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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

12.04.09

Internet: Wie ernst sind Nazi-Drohungen?

ZeitungsausschnittStaatsanwaltschaft sieht keine juristische Handhabe gegen "Anti-Antifa Herzogenrath". Das linke Lager reagiert empört.

Am 20. März 2009 berichteten wir über die Machenschaften der Staatsanwaltschaft Aachen. Der Vorwurf: Verharmlosung neofaschistischer Umtriebe: "Wir fordern den Innenminister des Landes NRW auf, in der untergeordneten Behörde Staatsanwaltschaft Aachen für Ordnung zu sorgen. Die Staatsanwaltschaft Aachen ist bei der Bekämpfung des Neofaschismus kein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems", so die Aussage der VVN-BdA Aachen damals.

Nichts dazugelernt

Unter obiger Überschrift nahm sich eine Lokalzeitung in Aachen des Themas an. Die Staatsanwaltschaft Aachen verteidigt dort weiterhin ihr Vorgehen. Nichts dazugelernt halt!

Hier der Bericht:

Internet: Wie ernst sind Nazi-Drohungen?

Staatsanwaltschaft sieht keine juristische Handhabe gegen "Anti-Antifa Herzogenrath". Das linke Lager reagiert empört.

VON GERALD EIMER

Aachen. Erneut erheben Vertreter aus dem linken politischen Lager harte Vorwürfe gegen die Aachener Staatsanwaltschaft. Auslöser ist eine inzwischen wieder abgeschaltete Website im Internet, auf der Neonazis Fotos, Adressen und Lebensdaten eines 17 jährigen Überläufers, weiterer Antifaschisten und mehrerer Mitglieder der Linkspartei veröffentlicht haben. Über allem prangte der Ausspruch "Zum Abschuss freigegeben", daneben waren zwei gekreuzte Schusswaffen zu sehen.

Der für politisch motivierte Straftaten zuständige Oberstaatsanwalt, Lutz Bernklau, sah dennoch keinen Grund, auf eine Anzeige hin Ermittlungen einzuleiten.

"Völlig inakzeptabel"

Verfolgen nicht die Gesinnung, sondern Taten: Oberstaatsanwalt Lutz Bernklau (rechts) und Behördenleiter Axel Vedder sehen keine juristische Handhabe gegen eine umstrittene Neonazi-Website. Foto: Harald Krömer

Verfolgen nicht die Gesinnung, sondern Taten: Oberstaatsanwalt Lutz Bernklau (rechts) und Behördenleiter Axel Vedder sehen keine juristische Handhabe gegen eine umstrittene Neonazi-Website. Foto: Harald Krömer

Der Textzeile von der Gruppe namens Anti-Antifa Herzogenrath sei keine "strafrechtlich relevante Bedrohung" mit einem "konkreten Verbrechen" und auch keine "öffentliche Aufforderung zu Straftaten" zu entnehmen, heißt es unter anderem in der schriftlichen Begründung von Bernklau, die im linken Lager derzeit für helle Empörung sorgt. Kurt Heiler von der VVN/Bund der Antifaschisten hält die Haltung der Staatsanwaltschaft für "völlig inakzeptabel".

Heiler wirft der Aachener Behörde eine Verharmlosung der Neonazi-Szene in der Region vor und stellt den Vorgang in eine ganze Reihe von Vorfällen, aus denen er schlussfolgert, dass die Staatsanwaltschaft nur unzureichend gegen rechtsextreme Täter, umso härter aber gegen Antifaschisten und Linke vorgehe.

So seien weder die Neonazis gefasst worden, die im August 2007 ein Jugendkonzert in Stolberg überfallen haben, noch die Steinewerfer, die Anfang vergangenen Jahres die Scheiben einer Wohnung einer antifaschistischen Familie eingeworfen haben. Im Gegenzug aber seien immer wieder Verfahren gegen Antifaschisten eröffnet worden, bei denen man gar wegen der "Beihilfe zum Versuch der Beleidigung" Hausdurchsuchungen veranlasst und Computer beschlagnahmt habe. Und auch, dass das juristische Nachspiel der von Neonazis überfallenen Demonstration im März vergangenen Jahres zunächst zwei Linke also die Überfallenen trifft, nicht aber die Nazis also die Angreifer , fügt sich für Heiler ins Bild. "Die Staatsanwaltschaft Aachen ist bei der Bekämpfung des Neofaschismus kein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems", formuliert er und fordert das Eingreifen der Politik.

Der Vorwurf, auf dem rechten Auge blind zu sein, ist weder für Oberstaatsanwalt Bernklau noch für seinen Vorgesetzten Axel Vedder neu. Der Behördenleiter, selbst gut zwei Jahrzehnte lang für politisch motivierte Straftaten zuständig, reagiert mit nackten Zahlen auf die Vorwürfe.

"Die Formulierung 'Zum Abschuss freigegeben' ist moralisch indiskutabel, aber at keine strafrechtliche Relevanz."

AXEL VEDDER, LEITENDER OBERSTAATSANWALT

Aussagekräftige Zahlen

Alleine im Jahr 2008 hat die Aachener Staatsanwaltschaft 649 Verfahren wegen rechtsextremistischer Vorfälle eingeleitet, 77 wegen linksextremistischen Anklage wurde gegen 213 Beschuldigte aus dem rechten Lager erhoben, 39 Beschuldigte kommen aus dem linken Lager. Und schließlich: 2008 gab es 46 Urteile wegen rechtsextremistischer, sieben wegen linksextremistischer Straftaten.

Die Zahlen seien aussagekräftig genug, um die Vorwürfe von Links zu widerlegen, meint Vedder. Bleibt die Frage, warum der Satz "Zum Abschuss freigegeben" auf der Nazi-Website keine strafrechtlichen Folgen haben soll. "Unsäglich", "geschmacklos" und "moralisch indiskutabel" nennt auch Vedder die Formulierung, dennoch hätten derlei "Werteurteile" keine strafrechtliche Relevanz, betont er. "Wir verfolgen nicht die Gesinnung, sondern die Taten."

Für juristische Laien mag es nur schwer nachzuvollziehen sein, dass weder Vedder noch Bernklau in dem Text der Anti-Antifa eine Bedrohung sehen. Sie sprechen von einer "herabsetzenden, polemischen Parole", die aber durch den Schutz der Meinungsäußerung gedeckt sei. Auch Aussprüche wie "Du sollst verrecken" oder "Ich mach' Dich kalt" seien schließlich nicht immer wörtlich zu nehmen und würden nicht strafrechtlich verfolgt. Von einer "konkreten Todesdrohung" könne auf der Website der Nazis keine Rede sein, ist Bernklau überzeugt. Dort bringt jemand "drastisch" zum Ausdruck, mit einem Aussteiger nichts mehr zu tun haben zu wollen.

Dass Menschen durch den Satz "Zum Abschuss freigegeben" neben ihren Fotos und Adressen in Angst und Schrecken versetzt werden, sei nachvollziehbar, sagt Vedder. Eine gesetzliche Handhabe, die Verantwortlichen zu ermitteln, sieht er dennoch nicht.

Für Heiler kommt dies einem Skandal gleich. "Das ist ein schlimmes Zeichen an alle, die aussteigen wollen", meint er und verweist auf die zunehmende Gewalt und Drohungen von Rechts. "Diese Einstellung des Staatsanwalts ist so realitätsfern, dass es zum Fürchten ist."