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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

06.11.06

Ein antifaschistischer Kämpfer lebt nicht mehr

Zum Tod des Antifaschisten, Widerstandskämpfers und Kommunisten Peter Gingold

Peter Gingold, antifaschistischer Widerstandskämpfer, Kommunist aus jüdischem Elternhaus, Internationalist starb am 28. Oktober in Frankfurt/M. im Alter von 90 Jahren.

Für Peter Gingold steht ein Motto "Résistance = Widerstand - ein Leben lang!" Geboren am 8. März im Kriegsjahr 1916 erlebte er in der Weimarer Zeit die Realität der sozialen Not und des Antisemitismus. Politische Überzeugung und Handeln war für ihn eines. So organisierte er sich schon früh in der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung und engagierte sich vor 1933 und nach der Machtübertragung an die NSDAP im antifaschistischen Kampf.

Verhaftet im Juni 1933 wurde er von den Nazis zur Emigration gezwungen. Er ging nach Paris, wo bereits seine Eltern und Geschwister lebten. Dort setzte er seinen antifaschistischen Kampf fort. Er gehörte zu den Gründern der überparteilichen "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) und wurde Mitglied der KPD. Hier lernte er auch Ettie Stein-Haller kennen, die er 1940 heiratete. Über sechzig Jahre lebten sie zusammen und haben sich gegenseitig in ihrer politischen Arbeit und Überzeugung gestützt und gestärkt.

Nach dem faschistischen Überfall auf Frankreich arbeiteten beide in der französischen Résistance. 1943 geriet Peter in die Fänge der Gestapo. Ihm gelang jedoch die Flucht. Im August 1944 nahm er am Aufstand zur Befreiung von Paris teil. Den 8. Mai 1945, "das Morgenrot der Menschheit", erlebte er bei den italienischen Partisanen in Turin.

Zurückgekehrt nach Frankfurt gehörten Peter und Ettie zu den Gründern der hessischen VVN und wirkte politisch in der KPD. Doch während Peter für seine antifaschistische Arbeit in Frankreich und Italien geehrt wurde, erlebte er in Deutschland lange Jahre gesellschaftliche Ausgrenzung. Als Widerstandskämpfer und Kommunist wurden ihm und seiner Frau viele Jahre die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert. In Gefolge des KPD-Verbots musste Peter zeitweilig wieder in die Illegalität gehen. Später musste er erleben, dass man seine Tochter Sylvia wegen ihrer politischen Überzeugung mit Berufsverbot belegte.

All das hat ihn nicht abgehalten, sich für seine Vision von einer sozialen und menschenwürdigen Gesellschaft, frei von Krieg und Ausbeutung einzusetzen. Dass man dazu einen sehr langen Atem brauche, auch Rückschläge verkraften müsse, vermittelte er in zahllosen Gesprächen und Vorträgen, besonders gegenüber jungen Zuhörern. Und er forderte die jungen Leute auf, selber aktiv zu werden gegen Neofaschismus, Rassismus, soziale Ungerechtigkeit und Ausgrenzung. Dabei ging er mit gutem Beispiel voran bei zahllosen Aktionen gegen alte und neue Nazis, ob in Mittenwald, in Wunsiedel, in Frankfurt oder Berlin.

Peter Gingold war ein viel gefragter Redner, Gesprächspartner und Zeitzeuge, der politisch reflektiert, engagiert und persönlich authentisch historische Zusammenhänge vermitteln konnte. Er wurder eingeladen von Gewerkschaften oder der autonomen Antifa, von Universitäten oder der DKP und natürlich von der VVN-BdA, für die er in den letzten Jahren als Bundessprecher politisch aktiv war. Nicht zu vergessen seine Aktivitäten im Auschwitz-Komitee der BRD, gegen die Profiteure der Kriegsverbrechen - die IG-Farben in Abwicklung oder für den Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung ‚Freies Deutschland' e.V. (DRAFD).

Hier - und das zeigte eindrucksvoll die Feier zu seinem 90. Geburtstag im Frankfurter DGB-Haus - erlebte er die Anerkennung, die ihm die bundesdeutsche Gesellschaft verweigert hatte.

Ulrich Schneider

Am 5.11.2006 fand in Frankfurt/Main die Trauerfeier statt.

Aus gegebenen Anlass dokumentieren wir noch mal den von Peter Gingold mitunterzeichneten Offenen Brief gegen die "neue Art der Auschwitz-Lüge":

Gegen eine neue Art der Auschwitz-Lüge

Offener Brief an die Minister Fischer und Scharping 

Holocaust-Überlebende verurteilen Äußerungen der Bundesregierung zu Parallelen Auschwitz / Kosovo 

Die Auschwitz-Überlebenden Esther Bejerano, Kurt Goldstein und der VVN-BdA-Bundessprecher Peter Gingold, der auch Mitglied des Auschwitz-Komitees ist, haben sich gemeinsam mit weiteren jüdischen Überlebenden des Holocaust gegen Stimmen gewandt, zugunsten des Auftrages "Nie wieder Auschwitz" dürfe auf das Postulat "Nie wieder Krieg" verzichtet werden. Die Unterzeichner, die zahlreiche Familienmitglieder in Auschwitz verloren, wiesen diesbezügliche Äußerungen von Außenminister Joseph Fischer und Verteidigungsminister Rudolf Scharping zurück. 

Sie schrieben folgenden Brief an die Minister: 

Sehr geehrter Herr Außenminister! Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister! 

Der Verteidigungsminister hatte bereits vor der völkerrechtswidrigen Aggression der NATO gegen Jugoslawien, an der die Bundeswehr in verfassungswidriger Weise teilnimmt, bei einem Bundeswehrbesuch in Auschwitz gesagt: Um ein neues Auschwitz zu verhindern, "ist die Bundeswehr in Bosnien", und daß sie darum "wohl auch in das Kosovo gehen" wird. In Erklärungsnot geraten, berief sich auch der Außenminister auf die neue Art der Auschwitzlüge, um den verhängnisvollen Verstoß gegen die gerade auf Grund der Lehren von faschistischem Krieg und Holocaust geschaffene UN-Charta zu begründen. 

Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen den Mißbrauch, den Sie und andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten im Namen der deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens. Diese Ihre Vorgehensweise soll offenbar einen schwerwiegenden und nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen rechtfertigen. Die gegen Deutschland und Japan siegreichen Völker haben sich diese Charta 1945 gegeben, um "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat" - das bekanntlich von deutschem Boden ausging. 

Sie beschlossen, die "Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren". Weltfrieden und internationale Sicherheit werden jetzt gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied der UNO Krieg geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus, Krieg gegen ein Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hitler erbrachte und Unschätzbares zur Befreiung Europas vom Faschismus leistete. Sich als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu berufen, ist infam. 

Das Vorgehen der jugoslawischen Führung gegen albanische Minderheiten verstößt gegen die Menschenrechte. Wir verurteilen es. Wir verurteilen es, wie wir das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden verurteilen und das Vorgehen der israelischen Führung gegen Palästinenser verurteilt haben. Stets haben wir gefordert - und wir tun es auch jetzt -, daß dagegen mit allen Mitteln vorgegangen wird, die der UNO zu Gebote stehen. Wer die antifaschistische, den Menschenrechten verpflichtete Rolle der UNO nicht nutzt, sondern die UNO ausschaltet und schwächt, der hat jedes Recht verloren, sich auf antifaschistische Postulate wie "Nie wieder Auschwitz" zu beziehen, zumal er damit zugleich das Recht zum Krieg begründet. Die Folgen eines solchen Handelns werden ein Wiedererwachen der Kräfte sein, die 1945 entscheidend geschlagen zu sein schienen. 

Sehr geehrte Herren Minister! 

Wir fragen Sie angesichts Ihrer Verlautbarungen und politischen Praxis: Soll vergessen sein, daß in diesem Jahrhundert zweimal über Serbien von deutschem Boden aus Vernichtung und Verwüstung hinweggingen? Soll vergessen sein das Massaker an einer Million Serben, begangen von deutschen Nazis im Zweiten Weltkrieg und ihren in- und ausländischen willigen Vollstreckern? Nach den Juden hatten die Slawen in Serbien - gemessen an ihrer Gesamtbevölkerung - die meisten Opfer zu beklagen. Soll vergessen sein, daß die Zerschlagung Serbiens von 1914 bis 1918 jenem Heeresgruppenbefehlshaber und Totenkopfhusaren August von Mackensen übertragen war, der 1915 und dann immer wieder das "rücksichtslose Vorgehen" gegen die serbische Bevölkerung befahl und der dann Hitler bis zuletzt als Propagandist half - bis zum Aufruf zum Opfertod der Jugendlichen als Volkssturm -, und nach dem die Bundeswehr noch immer eine Kaserne in Hildesheim benennt? Soll vergessen sein, daß nicht nur kaiserliches Heer, Reichswehr und Wehrmacht erprobte Serbenschlächter in ihren Reihen hatten, sondern auch die Bundeswehr? Wir verweisen auf Wehrmachtsoberst Karl-Wilhelm Thilo, der in der Bundeswehr höchster General und Kommandeur der 1. Gebirgsdivision ? jener Division, die nun wieder auf dem Balkan die deutsche Fahne vertritt ? sowie stellvertretender Heeresinspekteur wurde. Er unterzeichnete Massenmordbefehle gegen Jugoslawen, und er schrieb an Büchern, die in der Bundeswehr kursierten, um den Völkermord zu preisen, so H. Lanz (Hg.) "Gebirgsjäger - Die 1. Gebirgsjäger-Division 1935/1945". Soll vergessen sein, daß der Krieg der Bundeswehr gegen Serbien eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt, nicht nur gegen die UN-Charta, sondern auch gegen den NATO-Vertrag, die Schlußakte von Helsinki, gegen das Grundgesetz und den Zwei-plus-vier-Vertrag? 

Deutschland hat sich immer wieder zur Einhaltung der UN-Charta verpflichtet und sie nun mit dem Angriff auf Jugoslawien mit Füßen getreten. Die Bundeswehr verstieß gegen die Befehle aus dem politischen Raum. "Darüber hinaus hat die Bundesregierung das Verbot der Führung eines Angriffskriegs bekräftigt" (Aus dem Zwei-plus-vier-Vertrag vom 12. September 1990. Zitiert nach "Weißbuch 1994" der Bundeswehr). Soll vergessen sein, daß Jugoslawien mit dem Krieg zur Unterzeichnung eines Vertrages gezwungen werden soll, der nur mit dem Münchner Diktat von 1938 verglichen werden kann, mit dem die CSR zerstört wurde, wie heute Jugoslawien zerstört werden soll? " Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Abschluß durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt wurde." So heißt es im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, Artikel 52. Wir fordern entschieden: Schluß mit dem Krieg gegen Jugoslawien, und als Sofortmaßnahme: Einstellung der Bombardements. Verhandeln statt schießen. Wir fordern die Wiederherstellung der UN-Charta und Stärkung der UNO. Dies als Beitrag zur Verwirklichung und Verteidigung der antifaschistischen Errungenschaften der Völker. 

Hochachtungsvoll 

Esther Bejarano, Hamburg 
Peter Gingold, Frankfurt am Main 
Kurt Goldstein, Berlin 
Walter Bloch, Düsseldorf 
Henny Dreifuß, Düsseldorf 
Günter Hänsel, Neuss 
Werner Stertzenbach, Düsseldorf
Rudi Lippmann, Berlin 
Erhard Deutsch, Berlin 
Vera Mitteldorf, Berlin 
Werner Krich, Berlin 
Irmgard Konrad, Berlin 
Maricha und Adi König, Berlin

Veröffentlicht am 23. April 1999. Ende April wurde dieser Text auch in einer ganzseitigen Anzeige in der Frankfurter Rundschau publiziert.

Siehe auch:Siehe auch:

Kein Schlußstrich per Schlusspfiff!

Interview mit Peter Gingold, Bundessprecher der VVN-BdA, zu Fragen von Patriotismus und Internationalismus nach der Fußball-WM