkameradschaft München-Nord,
private Mannschaften, Damenteams und Jugendgruppen.
Die Wettkämpfe beinhalteten Disziplinen, die auch auf
militärische Einsätze vorbereiten: Schlauchbootfahren, das
Überwinden von Hindernissen, Schießen, Bogenschießen, Klettern,
Erste Hilfe, Feuerlöschen und einen Orientierungsmarsch. (3)
Eine ständige Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen
Behörden gibt es nicht nur in der Körperertüchtigung sondern auch
im Bereich der Ausbildung. So bildet das Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenpläne (BBK) auch Angehörige
der Streitkräfte im Rahmen der ZMZ aus. (4)
Die Militarisierung der Gesellschaft hat bereits heute
institutionelle Züge angenommen. Daher kann das Bundeswehrmagazin
"Y" in seiner Maiausgabe 2009 wohl zurecht befinden:
"Auch wenn es noch Betonköpfe vergangener Zeiten gibt, kann
man feststellen, dass die Transformation der deutschen Gesellschaft
gelungen ist." (5)
"Die von der Bundeswehr entwickelte Zivil-Militärische
Zusammenarbeit (ZMZ) zielt auf die Militarisierung der Innenpolitik
und muss beendet werden", forderte daher Ulla Jelpke,
innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke in einer
Presseerklärung vom 01.09.2009: "Die neue Militärstruktur
droht zum Sprungbrett für Inlandseinsätze zu werden." Für
Jelpke sind die ZMZ-Kommandos "militärische Vorauskommandos,
die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen
einsickern." Das Konzept der ZMZ laufe damit letzten Endes auf
einen offenen Verfassungsbruch hinaus. Daher fordert Die Linke,
"die ZMZ-Strukturen aufzulösen."
Quellen:
(1) Die betreffende Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau
und der Fraktion Die Linke lautet: "Beabsichtigt die
Bundesregierung, Maßnahmen zu ergreifen, die ausschließen, dass
die ZMZ-Strukturen zur Unterstützung polizeilicher
Repressivmaßnahmen gegen Streikende und/oder Demonstrantinnen und
Demonstranten herangezogen werden, um eine Wiederholung von
Szenarien wie anlässlich des G8-Gipfels 2007 zu verhindern, und
wenn ja, welche Maßnahmen sind geplant oder bereits
eingeleitet?" (DB Drucksache 16/13847) Die Antwort der
Bundesregierung vom 26. August begnügt sich mit einem Wort:
"Nein." (Quelle: Büro Ulla Jelpke)
(2) Zitiert nach Sander: ,http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0537_vortrag_sander.htm
(3) http://www.ahlener-zeitung.de/lokales/kreis_borken/gronau/1102869_Hindernislauf_durch_City.html
(4) http://www.bbk.bund.de/cln_027/nn_403144/sid_68D2B6A33F97F0E7A2F5D2C19C
6C48B1/DE/03__Aktuelles/01__Meldungen/Nachrichten/2007/16081600__Oberst-Bacher.html__nnn=true
(5) Zitiert aus einem Vortrag von Ulrich Sander, Bundessprecher
der VVN-BdA, auf der 3. Sommerakademie des Friedensratschlag am
17.Juli 2009 in Fuldatal, http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0537_vortrag_sander.htm
Mit freundlicher Genehmigung: http://www.hintergrund.de/20090902483/politik/inland/schleichende-militarisierung.html
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