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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

28.10.08

Heute geht es gegen die "zweite Remilitarisierung" und für Wiedergutmachung von Unrecht

Nach dem Treffen Ehemalige politische Häftlinge und Opfer des Kalten Krieges in Dortmund

Interview mit Ulrich Sander

UZ: Wie war die Resonanz auf den Aktionstag bisher?

Ulli Sander: Die Regionalpresse, Westfälische Rundschau und WAZ, haben sehr ausführlich und sehr präzise über unser Anliegen berichtet, so dass mehrere zehntausend Menschen etwas darüber erfahren haben. Wir hoffen, dass wir mit unseren Forderungen und Vorstellungen auch nach diesem Treffen weiterhin durchdringen.

UZ: Wir haben heute viel über Klassenjustiz in diesem Staat gehört. Kannst du ganz kurz den Verlauf der Verfolgung gegen die KPD und die FDJ skizzieren?

Ulli Sander: Es war insgesamt ein antidemokratischer restaurativer Akt, der auch andere Demokraten traf. Das hat natürlich etwas mit Klassenkampf zu tun. Aber es war vor allem eine große Welle des Abbaus von Demokratie in jener Zeit. Dies wiederum hatte mit der Remilitarisierung zu tun. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass wir in der heutigen Zeit der imperialistischen Kriege wieder verstärkte politische Repression erleben. Sie artikuliert sich im Vorgehen gegen die Demonstranten in Heiligendamm, im Vorgehen gegen antifaschistische Demonstranten bei Bevorzugung der Nazi-Marschierer und unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung, wo alle möglichen, vor allem Menschen ohne deutschen Pass verdächtigt werden.

UZ: Welche besondere Rolle spielten die Gerichte in Dortmund?

Ulli Sander: Dortmund war, genauso wie Lüneburg, ein Zentrum der politischen Strafjustiz. 200 Fälle von Bestrafungen wegen reiner Gesinnungstaten. Die einzige Rakete, die hier abgefeuert wurde, das war eine mit Flugblättern in der Silvesternacht. Etwas, das man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann: Das Ringen um Frieden und um die Einheit Deutschlands und der Widerstand gegen die Wiederherstellung der alten Besitz- und Machtverhältnisse waren Straftatbestände. Das hat damit zu tun, dass gefordert wurde, die Einheit Deutschlands als neutralen friedliebenden Staat, der keinem Block angehören sollte, zu verlangen. Als es dann 1990 aber zur Vereinnahmung der DDR durch die BRD kam und die NATO bis an die Oder und noch weiter vormarschierte, da kam es zu einer Einheit, wie wir sie nicht wollten, zur Einheit auf eine gefährliche revanchistische Art.

UZ: Gibt es besonders herausragende Fälle von Klassenjustiz in der BRD?

Ulli Sander: Die herausragenden Fälle waren dann solche wie Steigerwald, Wils, Angenfort und Schabrod, wo wirklich ungeheuer lange Strafen ausgesprochen wurden. Es war auch bedeutend, dass da meistens keine Haftverschonung möglich war. Oftmals wurde die Untersuchungshaft, was normalerweise vollkommen selbstverständlich ist, nicht anerkannt, sie führte zur Strafverlängerung. Es gab schon sehr bizarre Angelegenheiten, wobei auch die Beweisführung manchmal irrsinnig war, ausgeführt von Juristen, die oftmals schon in der Nazizeit agiert haben. Karl Stiffel hat auf der Pressekonferenz geschildert, wie der Staatsanwalt ihm vorhielt, er sei ja wieder gegen das Vaterland aktiv geworden, wie schon sein Vater. Also Sippenhaft kam dazu, und was war denn die Untat des Vaters? Der ist in den 30er Jahren von den Faschisten wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt worden. Widerstand gegen den Faschismus als strafverschärfend, das war an der Tagesordnung. Karl Schabrod musste das erfahren: Nachdem er bereits Häftling unter Hitler und Adenauer war, wurde ihm wegen der erneuten Betätigung für seine Gesinnung in den 50er Jahren seine Haftentschädigung für die Nazizeit nach dem Bundesentschädigungsgesetz aberkannt. So litt die ganze Familie; seine Tochter hat es hier deutlich gemacht. Es wurde klar, die Entschädigung ist kein gestriges Thema.

UZ: Wie ist es denn heute? Wir haben gesehen, dass die vermeintlichen Opfer in der DDR rehabilitiert wurden. Wie ist es mit den Opfern der Klassenjustiz in der BRD?

Ulli Sander: Die werden nicht rehabilitiert, um das gleich vorweg zu sagen. Seit 1988 fordert die Initiativgruppe diese Rehabilitierung, nicht erst seit Anschluss der DDR. Aus Anlass der Entschädigungsrenten für politische Häftlinge aus der DDR sagten Karl Stiffel und seine Genossen: Wir sind auch noch da, wir haben politisches Unrecht erfahren, wir wollen rehabilitiert und entschädigt werden. Davon ist aber noch wenig zu sehen, dass muss aber weiter erkämpft werden.

UZ: Wie ist es mit Verfolgung von linken und demokratisch-antifaschistischen Kräften heute?

Ulli Sander: Ja, da deutet sich manches an. Ich unterstütze das Demolieren von Bundeswehrgerätschaften nicht. Aber das wird als Terror ausgegeben, wenn Antimilitaristen das tun, obwohl überhaupt keine Menschen zu Schaden kamen oder bedroht wurden, sondern es wurden vermutlich Bundeswehrfahrzeuge beschädigt, ich will dem kommenden Prozess nicht vorgreifen. Erinnern möchte ich auch an Hunderte Ermittlungsverfahren in Heiligendamm. Es kommt heute nicht mehr zu solch scharfen Verurteilungen, aber es kommt zu dieser Welle von Repressionen auch mit Untersuchungshaft, Einkesselung von Jugendlichen bei Demonstrationen. Das braucht dann nicht immer zu den Strafen führen wie damals, aber ich kann das alles nur als Unrecht ansehen. Wir befinden uns da auf einem sehr gefährlichen Weg.

UZ: Welche Unterstützung wünscht sich eure Initiativgruppe?

Ulli Sander: Die Initiativgruppe kann man am besten unterstützen, wenn man sie in Anspruch nimmt für die politische Bildungsarbeit, für die Schulen, für die Jugendgruppen, damit sie darüber reden mit Zeitzeugen wie es damals gewesen ist: In der Zeit, als man eben nicht den Faschismus überwunden hatte, sondern leider die alten Besitz- und Machtverhältnisse restauriert hat. Ich glaube, unsere Gruppe -- wie auch die VVN, die ähnliche Ziele verfolgt -- sollte dadurch gestärkt werden, dass man sie in Anspruch nimmt. Auch indem man unter Umständen sagt, ich mach bei euch mit und lass mich sozusagen zum Teamer machen, um weiterzutransportieren, was da weiterzutransportieren ist. Denn wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir immer so eine schöne Presse haben wie heute. Wir müssen daher alle Möglichkeiten nutzen, um unser Anliegen zu transportieren und wenn uns dabei viele helfen können wir nur froh sein.

Die Fragen stellte Tim Carlitscheck

Ulrich Sander war vor 20 Jahren Mitbegründer der Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges. Er ist Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA).

Siehe auch:

Die verdrängte Schuld der Republik
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