Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

07.05.07

Reinkarnation des deutschen Militarismus

Von der geistigen Mobilmachung für weltweite Einsätze

Von Ulrich Sander gehalten auf der Konferenz antifaschistischer Initiativen und Organisationen von NRW in Leverkusen 5.5.07

Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA NRW

Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA NRW

Die Kriege zur Rohstoffsicherung und Energieversorgung der westlichen Industriestaaten - und darum handelt es sich im Kern - haben das öffentliche Leben in diesen Staaten, auch in unserem, entscheidend verändert. Wir leben in einer Zeit ständiger Kriegsvorbereitung und -führung. Das erfordert ständige militaristische Berieselung der Köpfe, - und immer mehr autoritäre Machtausübung der Regierenden.

Schuhler schreibt: "Neue Runden im Wettrüsten stehen bevor. Die Dämonisierung des Iran, die Stigmatisierung Russlands und Chinas als undemokratische, auf Weltherrschaft sinnende Regimes sollen die Bevölkerung einschwören auf mehr Rüstung, mehr Militär und offensive Zielsetzungen der Militärdoktrinen. Dies betrifft einmal die Atomrüstung und das Setzen auf die Erringung der Erstschlagskapazität durch die USA (neue Raketensysteme in Mitteleuropa, d.h. in Tschechien und Polen! US). Auch wenn dies heute noch vor allem Drohkulissen sein mögen, so rückt die Welt damit doch näher an ein atomares Fiasko heran. ... Wir stehen vor einer Welle internationaler Einsätze. Der Krieg soll unter dem Stichwort ‚militärischer Humanismus' zum Alltag werden. Dementsprechend werden widersprechende Regeln des Völkerrechts außer Kraft gesetzt."

Und das geschieht in unserem Lande vor allem durch faktische Beseitigung der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Verbot des Angriffskrieges und seiner Vorbereitung und durch faktische Streichung der Bestimmung, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung dient (Artikel 26 und 87a). Anstelle des Grundgesetzes tritt die Militärdoktrin der EU, ob mit oder ohne EU-Verfassung, die den grundgesetzlichen Rahmen überwölben - sprich ihn aushebeln soll.

Zur Militarisierung des Landes gehört der Abbau der demokratischen Rechte. Dies ist ein schneller werdender Prozess. Die Gefahr einer Rechtsentwicklung ist offensichtlich. Sie fällt in zwei Teile: 

  • Anwachsen des Neofaschismus und Duldung und Förderung des Neonazismus durch den Staat einerseits und 
  • Abbau der Demokratie durch den Staat, dies auch durch zunehmende Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates andererseits.

Liebe Freundinnen und Freunde, 

das Gewaltkonzept des "Krieges gegen den Terror" und der damit zusammenhängenden Militärkonzepte richtet sich keineswegs nur gegen auswärtige Feinde (schreibt Schuhler). Nach dem Homeland Security Council der USA fallen unter die Kategorien des "inneren Verschwörers": "Ausländische islamische Terroristen", "einheimische radikale Gruppen", von "Schurkenstaaten und instabilen Ländern unterstützte Gegner", "unzufriedene Arbeitnehmer" (Michel Chossudovsky, Freitag 31.3.2006). Was hier an inneren Feinden der USA aufgezählt wurde, fand sich auch bald in unserem Lande wieder. Der autoritäre militärorientierte Staat ist die Kehrseite der neoliberalen globalen Unterdrückung.

Die von Innenminister Schäuble vorgelegten Pläne zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze sollen bewirken: Die Rasterfahndung wird ausgeweitet, Fingerabdrücke aller Bundesbürger werden bei der Passbehörde gespeichert, Mautdaten werden für Fahndungszwecke verwendet, die Online-Durchsuchung von jedermanns Computern erlaubt. Doch das sind Absichten, wenig beachtet sind die Taten: Mittels Hartz IV wird Millionen Menschen Grundrechte genommen. Arbeitszwang für unverschuldet Arbeitslose. Junge Menschen werden in die Armee gepresst, sonst droht Mittellosigkeit. Zugleich: Millionen Reservisten werden in Dateien erfasst und können mir nichts dir nichts einberufen werden. Dem dient eine neues Reservistengesetz vom Februar 2005. Dazu unten mehr.

Schuhler: Der autoritäre Staat wird ebenso marschieren wie die extreme Rechte, diese vielleicht unter dem Label "Populismus". Es ist nötig, eine Bewegung zur Frage "Demokratie und ihr schleichender Verlust" zu schaffen und zu organisieren. Die erfolgreichen Aktivitäten im Widerstand gegen eine neoliberale EU-Verfassung haben die Potenzen aufscheinen lassen, die auf diesem Feld vorhanden sind. (Schuhler weiter: Es entwickelt sich nicht nur eine zunehmend autoritäre Qualität des Staates von oben, es droht ein Ruck nach rechts "von unten". Schon vor zehn Jahren hat Ralf Dahrendorf prognostiziert, ein Jahrhundert des Autoritarismus sei "keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21. Jahrhundert". Die "Zeit", die sich als Blatt der liberalen Intelligenz sieht, konstatiert: "Anlässe oder Vorwände für staatsbürgerliches Mißvergnügen gibt es genug: Globalisierung, Reformdruck, Sparzwänge, Zuwanderung, neue soziale Ungleichheiten, ethnische Spannungen, Sicherheitsdefizite, Zukunftsängste der Mittelschichten, Hoffnungslosigkeit der Unterschichten, und das alles in einem einzigen historischen Augenblick." Historisch betrachtet sei heute nun der "populistische Moment" da, das Abschaffen von Demokratie zugunsten eines rechten Führungsstaates. (Die Zeit, 18.1.2007) Was der "Zeit"-Autor "Anlässe oder Vorwände für staatsbürgerliches Missvergnügen" nennt, sind in Wahrheit tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche, die die ökonomische Basis und das soziale Selbstverständnis von Mittelschichten und ArbeitnehmerInnen auflösen. Eine neue empirische Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung stellt fest: "Insgesamt ist die Grundstimmung ... derzeit vor allem durch Unsicherheit, Ängste und Zukunftssorgen gekennzeichnet, und es besteht eine große Sensibilität gegenüber der Undurchlässigkeit der Gesellschaft. Gerade die unteren sozialen Schichten rechnen sich kaum noch Aufstiegschancen aus ... Die Politik wird alles in allem miserabel beurteilt." Dies dient nicht nur den Linken, es dient offenbar noch viel mehr den Rechten.

Eine weitere Studie der Friedrich Ebert Stiftung (von Leipziger Wissenschaftlern im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erarbeitet) erbrachte dieses Fazit: "Die Rechte ist vom Rand in die Mitte gerückt." (WZ, 10.11.2006) Eine ähnliche Bielefelder Langzeitstudie kommt zu dem Ergebnis: "Die Menschenfeindlichkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen." (FASZ, 13.3.2005)

Diese Grundstimmung widerspiegelt die Erfahrungen der Menschen in den letzten anderthalb Jahrzehnten: Reale Einkommensverluste, wachsender Sockel von Arbeitslosigkeit, Zerreißen des sozialen Netzes, die Jugend steigt als Generation "Praktikariat" ins Arbeitsleben, die mittlere und ältere Generation wird zu größeren Teilen "Prekariat", das Rentenalter wird hinausgeschoben, ohne dass es genügend Arbeitsplätze für die Älteren gibt, die Rente selbst wird gekürzt. Dass fast zwei Drittel der Menschen durch diese Entwicklungen in Angst versetzt werden, ist ebenso logisch wie die Überzeugung von 61 % der Wahlbevölkerung, dass es keine Mitte mehr, nur noch Oben und Unten gibt. Dass 56 % der Ansicht sind, es sei völlig egal, welche Partei man wähle, es ändere sich doch nichts, ist die Lehre aus dem Wahlbetrug der SPD, die von der "Partei der sozialen Gerechtigkeit" zum aggressiven Gestalter des Neoliberalismus wurde.

Liebe Freundinnen und Freunde, 

Peter Strutynski, der Sprecher des Friedensratschlages, weist darauf hin, dass die deutsche Bevölkerung überwiegend kriegsabstinent bis pazifistisch eingestellt ist. Aber dies äußert sich nur selten in Aktivitäten größeren Ausmaßes. Nicht übersehen werden darf, dass es in Deutschland auch eine mächtige militärische community und den Militär-Industriellen Komplex gibt (Sander). Sie bewirken das Stillhalten der Öffentlichkeit gegenüber weiterer teurer Aufrüstung und Bundeswehreinsätzen in aller Welt. Laut eigenen Angaben hat der Reservistenverband als Kern der von mir so genannten "community" 138.000 Mitglieder, die in etwa 2.500 "Reservistenkameradschaften" gegliedert sind. Insgesamt werden im Bundesverteidigungsministerium 9,6 Millionen westdeutsche Bürger als ehemalige Bundeswehrsoldaten (Wehrpflichtige und Berufssoldaten) geführt; 1,9 Millionen von ihnen haben bisher an Wehrübungen teilgenommen. Ein Apparat von 500 Hauptamtlichen des Reservistenverbandes wird von der Bundeswehr bezahlt. Nun gibt es einen Aufschwung: 

Im Rahmen von ZMZ(i) - Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Innern - werden bis zum Sommer dieses Jahres unter dem Kommando von 5.500 Offizieren Hunderttausende Reservisten tätig, die kurzfristig einberufen werden können, um sie den Behörden vor Ort "zur Seite zu stellen". Ausdrücklich heißt es in Bundeswehrpublikationen, diese Bundeswehreinsätze im Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von Naturkatastrophen und der Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch dem Kampf gegen den Terrorismus, worunter das Vorgehen gegen die außerparlamentarische Opposition, gegen die Globalisierungsgegner und z.B. gegen die Demonstranten beim G8-Gipfel in Heiligendamm zu verstehen ist. Mit der Erweiterung des Reservistenkaders auf das Höchstalter 60 Jahre (früher 45 Jahre) können kurzfristig viele Tausend neue Kräfte den Streitkräften zugeführt werden. Zudem können Mobilisierungen bestimmte Personenkreise Lücken in Streikbewegungen reißen, wenn nicht die Reservisten gar gegen Streiks und Unruhen vorgehen, denn sie werden bezeichnenderweise gerade an Feldjägerschulen ausgebildet.

Dieser Entwicklung liegt folgender Plan zugrunde: 

In den Struck'schen VPR (Verteidigungspolitischen Richtlinien) steht: "Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann. Grundwehrdienstleistende und Reservisten kommen dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, zum Einsatz." 

CDU/CSU-Sprecher kommentierten erfreut: Das sei Heimatschutz, Verteidigung nicht nur am Hindukusch im fernen Gebirge, sondern auch bei Hindelang in den deutschen Alpen. Der Einsatz gegen Terroristen und andere Gefahren im Innern wird so zur Sache der Verteidigung des Landes mittels der Massen von Wehrpflichtigen und Reservisten gemacht.

In einem Papier der CDU/CSU, abgefasst vom heutigen Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswehrministerium und ultrarechten Gebirgsjäger Christian Schmidt nach den Anschlägen in Madrid im März 2004, wird die Schaffung eines neuen "Organisationsbereichs im Verteidigungsministerium mit dem Titel ‚Landesverteidigung und Heimatschutz'" verlangt, dessen Aufgabe der Aufbau von bis zu 50 vernetzten "Regionalbasen Heimatschutz" mit einer Stärke von bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten in allen größeren Städten Deutschlands sein soll. Bei einem Einsatz sollen die betreffenden Regionalbasen durch Reservisten auf eine Stärke von bis zu 5.000 Soldaten aufgestockt werden können. Die "Heimatschutztruppe" soll zu 80 Prozent aus Wehrpflichtigen und zu 20 Prozent aus Berufs- und Zeitsoldaten als deren Führungspersonal bestehen.

Liebe Freundinnen und Freunde! 

Die größte rechtsextreme Bewegung entsteht - ohne große öffentliche Erörterung. In einer stark verbreiteten Soldatenzeitung, finanziert vom Verteidigungsministerium, wird geschickt die Verbindung von der heutigen militaristischen Community zur früheren hergestellt: "Vor 60 Jahren waren mehr als 18 Millionen Deutsche aus fast allen Familien Angehörige der Wehrmacht. Sie werden derzeit zunehmend verunglimpft und pauschal als Verbrecher beschuldigt. Der Einsatz unserer Bundeswehr heute ist nur zu verantworten, wenn deren Pflichterfüllung von der Gesellschaft unvoreingenommen mitgetragen wird. Das setzt Fairness gegenüber der vorigen Soldatengeneration voraus."

Das heißt: Geschichtsdiskurse, auch revisionistische, halten die militaristische Community zusammen. Auch Streitfälle aus der Geschichte, zum Beispiel Kriegsschuldfragen zum Ersten wie Zweiten Weltkrieg, werden in den Traditionsverbänden noch immer lebhaft erörtert. Antifaschismus wird empfunden "als Vehikel kommunistischer Diktaturen", das "insbesondere in der stalinistischen Zeit, eine üble Rolle spielte." Der Kriegsschuldartikel des Versailler Vertrages, der das "Hineinschlittern" Deutschlands in den Krieg leugnete, wird wie eh und je als "schwere Hypothek" beklagt, als "Urgrund für das spätere Phänomen Hitler". Und so wird auch die deutsche Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg vorsichtig geleugnet und zwar anhand des bezeichnenden Buchtitels "1939 Der Krieg der viele Väter hatte" vom rechtsextremen Ex-General Gerd Schultze-Rhonhof. Damit würden "Fragen an die heute allgemein in Deutschland vertretene Sicht dieser Zeit und ihre Exponenten gestellt." So die "Gebirgstruppe".

Was ist das für eine Bundeswehr, die sich als Weltgendarm betätigt, entsprechend der Empfehlung der heute obersten Befehlshaberin, damals nur CDU-Vorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Um die Politik anderer Nationen zu beeinflussen, um den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen, müssen alle Mittel in Betracht gezogen werden, von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern." (aus Merkels Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2004) 

Diese Armee wird von einem Kader geleitet, über den "Die Zeit" (20.11.03) schrieb: "Neue, noch nicht veröffentlichte Daten bestätigen einen zwar nicht überraschenden, aber dennoch ernsten Verdacht: dass Offiziersstudenten - die künftige Führungselite der Bundeswehr - deutlich weiter rechts stehen als ihre zivilen Kommilitonen. Und sie sind in jüngsten Jahren noch ein Stück weiter nach rechts gerückt. ... Nach ihrer Zustimmung zu einer Liste von 14 politischen Zielen befragt, zeigten die Militärstudenten besonders konservative Überzeugungen beim Fragekomplex ‚Abwehr von Fremden'; beim Ziel ‚Abwehr von kultureller Überfremdung' ist im Verlauf der drei Untersuchungen eine klare Bewegung nach rechts zu erkennen." "Die Zeit", die diese Forschungsergebnisse präsentierte, schreibt dazu kommentierend: "Die Einstellungen dieser künftigen Truppenführer tendieren zum rechten Rand." Fazit: Es gibt Zeichen dafür, dass die reaktionärste Militärtradition auch den künftigen Geist der Truppe bestimmt. (Die Zeit Nr.48 vom 20.11.2003, ähnlich in IfdT, Oktober 2003)

Und was ist mit dem Geist der Bevölkerung? Mit der militärfreundlichen Stimmung der Öffentlichkeit, ist die Bundeswehr zufrieden - aber noch nicht ganz mit der nicht ausreichenden Pro-Kriegs-Stimmung: "Die im Sommer 2004 durchgeführte Befragung resümiert, dass die Bevölkerungsmehrheit die neuen Aufgaben der Bundeswehr weitgehend mitträgt. Die Zustimmung ist umso höher, je friedlicher die Einsätze verlaufen. Lediglich friedenserzwingende Maßnahmen steht die deutsche Bevölkerung skeptisch gegenüber." Diese Äußerung bezieht sich auf eine TNS-Emnid-Umfrage vom Sommer 2004. Danach lehnten 43 Prozent der Bevölkerung den Bundeswehreinsatz in Afghanistan und gar 58 Prozent die "Luftschläge gegen Jugoslawien" ab, die das Blatt für die Innere Führung "Information für die Truppe" als "friedenserzwingende Maßnahmen" ausgibt. Da muß nachgearbeitet werden. Inzwischen lehnen 68 Prozent die Erweiterung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan ab.

Dafür bedarf es immer des Rückgriffs auf die Geschichte. 1990 begann ich mit einer Untersuchung über Kasernennamen. Waren doch in der DDR vom letzten Verteidigungsminister Rainer Eppelmann in vorauseilendem Gehorsam sämtliche Traditionsbezeichnungen der Einrichtungen der Nationalen Volksarmee abgeschafft worden - und zwar vor dem 3. Oktober 1990 - so interessierte es mich, wie dies Problem in der nun großen BRD gelöst werden würde. Ich schrieb vor allem den 37 Kasernen, die NS-Militärgrößen als Namenpatrons hatten, ob nicht auch hier ein Neuanfang geplant sei. Bekanntlich kam es nur in drei Fällen zu Änderungen, weitere Änderungen waren nicht das Ergebnis von Einsichten, sondern von der Aufgabe bestimmter Liegenschaften durch die Bundeswehr.

Eine weitere Recherche unternahm ich mit jungen Historikern aus Nordrhein-Westfalen, die zu den Massakern der Wehrmacht in Griechenland geforscht hatten. Unsere gemeinsam erzielten Forschungsergebnisse warfen die antifaschistischen Historiker und rund zehn weitere Freunde zu Pfingsten 2002 in den "Postkeller" von Mittenwald in die militaristische Menge, die sich dort bei Bier und Schweinebraten auf ihr alljährliches Traditionstreffen der Gebirgsjäger an der Gedenkstätte für die gefallenen Kameraden auf dem Hohen Brendten vorbereiteten. Die jungen Freundinnen und Freunde stiegen auf die Stühle und riefen: "Jetzt legen wir eine Gedenkminute für Eure Opfer ein." Es kam zu Tumulten, die Antifaschisten wurden gewaltsam verdrängt und von der Polizei in einer Jugendherberge eingesperrt, bis das Brendten-Treffen vorbei war.

In den Jahren danach gingen wir sorgfältiger zu Werk. Die VVN-BdA und die antifaschistische Historikergruppe - sie heißt "Angreifbare Traditionspflege" nach der falschen Behauptung von Edmund Stoiber über die "unangreifbare Traditionspflege" der Männer unterm Edelweiß - holten Zeitzeugen aus den Opfergemeinden nach Mittenwald, ferner Historiker und Publizisten und veranstalteten Hearings, Protestaktionen und Mahnwachen während der Brendten-Feiern. Das zu den alten Rechten und unsere Antwort an sie. Nun zu den neuen Rechten.

Es gehört zum großen Irrtum der Gegenwart, dass Rechtsextremisten heute gegen den Krieg wären. Die Kriege auch der deutschen Bundeswehr mögen von rechts kritisiert werden ob der US-amerikanischen Dominanz. Doch dass der Krieg enttabuiert wurde und dass damit künftig deutsche und europäische Kriege im eigenen Interesse möglich werden, das begeistert die Rechten - von den Konservativen bis zu den Neonazis. Diese haben immer wieder dazu aufgerufen, sich in der Bundeswehr und bei der Polizei militärisch schulen zu lassen. Udo Voigt, NPD-Vorsitzender, betont, es sei notwendig für jeden deutschen, das "Soldatenhandwerk" zu beherrschen. Einer der Redner auf sog. national-kameradschaftlichen Friedenskundgebungen ist Siegfried Borchardt. Er hat vor zwei Jahren ungestört von Polizei und Justiz dazu aufgerufen: Nie wieder Krieg - nach unserem Sieg. Der Sieg soll die Durchsetzung des "nationalen Sozialismus", das heißt der Naziherrschaft, im Weltmaßstab bringen. Alle Völker sollen nationalsozialistisch werden, nur das "auserwählte Volk" nicht, denn das jüdische sei dann ja nicht mehr am Leben, sondern "im Himmel".

Einer der Führer des Rechtsextremismus ist der General a.D. Reinhard Günzel. Er ist bei "pro Köln" gelandet. Er hat das Kommando Spezialkräfte KSK mit aufgebaut und geführt. Er ließ einen Werbeartikel für KSK verbreiten: "KSK - das garantiert modernste Bewaffnung und Ausrüstung, eine Ausbildung, die in alle Welt (!) führt, berufliche Förderung und schnellere Beförderung. KSK - das bedeutet aber auch Einsatz überall, jederzeit, unter Lebensgefahr, schwierigsten Bedingungen, fern der Familie, die oft nur weiß, dass der Mann Soldat ist. Öffentliche Anerkennung bleibt verwehrt, jeder Einsatz ist geheim, noch Jahre später. Nichts dringt an die Öffentlichkeit, während Operationen laufen." Da wundert es nicht, wenn das Gebot nicht mehr beachtet wird, gesetz- und verfassungswidrige Befehle zu verweigern. Die Folterungen von Coesfeld besagen ein weiteres. 

Die Soldaten und Offiziere sind nämlich eigentlich gehalten, alle Befehle zu verweigern, wenn mit der Befolgung eine Straftat begangen würde. 

Schlagendes Beispiel ist das Buch "Geheime Krieger". Dies ist eine Anleitung zur Befolgung von Wehrmachtsleitlinien durch GSG9 und KSK. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (beide CDU) gaben jetzt bekannt, sie lehnen disziplinarische Maßnahmen gegen den ehemaligen Chef der GSG 9, Ulrich Wegener, und den früheren Kommandeur des KSK, Kommando Spezialkräfte, Reinhard Günzel, ab. Das sind die Autoren des Buches "Geheime Krieger". Wegener und Günzel hatten in dem Buch "Geheime Krieger" die von ihnen geführten Einheiten in die Tradition der Wehrmachts-Spezial-Division "Brandenburg" gestellt. Günzel bemängelt, dass die Bundeswehr alle Wehrmachts-Traditionen kappt. Wegener schreibt, Kameradschaft und Korpsgeist ließen sich "vor allem bei den Brandenburgern studieren". Zwar moniert der Kriegsminister Jung den "das gesamte Buch durchziehenden Versuch, eine Traditionslinie zwischen diesem Wehrmachtsverband und den Spezialkräften der Bundesrepublik Deutschland zu konstruieren". Gleichwohl bewege "sich die Veröffentlichung derartiger Positionen noch im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit". In dem Buch "Geheime Krieger" wird jedoch nicht einfach eine Meinung vertreten, es wird klar gestellt, dass die Vorschriften für KSK und GSG9 bei den Brandenburgern abgeschrieben wurden. 

Die Brandenburger hatten auch jenes Bataillon Nachtigall in ihren Reihen, mit dessen Namen für immer z.B. das Massaker von Lemberg mit 7000 ermordeten Juden geht (Anführer: Oberländer). 

Auch die letzten Tabus schwinden. Es sei notwendig, die "herrschenden Denkmuster" zu verlassen, heißt es in "Information für die Truppe" vom September/Oktober 1999. Und das geht so: Da wird den von der Wehrmacht mit Krieg überzogenen Ländern die Schuld am Krieg gegeben. Denn dies alles wird als Kriegsursache genannt: "Vor allem das Verschweigen der verheerenden Folgen des Versailler Diktats und dessen Mitursächlichkeit für 1933 und 1939, ferner die anhaltende Tabuisierung der seinerzeit höchst aggressiven Interessen- und Machtpolitik vor allem Frankreichs, Polens und der Tschechoslowakei einschließlich der von ihnen begangenen oder unterstützten massiven Verletzungen völker- und menschenrechtlicher Normen gegenüber Deutschland, zumal des Selbstbestimmungsrechts". Revanche für die Niederlage von 1918 stellt für die Bundeswehrmedien also eine zulässige Begründung für 1933 und für den Überfall auf Polen 1939 dar. Auch die Besetzung Frankreichs und der Tschechoslowakei sind nur die Antworten auf die "Menschenrechtsverletzungen" gegenüber Deutschen!

Eine derartige pro-faschistische Geschichtsrevision ist selten zu finden außerhalb der Neonazipublikationen.

Die Verbrechen des deutschen Faschismus habe es von 1933 bis 1941 eigentlich nicht gegeben, folgt man der "Information für die Truppe". Die Wehrmachtssoldaten hätten sich gegen die Folgen von Versailles und gegen den "'Täter' der bis dahin größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte" gestellt - den Bolschewismus und Stalin also. Denn "nicht Auschwitz, sondern vor allem diese Tatsachen waren 1939/1941 der Erfahrungshintergrund der Wehrmachtsgeneration."

Der Überfall auf die Sowjetunion hat also demnach zumindest zu Beginn seine Berechtigung gehabt.

Und so werden die Wehrmachtsgeneräle von den höchsten Bundeswehrgenerälen als Vorbilder auf den Podest gestellt. Der höchste NATO-General im Kosovo und heutige Chef der Clausewitzgesellschaft General Dr. Klaus Reinhardt sagte zu Pfingsten 2000: "Die ... Bundeswehr ist von Männern aufgebaut und geistig ausgerichtet worden, die als Kommandeure, als Kompaniechefs und Kompaniefeldwebel die schreckliche Erfahrung des Krieges und der Diktatur am eigenen Leib erlebt und durchlitten haben. Sie haben die Uniform wieder angezogen, um uns, der nachfolgenden Generation, das Koordinatensystem ihrer Werteordnung" weiterzugeben. Sie seien es gewesen, "die uns die zeitlosen militärischen Werte wie Pflicht, Treue, Tapferkeit und Kameradschaft vorgelebt haben."

Reinhardt: "Diese Männer waren unsere Vorbilder, und sie repräsentieren eine ganze Generation von Wehrmachtssoldaten. Sie verdienen unseren Respekt genauso wie die vielen anderen Soldaten, die aus ihrer damals begrenzten Kenntnis der Vorgänge heraus im guten Glauben ehrenhaft gehandelt und gekämpft haben." Reinhardt rief zur "Pflege dieser Tradition und ihrer Weitergabe an die nächste Generation" auf.

Begrenzte Kenntnis! Das konnten sie nicht wissen, dass es nicht erlaubt ist, die Zivilbevölkerung besetzter Gebiete zu ermorden? Das war also ehrenhaft, entwaffnete Kriegsgefangene tausendfach zu erschießen? Diese Tradition soll auch noch weitergegeben werden! Und das gelingt. 

Zusammenfassung: 

  1. Die Militarisierung des Landes hat mit dem neuen Reservistenkonzept einen neuen Stand erreicht. Viele Tausend Soldatinnen und Soldaten werden darin einbezogen. Es geht nicht nur um eine Instrumentalisierung der Bundeswehr zum Kampf im Innern - es geht auch um die ideologische reaktionäre Beeinflussung der militarisierten Massen. So wächst eine gewaltig große Militärorganisation heran. Die Friedens- und die Gewerkschaftsbewegung sind demgegenüber bisher untätig geblieben. Eine Aufgabe für Antifaschistinnen und Antifaschisten zu handeln.
  2. Als Gewerkschafter sagen wir, ein hohes Ziel muß die Verteidigung der Demokratie sowie der Freiheit jedes Einzelnen sein. Nur so haben wir die Möglichkeit, im Interesse der kleinen Leute zu handeln. Deshalb wehren wir uns gegen neue Gesetze - und gegen alte -, die den Geheimdiensten und der Bundeswehr immer mehr Macht geben, um unsere Grundrechte zu beseitigen. Jede Maßnahme gegen die Grundrechte, wie sie von Herrn Schäuble geplant und von Herrn Wolf (NRW-Innenminister) und Herrn Jung (Bundesverteidigungsminister) vollzogen wird, hilft den Rechten mit ihren Führerstaatsvorstellungen und schwächt die Gewerkschaften, die Demokratie. Jede Maßnahme zur Reinwaschung des geschichtlichen Faschismus auch.
  3. Wir wenden uns daher gegen die Revision der Geschichte, wie sie auch von den Regierenden betrieben wird. Die CDU ist aufgefordert, die Nazi-Vergangenheit und ihre eigene Vergangenheit endlich aufzuarbeiten und nicht den zunehmend dreister auftretenden Neofaschisten immer wieder Wasser auf die Mühlen zu geben. So geschehen in der unsäglichen Filbinger-Oettinger-Affäre. Notwendig ist auch, dem von Filbinger gegründeten Studienzentrum Weikersheim endlich die staatstragende Maske vom Gesicht zu reißen. Dort wurde und wird ideologische Munition für den Rechtsextremismus produziert. Wir Antifaschisten halten an unserer Rücktrittsforderung gegenüber Oettinger fest. Wir fordern die Rehabilitierung der von Filbinger und anderen Wehrmachtsrichtern Verurteilten. 
  4. Seit 1999 wird von Kriegstreibern behauptet, man müsse Krieg zulassen, um ein Auschwitz nicht wieder zuzulassen. Es gilt, die Verpflichtung "Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus" mit ihren beiden Seiten wieder herzustellen. 
  5. Und schließlich: Wir müssen die sozialen Kämpfe wieder mit der Friedensfrage verbinden und das heißt: Runter mit der Rüstung!

Literatur

  • Conrad Schuhler, siehe "G8 Agenda des kollektiven Imperialismus", isw Report Nr. 69-70, April 2007, München
  • Ulrich Sander „Macht im Hintergrund – Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck“, Neue Kleine Bibliothek 96, Papy Rossa, Köln, 200 Seiten, EUR 14,00, ISBN 3-89438-287-2
  • Ralph Klein/Regina Mentner/Stephan Stracke (Hg.) “Mörder unterm Edelweiß“ / Dokumentation des Hearings zu den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger, mit Beiträgen von Ludwig Baumann, Peter Gingold,Manolis Glezos, Ulrich Sander u.a., Papy Rossa, Köln, Broschur, 152 S., EUR 12,90 [D]/SFR 23,50, ISBN 3-89438-295-3
  • Ulrich Sander in "Ossietzky", Beiträge in 2007