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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

22.09.08

"Mein Vater war kein Verbrecher"

Ehemalige politische Häftlinge und Opfer des Kalten Krieges treffen sich in Dortmund

Ehemalige politische Häftlinge, Opfer des Kalten Krieges, treffen sich am 25. Oktober in Dortmund, um an die politischen Schandurteile gegen Antifaschisten und Linke an Dortmunder und anderen Gerichten in den 50er und 60er Jahren zu erinnern.

Am Samstag 25. Oktober 2008 treffen sich um 10.30 Uhr an der Gedenkstätte Steinwache (Nahe Hauptbahnhof-Nordausgang) die Überlebenden der Dortmunder politischen Strafjustiz des Kalten Krieges - gemeinsam mit ihren Angehörigen. Das Treffen an der Steinwache wird gestaltet mit Infoständen und einer Ausstellung über die Justiz des Kalten Krieges in der Bundesrepublik Deutschland. Es wird um 13 Uhr unterbrochen, um dann um 15 Uhr im Haus der Evangelischen Kirche Reinoldinum am Schwanenwall 34 fortgesetzt zu werden. Begegnungen und Gespräche mit Kindern von ehemaligen Verfolgten stehen hier im Vordergrund. Volkssänger Manfred Demmer (Leverkusen) wirkt mit.

Vier angeklagte Frauen im niedersächsischen DFD-Prozess vor dem Landgericht Lüneburg. Herta Dürrbeck und Emma Meyer erhielt 1 Jahr Haft mit Nebenstrafen, die anderen beiden Frauen erhielten Bewährungsstrafe. Herta Dürrbeck und Emma Meyer mussten die Haftstrafe im Frauengefängnis Vechta (Nds.) antreten. Auf dem Foto von links: Emma Meyer, Hildesheim; Herta Dürrbeck, Misburg b. Hann; Erika Krüger, Salzderhelden b. Einbeck; Lotte Düpree, Salzgitter.
Vier angeklagte Frauen im niedersächsischen DFD-Prozess vor dem Landgericht Lüneburg. Herta Dürrbeck und Emma Meyer erhielt 1 Jahr Haft mit Nebenstrafen, die anderen beiden Frauen erhielten Bewährungsstrafe. Herta Dürrbeck und Emma Meyer mussten die Haftstrafe im Frauengefängnis Vechta (Nds.) antreten. Auf dem Foto von links: Emma Meyer, Hildesheim; Herta Dürrbeck, Misburg b. Hann; Erika Krüger, Salzderhelden b. Einbeck; Lotte Düpree, Salzgitter.

Peter Dürrbeck im Jahre 1968, nach seiner Haft in Oldenburg 
Peter Dürrbeck im Jahre 1968, nach seiner Haft in Oldenburg 

Herta Dürrbeck 1966
Herta Dürrbeck 1966

Auch die Kinder und Enkelkinder der Opfer des Kalten Krieges sind eingeladen. Vor allem werden die nie rehabilitierten Opfer des Kalten Krieges (West) aus ganz Deutschland erwartet. Veranstalter des Treffens sind die Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges (Sitz Essen) und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten in NRW. Das Treffen wird unterstützt von der DKP.

Die Teilnehmer haben an der Steinwache zunächst eine Begegnung mit Opfern der Justiz unter den Regierungen von Adenauer bis Kiesinger, die in einer Größenordnung von rund 10.000 linken Personen in Gesinnungsprozessen verurteilt oder in Untersuchungshaft genommen wurden. Darunter werden auch ehemalige DDR-Bürger sein, die bei Besuchen in Westdeutschland verurteilt wurden, darunter allein in Dortmund 30 Verurteilte. Darüber hinaus fanden rund 60 politische Prozesse vor Dortmunder Gerichten satt. Sie ergaben Strafen bis zu einundeinhalb Jahren Haft zumeist für die Betätigung im Sinne der verbotenen KPD oder FDJ. Fünf Verurteilte waren bereits als antifaschistische Widerstandskämpfer in der NS-Zeit in KZs und Zuchthäusern gequält worden. Ihnen wurde die Entschädigung als NS-Opfer aberkannt, weil sie erneut für die KPD gearbeitet hätten.

Von diesen Angehörigen hat sich kürzlich eine zu Wort gemeldet: Klara Tuchscherer, geb. Schabrod.

Dazu diese Vorbemerkung:

Das Thema Entschädigung ist wieder auf der Tagesordnung. Die VVN-BdA nahm auf ihrem Bundeskongress im Mai 2008 in Berlin dazu Stellung. Im Sommer 2007 und im Mai 2008 hat der Bundestag zwei Entscheidungen getroffen, die den Opfern des kalten Krieges im Westen neues Unrecht brachten. Es wurde ihnen eine Rente verweigert, - die den Opfern des kalten Krieges im Osten gewährt wurde. Und ausgerechnet am 8. Mai 2008 beschloss der Bundestag, den kommunistischen Widerstandskämpfern, die sowohl unter Hitler wie auch unter Adenauer verfolgt wurden, weiterhin die Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz zu verweigern. Darunter leiden oft auch Hinterbliebene der Opfer. Eine davon hat zum Thema geschrieben. Dazu der nachfolgende Beitrag von Klara Tuchscherer geb. Schabrod.

Mein Vater war kein Verbrecher

Am 8.Mai 2008, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, behandelte der Bundestag den Antrag der Partei Die Linke zur "Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung". Es ging um die Wiedergutmachung der Opfer des Kalten Krieges.

Insbesondere die beiden Koalitionsparteien CDU und SPD lehnten eine Änderung des Entschädigungsgesetzes ab, weil es sich ja bei den von der Entschädigung Ausgeschlossenen "um diejenigen handele, die zum Ersten die freiheitlich-demokratische Ordnung im Sinne des Grundgesetzes in der Bundesrepublik bekämpft haben und zum Zweiten diejenigen, die nach dem 8.Mai 1945 wegen eines Verbrechens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 3 Jahren verurteilt worden sind."

Ich verwahre mich entschieden dagegen, dass mein Vater, Karl Schabrod, als Verbrecher bezeichnet wird. Er hatte genug darunter zu leiden, oft in seinem Leben als solcher behandelt zu werden. Fast die gesamten 12 Jahre des Faschismus in Deutschland verbrachte er im KZ und im Zuchthaus, weil er Antifaschist und Kommunist war. Und dieses Wort "verbrachte" ist viel zu harmlos. Nach Berichten von Mitgefangenen im Börgermoor saß er als Stubenältester fast mehr im Arrest, als dass er in der Baracke war, in der Steinwache Dortmund wurde er, wie viele andere, gefoltert, der Staatsanwalt verlangte die Todesstrafe, die dann in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt wurde. Alles, weil er auch dort sich für seine Mitmenschen einsetzte und keine Genossen verraten wollte.

Treu seinem Wahlspruch: "Tue Recht und scheue Niemand" arbeitete er politisch nach 1945 trotz Herz- und Rheumakrankheit weiter. Er arbeitete für den Nordrheinwestfälischen Landtag, in den er 1947 zum Vorsitzenden der KPD-Fraktion gewählt wurde, an der Landesverfassung mit. Er war Schriftführer des Verfassungsausschusses, sein Entwurf wurde Grundlage der parlamentarischen Beratung. Dieter Posser beschreibt dies in seinem Buch "Anwalt im Kalten Krieg" und er beschreibt auch die Anerkennung die mein Vater für seine sachliche Mitarbeit von einigen Abgeordneten, selbst noch nach dem Parteiverbot, erfuhr.

Deswegen empört es mich besonders, wenn bei der Bundestagssitzung vom 8.Mai 2008 von dem Herrn Baumann, CDU/CSU, aufgrund eines Zwischenrufs betreffend der Mitarbeit von Kommunisten am Grundgesetz, behauptet wird: "Ein großer Teil der KPD-Mitglieder hätten Entschädigungen erhalten, aber nicht diejenigen, die gegen den Staat gearbeitet haben…"

Nach juristischer Abklärung seiner Rechte nach dem KPD-Verbot, kandidierte Karl Schabrod als unabhängiger Kandidat und später für eine Kommunistische Wählervereinigung. Zur gleichen Zeit gab er orientiert an der Pressefreiheit "Die freie Meinung" heraus. Dies tat er, um den Menschen eine Alternative zu bieten und um über die Missstände in der BRD, die Remilitarisierung, die Atombewaffnung, die Wiederbesetzung von Nazis in hohen Ämtern und soziale Themen aufzuklären.

Dies brachte ihm nach einem Monat U-Haft beim ersten Prozess 9 Monate auf Bewährung und beim 2. Prozess (1962) zwei Jahre Gefängnishaft ein. Schlimm, auch für unsere Familie war, dass mein Vater mit Berufsverbot für 5 Jahre belegt wurde, ihm die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt wurden und die Verfolgtenrente gestrichen wurde, ja wir sollten 1962 gar die bereits ausgezahlte Wiedergutmachung zurückzahlen. Überleben konnten wir dann aufgrund eines Härtefonds, der ab 1968 ausgezahlt wurde.

1990 war nach Ansicht vieler Menschen und nach Darstellung in den Medien der "Kalte Krieg" vorbei. Dann müssten auch alle Opfer des kalten Krieges rehabilitiert sein und nicht Menschen, die sich zeitlebens für andere einsetzten und für eine bessere Welt kämpften, weiter als Verbrecher benannt werden.

Nein, der "Kalte Krieg" ist nicht vorbei, schlimmer noch, mit Hilfe unserer Bundeswehr ist er an vielen Ecken der Welt in einen Heißen Krieg verwandelt worden, und genau davor hat mein Vater zusammen mit Genossen, Naziverfolgten, Christen, echten Demokraten und vielen Friedensfreunden gewarnt.

Solingen den 6.7.2008

Klara Tuchscherer (geb. Schabrod)

aus "elan", Jugendmagazin, Dortmund, Dez. 1967:

Weihnachten im Knast

Die hafterfahrene Familie

Seite April 1967 befindet sich Peter Dürrbeck in der Haftanstalt Oldenburg. Zu 12 Monaten Gefängnis wurde der 28jährige Arbeiter verurteilt, wegen "Verstoß gegen das KPD-Verbot" und "Rädelsführerschaft" - was immer die Lüneburger Staatsanwaltschaft und die Richter darunter verstehen. Die Lüneburger Justiz ist berüchtigt dafür, dass sie selbst bei fragwürdiger Beweisführung in politischen Verfahren gegen "links" härteste Strafen ausspricht.

Peter Dürrbeck , bekannt als ehemaliger 2. Landesjugendleiter der Naturfreundejugend, als Ostermarschierer und aktiver Notstandsgegner, kommt aus einer Familie mit beträchtlicher Hafterfahrung. Seine Freunde sprechen mit Hochachtung von der Familie Dürrbeck: "Das ist eine Familie, die schon immer für ihre Überzeugung gekämpft hat."

Peters Mutter Herta leistete in einer illegalen Jugendgruppe Widerstand gegen die Nazis. 1934 stand sie als blutjunges Mädchen wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor Gericht. Für eineinhalb Jahre musste sie ins Gefängnis. Bis 1946 stand sie unter Polizeiaufsicht. Peters Vater kam aus dem gleichen Grund ins Strafbataillon. Er starb 1953 an den Misshandlungen in dieser Truppe.

Verfolgt von den Nazis und von Niedersachsens Justiz

Die Verfolgungen durch die politische Strafjustiz überdauerte das 3. Reich. Auf den Tag genau 20 Jahre nach ihrer Entlassung aus der Nazihaft, am 10. Mai 1956, musste Herta Dürrbeck wieder ins Gefängnis von Hannover. Diesmal wegen "Förderung der verbotenen FDJ". "Ich hatte," so erzählt Herta Dürrbeck, "als Landtagsabgeordnete der KPD gegen die Beamten protestiert, die junge Leute an der Grenze zur DDR aus den Zügen holten. Dafür bekam ich drei Monate Gefängnis." Ihre zweite Strafe im Nachfolgestaat des 3. Reiches: 10 Monate Gefängnis wegen "Verstoß gegen das KPD-Verbot". 5 Monate wurden ihr auf Bewährung erlassen. Als sie sich jetzt für die Freilassung ihres Sohne einsetzte, der in seiner bisherigen Haftzeit 35 Pfund Gewicht verlor und deshalb an Kreislaufstörungen leidet, wurde sie wieder vorgeladen. Man drohte ihr an, die zur Bewährung ausgesetzte Strafe zu vollstrecken, da sie "sich des in sie gesetzten Vertrauens nicht als würdig erwiesen hat."

Peter Dürrbeck hat sich deshalb an den Rechtsausschuss des Niedersächsischen Landtages mit einem Protestbrief gewandt. Diese Praxis, so schrieb er, habe zur Folge, dass er und seine Mutter abwechselnd immer im Gefängnis sitzen würden. Denn immer werde sich der eine für die Freilassung des anderen einsetzen.

Haftverschonung für Massenmörder

Harte Urteile gegen "Links". Von dieser Justiz wird eindeutig mit zweierlei Maß gemessen. Denn da gibt es andere, die ebenfalls ihre Gesinnung nicht gewechselt haben: Massenmörder aus dem 3. Reich, hilfswillige Diener der Nazis. Sie werden nicht verurteilt, wenn doch, werden sie milde behandelt, wird ihnen Strafe erlassen.

Drei Namen stehen hier für viele:

  • Dr. Heinrich Bütefisch, als SS-Obersturmbannführer und Bevollmächtigter der IG Farben verantwortlich für den Einsatz von KZ-Häftlingen im Werk Auschwitz, wurde in Nürnberg nur zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Jahre 1964 erhielt er von Bundespräsident Lübke das Bundesverdienstkreuz.
  • Willi Dusenschön, SS-Obersturmbannführer und 1. Kommandant der KZ Fuhlsbüttel und Papenburg. Er wurde 1962 vom Hamburger Schwurgericht wegen "Mangel an Beweisen" freigesprochen.
  • Dr. Otto Bradfisch, als ehemaliger SS-Obersturmbannführer in München und Hannover wegen Beihilfe zum Massenmord zu insgesamt 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach zwei Jahren Haft wurde er wegen Erkrankung entlassen. Dem niedersächsischen Justizministerium war nicht einmal bekannt, wo sich Bradfisch nach seiner Haftentlassung aufhielt.

Auf dem rechten Auge blind

Das ist eine Tatsache und ein Skandal: Die politische Strafjustiz in der Bundesrepublik und vor allem in Niedersachsen ist auf dem rechten Auge blind. Und deshalb werden Kommunisten immer wieder im Gefängnis sitzen, ob Weihnachten oder Ostern, Sommer oder Winter.

Dieses Problem wird bestehen, so lange das KPD-Verbot besteht. Und es kann erst gelöst werden, wenn dieses Verbot aufgehoben wird.

Jupp Angenfort, langjähriger politischer Häftling, schildert, wie politische Verfolgungen auf die Kinder wirkten:

Im Oktober 1956 wurde unsere Tochter Marlies geboren und das war für uns natürlich eine riesige Freude. Marlies wuchs heran, sie war ein liebes, fröhliches und auch munteres Kind, aber dann wurde ich im Jahre 1954 erneut verhaftet. Das war der Zeitpunkt, wo die Landtagswahlen vorüber waren und der Bundesgerichtshof meinte, jetzt sei wiederum Zeit, mich einzusperren. Diese Verhaftung gestaltete sich etwas turbulent. Die kleine Marlies hat das alles miterlebt, hat furchtbar darunter gelitten und Tatsache ist, dass sie zwei Monate später an Diabetes, an Zucker, erkrankt ist. Da in unserer Familie kein Diabetes ist, waren die Ärzte der Meinung, dass möglicherweise dieser Schock bei dem Kind den Ausbruch der Diabetes mit verursacht hat. Ob das so ist, weiß ich nicht. Marlies hat jedenfalls furchtbar gelitten, dass ihr Papa plötzlich nicht mehr da war. Es war so schlimm, dass meine Frau Mia einen Antrag machte, sie möchte mich mit Kind im Gefängnis Essen besuchen, da war ich inzwischen. Das ist auch genehmigt worden. Sie hat die Probleme geschildert und die Krankheit von Marlies geschildert und sie ist dann gekommen. Ich hatte ja als Untersuchungshäftling noch zivil. Der Beamte hielt sich im Hintergrund und ich habe dann im Besuchzimmer mit Marlies gespielt, obwohl es mir fast das Herz zerrissen hat. Und dann mussten Marlies und ihre Mutter Mia wieder weg und das letzte, was Marlies sagte: "Papa, komm doch mit uns. Mit Dir ist es viel schöner!" Aber das war ja nun leider nicht möglich, sondern ich blieb Untersuchungshäftling bis zum Prozess, bis zum Urteil und dann kam die Strafhaft.

(Interview von Christel Priemer und Ulrich Sander mit Jupp Angenfort, Düsseldorf 2005)